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Der Sonnenhof
, das Château du Soleil, war nicht das, was man auf Anhieb unter dieser Bezeichnung erwarten würde. Der Begriff suggerierte etwas, das freundlich und hell war, von der Sonne durchflutet. Eine offen gehaltene Anlage, die von innen heraus strahlte und in leuchtenden, satten Tönen gestrichen wäre.
All das tat das bei La Roque-sur-Pernes gelegene Anwesen eher nicht. Doch mochte das auch am Wetter liegen. Die Sonne ließ sich heute nicht blicken, und unter dem weißgrauen Himmel wirkte das Château eher unspektakulär, wenn auch durchaus gepflegt.
Albin war drei bis vier Kilometer hinter La Roque nach rechts abgebogen, dann etwa zwei Kilometer durch karge Felder und ein Wäldchen gefahren, hatte sich einige Serpentinen hinaufgeschraubt und zwischendurch immer wieder die rötlichen Dachziegel des Anwesens aufblitzen sehen. Es schien größer und weitläufiger zu sein, als er ursprünglich angenommen hatte. Dann folgte er einem Wegweiser zum »Château du Soleil«, der nach rechts zeigte. Die Zufahrt war gepflegt, das Grün links und rechts akkurat geschnitten, der Fahrbahnbelag – sehr im Gegensatz zur Landstraße, die er eben verlassen hatte – tadellos in Schuss.
Der Weg führte geradewegs auf einen großen, gepflasterten Hof zu, der von drei Gebäudeteilen eingefasst wurde. Links und rechts lagen jeweils kleinere, zweigeschossige Flügel, die vielleicht einmal als Scheunen, Ställe oder fürs Gesinde gedient hatten. Dazwischen befand sich das Haupthaus, das die anderen beiden Gebäudeteile um ein Stockwerk überragte. Es war in einem gelblichen Ockerton gestrichen, die Fenster mit braun lackierten Holzlamellen versehen. Alles in allem mochte es einmal ein durchaus großes Landgut oder der Sitz einer Adelsfamilie gewesen sein. Die umliegenden Felder schienen dazuzugehören.
Na gut, dachte Albin, wenn man sich vorstellte, dass die Sonne
hier im Sommer alles ausleuchtete, die zahlreichen Anpflanzungen vor und neben den Gebäuden in Blüte standen und der kleine Brunnen in der Mitte der großen Hoffläche plätscherte, würde die Bezeichnung »Sonnenhof« vielleicht doch zutreffen.
Abgesehen davon hielt Albin den Titel für etwas geschmacklos, wenn man bedachte, dass die früheren Besitzer bei dieser Sonnensekte gewesen waren. Im Volksmund war dann offenbar die »Sonne« hängengeblieben. Angesichts des kollektiven Massenselbstmords der Sekte fand Albin diesen Namen etwas deplatziert. Doch vermutlich würden die wenigsten Inhaber der hier parkenden Porsches, BMW
s, Volvos und Mercedes-Limousinen diese Geschichte kennen oder sich dafür interessieren.
Albin zählte an die zwanzig Autos. Durchaus hätte man aus dem Château ein recht großes Hotel machen können. Tatsächlich wurde es ja, soweit Albin gehört hatte, als eine Art Hotel genutzt – als Sanatorium für gestresste Betuchte, wie Ortsbürgermeister Michel Thomas ihm erläutert hatte.
»Kein schlechter Fuhrpark, oder?«, fragte Albin beim Einparken nach hinten gerichtet, wo Tyson im Kofferraum lag.
Ich kann von hier aus nichts sehen, Chef
, erwiderte er. Aber wenn du das sagst, dann wird es schon stimmen.
»Ich frage mich, was für eine Art von Seminaren die hier machen. Scheint sehr kostspielig zu sein.«
Sind solche Anti-Stress-Wochenenden das nicht immer?
»Keine Ahnung.«
Du könntest so eines auch mal vertragen.
»Ich?«
Bei dir zu Hause machen sie dich mit dem Weihnachtsirrsinn verrückt. Und du machst dich kirre mit deiner Wucherung.
»Ich mache mich nicht kirre. Morgen lege ich mich in diese verdammte Röhre, und dann wissen wir mehr.«
Etwas Entspannung täte dir dennoch gut. Wann hast du das letzte Mal Urlaub gemacht?
»Urlaub ist etwas für Faulpelze.«
Diese Einstellung ist vollkommen überholt. Schon mal was von Work-Life-Balance gehört?
