Kapitel 2 - Fadenkreuz
>Brrrr brrrr brrrrrrrrrr<
Vibrationsalarm auf harter Oberfläche ... keine gute Idee. Murrend drücke ich auf dem Display meines Handys herum, bis ich wieder Ruhe habe, und schwöre mir, die entsprechende Funktion zu ändern, ... wie fast jeden Morgen. Jedes Mal stehe ich fast im Bett, weil ich mich so dermaßen vor dem Gebrumme erschrecke, und da hilft auch der von leise nach laut anschwellende Weckerklingelton mit zehnminütiger Snooze-Funktion nicht drüber hinweg.
Apropos anschwellend ... Ja, ich weiß, platte Überleitung, aber da drückt was ganz gewaltig an meiner Morgenlatte. Als ich aufstehen will, hebe ich die Decke und bemerke, dass Lucian mich direkt am Schaltknüppel festhält. Doch der hat noch immer die Augen zu und pennt?
»Hey Süßer«, raune ich ihm zu, beuge mich an sein Ohr und beiße ihm sanft hinein. »Ich muss aufstehen. Lässt du mich bitte los?«
»Nein«, säuselt er ungewohnt renitent und grinst, ohne die Augen zu öffnen. Gleichzeitig beginnt er damit, seine Hand auf und ab zu bewegen. Mein Schwanz zuckt auf und meiner Kehle entfährt ein lustvolles Seufzen, als er mich etwas schneller direkt unter der Kuppe pumpt. Der Kerl weiß inzwischen genau, wo meine empfindsamsten Stellen sind. Als er dann auch noch zielstrebig nach unten rutscht, um an mir wie ein durstiges Kälbchen zu saugen, ziehe ich scharf die Luft ein und verdrehe die Augen.
»Lucy ... ich ... hab um zehn Uhr ... Physiotherapie.«
»Müssen wir uns eben beeilen«, antwortet er belustigt, ignoriert meinen Therapietermin, nimmt meinen Harten tief in den Mund und verschluckt ihn beinahe bis zum Anschlag, ganz ohne Probleme. Ich stöhne auf, spüre den Druck seiner Kehle um meine Spitze, die von seinen Schluckbewegungen richtig abgemolken wird, und verstehe so langsam, warum so viele Kerle einen Fetisch dafür haben. Einmal hab ich das selbst probiert und erinnere mich, wie schwer es für mich war, diesen Service zu geben, doch Lucian macht das mit einer Leichtigkeit, als hätte er überhaupt keinen Würgreflex. Dann langt er mit der zweiten Hand auch noch an meine Eier, um diese zu kraulen, während er mich von unten herauf frech angrinst, als ob nichts wäre.
Rein theoretisch könnte ich jetzt schon abspritzen, aber wenn ich ihn so rattig zurücklasse, kann ich davon ausgehen, dass er den ganzen Tag über nicht eine seiner Aufgaben auf die Reihe bekommt und nur noch an sich herumspielt. Also werfe ich einen erneuten Blick auf die Uhr und beschließe, dass ich gerade so halbwegs stressfrei einen zehnminütigen Quickie hinbekomme.
»Na schön«, knurre ich ihm zu, ziehe ihn hoch und knabbere sanft an seinem Hals. »Lieblingsstellung?«
Lucian kriegt sofort leuchtende Augen. »Ja, bitte«, japst er freudig und dreht sich, um sich auf dem Bauch liegend zu präsentieren. Er spreizt die Beine und hält bereitwillig seinen heißen Arsch hoch, was mich ein wenig an eine rollige Katze erinnert. Durch die Anspannung seiner Muskeln bilden sich kleine Grübchen in den Seiten seiner Kehrseite und die machen mich richtig scharf.
Schnell baue ich mich hinter ihm auf, greife mir auf dem Weg dahin die Gleitgeltube vom Nachtschrank und spreize eine seiner Pobacken ab, um ein paar sämige Fäden in den Spalt laufen zu lassen.
Lucian zuckt mit dem Arsch weg. »Ah ... kalt.«
»Ey, hiergeblieben!«, grolle ich ihm belustigt zu, packe seine Hüfte und ziehe ihn zurück. »Dir wird gleich heiß, verlass dich drauf!«
Ich höre, wie er freudig nach Luft schnappt, setze meinen harten, ungeduldig puckernden Schwanz an sein glitschiges Loch und drücke mich so lange dagegen, bis es sich ein kleines Stück öffnet. Dann ziehe ich mich zurück und beginne von vorn, jedes Mal ein wenig tiefer.
Lucian stöhnt verlangend auf, beginnt sofort zu hecheln und den Rücken durchzudrücken, um mir tieferen Zugang zu gewähren .
»Ja ... haah ... ja ...«, keucht er dabei und mir wird bereits richtig schwummerig. Ein kurzer Aufschrei dringt aus Lucians Kehle und gleich darauf beiße ich mir auf die Lippe, denn ich spüre, wie seine Muskeln kontrahieren. Ich zwänge mich trotz seiner Spasmen noch tiefer in ihn hinein und das Kribbeln in meinen Eiern intensiviert sich. Inbrünstig walke ich nach vorne, wieder und wieder, bis ich merke, dass sich seine Oberschenkel anspannen und er sich mit wellenartigen Bewegungen gegen meinen Schoß drückt. Sein helles Stöhnen wird lauter, seine Hände krallen sich ins Bettlaken und ich umschlinge ihn besitzergreifend.
Als Lucian schreiend abspritzt, bin auch ich im siebten Himmel.
»Darf ich jetzt los?«, flüstere ich nach einer Weile und stupse mit meiner Nase an seine.
»Nein ...«, schnurrt er und zieht mich erneut sehnsüchtig an seine weichen Lippen, während mich seine Beine fester umschlingen. »Ich will nochmal
So viel zum Thema eigenen Willen entwickeln. Den hat er inzwischen auf jeden Fall. Zumindest in Bezug auf Sex! Da ist nichts mehr mit bitte, bitte.
»Ich muss los, Süßer ... und du übrigens auch!« Ich beiße ihm kurz in die Unterlippe und murmele ihm dann zu: »Oder willst du, dass dein Dekan sauer auf dich wird?«
»Oh ja«, gurrt er begeistert. »So richtig sauer ... vielleicht legt er mich ja übers Knie?«
Bei dieser Vorstellung schlucke ich schwer, verweile einen Augenblick in meinem Kopfkino, doch dann reiße ich mich endgültig von ihm los, um meinen Termin zu schaffen.
›Ich hasse Eigentore.‹
Noch halb benebelt rutsche ich aus dem Bett, sehe mich auf der Suche nach meinen Boxershorts im Schlafzimmer um und merke dabei, wie der Inhalt meine Blase gegen die Erdanziehung kämpft. Drum beschließe ich, erst mal die Porzellanstadt zu besuchen.
»Alex , war-« Lucian ruft mir noch hinterher, doch ich habe bereits die Tür geöffnet und stehe nun, splitterfasernackt, vor meinem Sohn und seiner neuen Freundin, die offensichtlich auf meiner Couch gepennt haben und sich noch immer darauf räkeln.
»Wow ...«, entfleucht es Pias Kehle und ich halte mir blitzschnell die Hände vor meinen Halbständer. Finn starrt mich nur geschockt an, doch sie flötet grinsend: »Hi, Herr Enders.« Dabei stützt sie sich ein wenig auf, weshalb ich sehe, dass sie ohne BH neben meinem Sohn liegt.
›Ich muss ihm den Schlüssel wegnehmen. Ja, definitiv! Heute noch!‹
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»Bist du jetzt endlich fertig? Ich muss los!«
Seitdem ich aus dem Krankenhaus zurück bin, kommt Finn ständig zum Übernachten zu uns, zusammen mit Pia, die erschreckend viele Parallelen zu meinem Freund aufweist, zumindest von ihrem Aussehen her. Eingeladen hab ich die beiden nicht, aber irgendwie war es selbstverständlich, dass die zwei zu uns kommen, wenn sie pimpern wollen. Bei seiner Mutter geht das nicht, die hält Pia mit ihren sechzehn Jahren für zu jung für Übernachtungen und ignoriert dabei, dass Finn schon ihr dritter Freund ist.
»And way doooown we go go go go ...«
»Sing es nicht nur, tu es!!! « Ich werde noch irre mit dem Kerl. Seit gut zehn Minuten stehe ich mit seiner Jacke und seiner Freundin im Flur und warte, während er noch immer auf dem Pott sitzt und singt.
›Unhöflicher kleiner Scheißer.‹
»Yeah way doooown we go go go go ...«
»Komm jetzt endlich!«
»Way doooown we -«
»Finn !!!« Besteht dieser dämliche Song eigentlich nur aus einer einzigen Strophe? »Beweg deinen Arsch vom Klo runter! Sofort
Pia kichert vor sich hin, aber seit heute Morgen kann ich ihr nicht mehr ins Gesicht sehen. Dass ich ihr ungewollt meine Nudel vor die Nase gehalten habe, ist eine Sache, aber dann auch noch frisch aus dem Arsch meines Liebsten gelupft ... das ist wohl der Gipfel der Peinlichkeit.
»Ja doch!«, motzt Finn und schnäuzt geräuschvoll ein Maurerbonbon aus seiner Nase. Seit er mitbekommen hat, dass Lucian Geige spielt, macht er einen auf depressiven Rockstar und jault uns die Ohren in Dauerschleife voll. Momentan ist sein liebster Hit der aktuelle, erste und wahrscheinlich auch einzige von Kaleo , dem Typ mit der Meerschweinfresse.
Apropos Haustiere. Lucian streichelt gerade noch Herrn Jemine, der in seinem neuen XXL-Käfigpalast in der Hängeschaukel baumelt, zusammen mit Mister Möhrlin , seinem taufrischen Kumpan aus der hiesigen Zoohandlung. Getreu dem Motto - wenn, dann artgerecht - habe ich nämlich einen meiner deckenhohen Flurkleiderschränke ausgeräumt und daraus einen riesigen Käfig für die beiden gebaut. Einmal am Tag darf Lucian sie herausnehmen und in der Wohnung umherlaufen lassen, solange er ein Auge darauf hat, dass sie nichts anknabbern oder irgendwo hinmachen.
Als Finn im Schneckentempo aus dem Bad geschlurft kommt, tripple ich ungeduldig mit dem Schuh auf dem Boden herum. »Wenn ich wegen dir zu spät zur Physio komme, streiche ich deine nächsten vier Trainingstage aus meinem Wochenplan!«
»Du hättest uns auch einfach auf der Couch weiterpennen lassen können«, schnorfzt er und zieht geräuschvoll die Nase hoch, als wäre die immer noch voll besetzt. »Ich hab dich nicht drum gebeten, dass du uns zur Bahn fährst, also vermerk dir auf deinem dämlichen Fuckplan, was du willst!«
»Dafür haben wir keinen Plan, sorry.«
»Haben wir gehört. Mal wieder! «
Ich werfe ihm seine Bomberjacke ins Gesicht. »Außerdem sollst du nicht immer so fluchen, erst recht nicht, wenn Mädchen anwesend sind!«
»Ich glaub, Lucy ist Schlimmeres gewöhnt«, lacht er frech und knufft meinem Partner gegen die Schulter.
»Haha«, tönt dieser nur und streckt ihm die Zunge raus. Die beiden wirken, als wären sie seit Jahren Kumpel, was mich immer wieder irritiert. »Hattest du nicht versprochen, dass du uns nicht mehr belauschst?«
»Was heißt hier belauschen ?« Finn fährt sich durch die strähnigen Haare, die ihm fransig ins Gesicht hängen, und steigt in seine ausgelatschten Lieblingsstiefel. »Sorry, aber dein lautes Gejapse konnte man einfach nicht überhören!«
Das ist eine Vorlage, die ich nicht auslassen werde! »Heißt das, wir können bei euch dann auch mithören, wenn ihr Sex habt?«
Ertappt starrt er mich an und spielt verdächtig auffällig mit seinem Kaugummi herum, den er sich offenbar in die Gusche geschoben hat, statt sich die Zähne zu putzen. »Das wär ziemlich eklig! Außerdem isses ja nicht so, dass wir es drauf anlegen!«
»Ach nein ?« Grinsend nehme ich meine Autoschlüssel und öffne die Tür. Ich glaube langsam, es törnt ihn an, Lucy stöhnen zu hören. Sonst würde er wohl kaum jede freie Nacht bei uns schlafen. Inzwischen weiß er ja, dass wir es regelmäßig treiben und das auch nicht gerade leise. »Du kannst mich nicht mehr belügen, ich hab mittlerweile ein einwandfreies Gespür dafür, wann du mir Märchen erzählst.« Er grummelt nur und sagt nichts mehr, was mehr sagt, als er je sagen könnte. »Wusste ich’s doch«, lege ich amüsiert nach, denn eindeutiger geht es wohl kaum. Gleichzeitig versuche ich, meine aufsteigende Eifersucht zu unterdrücken, denn auch wenn er und seine Freundin meinen Lover nur hören , geht es mir doch gehörig gegen den Strich, dass uns jemand in einer solch intimen Situation belauscht. Egal, ob verwandt oder nicht. »Ich finde es ja schön, dass du endlich eine Freundin hast«, quetsche ich schließlich hervor und gehe als Erster die Treppen hinunter. Langsam und bedacht, denn ich bin noch immer nicht so trittfest wie vor dem Unfall. »Ich freue mich für dich, ehrlich. War sicher schwer, jemanden zu finden, der dich mag ... aber zukünftig wäre es mir trotzdem lieber, wenn ihr bei Pia schlaft.«
»Du mich auch«, grummelt er nur und überholt mich. »Wir fahren mit der Bahn. Ciao.«
»Finn! Warte!« Pia läuft ihm hinterher, doch er dreht sich nicht mal mehr um.
