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Zehn Minuten später
saß Albin in seinem SUV
und fuhr in Richtung Nîmes. Er rechnete sich aus, dass ein Mordopfer frühestens einen Tag nach Auffinden, aber mit Vorrang vor anderen bei einer Obduktion an der Reihe wäre. Also ungefähr genau in diesem Augenblick.
Albin schlug mit der Faust aufs Lenkrad, als im Radio die ersten Takte von Last Christmas
zu hören waren, und stellte einen anderen Sender ein, in dem ein Interview übertragen wurde. Es ging um irgendetwas mit der EU
-Außenhandelspolitik und war allemal erträglicher als dieses Lied, das Albin überall zu verfolgen schien.
Albin linste in den Rückspiegel, konnte Tyson aber natürlich nicht sehen, der im Kofferraum lag und von der Rückenlehne der Rücksitze verdeckt wurde.
»Es ist unerhört«, sagte er zu Tyson. »Sie finden eine derart zugerichtete Leiche – und mir sagt keiner was, obwohl ich polizeilicher Berater bin.«
Tyson schien erst nicht antworten zu wollen. Doch dann erwiderte er: Du musst dich eben daran gewöhnen, dass du nicht die erste Wahl bist. Außerdem haben sie wichtigere Dinge zu tun, als dich sofort zu verständigen.
»Ausrangiert haben sie mich! Aufs Abstellgleis geschoben! Wenn sie mich brauchen, bin ich gut genug. Aber dass mal einer auf mich zukommt – Pustekuchen. Wenn sie nur einen Funken Respekt im Leib hätten, dann hätten Castel oder Theroux …«
Jetzt reg dich nicht so auf, Chef.
»Ha! Ich rege mich nicht auf. Ich bin der entspannteste Mensch der Welt.«
Mhm. Absolut.
»Aber ich hätte
allen Grund, mich aufzuregen! Von einem Wanderführer muss ich das erfahren. Hat man so etwas schon
erlebt?«
Weißt du was?
»Was denn?«
Du klingst wie eine beleidigte Diva.
»Ich bin keine Diva.«
Doch. Du solltest mehr Gelassenheit und Souveränität auf deine alten Tage zeigen.
»Wenn sie eine Leiche in einem Brautkleid in einer dieser Steinhütten finden, wie soll man da noch gelassen sein?«
Castel und Theroux haben es im Griff. Du solltest lernen loszulassen. Wenn sie dich brauchen, werden sie sich schon melden. Denk lieber an die Weihnachtsgeschenke. Du hast immer noch nichts für Veronique.
»Es gibt einige Optionen für ihr Geschenk, aber es ist nicht so einfach. Ihr Geschmack ist speziell, wie du weißt. Ich habe so eine Idee, aber die ist noch nicht spruchreif«, sagte Albin, fuhr durch die Péage und dann auf die Autobahn in Richtung Nîmes.
Du sollst außerdem für Clara diese Lego-Elfen kaufen – besser, du würdest das erledigen als das, was du gerade vorhast.
»Die Lego-Elfen laufen nicht weg.«
Und einen Weihnachtsbaum brauchst du auch noch.
»Weißt du was?«
Hm?
»Du klingst wie einer dieser Sprachassistenten, die man sich für zu Hause kaufen kann und die einem die Aufgabenlisten herunterleiern.«
Du meinst Alexa oder Siri?
»Genau die. Man sollte sie in Mopsform bauen und nach dir benennen.«
Pfff …
machte Tyson. Den Rest der Fahrt über blieb er still. Ganz offensichtlich war er beleidigt.
Es gab Schlimmeres als einen eingeschnappten Mops, dachte Albin. Dennoch hatte Tyson recht: Albin sollte sich mit anderen Dingen befassen. Er hatte mehr als genug zu tun und zu allem Überfluss kurz vor Weihnachten noch einen Arzttermin, jährlicher Routine-Check. Und in all dem Stress hatte er auf dem Weg zum Rechtsmedizinischen Institut der Unikliniken das Wichtigste
vergessen.