»Ich bin Pensionär. Ich habe eine ausgezeichnete Work-Life-
Balance, mein Freund.«
Da bin ich mir nicht so sicher.
»Wenn ich zwei Wochen lang gar nichts tue, würde ich durchdrehen.«
Genau das meine ich, Chef. Du musst lernen, dich zu entspannen.
Albin parkte zwischen zwei Limousinen ein und stellte den Motor aus. »Wie soll ich außerdem mit Veronique nach Mauritius fliegen, wenn ich einen Hund habe?«
Ha! Du schiebst mich doch nur als Ausrede vor …
»Ich könnte dich ja in eine Hundepension geben.«
Waaaas?
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit, ja.«
Du könntest mich bei Castel und ihrem Lebensgefährten unterbringen.
»Damit du von morgens bis abends mit deiner Freundin Mila herummachen kannst.«
Das wäre sehr schön, muss ich zugeben. Aber du kannst mich auch mitnehmen und ein Hotel buchen oder ein Ferienhaus, in dem Hunde erlaubt sind.
»Stimmt.«
Wir hätten viel Spaß am Strand. Jede Wette. Muss ja nicht Mauritius sein. Hat einer deiner Exkollegen nicht mal von Martinique gesprochen?
»Grinamy von der Spurensicherung, ja. Und Louis Rey, du erinnerst dich.«
Wie könnte ich den vergessen. Martinique und Karibik klingen doch gut. Das wäre außerdem sogar ein Inlandsflug, und es wird Französisch gesprochen.
»In einer kleinen Kiste im Gepäckraum müsstest du verreisen, das ist dir doch klar, ja?«
Würde ich aushalten. Ich war noch nie an einem Strand.
»Ernsthaft?«
Du bist mit mir noch nie an einen gefahren.
»Nein?«
Nein. Dabei ist das Meer gar nicht allzu weit.
»Weil ich keine Zeit dafür habe. Das Böse schläft nicht.«
Du solltest lernen, dir Zeit zu nehmen. Für das Leben.
»Die Arbeit ist mein Leben«, murmelte Albin und stieg aus.
Er hörte noch, wie Tyson sagte, dass diese Einstellung vollkommen überholt sei und Albin es auch nicht viel weiter gebracht habe als andere Kollegen, die nicht so besessen arbeiteten, und gedankt habe es ihm auch niemand – im Gegenteil, er sei stets bereit gewesen, mehr zu geben und über seine Grenzen hinauszugehen, und das ohne wirkliche Gegenleistung, was man auch als freiwillige Ausbeutung bezeichnen könne.
Er öffnete die Kofferraumklappe und murmelte zu Tyson: »Du bist ein reichlich naseweiser Hund, hat dir das schon mal jemand gesagt?«
Aber du weißt, dass ich recht habe.
»Das redest du dir nur ein.«
Recht habe ich und nichts anderes. Gib es doch zu.
»Schluss jetzt«, brummte Albin, hob Tyson heraus und leinte ihn an, bevor er den Kofferraum wieder zuwarf und den Wagen abschloss. Das fehlte noch, dass er zugab, dass Tyson ihn besser kannte als er sich selbst. Selbst wenn er tatsächlich recht hatte. Aber dann würde der Hund noch neunmalklüger werden, und – Himmel – davor bewahre ihn der liebe Gott.
Albin sah sich um, wandte sich dann zu dem Haupteingang zwischen zwei in großen Terrakottatöpfen gepflanzten Olivenbäumen und betrat das weitläufige Foyer, dessen Boden mit Fliesen in typisch provenzalischen Mustern gekachelt war. Es roch angenehm nach Zitronengras oder etwas in der Art. Ein auf Mittelalter gemachter Zimmerbrunnen plätscherte vor sich hin. An den Wänden standen wuchtige Regale, davor antike Sofas, alles war äußerst geschmackvoll eingerichtet. Einen Empfangstresen wie in Hotels oder in Krankenhäusern sah er allerdings nicht. Bilder gab es auch keine. Hier und da schien allerdings eines gehangen zu haben. Vereinzelt steckten noch Nägel im Mauerwerk, das an einigen Stellen in Rechteckform heller war als an anderen. Im nächsten Moment hörte er eine Stimme hinter sich – und wunderte sich, woher die Frau auf einmal gekommen war.
