Nur die Liebe zählt
Ein paar Tage später versuchte ich immer noch die fantastische Entdeckung zu verdauen, dass es dort draußen echte Menschen gibt, die meinem Podcast lauschen, als Liza mich über Facetime anrief. Es ist schon eine Weile her, seitdem wir uns das letzte Mal auf den Stand der Dinge gebracht haben, dann kam Spanien, die Hochzeit meines Bruders, Montys Stück, und sie hat natürlich auch ein ganz schön volles Leben, mit Yoga-Unterricht und allem, was sonst noch dazugehört. Zu allem Überfluss kam noch der gar nicht mal so kleine Faktor hinzu, dass wir auf unterschiedlichen Seiten des Atlantiks leben, wodurch sich eine achtstündige Zeitverschiebung ergibt, was wirklich ziemlich nervig sein kann.
Und dann treffen sich wie durch ein Wunder doch manchmal unsere Universen: Ein Kurs wird abgesagt, und Liza hat morgens plötzlich eine unverhoffte Pause, mein Akku ist geladen – und schon sind wir über Facetime miteinander verbunden.
»Wir haben ja schon seit einer Ewigkeit nicht mehr miteinander gesprochen!«
»Du warst auf der Suche nach einem Bikini. Hast du einen gefunden?«
»Ja, einen wirklich schönen. Warte, ich zeig ihn dir …«
»Und dieses Arschloch hat geschrieben.«
»Johnny.« Beim Gedanken an ihn stöhne ich auf.
»Hast du danach je wieder von ihm gehört?«, fragt Liza gerade .
»Nein.« Ich lache (ich lache tatsächlich). »Und das wird wohl auch nicht wieder vorkommen.«
»Gut so.« Sie nickt zufrieden. »Jetzt erzähl schon von deiner Reise!«
»Du zuerst«, fordere ich sie bestimmt auf. »Ich möchte deine ganzen Neuigkeiten hören. Wie geht es dir?«
»Sehr gut«, sagt sie und lächelt. Sofort weiß ich Bescheid. Das ist kein Lächeln, weil man befördert wurde, ein paar Pfund abgenommen oder sich ein neues Kleid gekauft hat – sondern ein Ich-habe-jemanden-kennengelernt-Lächeln.
»Wer ist es?«, frage ich geradeheraus.
Liza versucht erst gar nicht, es abzustreiten. Sie läuft rot an. »Woher wusstest du es?«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch, und sie muss lachen.
»Einer meiner Yogaschützlinge, das hatte ich dir ja bereits erzählt.«
»Das klingt gut!« Ich lächle. »Und wie bist du dem moralischen Dilemma entkommen?«
»Sie ist nicht mehr meine Schülerin.«
Sie erwähnt es ganz nebenbei. Und ich nehme es genauso nebenbei auf.
»Dann erzähl endlich, wie ist sie so?«
»Du bist gar nicht schockiert?«
»Warum?«, frage ich. »Weil du dich in eine Frau verliebt hast?«
»Ja.«
»Bist du denn schockiert?«
Sie sagt einen Moment lang nichts, dann schüttelt sie den Kopf.
»Das ist das Komischste an der ganzen Sache. Nein, bin ich nicht. Ich habe mich vorher noch nie zu einer Frau hingezogen gefühlt. Aber dann habe ich Tia getroffen, und irgendwie habe ich sie gar nicht als weiblich wahrgenommen, einfach nur als eine Person … und zwar eine, die mich wirklich angezogen hat. Es war irgendwie seltsam und gleichzeitig auch wieder nicht , das war das Allerseltsamste daran …« Sie hält inne. »Ergibt das irgendeinen Sinn?«
»Und ob!« Ich nicke.
»Am Anfang war ich zugegebenermaßen ziemlich durcheinander … Im Nachhinein ist es mir wirklich unangenehm, wie ich sie erst von mir weggestoßen habe.«
Ihr Gesicht blickt mich vom Display aus an, und ich muss darüber nachdenken, wie oft wir versuchen, uns dem zu widersetzen, was unsere Gefühle uns mitteilen wollen, weil wir aus irgendwelchen dämlichen Gründen glauben, dass wir so nicht fühlen sollten.
»Aber ich konnte einfach nicht aufhören, an sie zu denken.«
»Und genau das sagt einfach alles.«
»Ja.« Sie nickt. »Nachdem es mir also eine Weile ganz schön mies ging, habe ich mich gefragt, warum ich mir das eigentlich antue. Warum ich nicht einfach mit dem Menschen zusammen bin, mit dem ich zusammen sein möchte. Also habe ich sie angerufen, und sie hat mich zum Glück nicht abblitzen lassen, obwohl ich mich ihr gegenüber echt wie eine Idiotin verhalten hatte.« Sie grinst. »Aber sie hat sich über meinen Anruf gefreut, und wir sind zusammen ausgegangen, dann ist sie mit zu mir gekommen, und, tja, seitdem ist sie eigentlich nicht mehr gegangen.«
»Also war nicht nur ich beschäftigt«, sage ich mit einem Lächeln, und sie lacht.
»Ach, Nell, ich bin so glücklich, aber ich habe Angst davor, es anderen zu erzählen, weil ich mir das immer anders vorgestellt hatte – also mich und meine Beziehung, meine ich. Es ist jetzt sicher auch anders, als meine Eltern sich das alles für mich vorgestellt haben …« Sie hält erneut inne. »Aber ich muss doch tun, was sich für mich richtig anfühlt, egal, was die anderen denken …« Sie zuckt mit den Achseln. »Scheißegal, oder?«
In mir drin juble ich, während ich ihr dabei zuhöre, wie sie mutig ihr Herz vor mir ausschüttet, und hebe in Gedanken ein Glas, um ihr zuzuprosten.
»Vollkommen scheißegal!«, sage ich lächelnd.
Wofür ich dankbar bin:
  1. Dass Liza den Mut aufgebracht hat, sich von einer Vorstellung, wie das Glück auszusehen hat, zu verabschieden, um sich in jemanden verlieben zu können, der sie wirklich glücklich macht.
  2. In einem Teil der Welt zu leben, in dem man die Freiheit hat, seinem Herzen zu folgen, unabhängig von Geschlecht und Herkunft.
  3. Sie nicht mehr mit dem Scheißkerl Brad zusammen ist.