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»Ich glaube, er hat sich in dich verknallt«, konfrontiere ich Lucy mit meinem Verdacht, als wir mit meinem neuen, wenn auch deutlich günstigeren Auto auf den Parkplatz der Universität rollen.
»Was?« Lucian starrt mich ungläubig an und löst seinen Gurt aus der Sicherung. »Niemals! Wie kommst du darauf?«
»Ist nur so ein Gefühl«, erkläre ich mich und schalte den Motor aus. »Erst dachte ich, er würde sich freuen, dass ich zurückkomme, aber seitdem ich wieder zu Hause bin und er nicht mehr mit dir alleine ist, scheint er mich nicht mehr ausstehen zu können.«
Lucian prustet. »Ja, er war heute ganz schön pampig, aber du hast seiner Freundin ja auch deinen Dicken gezeigt«, erinnert er mich kichernd. »Erwartest du, dass er sich darüber freut? Seiner ist gut ein Drittel kleiner!«
»Als ob das mit Absicht gewesen wäre!«, verteidige ich mich. »Wie sollte ich denn wissen, dass die schon wieder – ... Moment! Woher weißt du , wie groß Finns Schwanz ist? «
»Ähm ... ich ... ich muss los, mein Unterricht fängt gleich an!«
›Wusste ich’s doch!‹
»Lucy! Bleib hier!« Leider ist er so schnell aus dem Auto raus, dass ich ihn nicht mehr zu packen kriege, und ehe ich mich auch nur abgeschnallt habe, ist er bereits im Haupteingang der Uni verschwunden. »Mist!«
›Das Thema ist noch nicht vom Tisch, Kleiner!‹
Ich verstehe ja, warum sich Finn und Lucian in der Zeit meines Komas angefreundet und wieso sie zusammen in meiner Wohnung gelebt haben, aber das rechtfertigt keine erotischen Ablenkungsspielchen! Mein Kopf wird augenblicklich von eben solchen überflutet. Szenen, in denen sich Lucian nachts die Augen ausheult und Finn irgendwann zum Trösten kommt. Ich weiß, wie schnell es dabei zur Sache gehen kann, ich war selbst mal jung! Gerade in dieser sexuellen Orientierungsphase, in der sich Finn meines Erachtens nach noch immer befindet, wird er jede Gelegenheit genutzt haben. In der nächtlichen Dunkelheit verirren sich schnell einmal Hände an Orte, die sie sonst eher meiden würden, und sobald der Ständer da ist, wird die Lust auf den heißen Arsch, der nur wenige Zentimeter vor einem liegt, immer größer .
»Da ist was gelaufen ... garantiert!«, steigere ich mich in die Vorstellung hinein und möchte am liebsten ins Lenkrad beißen. »Oder sie haben einfach nur mal zusammen geduscht. Das würde auch erklären, warum er Finns Schwanzgröße kennt.« Netter Versuch, mich wieder runterzufahren.
Mein Blick fällt auf die digitale Uhr meines Autos. »Scheiße!« Ich hätte schon vor zehn Minuten bei der Physio sein müssen! Der Verkehr ist um diese Zeit mörderisch und bis zur Praxis brauche ich von hier aus auch nochmal mindestens zwanzig Minuten. »Den Termin kann ich vergessen«, schimpfe ich daher entnervt und lehne seufzend den Kopf an die Nackenstütze, ehe ich mein Handy aus der Tasche ziehe und meine Therapeutin anrufe, um ihr Bescheid zu geben. Zum Glück reagiert sie freundlich und bietet mir direkt einen Ausweichtermin an.
»Können Sie am Mittwoch um neun Uhr?«, fragt sie und tippt dabei etwas auf ihrer Tastatur ein.
»Ja, das müsste gehen.« Schnell krame ich mein Notizbuch aus meinem Rucksack und suche einen Stift heraus. »Der regulär nächste Termin ist dann aber schon drei Tage später, geht das denn?«
»Ja ja, kein Problem«, flötet sie. »Von dem straffen Programm werden Sie ein wenig Muskelkater haben, aber davon abgesehen ... «
»Na gut, das werde ich wohl überleben. Vielen Dank und dann bis Mittwoch!« Sie verabschiedet sich ebenfalls und legt auf. »Und was mach ich jetzt mit dem angebrochenen Tag?« Mein Blick schweift umher und ich entdecke einen Burger King auf der anderen Seite der Straße, taktisch gut platziert, so nahe der Uni, aber mir steht nicht der Sinn nach Fastfood. Ganz im Gegenteil. Meine Muskulatur ist noch nicht annähernd wieder so wie vor dem Unfall, und drei Kilo Fett machen die Sache ganz sicher nicht besser. »Vielleicht sollte ich ins Fitnesscenter fahren? Ein paar leichte Übungen können doch nicht schaden.«
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Vollkommen fertig schleppe ich mich die Treppe zu meiner Wohnung nach oben.
›Warum hab ich das nur getan? ‹, frage ich mich immer wieder, denn jede Faser meines Körpers brennt! Nie hätte ich gedacht, dass mich selbst einfache Übungen mit Gewichten von zwanzig Kilo dermaßen schlauchen. Andererseits ist es auch irgendwie schön, mal wieder all meine Muskeln zu spüren.
›Erst mal was essen!‹ , schießt es mir durch den Kopf, während ich meine Etage erklimme, denn gerade nach dem Krafttraining benötigt die Muskulatur eine ordentliche Portion Proteine, um Mikrorisse zu füllen und sich aufzubauen.
›Was hab ich denn noch im Kühlschrank? Geflügelbrust, Rindfleisch, Hüttenkäse oder Magerquark? Vielleicht hätte ich lieber vorher nochmal einkaufen gehen sollen. Na ja, möglicherweise finde ich noch ein Glas Hülsenfrüchte im Vorratsschrank und ein paar Eier müssten auch noch da sein.‹
»Herr Enders!«, ruft plötzlich eine Stimme hinter mir und ich drehe mich um. Es ist Frau Maschke, meine plauderfreudige Nachbarin, die, auf einen Gehstock gestützt, gerade ihren geblümten Hackenporsche über die Stufen zerrt. Unbewusst balle ich meine linke Faust.
»Tag, Frau Maschke!«
Wegen der völlig unüberlegten Aussagen dieser Tante wäre ich beinahe in den Knast gekommen, doch es bringt nichts, ihr deshalb im Nachhinein Vorwürfe zu machen. Was geschehen ist, ist geschehen, aber besser leiden kann ich die alte Schrapnelle deswegen sicher nicht.
»Ich hab Ihren Mitbewohner gesehen!«, schnauft sie nach Luft ringend, doch sobald sie auf meiner Höhe angekommen ist, grinst sie anzüglich, als wäre das etwas Frivoles .
›Vielleicht sollte ich ihr einfach mal die Krücke wegkicken? Nein. Ruhig bleiben, durchatmen!‹
»Ja, Frau Maschke, er wohnt vorübergehend bei mir. Sie werden ihn sicher noch öfter sehen!«
»Weiß denn die Hausverwaltung davon?«, giftet sie mich an, als sie merkt, dass ich nicht auf ihre Anspielung reagiere. »Wenn Sie einen Untermieter haben, müssen Sie das der Verwaltung melden!«
Je länger sie neben mir steht, desto stärker rieche ich den beißenden Mief, der sie umgibt. Wahrscheinlich die durchgeschwitzten Wollunterhosen, die ich auch öfter auf der Wäscheleine ihres Balkons baumeln sehe. Würde mich nicht wundern, wenn ihre Klamotten bereits ein in sich geschlossenes Ökosystem sind.
»Er ist kein Untermieter , Frau Maschke. Er zahlt bei mir weder Kost noch Logis!«
»Ach so?«
»Ja.« So schnell es geht, laufe ich weiter. »Ich muss jetzt rein und mich setzen. Schönen Tag no-«
»Und warum fiedelt er dann vor dem Bahnhof herum, wenn er bei Ihnen keine Miete zahlen muss?« Sie zieht die Augen zu faltigen Schlitzen zusammen und belauert mich fordernd, während ich ihr einen etwas perplexen Blick zuwerfe .
»Er fiedelt schon lange auf keinen Bahnhöfen mehr, Frau Maschke. Er studiert derzeit Musik!«
Sie schürzt siegesgewiss die Lippen und zuckt mit den Achseln. »Tja, dann hab ich wohl vorhin einen Doppelgänger gesehen! Der junge Mann, der im Haupteingang Südkreuz gespielt hat, sah ihm nämlich zum Verwechseln ähnlich!«
›Das kann nicht sein! Das ist unmöglich! Ich hab ihn doch selbst zu Uni gebracht?! Die Frau trägt Brillengläser dick wie mein Schwanz, die hat ihn sicher verwechselt!‹
»Wann genau war das?«, frage ich sie trotzdem und bemerke, dass ich jetzt wirklich verunsichert klinge.
»Vor ungefähr einer halben Stunde«, sagt sie mit Triumph in der Stimme und schließt ihre Tür auf. »Also in eine Universität geht der ganz sicher nicht!«
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Seit Stunden tigere ich in der Wohnung auf und ab, setze mich, wenn ich nicht mehr kann, stehe jedoch immer wieder auf.
›Das kann doch unmöglich stimmen! Wie ist das möglich? Hat er vielleicht einen Zwillingsbruder, von dem ich nichts weiß?
Natürlich habe ich bereits in der Universität angerufen und nachgefragt, ob Lucian noch immer als Student bei ihnen gelistet ist, aber dank der neuen Datenschutzverordnung durften sie mir dazu keine Auskunft mehr geben.
Endlich höre ich die Klingel läuten und laufe, noch immer in gefühltem Rentnertempo, zur Tür.
›Mach es nicht wie beim letzten Mal! Keine voreiligen Schlüsse! Keine Verdächtigungen ohne Beweise!‹
»Hey Großer!«
»Hey«, grüßt Lucian erschöpft lächelnd und gibt mir einen Kuss, als er reinkommt. »Na, hast du es heute Morgen noch zur Physio geschafft?«
»Leider nein, aber dafür hab ich nächste Woche zwei Behandlungen.« Ich nehme ihm seinen Rucksack und die Jacke ab und er zieht sich im Stehen die Schuhe aus. Herr Jemine trippelt schon ungeduldig am Gitter und bettelt mit Fieps- und Knirschgeräuschen nach Aufmerksamkeit.
»Halloooo, mein kleiner Schmusebär«, gluckst Lucy, öffnet den Käfig und der Ratterich springt sofort auf seinen Arm. Auch Mister Möhrlin schält sich aus seiner Hängematte, streckt sich ausgiebig und wackelt zu seinem Herrchen. »Ooooch, meine kleinen Schnuckelmäuse! Jaaaaa, ich hab euch auch vermisst!«
Ich verdrehe die Augen. Natürlich kann ich verstehen, warum man Tiere gern hat, und sehe, dass er einen besonders guten Draht zu den beiden zu haben scheint, aber muss er dabei wie ein Dreijähriger sprechen? Davon abgesehen riecht er ziemlich durchgeschwitzt ... oder ist das noch der Gestank von Frau Maschke aus dem Flur?
»Hast du Hunger?«, frage ich nach und als er bejaht, kommt mir eine Idee. »Lass doch die beiden Stinker mal eine Runde im Bad herumflitzen und dusch dich, während ich Essen mache.«
»Okay«, antwortet er arglos und verschwindet mit den beiden Ratten im Badezimmer.
Sobald ich ihn dort rascheln höre, durchsuche ich zuerst seine Jacke, dann seine Schuhe und danach seinen Rucksack.
›Wenn er wirklich wieder auf der Straße gespielt hat, muss er doch Geld dafür bekommen haben!‹
Ich filze jede noch so kleine Tasche, kontrolliere jedes Buch, aber ich finde keinen einzigen Cent oder Geldschein. Abschließend blättere ich in seinen Notizheften, denn wenn er in seine Vorlesungen geht, müssten diese ja voll mit Aufzeichnungen sein, doch stattdessen finde ich nur Songtexte und Noten .