»Herzlich willkommen im Château du Soleil, mein Name ist Madeleine«, flötete sie. »Wie kann ich Ihnen weiterhelfen? Haben Sie einen Termin?«
Albin drehte sich herum und betrachtete die Frau, die ihm gerade mal bis zur Brust reichte. Sie trug einen Pagenschnitt, eine dickrandige Brille und dazu ein gestricktes Kleid, keine Schminke, aber ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Sie blickte zwischen Tyson und Albin hin und her.
»Guten Tag«, sagte Albin. »Ich habe keinen Termin. Mein Name ist Albin Leclerc, Kriminalpolizei.«
Das Lächeln der Frau veränderte sich kaum. Es war wie ins Gesicht zementiert. Sie legte lediglich den Kopf etwas schief. Abwartend.
Albin zog seine Geldbörse aus der Tasche, klappte sie auf und zeigte seinen abgelaufenen Polizeiausweis vor, der in der Klarsichthülle steckte. Das Datum der Ausstellung konnte man nicht sehen – es lag hinter der Ledereinfassung. Im Fach darüber, ebenfalls von durchsichtigem Kunststoff bedeckt, steckten ein paar seiner Visitenkarten, die ihn als polizeilichen Berater auswiesen.
»Ich habe ein paar Fragen über eine junge Dame, die hier gelegentlich gearbeitet haben soll. Das heißt – sie hat die Wäsche für Ihr Haus gewaschen.«
Die Frau blinzelte fragend und faltete die Hände vor dem Körper zusammen. Das Lächeln veränderte sich keinen Deut.
»Stéphanie Kaufmann«, fügte Albin hinzu und steckte die Geldbörse zurück.
»Ich weiß nicht, wer das ist, tut mir leid.«
»Wer weiß es dann?«
»Worum geht es denn?«
»Nur ein paar Fragen. Sie wird vermisst.«
»Hier ist sie jedenfalls nicht, Monsieur …«
»Leclerc.«
»Der Name sagt mir nichts.«
»Ist denn jemand von der Geschäftsführung da?«
»Ich denke schon, ja.«
»Gibt es so etwas wie eine Hauswirtschaftsleitung?«
»Ja, die gibt es.«
»Ist die zu sprechen? Oder die Geschäftsleitung?«
»Da müsste ich fragen.«
Albin setzte nun ebenfalls ein Lächeln auf. »Würden Sie das bitte
tun?«
»Ja, gerne. Warten Sie bitte? Nehmen Sie doch Platz!«
Damit schwirrte sie ab.
Meine Güte, dachte Albin, entweder die Frau war schwer von Begriff gewesen oder so durchgeistigt, dass er nicht zu ihr vorgedrungen war. Er setzte sich auf eines der Chesterfield-Sofas, rutschte auf dem glatten Leder herum, fand aber keine bequeme Position. Tyson legte sich auf den Teppich, lupfte abwechselnd die linke und die rechte Augenbraue und blickte mit seinen schwarzen Knopfaugen interessiert umher.
Albin ließ den Blick über die Wände schweifen, die nahezu kahl waren. Nur an einer erkannte er ein Gemälde, ein modernes, das ihm nichts sagte. Es war nur ein wirres Farbengemisch. Das Plätschern des Brunnens schläferte ihn ein. Die Stille drum herum tat ihr Übriges, dass er müde wurde und sich kurz fragte, ob es mit einer Wucherung von acht Millimetern Durchmesser zu tun haben konnte, dass einem das Blut aus dem Gehirn gesogen wurde und man aufgrund von Kreislaufproblemen an spontaner Trägheit litt. Er fragte sich außerdem ein weiteres Mal, warum er von diesem Sonnenhof noch nie etwas gehört hatte – oder ob er sich einfach nicht mehr daran erinnern konnte. Denn es geschah ihm in der letzten Zeit immer öfter, dass ihm Namen nicht mehr einfielen, er bestimmte Daten verpasste und Termine vergaß, wobei er früher doch immer so damit angegeben hatte, keinen Terminkalender zu brauchen. Er solle einfach den im Smartphone benutzen, hatte Manon gesagt. Das würde sie auch immer machen und wäre ohne völlig aufgeschmissen. Veronique hatte ihm dasselbe gesagt.
Aber noch zögerte Albin, einem Telefon sein gesamtes Privatleben anzuvertrauen, wo er doch wusste, wie einfach diese Smartphones von Profis gehackt werden konnten. Andererseits: Was sollte ein ausländischer Geheimdienst mit dem Wissen um Albins nächste Prostatauntersuchung anfangen?