›Hm ... so richtig nach Unterricht sieht das ja nicht aus, aber woher soll ich auch wissen, wie die dort ihren Stoff vermitteln? Vielleicht haben sie ja überhaupt keine Vorlesungen? Oder er schreibt sich einfach nichts auf.‹
Leicht frustriert hänge ich seine Sachen an die Garderobe und klopfe kurz an die Badezimmertür, hinter der ich bereits das Wasser rauschen höre. Da ich jedoch keine Antwort bekomme, gehe ich einfach rein und achte darauf, dass ich dabei auf keins der Nagetiere trete, die sich gerade spielerisch auf dem Duschvorleger balgen.
»Nanu? Willst du mit reinkommen?«, fragt Lucian überrascht und ich sehe, wie er sich hinter der nassen Milchglasscheibe zu mir dreht.
»Nein, nein, ich wollte nur eben fragen, ob – Aua !« Mister Möhrlin ist mir ans Bein gehüpft und versucht nun, sich mit seinen kleinen Krallen an diesem hinaufzuziehen, doch ich pflücke ihn von meiner Hose und setze ihn wieder auf den Boden. »Ich wollte nur fragen, ob du vor dem Essen noch einen Kaffee möchtest? Ich mach uns Risotto mit Thunfisch, das dauert ein bisschen.«
»Danke, aber lieber danach!« Er klingt ein wenig enttäuscht und ich beobachte, dass er sich nun die Haare einschäumt .
»Okay.« Beim Umdrehen fällt mein Blick auf seine übrigen Klamotten, die sauber zusammengefaltet auf dem Klodeckel liegen. Wortlos nehme ich sie an mich und verschwinde nach draußen, nachdem ich Mister Möhrlin erneut von meinem Hosenbein gezupft habe. Wieder im Flur und die Tür hinter mir geschlossen, überkommt mich ein unglaublich schlechtes Gewissen.
›Was mach ich hier eigentlich? Nur weil die alte Hexe nicht mehr richtig sehen kann und irgendeinen Straßenmusiker für Lucian hält, nutze ich sein Vertrauen aus und kontrolliere ihn heimlich?‹
Ja, ich schäme mich dafür, doch gerade als ich ihm die Sachen unauffällig wieder reinlegen will, höre ich etwas klimpern und kneife die Augen zusammen.
›Nein ... bitte nicht.‹
Ich öffne ein Auge und linse vorsichtig in die großen Hosentaschen hinein, die seitlich in der Mitte des Oberschenkels aufgenäht sind. In beiden befinden sich Kleingeld und Fünf-Euro-Scheine.
Mir wird schwindlig. Schnell stütze ich mich an der Wand ab und kann nicht fassen, dass es tatsächlich stimmt. Sofort rede ich mir ein, dass das alles nicht so schlimm ist, dass es sicher wieder eine logische Erklärung dafür gibt, so wie damals, als ich ihn zu seiner obdachlosen Freundin in diese Ruine verfolgt hatte. Obwohl ... genau genommen weiß ich bis heute nicht, warum er sich von ihr Spritzbesteck hat geben lassen und was damit passiert ist.
›Ich brauche Gewissheit. Aber ich muss es auch ganz vorsichtig angehen, damit er sich nicht aufregt! ... Genau! Ich stelle ihm eine letzte Fangfrage, bevor ich ihn mit meinen Verdächtigungen konfrontiere.‹
Wankend öffne ich erneut die Badezimmertür und schließe sie schnell wieder, damit die Ratten nicht entwischen. Ich sehe, dass Lucian, mit dem Rücken zu mir, noch immer unter der Brause steht und sich gerade den Schaum vom Körper spült. Unbemerkt lege ich seine Kleidung zurück auf den Toilettendeckel. Dann leite ich meinen verbalen Hinterhalt ein.
»Nicht erschrecken«, sage ich leise, doch er fährt trotzdem erschrocken herum, da er mein Hereinkommen diesmal offenbar nicht gehört hat.
»Ja?«, fragt er unbekümmert und lacht danach sogar. »Wolltest du nicht Essen machen?«
»Schon, ich will dich aber noch schnell etwas fragen, bevor ich es vergesse!« Ich zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl ich mich am liebsten übergeben möchte, denn mein Magen krampft sich schon die ganze Zeit zusammen. »Ich hab heute Morgen auf dem Parkplatz noch kurz mit meiner Physiotherapie telefoniert und danach einige deiner vorbeigehenden Kommilitonen darüber reden hören, dass eure Musikwissenschaftsdozentin, Frau Ebrecht, schwanger ist und ihre Mutterschutzfrist begonnen hat. Wusstest du das? Bekommt ihr jetzt mitten im Semester eine andere Dozentin oder wird der Kurs dann einfach nach hinten verschoben?«
Für einige Sekunden starrt mich Lucian durch das milchige Glas an, was ich zwar nicht im Detail erkenne, doch er rührt sich nicht mehr und allein seine Körperhaltung in diesem Moment spricht Bände. Trotzdem warte ich, welche Ausrede er sich einfallen lässt.
»Ja ... ähm ... na ja«, beginnt er stockend und tut so, als ob er verlegen wäre, indem er sich in den Nacken fasst und wegdreht. »Frau Ebrecht ist ja doch eher korpulent, darum hab ich jetzt nicht unbedingt gesehen, dass sie schwanger ist.« Das war genau genommen nicht meine Frage, aber da es sowieso keine Dozentin mit diesem Namen an seiner Uni gibt, ist das auch egal. »Ich weiß nicht, wie das jetzt gehandhabt wird«, hängt er schließlich an und will dabei hörbar gefasst wirken. »Ich denke, wir werden in den nächsten Tagen genauere Infos kriegen, aber im Moment liegt der Kurs auf Eis. «
»Ah, okay«, quetsche ich mühsam beherrscht hervor und wende mich wieder zur Tür. »Na ja, halt mich mal auf dem Laufenden. Ich fang dann jetzt mit dem Kochen an. Lass dir ruhig Zeit.«
Nun habe ich die traurige Gewissheit, dass er all die Monate nur so getan hat, als würde er sein Leben wieder in den Griff bekommen wollen. In Wirklichkeit war er gar nicht in der Uni und hat sich weiter auf der Straße rumgetrieben. In seinem Milieu, bei den Junkies ... und hat wer weiß was getrieben.
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Es piept. Wie in Trance hole ich den Reis aus dem Topf. Das Essen ist fertig, aber so wirklich weiß ich gar nicht, wie ich das geschafft habe. In Gedanken versunken habe ich vor mich hin gekocht und das ist dabei rausgekommen.
Erst war ich nur enttäuscht, dann wütend darüber, dass mich Lucian belogen hat, doch letztlich fühle ich mich einfach nur mies und versinke in Selbstmitleid, was für gewöhnlich gar nicht meine Art ist.
›Warum passiert mir das immer wieder?‹ Diese Frage stelle ich mir die ganze Zeit. ›Was habe ich an mir, dass ich nur Kerle kennenlerne, die mich ausnutzen und belügen?
»Hey, du bist ja schon fertig.« Zwei Arme umschlingen mich zärtlich von hinten und eine Ratte schnüffelt an meinem Ohr. Lucian trägt einen Bademantel, die beiden Jungs sitzen auf seinen Schultern und versuchen gerade auf meine zu klettern.
»Packst du die Ratten bitte in den Käfig? Die fallen mir gleich ins Essen!« Mein Tonfall ist harscher als geplant und Lucian zuckt sofort zurück.
»Äh, ja ... entschuldige bitte.«
Er verschwindet im Flur, ich höre den Käfig klappern und beiße mir auf die Zunge.
›Ich will nicht, dass es wieder ausartet und er wegläuft! Ich will nicht, dass wir uns streiten, ich will einfach nur einen ruhigen, friedlichen Abend! Gutes Essen, kuschelnd zusammen auf der Couch liegen und vielleicht noch einen Film schauen. Aber ich kann auch nicht alles dem Frieden willen ignorieren! Ich muss doch Probleme mit ihm besprechen können, ohne jedes Mal Angst zu haben, dass er Reißaus nimmt, genau so wie ... wie -‹
»Alex? Alex ! Hey!« Lucian schüttelt mich richtig, ehe ich auf ihn reagieren kann.
»Äh ... ja. Tut mir leid, ich ... war nur in Gedanken.«
»Was für Gedanken?«, hakt Lucian nach und macht ein besorgtes Gesicht. »Du siehst so blass aus?«
»Ach, eigentlich nichts Schlimmes«, lüge ich, um ihn zu beruhigen, schaufle den Reis in die Schüsseln, lege die beiden Thunfischfilets darauf und ertränke das Ganze in Soße. »Ich habe nur an die Vergangenheit gedacht ... unser Kennenlernen, deinen langen Weg und was du alles durchgemacht hast.« Während ich rede, drücke ich ihm seine Schale in die Hand und hoffe, dass diese die Funktion eines Ankers übernimmt.
»Also denkst du ... an Schestakow?«
»Nein, ich ...«, beginne ich seufzend und setze mich an den Tisch. Er jedoch bleibt mit der Schale in der Hand stehen. »Lucy, du weißt, dass ich dir nichts Böses will und dass ich dich ehrlich liebe, oder?« Meine Einleitung scheint ihn nur mäßig zu beruhigen, doch zumindest stellt auch er seine Schüssel auf dem Tisch ab und setzt sich.
»Ja ... genau wie ich dich«, antwortet er leicht kratzig, als hätte er keinen Tropfen Spucke mehr in der Kehle. »Warum fragst du?«
›Lass es ihn selber erzählen! Es ist sicher besser, wenn er von selbst beichtet und nicht gleich mit den Fakten konfrontiert wird!‹
Vorsichtig lege ich meine Hand auf seinen Oberschenkel und sehe ihn durchdringend an. »Warum sagst du mir dann nicht endlich die Wahrheit?« Sein ganzer Körper spannt sich sofort an und sein Blick fleht geradezu, das Thema zu wechseln. »Bitte Lucy! Ich werde dich nicht verurteilen, es niemandem verraten und auch nicht wütend sein, aber ich brauche die Gewissheit, dass es zwischen uns keine Geheimnisse mehr gibt.«
Lucians Augen schimmern auf einmal verdächtig feucht, er weicht daraufhin schnell meinem Blick aus und balanciert nervös mit seiner Gabel herum. »Ich ... ich weiß nicht ... wovon du sprich-«
»Ich habe Beweise«, unterbreche ich ihn ruhig, belasse es allerdings bei dieser Behauptung und spreche absichtlich nicht aus, was ich damit genau meine. »Aber ich will es von dir hören.« Er stockt und schaut sich schon wieder so ängstlich um, als müsse er für den nächsten Moment eine Fluchtmöglichkeit erkunden. Schnaufend fahre ich mir durch die Haare. »Wann wirst du mir endlich so weit vertrauen, dass du mir gegenüber ehrlich bist?«
Urplötzlich bricht Lucian in Tränen aus und versteckt sein Gesicht hinter seinen Händen. Als ich sehe, wie er dann auf seinem Stuhl zusammensackt und zu zittern beginnt, vermute ich, dass er gleich eine Panikattacke bekommt, also springe ich auf und nehme ihn fest in die Arme.
»Lucy! Es ist alles gut! Es ist alles gut! «, beteuere ich immer wieder und fühle deutlich, dass ich es auch wirklich so meine. Jede Faser meines Körpers schreit mir zu, wie sehr ich diesen jungen Mann inzwischen liebe, und ich weiß auch, dass ich ihm sicher alles verzeihen werde, was er mir beichtet, solange es irgendwie halbwegs nachvollziehbar ist.
›Bitte sag es einfach! Gib zu, dass du noch Drogen nimmst, dass du die Vorlesungen in der Uni geschwänzt hast, weil du high oder für deinen Stoff betteln warst ... Von mir aus auch, dass du noch Anschaffen gegangen bist, Hauptsache, du bist endlich ehrlich zu -‹
»Ich ... ich musste ... ihn einfach umbringen«, jammert Lucian plötzlich kläglich gegen meine Brust und all meine Gedanken verstummen mit einem Schlag.
›Umbringen ...? Wovon redet er?‹
»Du ... du hast gesehen ... was er ... was er mir angetan hat ... über Monate hinweg!«, ächzt er weiter und krallt sich immer mehr in mein Shirt. »Und ... und als er sagte, dass ich ... ich ihm langweilig werde ... da wusste ich ... dass er mich bald ... verkaufen würde. Meine ... Organe ... verstehst du?«
Er weint derart herzzerreißend, dass mir die Brust schmerzt, und so sehr ich ihm auch zeigen will, dass mir das Ganze extrem nahe geht, schaffe ich es doch nicht, mich zu bewegen. Seine Ehrlichkeit zieht mir gerade buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. Ich stehe komplett unter Schock, bin wie gelähmt und Übelkeit breitet sich in mir aus.
Eine furchtbare Stille herrscht und wird nur durch Lucians verzweifeltes Wimmern unterbrochen.
›Sag irgendwas!‹ , brüllt mir meine innere Stimme zu, doch ich weiß nicht, was . ›Was sagt man zu jemandem, der einem gerade einen Mord gestanden hat?‹ Dann fällt mir jedoch etwas ein. ›Er ist psychisch labil. Vielleicht hat er nur Gewissensbisse und glaubt deshalb, für den Tod dieses Wichsers verantwortlich zu sein?‹
Ohne weiter darüber nachzudenken, reiße ich mich zusammen, streiche ihm über den Rücken und gaukele meinem Unterbewusstsein vor, ich wäre bei einer beruflichen Vernehmung. Auf die Art kann ich mich so halbwegs sammeln und schlage nun den routiniert mitfühlenden Ton an, den ich verwende, wenn jemand bei einem Verhör vor mir zu heulen beginnt und ich Mitleid vortäuschen muss, um mehr Informationen zu bekommen. Ein einstudierter Reflex, den ich gar nicht zurückhalten kann, selbst wenn ich wollte.
»Ich verstehe das völlig und ich verurteile dich auch nicht«, kommt mir die erste Floskel über die Lippen und die zweite folgt sogleich: »Dir wird nichts Schlimmes geschehen, versprochen! Du kannst mit mir vollkommen offen sprechen! «
Es wirkt. Ich spüre, wie sich sein Zittern ein wenig beruhigt, doch er presst sich weiter an mich und wagt es nicht, zu mir aufzuschauen.
»Wir-wirklich?«, schnieft er und umarmt mich nun ebenfalls, fährt mit den Händen über meinen Rücken, als würde er prüfen wollen, ob ich verkabelt bin, denn nachdem er dort nichts Bedenkliches fühlt, keucht er fast schon erleichtert auf. »Du bist nicht wütend? Weil du ... weil sie dich ... verdächtigt haben ... und ich ... nichts zu deiner Entlastung gesagt habe?«
»Nein«, versichere ich, obwohl das nicht so ganz stimmt. Schon bei meiner nächsten Frage nimmt meine Übelkeit erneut zu, weil ich die Antwort darauf eigentlich gar nicht wissen will. »Wie ... hast du es gemacht? ... Du warst doch gefesselt?«
›Bitte lass ihn jetzt irgendetwas Abstruses sagen, das nicht mit den Befunden übereinstimmt und niemals stimmen ka-‹
»Ich hab ihn vergiftet!«
›Verdammt!‹
Zum ersten Mal, seit ich Lucian kenne, höre ich einen verächtlichen, fast schon grausam stolzen Unterton in seiner Stimme und spüre gleichzeitig, wie sich seine Finger in meinen Rücken graben. Augenblicklich erinnere ich mich auch an den Laborbericht über den analysierten Mageninhalt des Mafioso und an Kiels Theorie mit dem Kuchen.
»Womit?« Wie ein Roboter hake ich nach, denn die Sache ergibt noch immer kein Bild in meinem Kopf.
»Einmal musste ich ... sein Schlafzimmer putzen«, beginnt Lucian stockend zu erzählen und seine Stimme wird immer verächtlicher. »Nachdem er mit mir dort ... zugange war, wollte er nicht, dass Aneta beim Putzen irgendwas Auffälliges mitbekam, deshalb sollte ich alle Spuren beseitigen, die ihn hätten verraten können.«
»Also durftest du dein Verlies doch ab und zu verlassen?«, frage ich nach, denn ich erinnere mich an seine Behauptung, dort nie rausgekommen zu sein.
»Nur dieses eine Mal. Er bereute es bereits kurz danach und es kam nie wieder dazu.«
›Vermutlich, weil er deswegen gestorben ist.‹
Lucian sammelt sich, schluckt schwer, dann spricht er weiter: »Zum Saubermachen hat er mir Anetas Putzwagen zur Verfügung gestellt, er selbst blieb in dieser Zeit mit im Zimmer und las in einem seiner Sportmagazine. Trotzdem achtete er penibel darauf, dass ich keine versteckten Botschaften hinterließ, und kontrollierte zum Schluss hin auch alles nach, was ich tat.« Er schnieft, doch im Laufe des Erzählens scheint sich seine Atmung zu beruhigen. »Dann wurde er angerufen. Anscheinend war es ein wichtiger und von ihm erwarteter Anruf, denn er nahm sein Handy vom Nachttisch und ging ran, was er sonst nie tat, wenn er mit mir beschäftigt war. Dann verschwand er sogar noch vor die Tür.«
›Wahrscheinlich durfte der Anrufer ihn nicht hören.‹
»Natürlich nutzte ich den Moment, suchte panisch nach irgendetwas, das mir helfen könnte, denn ich wusste ja, dass ich körperlich nicht dazu in der Lage war, ihn zu überwältigen. Ein Messer oder ein Schlagstock hätten mir herzlich wenig genützt, aber mit einer Schusswaffe hätte ich etwas anfangen können. Leider fand ich keine. In seiner Nachttischschublade lag nur eine Dose mit Kapseln, die Vitamin C und Magnesium enthielten, also nahm ich kurzerhand zwei davon heraus. Ich habe die zusammengesteckten Hartgelatineteile aufgedreht und deren pulverigen Inhalt geschluckt. Dann habe ich die Kapselhüllen mit den Microperlen eines Abflussreinigers befüllt, den ich bereits auf dem Putzwagen von Aneta entdeckt hatte. Das war das Einzige, das farblich passte, zudem trocken und klein genug war. Eine Kapsel packte ich zurück in Schestakows Pillendose, die andere schob ich mir in die Haare, inständig hoffend, dass sie darin halten würde und er sie nicht bemerkte.«
»Wofür brauchtest du denn die zweite?«, will ich wissen. »Wozu das Risiko?«
»Na ja, selbst wenn er sie gefunden hätte, hätte ich behaupten können, dass ich unter Krämpfen litt und die Vitamine deshalb stehlen wollte. Ich dachte mir, es sei vielleicht gut, das Mittel auch in meiner Zelle griffbereit zu haben, falls sich mal eine Gelegenheit ergeben würde, ihm das Ding zu verabreichen ... oder auch als Notfallausweg für mich selbst.«
Ich nicke und kann mir gut vorstellen, dass man in einer solchen Situation früher oder später lieber den Freitod wählt. Vor allem, wenn man keine Ahnung davon hat, wie schmerzhaft es ist, durch Vergiftung zu sterben.
»Und was ist damit geschehen? Soweit ich weiß, wurde die zweite Kapsel nicht gefunden ... und Kiel hat alles gründlich gefilzt!«
»Ja«, schnauft er. »Die hatte ich in der Matratze versteckt, aber kurze Zeit später ist sie feucht geworden und aufgegangen, da hab ich sie im Klo runtergespült.«
»Oh ... und Schestakow hatte vorher nicht bemerkt, dass du die aus seinem Schlafzimmer rausgeschmuggelt hast?«
»Na ja, er kam nach dem Telefonat wieder ins Zimmer, wirkte sehr aufgebracht und fahrig. Trotzdem filzte er mich grob: meine Vorhaut, meine Achseln und meinen Arsch. Erst dann sperrte er mich zurück ins Verlies. Doch an meine Haare hatte er nicht gedacht.« Plötzlich lacht Lucian kurz auf und ich spüre, wie stolz er darauf ist, diesen abgebrühten Verbrecher hinters Licht geführt zu haben. »Ich wusste nicht, was und ob die präparierte Kapsel überhaupt etwas bewirken würde, aber es war meine einzige Chance, auch wenn ich den Zeitpunkt nicht voraussagen konnte, wann er diese Kapsel nehmen würde. Vier Tage später hat er sie dann geschluckt ... und ist tatsächlich dran verreckt.« Erneut lacht er: atemlos, zutiefst erleichtert und doch so, als könne er es selbst bis heute nicht fassen.
Mir wird schwummerig. Am liebsten würde ich mich hinsetzen, aber ich versuche, standhaft zu bleiben und nicht zu zeigen, wie sehr mich das Ganze mitnimmt. Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf, in erster Linie analytische, um irgendein Indiz dafür zu finden, dass er sich die Schuld an Schestakows Tod nur einbildet, aber leider ist jetzt alles logisch. Seine Schilderung ergibt in Kombination mit den Laborberichten, die ich gelesen habe, endlich einen nachvollziehbaren Tathergang.
›Kein Wunder, dass der Mistkerl daran krepiert ist. Schon die Hälfte des Kapselinhaltes hätte dafür gereicht! Die meisten Abfluss- und Rohrreiniger enthalten bis zu 98% Natriumhydroxid! Beim Verschlucken, selbst in geringen Mengen, werden Zunge, Mund, Speiseröhre und Magen völlig verätzt. Aber warum war dann sein Gesicht so in Mitleidenschaft gezogen?‹
Es dauert jedoch nicht lange, bis ich von selbst darauf komme.
›Natürlich! Bei Vergiftungssymptomen reagiert der menschliche Körper zuerst mit starkem Husten und Erbrechen und das ist das Schlimmste, was einem in so einem Moment passieren kann. Im Magen kann man Säuren mit der sofortigen Einnahme einer neutralisierenden Flüssigkeit wie Milch verdünnen, aber frisst sich das Zeug erst mal durch, hat man keine Chance mehr. Nach einer Weile verursachen die Verätzungen Perforationen im Gewebe. Deswegen war nicht nur Schestakows Gesicht zerstört, sondern auch seine Speiseröhre zwischen den beiden Brustfellhöhlen bis in die Lunge durchgebrochen! Danach kamen der septische Schock, die Lähmung und schließlich der Tod. Nur ein sofortiger chirurgischer Eingriff und künstliche Beatmung durch Geräte hätten dem Kerl noch das Leben retten können.‹
Ich kann nicht mehr stehen. Leicht wankend lasse ich Lucian los und sinke erschöpft auf die Couch, auf der ich mein Gesicht in die Hände stützen muss.
»Er hat gelitten ... so viel ist sicher ... und letztlich das bekommen, was er verdient hat.« Ich höre mich sprechen, doch ich nehme nur unterbewusst wahr, dass ich meine Lippen bewege. Irgendwann kniet sich Lucian vor mich und schaut mich mit seinen großen, grünen Augen an, die sehnsüchtig um Vergebung betteln, doch er sagt nichts.
»Was, wenn Aneta aus Angst abgehauen und Schestakows Tod nicht der Polizei gemeldet hätte?«, frage ich ihn, denn eigentlich hätte er davon ausgehen müssen. »Wenn stattdessen Mitglieder seines Clans gekommen wären und nicht wir? Oder wenn ich dich nicht gefunden hätte? Du wärst innerhalb weniger Tage verdurstet!«
»Das Risiko musste ich eingehen.« Er senkt erneut den Kopf, scheint sich jedoch beruhigt zu haben und nun doch eher erleichtert zu sein. »Seine Familie wusste nichts von dem Raum und ich konnte ja nicht ahnen, dass er mich kurz vorher fesselt. Normalerweise schluckte er seine Aufputschmittel und Vitamincocktails nämlich immer zum Frühstück und kam danach erst zu mir. Über Nacht und bis zu seinem Auftauchen im Verlies blieb ich meist ungefesselt, und weil es in der Zelle ein Waschbecken gab, wäre ich, zumindest für eine Weile, auch nur mit Wasser über die Runden gekommen.«
»Wie hast du denn gedacht, dass es laufen wird?«, sinniere ich kopfschüttelnd. Die ganze Aktion hatte jede Menge Potential für viele dramatische Möglichkeiten, nur wenig positive, außer ... der Mistkerl hätte durch die Pille ein Gewissen bekommen und ihm ein Taxi gerufen.
»Na ja, ich dachte, dass er davon einfach nur erkrankt, deshalb nachlässig wird, weniger aufpasst und ich so eine Chance bekomme zu fliehen. Im besten Fall, so hatte ich gehofft, schließt er die Tür auf und bricht dann in meiner Zelle zusammen oder wird ohnmächtig, sodass ich mir den Schlüssel schnappen und abhauen kann.«
Unglaublich! Wie kann man in einer solchen Situation noch so naiv und realitätsfremd denken? Es wäre doch viel wahrscheinlicher gewesen, dass Schestakow direkt am Frühstückstisch verendet und Aneta aus Panik, ihn versehentlich vergiftet zu haben, abhaut!
»Und was ist dann passiert?«
Lucian holt tief Luft, als könne er selbst kaum glauben, was er für ein Glück hatte ... oder Pech, je nachdem, von welchem Szenario man ausgeht.