Aus Langeweile wollte er gerade Tyson nach seiner Meinung zu Veroniques Weihnachtsgeschenk fragen, als er aus der Lethargie erwachte und forsche Schritte hörte. Ledersohlen auf Steinboden. Er wandte sich nach hinten um und sah aus einem Seitengang einen Mann auf sich zukommen. Die Frau, die Albin in Empfang
genommen hatte, schwebte mit demselben glückseligen Lächeln wie bei Albins Begrüßung hinterher.
»Dr. Ion Lazar«, sagte der Mann. »Sie sind … Leclerc?«
»So ist es«, erwiderte Albin, stand auf und blickte in ein eisgraues Augenpaar, das ihn fest anblickte.
Ein einnehmendes Lächeln umspielte Lazars schmale Lippen. Er war ebenso groß wie Albin, aber deutlich schmaler und drahtiger, sowie etwa im selben Alter. Er trug einen schwarzen Anzug mit einem ebenfalls schwarzen Rollkragenpullover, was seine bleiche Haut noch blasser wirken ließ. Die Haare waren weiß und streng gescheitelt. Auf der Wange hatte er ein helles, fingernagelgroßes Muttermal. Albin fragte sich, ob es wohl etwa acht Millimeter Durchmesser hatte. Die Hand, die er Albin zum Gruß hinstreckte, war mit wenigen Altersflecken gesprenkelt, die Nägel manikürt. Ein auf Anhieb charismatisch wirkender Typ, aber dennoch mit der Ausstrahlung eines Eiszapfens.
»Willkommen im Château du Soleil«, sagte Lazar. Er sprach mit einem Akzent, den Albin nicht einordnen konnte. »Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?«
»Nun, ich komme von der Kriminalpolizei Carpentras. Es geht um ein paar Fragen über eine junge Dame, die sich in Ihrem Sanatorium um die Wäsche gekümmert hat.«
»Wir bevorzugen die Bezeichnung ›Zentrum für psychosomatische Medizin‹ oder ›Spirituelle Lebensgemeinschaft‹«, korrigierte Lazar.
»Verstehe«, erwiderte Albin. »Ein Ort der Ruhe. Man spürt es sofort.«
Lazar lächelte etwas breiter.
»Ich muss sagen«, ergänzte Albin, »dass ich Ihr Zentrum bislang überhaupt nicht wahrgenommen habe.«
»Wir sind sehr privat.«
»Daran muss es wohl liegen. Sie arbeiten mit gestressten Menschen, wie man hört?«
Lazar nickte. »Ich würde es anders bezeichnen, aber im Kern trifft es das. Das Château du Soleil ist ein Seminarhaus und Ausbildungszentrum, in dem Menschen zur Ruhe kommen, mit der Unterstützung von Mental-Coaching zu sich selbst finden sowie ihre
Energie und Lebenskraft reaktivieren können. Wir bieten ambulante und stationäre Kurse an und bilden Mithelfer aus, die in unserer spirituellen Lebensgemeinschaft miteinander wachsen möchten, die sich an hohen Idealen und Werten zum Zwecke individueller Gesellschaftsmodelle orientiert.«
»Verstehe«, log Albin. »Sicher haben Sie gerade Hochkonjunktur. Anti-Stress-Kurse kann man in der Weihnachtszeit bestimmt hervorragend gebrauchen. Und sicherlich gibt es auch viele Depressive zu dieser Zeit.«
Lazar ging über Albins Bemerkungen hinweg. »Um welche Mitarbeiterin geht es denn?«, fragte er.
»Stéphanie Kaufmann.«
Lazar ließ den Namen nachklingen, schüttelte dann aber den Kopf. »Sagt mir nichts«, erwiderte er.
»Sie holt im Auftrag für das Hotel Banatais die Wäsche ab und liefert sie dann wieder zurück, soweit ich weiß.«
Lazar legte erneut eine Denkpause an. Sah dann zu seiner Mitarbeiterin, die die Schultern zuckte.
»Soll … ich die Hauswirtschaftsleitung fragen, ob …«, stammelte sie und wirkte etwas eingeschüchtert.
Lazar nickte stumm.
Die Mitarbeiterin schwirrte sofort ab. Lazar wendete sich wieder zu Albin.
»Ich glaube«, sagte er, »ich weiß, wen Sie meinen. Recht jung, mittelgroß, halblanges Haar, unauffällig, kommt einmal die Woche mit einem weißen Kastenwagen – einem Renault, glaube ich?«
»Die Beschreibung trifft auf Stéphanie Kaufmann zu«, bestätigte Albin.