»An diesem Tag hatte er total verschlafen und deshalb vergessen, seine Vitamine am Morgen einzunehmen. Infolgedessen schluckte er sie erst am Abend, und zwar in der kurzen Pause, nachdem er mich für sein nächstes Spiel vorbereitet hatte.«
Die ganze Aktion war auf jeden Fall sehr riskant ... aber was hatte er schon für eine Wahl? Wenn man in einer solchen Situation ist, handelt man, ohne groß darüber nachzudenken. Davon abgesehen kann jeder gesunde Mensch ohne Flüssigkeitszufuhr drei bis vier Tage überleben. Im Extremfall und unter guten Bedingungen sogar bis zu zwölf Tage! Der Plan war also so gesehen gar nicht schlecht, nur eine Sache begreife ich dabei nicht.
»Warum hast du es nicht gestanden?« Ich selbst bin des Mordes verdächtigt worden und wäre beinahe für lange Zeit im Knast gelandet, dabei wäre ihm unter diesen Umständen überhaupt nichts passiert, hätte er es zugegeben. »Schestakow hat dich entführt und gegen deinen Willen gefangen gehalten, dich missbraucht und bedroht ... Kein Gericht der Welt hätte dich für diese Tat verurteilt!«
»Ich weiß ...«, seufzt er und legt seine Stirn an mein Knie. »Aber wenn das durchgesickert und in der Presse gelandet wäre ... Kannst du dir die Schlagzeile vorstellen? Junkie vergiftet Mafiasohn ... dazu vielleicht noch ein Foto von mir und detaillierte Beschreibungen, wie qualvoll der Kerl krepiert ist ... Sein Clan hätte mich über Ländergrenzen hinaus bis an mein Lebensende gejagt und mir ein noch viel schlimmeres Ende bereitet, als Schestakow es vorhatte.«
Ich packe seine Arme und schüttle ihn kurz, weil ich nicht fassen kann, dass das seine Begründung dafür ist, uns alle im Dunkeln tappen zu lassen.
»Wir hätten dich doch in ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen können! Wenn Gefahr für Leib und Leben wegen eines zu erwartenden Racheaktes besteht, haben Betroffene immer die Möglichkeit, eine vorübergehende Tarnidentität anzunehmen, und mit Hilfe des BKA kann man auch dauerhaft eine völlig neue Identität bekommen und damit einen Neuanfang starten! Solche Dinge denken sich nicht nur Hollywood-Regisseure aus!«
»Aber ... aber«, stottert er und schaut wieder auf. »Dann muss man doch ein völlig anderer Mensch werden? Seinen Namen ändern, die Haare färben, schlimmstenfalls sogar zum Schönheitschirurgen gehen und sein Gesicht operieren lassen! Außerdem sieht man seine Familie niemals wieder und -«
»Ich dachte, du hast keine Familie mehr?«, falle ich ihm ins Wort und sehe, wie er zusammenzuckt. »Oder war das auch gelogen? «
»Nein, ich ... ähm ...« Sofort lässt er mich los, steht auf, dreht sich von mir weg und sagt nichts mehr, denn offenbar weiß er nicht, wie er sich nach alldem noch aus seinem Lügengeflecht retten soll. Eine bittere Erkenntnis macht sich in mir breit und so langsam realisiere ich, dass wahrscheinlich nichts von dem stimmt, was er mir bisher erzählt hat.
»Lebt deine Mutter noch?«, bringe ich meinen Verdacht schließlich auf den Punkt, und beim Anblick seines schuldbeladenen Blickes zähle ich endlich eins und eins zusammen. »Sie war gar nicht krank ... sie war drogenabhängig , stimmts? Und genau deshalb habt ihr auch eure Wohnung verloren! Nicht, weil du getrauert hast, sondern weil du ebenso abhängig warst wie sie und keiner von euch die offenen Rechnungen beglichen hat! Hab ich recht?« Er antwortet nicht, hält den Kopf gesenkt und schweigt sich aus, was mich immer wütender werden lässt. »Lucian ! Sag etwas! Bitte , schrei mich an! Sag mir, dass ich falschliege oder es eine sehr gute Erklärung dafür gibt, warum du mich die ganze Zeit über belogen hast!«
Er verharrt weiter von mir abgewandt. In meinem Herzen sticht es furchtbar und die unerträgliche Stille schneidet sich in meine Seele. Doch dann flüstert Lucian vor sich hin: »Ich ... ich hab es nicht geschafft. Sie ... war gerade in einer Entzugsklinik, als die Polizei und die Typen von der Zwangsräumung kamen ... und dann ... dann war alles verloren, was wir noch hatten! Mit einem Rucksack saß ich auf der Straße und wusste nicht mehr, was ich tun sollte.« Erneut bricht er in Tränen aus. »Ich ... ich fuhr zu ihr in die Einrichtung und erzählte ihr, was passiert war, denn diese Leute hatten mir einen Schein gegeben mit einer Adresse drauf, wo unser persönliches Hab und Gut eingelagert worden war. Sie wollte mich nicht allein draußen umherirren lassen, also brach sie den Entzug ab. Aber mit der SEPA-Eintragung und den vielen Schulden fanden wir keine Wohnung mehr und unsere Sachen konnten wir auch nicht auslösen. In eine Notunterkunft hat sich meine Mutter nicht getraut, also zogen wir in ein verlassenes, altes Haus und haben von da an dort gelebt.«
Plötzlich erinnere ich mich und kann kaum fassen, dass ich daran nicht schon vorher gedacht habe. »Die Frau ... von der du deine Geige geholt hast ... die Obdachlose ... Ist das deine Mutter?« Lucian nickt zögerlich und ich lehne mich noch etwas weiter aus dem Fenster. »Du hast ihr nicht erzählt, was dir passiert ist, oder? Sie hat wahrscheinlich gar nicht mitgekriegt, dass du so lange weg warst, und glaubt immer noch, du würdest Drogen nehmen und auf der Straße sitzen, genau wie sie.«
Er nickt abermals und jetzt weiß ich auch endlich, warum er sauberes Spritzbesteck von ihr bekommen hat. Das ist vermutlich das einzig Mütterliche , zu dem sie noch in der Lage ist! Und er? Ich weiß doch inzwischen genau, wie er tickt. Er fühlt sich ihr gegenüber schuldig und spielt deshalb weiter Geige auf der Straße, um Geld zu verdienen und es ihr dann zu bringen. Vermutlich redet sie ihm bis heute ein schlechtes Gewissen ein, macht ihn allein für den Verlust ihrer Wohnung und vielleicht sogar dafür verantwortlich, dass sie selbst noch an der Nadel hängt und den Entzug nicht geschafft hat.
»Alex, ich ... es ... es tut mir so leid«, höre ich wie durch Watte und spüre, wie meine Finger taub werden. Meine Haut beginnt zu kribbeln. Ich möchte schreien, mich übergeben und gleichzeitig ist mir, als ob ich jeden Moment das Bewusstsein verliere.
›Scheiße ... krieg ich einen Schlaganfall?‹
Nach dem, was ich jetzt weiß, kommt es mir sogar in den Sinn, dass Lucian auch mich vergiftet haben könnte, doch mein inzwischen kaltes Essen steht noch immer unangetastet auf dem Tisch.
»Ich ... ich brauche ... frische Luft!«, presse ich mühsam heraus und rapple mich zittrig auf. Lucian scheint zu sehen, dass es mir nicht gut geht, denn er stützt mich sofort und hilft mir hoch.
»Alex ... du bist ja ganz blass! Ist alles okay? Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
»Nein, nein«, keuche ich und zeige in Richtung des Balkons. »Ich brauche nur ... etwas frische Luft ... und ein Glas Wasser!«
»Okay ... okay ...« Lucian nickt verstehend und schleppt mich nach draußen, wo ich mich in einen der Korbsessel setze. Die Nachtluft ist noch immer sehr frisch, doch jetzt, in diesem Augenblick, tut sie mir unheimlich gut. »Ich hol dir eine Decke ... und das Wasser!«, sagt mein Freund und ich beobachte ihn durch die Fenster, wie er zurück in die Küche eilt. Im selben Moment hoffe ich, dass er mir keines der Reinigungsmittel von unter der Spüle mit ins Glas kippt.
›Hätte ich ihn doch bloß nicht gefragt! Wie soll ich ihm jemals wieder vertrauen? Nach all diesen Lügen?‹
Lucian kommt zurück auf den Balkon, gibt mir die Tagesdecke vom Sofa und reicht mir ein Glas voll Wasser. Ich trinke es in einem Zug leer, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.
»Geh bitte wieder rein und iss was«, sage ich und zeige auf die Balkontür. »Du erkältest dich, wenn du hier draußen rumstehst.« Ich brauche jetzt einen Moment für mich allein zum Nachdenken. Als er jedoch stehen bleibt und unsicher auf meine Hosentasche schaut, weiß ich, was ihm Sorge bereitet, und ziehe mein Handy aus der Hose. »Keine Angst, ich rufe niemanden an. Hier, nimm es mit rein!«
Er nimmt es erleichtert an sich, doch sein bedrückter Gesichtsausdruck verschwindet nicht. »Bleib nicht zu lange hier draußen, ja?«, bittet er mich und geht schließlich. Einen Augenblick schaue ich ihm hinterher und bin immer noch überfordert von dem, was ich in der letzten halben Stunde erfahren habe .
›Er hat Angst, dass ich ihn verpfeife. Natürlich ... die hätte wohl jeder, selbst wenn ihm gar keine Strafe droht, außer vielleicht wegen Falschaussage und Verfahrensbehinderung. Der Schestakow-Clan würde ihn auch nicht mehr in Ruhe lassen. Sobald das Ganze an die Öffentlichkeit gelangt, und das wird es definitiv, wenn er aussagt oder ich das Geschehen melde, wird er zur Zielscheibe und ich gleich mit.‹
Nach einer Lösung aus diesem Dilemma suchend, reibe ich mir über die Stirn.
›Ich muss es für mich behalten. Aber kann ich das? Wie soll ich meinen Job weitermachen? Tagein, tagaus Leichen begutachten und Spuren sichern, wenn ich weiß, dass zu Hause ein Mörder und Lügner auf mich wartet, den ich decke? Im doppelten Sinn.‹
Ich lege meinen Kopf in den Nacken, lasse ihn auf der Rückenlehne ruhen und schaue für einen Moment in die Sterne.
›Was wird diesem Wichser in den letzten Sekunden seines Lebens durch den Kopf geschossen sein? Also von der säurehaltigen Kotze abgesehen ... Ob er Reue gespürt hat? Nein, sicher nicht. Wann ist ihm wohl bewusst geworden, dass er vergiftet wurde? Der Schmerz in Mund und Rachen muss recht schnell aufgetreten sein, wahrscheinlich schon nach wenigen Minuten, und der war auch sicher nicht ohne. Es brennt ja schon, wenn man Natriumhydroxid berührt, aber wenn man es schluckt, sich die Kapselhülle erst tief im Inneren auflöst und man dann spürt, wie man sich von innen heraus auflöst ... Das müssen höllische Schmerzen gewesen sein! Am Anfang wird er nur ein Kratzen im Hals bemerkt und gehustet haben. Vermutlich dachte er, er hätte ein Haar verschluckt oder etwas in der Art. Deswegen ist er auch nochmal aufgestanden, hat einen Schluck Whiskey getrunken und so unbewusst eine Ladung Öl ins Feuer gegossen.‹
Ich kann nicht aufhören, mir den genauen Hergang bis zum Tod dieses Scheusals vorzustellen. Es ist einfach zu befriedigend.
›Nach der Husterei wird er unkontrolliert angefangen haben zu sabbern, denn sicher setzten auch schnell die ersten Schluckbeschwerden ein. Ob er da schon geahnt hat, dass es kein Zurück mehr gibt? Nein. Sicher hat er sich gewehrt und bestimmt versucht aufzustehen, aber das wird in diesem Stadium bereits nicht mehr möglich gewesen sein. Hat er, solange es ihm noch möglich war, Lucians Namen gebrüllt und geahnt, dass er etwas damit zu tun hatte? Spätestens, als er auf seinen teuren Mahagonischreibtisch gekotzt und in seinem Erbrochenen Blut und Teile seiner Organe gesehen hat, muss ihm klar geworden sein, dass er nicht mal mehr die nächste Stunde erleben würde.‹
Unpassenderweise muss ich sogar ein wenig lachen. ›Ob er sich da schon eingeschissen hat oder erst, als er tot war? Die piekfeine Gucci-Hose war auf jeden Fall bis zur Oberkante voll ... na gut, aber da kam ja auch irgendwann der halbe Darm hinterher. So richtig Panik muss er definitiv mit der ersten Atemnot bekommen haben, aber kurz darauf wird er auch schon ohnmächtig geworden sein. Bei einer so schweren Vergiftung mit derart stark ätzenden Chemikalien bekommt man in der Regel sehr schnell einen extremen Blutdruckabfall. Hoffentlich galt sein letzter Gedanke Lucian ... gepaart mit einem Funken Schuldgefühl.‹
Ich atme tief durch und spüre eine gewisse innerliche Genugtuung. Auch wenn nicht ich es war, der den Kerl für das, was er Lucian angetan hat, bestrafen konnte, so hat dieser doch Vergeltung erhalten.
›Nein. Ich bin nicht wütend darüber, dass Lucian ihn getötet hat, ganz und gar nicht. Aber dass er zum zweiten Mal sein Studium hingeschmissen und mich belogen hat, das werde ich ihm lange nicht verzeihen können.‹
Mein Schwindel ist weg und meine Lunge fühlt sich ebenfalls besser an, also richte ich mich auf und schaue durchs Fenster. Lucian hockt auf der Couch und schaut betrübt auf seinen Teller, von dem er noch immer keinen Bissen angerührt hat. Auch ihm scheint der Appetit vergangen zu sein.
›Ich muss die Sache mit seiner Mutter aus der Welt schaffen. Solange er glaubt, in ihrer Schuld zu stehen, wird er niemals selbstständig werden und sich um sein eigenes Leben kümmern.‹
Langsam erhebe ich mich, nehme die Decke mit und schlurfe zur Balkontür, und als ich diese öffne, springt Lucian auf und eilt mir entgegen.
»Alex! Warte, ich helf dir.«
»Schon gut, mir geht es wieder besser«, beschwichtige ich ihn in seiner Aufgeregtheit und schaffe es sogar, ehrlich zu lächeln. Sobald er vor mir steht, ziehe ich ihn an mich und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn.
»Heißt das, du hast mir verziehen?«, fragt er vorsichtig nach und schaut auf. Einen Moment zögere ich, doch dann nicke ich zustimmend.
»In Bezug auf Schestakow, ja. Ich hätte es genauso gemacht ... jeder hätte das. Trotzdem, auch wenn du rechtlich nichts zu befürchten hättest, denke ich, es ist das Beste, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Also mach dir keine Sorgen, okay? Ich behalte dein Geheimnis für mich und werde auch mit niemandem drüber reden.«
»Okay«, haucht er erleichtert und drückt sich erneut an mich. »Und in Bezug auf die anderen Dinge?«
»Das weiß ich noch nicht.« Etwas ratlos schüttle ich den Kopf. »Ich will dich nicht verlieren, aber so kann es nicht weitergehen. Du musst ehrlich zu mir sein und mit mir reden, wenn dich etwas bedrückt! Nur dann kann diese Beziehung funktionieren!«
»Ich weiß.« Lucian schnieft, nickt und schaut wieder auf. »Aber ... gilt das auch für dich?«
»Natürlich!«, posaune ich, ohne nachzudenken, heraus. »Ich kann zumindest behaupten, dich noch nie belogen zu haben!«
»Nein?« Sein Blick bekommt etwas Kritisches. »Zählt verheimlichen nicht auch als lügen? «
»Nicht unbedingt«, wiegle ich ab, doch er lässt nicht locker.
»Dann erzähl mir jetzt bitte, wer Stephan ist!«
Ich zucke zusammen. ›Scheiße!‹
»Woher kennst du den Namen?«, hake ich erst mal nach und will Zeit schinden, außerdem erinnere ich mich nicht, meinen Exfreund jemals erwähnt zu haben.
»Na ja, in der Zeit, als du im Krankenhaus gelegen hast und Finn diesen Anwalt für dich beauftragt hat, brauchten wir ja einige Nachweise und Dokumente aus deiner Wohnung.« Während er spricht, schnappt sich Lucian mein Essen und bringt es zur Mikrowelle. Er scheint sich wieder beschäftigen zu wollen. Inzwischen weiß ich ja, dass es ihm leichter fällt, über schwierige Dinge zu reden, wenn er irgendwas nebenher macht. »Dabei ist mir ein Zettel in die Hände gefallen, auf dem du Drogenverstecke aufgelistet hast ... Orte, wo überall du in deiner Wohnung Chrystal Meth gefunden hast: im Toilettenspülbecken, hinter einer Teppichleiste, unter dem Teppich, unter einer Schuhsohle, im Salzstreuer versteckt und so weiter - stets eingepackt in ein Kondom.« Mein entsetztes Gesicht verberge ich mittlerweile hinter meinen Händen, was er zum Glück nicht sieht, da er noch immer in der Küche ist, während ich inzwischen auf der Couch sitze. Doch dann plingt die Mikrowelle und er kommt zurück. »Außerdem hab ich Aufzeichnungen zu mehreren Entzugsverfahren gefunden, die auch Ersatzstoffe beinhalteten, ausgeschrieben auf einen gewissen Stephan Schneider, aber alle Rechnungen dazu gingen an dich?!« Er stellt mir den Teller mit dem erneut dampfenden Essen hin und verschränkt unsicher die Arme. »Also? Wer ist das und was lief da mit dem?«
Ich atme schwer durch und löse die Hände vom Gesicht, um ihn anzusehen. Dann nehme ich meine Gabel und beginne zu essen, während ich leise erzähle.
»Stephan ... war genau wie du früher. Ein schwer drogensüchtiger junger Mann, Mitte zwanzig, der auf der Straße lebte.«
Lucian nickt und setzt sich neben mich, wo er ebenfalls endlich zu essen beginnt. »Und wie habt ihr euch kennengelernt? Hast du ihn auch aus irgendeinem Verlies geholt?«
»Nein. Ich hatte damals einen Todesfall mit einem anderen Junkie zu bearbeiten, der unter nicht eindeutigen Umständen gestorben war. Aus diesem Grund befragte ich mit ein paar Kollegen dessen Freundeskreis, und zu dem gehörte auch Stephan. Er hatte ein hübsches Gesicht, war höchstens eins fünfundsechzig groß und wog, wenn überhaupt, vielleicht fünfzig Kilo. Er sah müde und unterernährt aus, aber er besaß dieses süße, spitzbübische Lächeln, das mich faszinierte.«
»Also hast du ihn direkt mit in dein Bett genommen«, argwöhnt Lucian und ich höre einen eifersüchtigen Unterton in seiner Stimme, der mir direkt ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubert.
»Nein Lucy, hab ich nicht.« Ich kann nicht anders und gebe ihm einen Kuss auf seine aufgeplusterten Wangen. »Vermutlich hätte ich gekonnt, denn er war von Anfang an sehr ... zutraulich , wenn du verstehst. Nicht nur zu mir, auch zu anderen Kollegen, aber wir wussten eben, dass sich diese Jungs regelmäßig verkauften, um an Geld für ihren Stoff zu kommen, also hielt ich ihn auf Abstand.«
Lucian runzelt die Stirn. »Aber irgendwie müsst ihr ja dann doch zueinander gekommen sein?«
»Ja«, schnaufe ich. »Ich gab ihm natürlich meine Dienstnummer, falls ihm noch irgendetwas Relevantes zum Fall einfällt oder er etwas aufschnappt, das uns weiterhelfen könnte. Allerdings rechnete ich nicht damit, dass er mich bereits zwei Tage später mitten in der Nacht anruft und unter Tränen anfleht, ihn von der Straße wegzuholen. Ein weiterer Junge aus seinem Freundeskreis war verschwunden und er hatte einfach Angst, der nächste zu sein, weil er sich mit diesem oft einen Schlafplatz geteilt hatte.«
Lucian nickt und lächelt wissend. »Also war es genau wie bei mir. Du hattest Mitleid mit ihm und hast ihm angeboten, ein paar Nächte bei dir zu verbringen, bis du was Sicheres für ihn findest ... aber dann blieb er bei dir ... genau wie ich. «
Zögerlich nicke ich ebenfalls. »Ja ... zumindest für eine Weile. Er hätte nicht gehen müssen ... Ich hab ihn geliebt, ihm alles gegeben, was ich konnte, doch ich bestand auf einer einzigen Regel, die ihm nicht passte.«
»Keine Drogen«, rät Lucian leise und ich stimme zu.
»Genau.« Ich spüre, wie meine Hände feucht werden und meine Augen zu brennen anfangen. »Doch er war einfach zu süchtig nach dem Mist. Immer wieder setzte ich ihm ein Ultimatum, brachte ihn zur Therapie oder in Entzugskliniken, aber schon nach wenigen Tagen hielt er es nicht mehr aus und besorgte sich neuen Stoff. Er versprach mir immer wieder, clean zu werden und zu bleiben, einen Neuanfang zu starten, und beteuerte mir, er würde mich lieben ... doch letztendlich liebte er sein Meth mehr als mich.« Nach dem letzten Satz muss ich erst mal einen großen Schluck Wasser trinken. »Wenige Monate später war er dann wieder mal verschwunden. Erst dachte ich, er kommt in ein paar Tagen zurück, so wie sonst auch, doch dieses Mal war es anders. Er hatte mir Geld gestohlen, meine Lebensmittelvorräte geplündert und auch all seine persönlichen Sachen mitgenommen. Ich hab zig mal versucht ihn anzurufen, hab ihm Nachrichten geschickt, ihm gesagt, dass ich nicht sauer auf ihn bin und dass ich mir einfach nur Sorgen mache ... doch er hat mir nie mehr geantwortet.«
»Du bist wirklich zu gut für diese Welt.« Lucian legt seine Gabel ab und umarmt mich fest, ehe er mir einen Kuss auf den Hals gibt. »Einen Freund wie dich hatte der Kerl überhaupt nicht verdient!«
»Tja ... wer weiß ... vielleicht hätte ich ihm noch -«
»Du hast schon viel zu viel für ihn gemacht«, unterbricht mich Lucian und hebt zum ersten Mal meinen Kopf, um mir in die Augen zu sehen. »Wenn dieser Stephan nicht erkannt hat, was er an dir hat und welche Chancen du ihm bietest, dann war er längst nicht mehr zu retten!«
Da muss ich dann doch ein bisschen prusten. »Also bist du auch nicht mehr zu retten?«
Lucian zuckt ertappt zusammen. »Das mit mir ist was anderes.«
»Ist es das?« Ich hebe die Augenbrauen. »Was ist mit deinen Chancen? Deinem Studium? Deiner Zukunft? Du wolltest doch Musik studieren?«
»Genau genommen wolltest du , dass ich Musik studiere«, flüstert er kleinlaut. »Du und ... meine Mutter damals. Aber ich wollte das nie.«
Verdutzt schaue ich ihn an. »Ach so?«
Lucian nickt nur und sagt nichts weiter, woraufhin ich sehr nachdenklich werde.
›Kann es wirklich sein, dass er damals nur mir zuliebe zugestimmt hat, sein Studium wieder aufzunehmen? Habe ich denn so wenig auf seine Bedürfnisse geachtet und das, was er kann, mit dem verwechselt, was er will? ... Möglicherweise habe ich das bei Stephan auch getan und er kam aus dem Grund nicht mehr zurück?‹
Wieder einmal spüre ich, wie sehr es mich heute noch wurmt, nicht zu wissen, was in Stephans Kopf vorgegangen ist. Dabei hätte ich damals alles dafür getan, dass er zu mir zurückkommt ...
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November 2016. Berlin.
Als ich die Utensilien aus meinem Koffer hole und diese feinsäuberlich auf dem Bett verteile, bin ich noch relativ entspannt. Den trockenen Wein platziere ich zusammen mit zwei bauchigen Gläsern auf dem Tresen und schreibe einen Zettel, mit einer letzten kleinen Anweisung. Dann verlasse ich gut gelaunt das Hotelzimmer.
Ich stecke beide Zimmerkarten ein und laufe durch den schier endlosen Flur bis zum Fahrstuhl, wo ich erneut auf die Uhr an meinem Handgelenk schaue. Nach meiner Fahrt in die Lobby gebe ich eine meiner Schlüsselkarten mit einem Namenszettel an der Rezeption ab und nehme mir eine Zeitung vom Tresen. Danach sehe ich mich nach einem Platz um, wo ich in diesen Abendstunden noch einen Cappuccino trinken kann, denn ich muss ein wenig Zeit überbrücken und das geht am besten in einem Café.
Ich entdecke eine hoteleigene Cafébar, setze mich in eine ruhige, wenig einsehbare Ecke und bestelle mir noch einen mit Lachs belegten Bagel zu meinem Heißgetränk. In einer guten Stunde ist die verabredete Zeit erreicht, doch ich weiß nie genau, ob mein Gast wirklich kommt oder nicht. Auch ein weiterer Blick auf mein Handy bringt mir nichts, denn er antwortet eh nie auf meine Nachrichten. Jedes Treffen ist wie ein Lottospiel. Mal taucht er auf, mal bleibt er fern, und ich weiß, dass er das Geld, das ich ihm gebe, nicht in Prepaidkarten für sein Telefon investiert. Demnach mache ich mir auch keine Illusionen, dass unsere Absprachen jemals besser werden, aber irgendwie reizt mich diese Art der Treffen.