»Den Namen habe ich mir nicht gemerkt. Ich sehe den Wäschewagen manchmal am Hintereingang. Und die Frau mit der Wäsche. Was ist mit Madame Kaufmann?«
»Sie ist von ihrem Arbeitgeber als vermisst gemeldet worden.«
»Das tut mir leid.«
»Und nun schaut sich die Polizei nach ihr um. Das ist alles. Sicher lässt sich sagen, wann sie das letzte Mal hier war?«
»Gewiss.«
»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
»Da müsste ich lügen.«
»Nur zu.« Albin lächelte.
»Vor einer Woche vielleicht? Die Hausleitung wird aber dokumentiert haben, wann sie das letzte Mal die Wäsche abgeholt hat. Da bin ich sicher.«
»Wie viele Gäste und Mitglieder der Lebensgemeinschaft halten sich zurzeit im Château auf?«
»Wir haben achtzehn Helfer, Coaches und Verwaltungsmitarbeiter, etwa noch einmal so viele Mitglieder der Lebensgemeinschaft und zurzeit neun Hausgäste. Rund fünfundvierzig Personen.«
»Die sind schon die ganze Woche da?«
»Ja. Niemand ist abgereist. Wir erwarten im Gegenteil weitere Anreisende in den kommenden Tagen.«
»Die Weihnachtsgestressten, ich sag’s ja.« Albin grinste breit.
Lazar zuckte die Schultern. »Es ist ein intensives Wochenendseminar.«
Albin seufzte, massierte sich den Nacken. »Das wäre mal etwas für mich. Ich bin zwar im Ruhestand, aber zu Hause fällt mir die Decke auf den Kopf. Die ganzen Vorbereitungen für das Fest – ich habe schon häufiger gesagt: Ich gehe mal ein Wochenende ins Kloster. Aber in der Abtei von Sénanque gibt’s nix.«
Albin zwinkerte ironisch. In der Abbaye Notre Dame de Sénanque wurde für die Öffentlichkeit nichts anderes als von Mönchen selbstgemachter Lavendelhonig angeboten. Man konnte sich natürlich auch vor den Zisterzienserbau aus dem 12
. Jahrhundert stellen und gregorianischen Gesängen lauschen.
»Da sollten Sie sich besser informieren«, sagte Lazar. »Die Abtei von Sénanque bietet tatsächlich Übernachtungen für den Aufenthalt von maximal einer Woche an, zum Preis von dreißig Euro pro Nacht. Da können wir leider nicht mithalten.«
»Ach«, sagte Albin.
Also waren die Mönche inzwischen ins Hotelgewerbe eingestiegen. In der Tat, dachte Albin, in der Tat könnte das außerordentlich entspannend sein, zudem an einem so historischen Ort. Andererseits würde er nie im Leben eine Woche in Stille und Meditation aushalten. Nicht einmal eine Stunde. Vielleicht eine
Viertelstunde.
»Wir sind jedenfalls stets für jedermann offen«, sagte Lazar.
Albin nickte, zwinkerte und sagte: »Darauf komme ich möglicherweise kurzfristig zurück. Der Wochenendkursus klingt interessant.«
Lazar wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu sagen – vielleicht, um zu erklären, dass selbstverständlich alles längst ausgebucht war. Da fuhr draußen mit hohem Tempo und knirschenden Reifen ein Polizeiwagen vor.
»Verstärkung?«, fragte Lazar.
Albin zuckte die Schultern. »Nicht von mir gerufen. Aber ich bin nur polizeilicher Berater. Das dort ist die reguläre Truppe. Und wahrscheinlich haben die Kollegen ebenfalls Fragen.«
»Hm«, machte Lazar, verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte ungehalten. Gleichzeitig kam seine Angestellte mit einer weiteren Frau im Schlepptau angerauscht. Draußen klappten die Türen vom Polizeiwagen auf – und dreißig Sekunden später standen Varis und Moreau im Gebäude und schauten Albin groß an.
Albin sagte zu Lazar: »Nun, ich gehe dann mal besser. Die Kollegen werden übernehmen. Und wegen dieses Wochenendseminars erreiche ich Sie sicher telefonisch, nicht?«
Lazar schwieg. Mittlerweile wirkte er irritiert über die wachsende Polizeipräsenz.
»Komm, Tyson«, sagte Albin, woraufhin Tyson sich sofort in Bewegung setzte.
Im Rausgehen klopfte Albin Varis und Moreau auf die Schultern und sagte: »Gute Männer, Varis und Moreau. Eure Väter wären stolz auf euch, ich habe sie beide gekannt.«