Es steht ihm frei, meine Regeln zu befolgen und sich auf meine Ideen einzulassen. Alles beruht auf seinen Entscheidungen, und der Bengel ist weiß Gott launenhaft! Doch dieses Überraschende, nie zu wissen, ob ich ihn sehen werde oder wie unser Spiel läuft, macht mich tierisch an. Er ist wie ein bis in die Federspitzen zugedröhnter, kleiner Vogel, der mich ab und zu besucht und den ich nicht einfangen kann ... zumindest nicht bis zum heutigen Abend.
Ich habe gerade meinen Bagel aufgegessen, lese unkonzentriert in der Zeitung umher und trinke den letzten Rest meines Cappuccinos aus, als ich aus dem Augenwinkel heraus etwas bemerke.
Da ist er! Huscht durch den Nieselregen über die Straße und direkt an meinem Fenster vorbei zum Haupteingang. Natürlich beachtet er mich nicht, denn er weiß ja nicht, wie ich aussehe .
»Ganz schön spät, junger Mann«, murmele ich amüsiert vor mich hin und bin gespannt, wie er es in nicht mal mehr dreißig Minuten schaffen will, zu duschen und meine ihm aufgetragene Aufgabe zu erfüllen, die heute ein wenig heikler ist als sonst.
›Er sieht müde aus ... und genauso verzottelt wie immer. Ob er überhaupt eine Haarbürste besitzt? Wahrscheinlich stinkt er auch wieder nach muffigen, alten Sachen und irgendeiner vollgepissten Matratze, auf der er die Nacht verbracht hat. Na ja, wenn er sich ordentlich wäscht, wird es wohl gehen.‹
Ich muss zugeben, anfangs war es eine Überwindung für mich, mit einem Straßenjungen intim zu werden. Zwar nehme ich sie nur mit Gummi und bestehe darauf, dass sie sich duschen, bevor ich sie anfasse, aber bei manchen von ihnen stinken allein die Klamotten derart, dass es nicht auszuhalten ist. Jungs mit Haustieren wie Hunden oder Ratten lade ich grundsätzlich nicht ein, denn die kämen nicht mal am Portier vorbei. Bei manchen ist es auch ohne Tiere schwer, sie in ein Hotel zu bekommen, wenn sie zu verlottert aussehen oder betrunken sind. Inzwischen gebe ich den Angestellten am Empfang einfach Bescheid, dass es sich bei dem von mir erwarteten Besuch um meinen unorthodox lebenden Sohn handelt, für den ich die volle Verantwortung übernehme. Meistens bekomme ich dann einen mitleidvollen Blick und ein unterstützendes Nicken.
Ich zahle den Jungs gutes Geld und sichere mir so ihre uneingeschränkte Hingabe bei unseren Treffen. Darüber hinaus wechsele ich sie regelmäßig, damit sie sich nicht zu sehr an mich gewöhnen oder sich schlimmstenfalls noch verlieben. Mittlerweile bin ich auch deutlich vorsichtiger als früher, denn vor ungefähr sieben Jahren versuchte mal einer von ihnen, mich zu erpressen. Er hatte herausgefunden, dass ich bei der Kriminalpolizei arbeite und drohte, meine Vorlieben meinen Kollegen und Vorgesetzten zu offenbaren, wenn ich ihm nicht innerhalb einer Woche zwanzigtausend Euro besorge. Angeblich hätte er bei unseren vergangenen Treffen Fotobeweise gesammelt, die seine Aussagen belegen könnten. Außerdem hätte er alle Nachrichten von meiner Telefonnummer gespeichert und der Frau an der Rezeption gesagt, dass sie die Polizei rufen sollte, wenn er in spätestens zwanzig Minuten nicht wieder unten wäre. Er hatte sich also abgesichert und eiskalt kalkuliert, wie er mich am besten erpressen kann. Da er sich recht geschickt dabei anstellte, hätte das für mich eine Suspendierung zur Folge gehabt, denn das, was ich tue, ist leider unzulässig. Für einen Beamten im öffentlichen Dienst kann so etwas das Aus der Karriere bedeuten und meine Karriere steht für mich an oberster Stelle. Also holte ich meine gesamten Ersparnisse von der Bank und nahm für die Restsumme sogar noch einen kleinen Kredit auf. Der Bengel schnappte sich mein Geld und warf mir als Gegenleistung sein Handy vor die Füße, mit all den Nachrichten und Fotos drauf. Dann verschwand er auf Nimmerwiedersehen.
Die damalige Situation brachte mich in eine solch unangenehme Zwickmühle, dass ich seitdem dafür sorge, dass mich meine jeweiligen Spielpartner nicht mehr erkennen können. Ich besorge mir und meist auch dem entsprechenden Jungen ein Prepaid-Handy, das einzig und allein für unseren Kontakt genutzt werden soll. Die Typen, welche ich zufällig auf der Straße oder bei meiner Arbeit treffe und die mich interessieren, kontaktiere ich über einen Mittelsmann. Anfangs trug ich zu den Treffen noch selber eine Maske, aber die schränkte mich zu sehr ein. Dann versuchte ich, mit Perücken und Ähnlichem mein Aussehen zu verfremden, doch die verrutschten beim Sex ständig und ich kam mir furchtbar blöd damit vor. Seitdem bestehe ich einfach darauf, dass sich mein Spielpartner selbst eine Augenbinde anlegen muss, bevor ich ins Hotelzimmer komme. Wenn er diese vorzeitig abnimmt und mich sieht, ist die Sache sofort vorbei und ich kontaktiere ihn nie wieder. Ich will keinem dieser Kerle mehr die Chance geben, irgendwelche Beweise gegen mich zu sammeln.
Ich sehe erneut auf die Uhr. Noch fünfzehn Minuten. Langsam hebe ich die Hand und signalisiere so, dass ich zahlen will. Der Kellner kommt, gibt mir die Rechnung und ich lege das Geld in den aufgeklappten Lederumschlag. Dann stehe ich auf und schlendere noch einmal vor den Haupteingang, um eine zu rauchen. Jetzt merke ich doch, dass etwas Aufgeregtheit ins Spiel kommt, die angenehme Art der Nervosität und des Nervenkitzels. Als ich die Zigarette gerade mal zur Hälfte inhaliert habe, wird mir der Regen zu stark und ich gehe zurück in die Lobby. Eine der Empfangsdamen weist mich darauf hin, dass mein Sohn gerade eben eingetroffen ist, und ich bedanke mich höflich für die Information. Danach fahre ich mit dem Fahrstuhl in die entsprechende Etage, laufe entspannt den langen Gang entlang und sehe kontrollierend auf meine Uhr.
›Noch zwei Minuten ...‹
Ich horche an der Tür, höre Ketten rasseln und schließlich ein beinahe hastiges Ratschen, das meine Mundwinkel nach oben schnellen lässt.
›Das war der Kabelbinder ... Er hat es wirklich getan!?‹ Ich kann es kaum fassen. ›Wow. Hätte nicht gedacht, dass er mir bereits so weit vertraut!‹
Erneut klappern die Ketten. Er scheint zu prüfen, ob alles sicher ist, und punkt Glockenschlag ziehe ich meine Schlüsselkarte durch den Türöffner.
Da ist er ... dieser süße, unglaublich heiße Bengel, der auf den Namen Stephan hört und mir gerade seinen nackten Arsch entgegenstreckt, unter dem ich seinen hart pochenden Schwanz erkenne. Genau das liebe ich an ihm. Er genießt die Treffen mit mir, das kann ich überaus deutlich sehen und fühlen.
Ich schließe die Tür hinter mir, lege die Schlüsselkarte ab und lasse diesen geilen Anblick einen Moment auf mich wirken. Wie von mir gewünscht, hat er sein entzückendes, rosafarbenes Loch penibel glattrasiert und ich kann mich kaum zurückhalten, nicht sofort meine Zunge darin zu versenken. Als ich stattdessen zuerst mal den Sitz der Kettenschlaufen um seine Fuß- und Handgelenke auf Korrektheit seiner Ausführung kontrolliere, nutzt er die Chance und berührt meine Hand mit dem kleinen Finger.
›Was ... was soll das denn jetzt?‹ , wundere ich mich und lasse es einen Augenblick zu. Es wirkt fast, als suche er meine Nähe, und seine zaghafte Form der Annäherung bringt mich richtig zum Grinsen. ›Sieh einer an ...‹
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet Stephan romantische Gefühle für mich entwickelt. Er wirkt immer so abgeklärt und – nicht zu vergessen – er ist schwer drogenabhängig. Als wir uns kennenlernten, kam er zudem wohl gerade erst aus einer festen Beziehung, die seinen Worten nach sehr chaotisch gewesen sein muss. Seitdem ist etwas Zeit vergangen. Vielleicht hat er seinen Ex ja inzwischen überwunden und will einen neuen festen Partner? Seit vier Monaten treffe ich mich nun schon mit ihm, länger als mit jedem anderen zuvor, und so langsam habe ich auch das Gefühl, er mag mich richtig. Oder tut er nur so, weil er mir heute so schutzlos ausgeliefert ist? Wer weiß ...
Ich entferne mich wieder und atme tief durch.
›Konzentriere dich ... das Spiel hat bereits begonnen!‹
Meine Jacke ist kalt und nass vom Regen, drum gehe ich zurück in den Flur und hänge sie dort zum Trocknen auf. Dabei werfe ich einen Blick auf seine muffigen Klamotten und den speckigen Rucksack und rümpfe die Nase. Eines der frischen Handtücher schafft Abhilfe, indem ich es über seinen Kleiderhaufen lege und somit den Mief dämpfe.
Ich ziehe meine Schuhe aus und auch die Socken. Spüre den weichen Teppich zwischen den Zehen und lockere meinen Schlips.
Stephan schnauft und wankt etwas auf dem Bett hin und her. Sein Ständer scheint ihm ziemlich zu schaffen zu machen, und der geile Anblick seines nackten, willigen Körpers ist auch für meine Selbstbeherrschung wie Kryptonit für Superman.
›Sicher ist es das Beste, wenn ich ihn noch etwas schmoren lasse und erst mal duschen gehe, bevor ich anfange ...‹
Trotz des Plans kann ich es mir nicht verkneifen, noch einmal zu ihm zu gehen und meine Fingerkuppen von seinem Nacken zwischen seine Schulterblätter, dann über seinen Rücken bis in seinen Pospalt wandern zu lassen. Sobald ich jedoch sein heißes, puckerndes Loch berühre, zuckt er zusammen. Ich streiche noch weiter hinunter, über seine Eier hinweg bis zu seiner Latte, die in meinem Griff aufwippt.
›Süßes, notgeiles, kleines Miststück.‹
Ich verpasse ihm einen leichten Klaps, direkt auf die Kuppe, und er stöhnt lustvoll gegen den Knebel in seinem Mund. Gleich darauf hält er mir wieder seinen Harten hin, damit ich das wiederhole.
›Oh ja ... das wird heute ein schönes Spiel.‹ [Fußnote 2]
ҳ̸Ҳ̸ҳ
›Wie konnte mir das nur passieren?‹
Geschockt starre ich auf die Augenbinde in meiner Hand, die ich ihm gerade versehentlich vom Kopf gezogen habe, dann in Stephans Augen und er in meine. Nicht zum ersten Mal, wie er feststellen muss. Ich bete innerlich, dass er mich vergessen hat, die Drogen oder der Wein sein Gehirn so aufgeweicht haben, dass er sich nicht an mich erinnern kann, doch dann, nach einigen Sekunden, lallt er genau das, was ich nicht hören will.
»Sie ... Sie sin’ dieser ... Krimi-Kriminalpullezist ! Der uns zum Verschwinn’en vonem obdachlosen Typen ausse’fracht hat! Keller ... nein ... Kiel ! Genau! Sie sind Kriminalkommissar Kiel
›Verdammte Scheiße! Wie kann er dermaßen besoffen sein und mich trotzdem erkennen?‹
Fast schon panisch springe ich auf, lasse den angeketteten Stricher auf dem Bett zurück und flüchte ins Bad, um mich zu beruhigen.
›Fuck! Fuck! Fuck! Fuck!!!
Kopflos zerre ich mir die Muskelattrappe aus Silikon vom Leib, die ich mir in Form eines Longshirts gekauft habe, damit meine Spielpartner meine hagere Figur nicht ertasten können. Jetzt nimmt sie mir jedoch die Luft zum Atmen. Kurz darauf hocke ich mich in die Ecke und fahre mit beiden Händen über die Schweißperlen auf meiner Glatze.
›Was soll ich nur tun? Was soll ich nur tun, verdammt? Denk nach! Denk nach!‹
»Ey!«, höre ich Stephan plötzlich aus dem Schlafzimmer rufen und zucke zusammen. »Machen Sie misch los un’ lassen Sie misch jehn! Isch ... mir is ... is escht nisch gut ... isch werd’ nieman’ was erzähl’n, ich versprech’s!«
Anscheinend hat der Bengel nun selber bemerkt, dass es ziemlich dumm von ihm war, mir zu sagen, dass er weiß, wer ich bin.
»Ja, ja, gleich! Ich zieh mich nur eben an!« Hektisch laufe ich von einer Seite des Badezimmers zur anderen. Ich muss meine Gedanken sortieren, muss einen halbwegs klaren Kopf bewahren.
›Der Mistkerl ist schlau. Sobald der rafft, in was für einer beschissenen Situation ich mich jetzt befinde, wird er sie für sich nutzen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher! Verdammt! Ich bin doch gerade erst zum Kriminalhauptkommissar befördert worden! Ich kann mir die Karriere nicht von so einem elendigen Stricher versauen lassen!‹
»Ey!!!«, brüllt Stephan plötzlich, denn wahrscheinlich bekommt er jetzt ebenfalls Panik. »Mach misch los!«
›Er ist zu laut! Die anderen Gäste werden ihn hören! ... Der Knebel ... auf dem Teppichboden!‹
Sofort weiß ich, dass ich ihm das Ding wieder reinstecken muss! Eilig ziehe ich mir die Unterhose hoch, verlasse das Bad, schnappe mir den Gummischwanz mit Riemen und gehe schnellen Schrittes auf ihn zu. Als Stephan sieht, was ich in der Hand halte, will er losschreien, aber da hab ich ihm das Teil schon wieder in den Mund gestopft. Mit voller Kraft brüllt er nun dagegen, doch ich zurre ihm die Riemen des Prügels so fest wie möglich um seinen Hinterkopf und schließe sie dort.
»Halt einfach die Klappe!«, fahre ich ihn an. »Ich muss nachdenken!«
Einen Moment beobachte ich ihn. Seine unkontrollierten Zuckungen, seine aussichtslosen Versuche, sich durch Ruckeln zu befreien ... seinen nackten Arsch, der hemmungslos hin und her rudert.
›Er ist mir völlig ausgeliefert ...‹, kommt es mir in den Sinn. ›Ich ... könnte ihn umbringen und niemanden würde es kümmern!‹
Da ich selbst jahrelang in der Spurensicherung gearbeitet habe und alle Methoden kenne, mit denen man einen Mörder überführen kann, wäre es mir ein Leichtes, ihm das Leben zu nehmen, ohne dass irgendwer auf mich schließen kann. Mein Blick fällt auf die dicken Schweißbänder, die er sich vorm Anlegen der Ketten über die Hand- und Fußgelenke gestreift hat, genau so, wie ich es von ihm verlangt habe. Die Fesseln werden also keine Spuren auf seiner Haut hinterlassen.
›Ich hab ihn noch nicht gefickt ... und es wird auch keine Fesselspuren auf seiner Haut geben, wenn ich ihn befreie! Ich könnte ihm vorher sämtliche hochprozentigen Shots in den Arsch pumpen, die ich in der Minibar finde, und er würde ziemlich schnell an einer Alkoholvergiftung sterben! Sobald er bewusstlos ist, ziehe ich ihn an und setze ihn aufrecht in meinen Koffer, damit er später keine verräterischen Leichenflecken bekommt, und falls er vor seinem Tod noch kotzen sollte, ist selbst das Spritz- und Flussmuster seines Erbrochenen authentisch. Danach fahre ich ihn in meinem Koffer aus dem Hotel in die Tiefgarage, bringe ihn an den Rand der Stadt und setze ihn dort irgendwo in eine Seitengasse.‹
Plötzlich bekommt mein Schwanz einen erneuten Schub und fängt vororgasmisch an zu puckern.
›Ich kann ihn töten ... ich kann ihn töten und man wird mir nichts nachweisen können!‹
Mein Gesicht wird heiß. Der Gedanke daran geilt mich dermaßen auf, dass allein die minimale Reibung durch den Stoff meiner Unterhose fast schon ausreicht, um mich zum Abspritzen zu bringen. Stephans vehementes Brüllen und Wimmern tun dazu ihr Übriges und ich muss mich mehr als jemals zuvor zusammenreißen, ihn nicht doch noch zu ficken. Stattdessen reiße ich mich von seinem Anblick los, verschwinde im Bad und ziehe mir die Unterhose runter. Dann setze ich mich verkehrt herum auf die Kloschüssel und wichse. Nur sechsmal auf und ab, schon ziehen sich all meine Muskeln zusammen und ein dicker Flatscher landet im Porzellan.
Stephans Brüllen ist verstummt. Wahrscheinlich hat er bemerkt, was ich tue, und will mich nicht weiter aufgeilen. Stattdessen zappelt und windet er sich anscheinend ununterbrochen, denn die Ketten rasseln in einer Tour.
›Ich könnte doch noch etwas Spaß mit ihm haben ...‹ , kommt es mir in den Sinn. ›Wäre wirklich eine Verschwendung, ihn einfach nur zu beseitigen! Wenn ich ihn grob zerlege und in zwei, drei Koffern auf einer Müllkippe verteile, findet den niemand mehr! Oder ich verfüttere ihn an die Schweine im Mastbetrieb meines Cousins ...‹
Doch je mehr meine Geilheit abflaut, desto klarer und rationaler wird auch mein Verstand wieder.
›Nein. Ich darf kein Risiko eingehen! Ich halte mich an meinen ersten Plan und gut ist! Das ist der sicherste Weg!‹
Schnell ziehe ich mich an, ignoriere meinen wimmernd rotzenden Gefangenen auf dem Bett und laufe direkt zur Minibar auf der anderen Seite des Raumes. Dort nehme ich die kleinen Flaschen Whisky, Gin und Rum heraus sowie den restlichen Wein und Sekt zum Nachspülen und stelle meine Utensilien auf den Tresen.
›Ob das reicht ...? Ja, das muss reichen! Außerdem geht der Alkohol ungefiltert ins Blut über und der Bengel ist ja so schon in keiner guten Verfassung!‹
Gerade will ich mit meinen Vorbereitungen anfangen, da höre ich plötzlich etwas brummen.
›Was ist das?‹
Zuerst vermute ich, irgendeiner meiner Dildos hätte sich mal wieder im Koffer verselbstständigt, doch dann sehe ich, wie sich etwas ganz leicht unter dem Handtuch bewegt, das ich auf Stephans Rucksack geworfen habe.
›Das ist sein Handy. Er wird angerufen! Scheiße! Was, wenn er jemandem gesagt hat, wo er hingeht? Schlimmstenfalls sogar noch in welches Hotel oder die Zimmernummer?‹
Panisch reiße ich das Telefon aus seinem Rucksack und schaue aufs Display, worauf mich fast der Schlag trifft.
›Alexander Enders? Nein! Das kann doch unmöglich -‹
Hastig checke ich die Nummer meines Arbeitskollegen auf meinem Smartphone und stelle fest, dass es tatsächlich seine ist.
›Fuck!!! Natürlich! Dieser Wichser hat damals die erste Zeugenbefragung bei diesem verdammten Stricher gemacht! Daher kennen die sich!‹
Enders gibt auf, die Vibration verstummt, doch noch während ich überlege, was ich jetzt tun soll, geht eine Nachricht auf Stephans Mailbox ein. Mit zitternden Händen höre ich diese ab und erkenne die Stimme meines größten Konkurrenten.
»Hey Stephan, ich bin’s. Hör zu, ich ... ich wollte dir nur sagen, dass ich deine Entscheidung respektiere und nicht sauer bin. Wirklich nicht! Das Geld ist mir egal, aber du bist es nicht! Also ... die Nächte werden immer kälter, und wenn du irgendwann mal nicht weißt, wo du schlafen sollst ... oder Probleme hast ... dann melde dich einfach, ja? Ich werde dich jetzt nicht mehr anrufen und auch keine Nachrichten mehr schreiben. Ich will nur, dass du weißt, dass dir meine Tür immer offen steht. Also ... bis dann.«
›Wow ... wie jämmerlich! So niedergeschlagen hab ich den Kerl ja noch nie gehört!‹
Erfreulicherweise hört sich seine Nachricht wirklich so an, als hätten die beiden schon länger keinen Kontakt mehr gehabt, aber da fällt mir plötzlich etwas ein.
›Natürlich! Der kleine Pisser hat doch erzählt, er hätte eine komplizierte Beziehung hinter sich und sei gerade erst vor einer Weile von seinem alten Lover abgehauen! Das war Enders, verdammt!‹
Sofort wähle ich den Nachrichtenspeicher aus, finde dort unzählige SMS von meinem Kollegen und eine klingt verzweifelter als die andere. Die letzte ist knapp anderthalb Monate her, danach kamen nur noch nicht entgegengenommene Anrufe. Ehrlich gesagt hätte ich nie gedacht, dass mein meist unerschütterlicher, ja fast schon stoischer Kollege schwul sein könnte, aber das macht ihn auch nicht sympathischer – im Gegenteil! Zu wissen, dass er Stephan vor mir hatte, lässt mich fast würgen! Doch dass er sich in diesen kleinen, methsüchtigen Stricher derart verliebt hat und ihm noch hinterher jammert, während ich ihn schon regelmäßig gebumst habe, verschafft mir ein richtiges Siegesgefühl!
›Du machst dir also Sorgen um deinen kleinen Liebling, hm? ... Willst ihn in Sicherheit wissen oder aber, dass er im besten Fall irgendwann zu dir erbärmlichem Schlappschwanz zurückkommt!? Tja ... zu schade!‹
Grinsend nehme ich den Akku und die Speicherkarte aus dem Handy, ehe ich die Einzelteile in der Tasche meiner Jacke verschwinden lasse. Entschlossen drehe ich mich um, gehe zum Tresen und nehme mir von dort die kleinen Spirituosen. Als ich mich Stephan nähere, steigt mir ein ekelhafter Geruch in die Nase. Ich befürchte fast, dass er das Bett vollgeschissen haben könnte, doch sein Arsch ist halbwegs sauber. Nach einem Schritt näher ans Bett sehe ich, dass der Gestank von widerlichem, gelben Brockenschleim kommt, der um den Knebel hervorquillt. Jetzt bemerke ich auch, dass Stephan sich nicht mehr bewegt.
›Scheiße! Der ist tot!‹
Der kleine Wichser hat gekotzt und ist daran erstickt, weil sein Erbrochenes nicht herauskonnte.
›Vielleicht hab ich ihm den Knebel ein bisschen zu tief reingeschoben ... na ja, auch egal!‹
Gleichgültig schließe ich den Flurschrank auf, ziehe meinen faltbaren 160 Liter Koffer heraus, öffne ihn und hole meine Lederhandschuhe daraus hervor. Dann löse ich Stephans Kettenfesseln und entferne die Schweißbänder, bevor ich ihm zügig seine Klamotten überziehe. Er muss in hockender Position im Koffer sein, noch ehe die Leichenstarre einsetzt, also Beeilung! Nachdem ich ihn dort hineinverfrachtet habe, ziehe ich den Reißverschluss zur Hälfte zu, wuchte Koffer samt Inhalt in die Senkrechte und löse erst dann den Knebel, damit sich die Kotze in einem natürlichen Verlauf über seine Sachen verteilt. Schnell schließe ich den Koffer, damit ich alles, was noch kommt, nicht mehr riechen muss. Selbstverständlich werde ich den Bengel nicht jetzt sofort transportieren, sondern morgen früh, gegen vier Uhr, wenn alle Gäste schlafen und auch keine Angestellten mehr durch die Hotelflure wuseln.
›Bis dahin habe ich Zeit, das Hotelzimmer aufzuräumen, alles sauberzumachen und meine restlichen Sachen ins Auto zu schaffen. Mit dem Fahrstuhl kann ich direkt zum Parkhaus im Keller fahren und ihn dann mit dem Auto an die Stadtgrenze bringen. Dort setze ich ihn in irgendeine Ruine oder in einen stillgelegten U-Bahn-Schacht, wo es möglichst viele hungrige Ratten gibt, und lade den Koffer samt allem, was verräterisch sein könnte, direkt auf dem Rückweg auf einer Müllkippe ab.‹
Ich lache in mich hinein und nehme noch sein spärlich bestücktes Portemonnaie aus seinem Rucksack, welches ich ebenfalls in meine Jacke stecke, um es später in den Müll zu werfen.
›Selbst wenn ihn nach Wochen oder Monaten jemand findet und die Polizei aus dem Bezirk ein paar Kollegen zur Spurensicherung bestellt, werden die nichts anderes mehr feststellen können als das, was mit Alkohol, Chrystal Meth oder seiner eigenen Kotze zu tun hat. Er ist ein Junkie ... vermutlich werden sie nicht einmal genauer nachforschen, und bis zu unserer Direktion wird die Nachricht von seinem Tod auch nicht dringen. Schon gar nicht ohne Ausweis!‹
Überzeugt, den perfekten Plan zu haben, sammle ich meinen Kram zusammen und beginne damit, alles restlichen Spuren zu beseitigen und das Bettlaken auszuwaschen.