Johanna Dombois

Kein Schwank

Der nachstehende Dialog zwischen einem Vertreter der freien Theaterszene (hier: »Der Bettler« genannt) und zweien des institutionellen Theaterbetriebs (hier: »Der Betriebler 1«, »Der Betriebler 2«) liefert eine Momentaufnahme dessen, was im theaterpolitischen Fachjargon gegenwärtig unter »Kommunikation« verstanden wird. Das Gespräch verläuft wechselweise telefonisch und e-mail-postalisch.

*

DER BETTLER [per Mail]: »Hallo lieber Herr K., ich bin zurück, hörte auch schon von R., dass Ihre Veranstaltung neulich sehr schön gewesen sein soll! Konkret wollt’ ich fragen: Können wir für die nächsten Tage einen 10-minütigen Telefontermin ausmachen? Frau Kr. sagte mir, dass Sie zur Zeit arg in Proben stecken. Es geht um Brechts Antigone (UA: 1948, Chur), speziell um den Prolog. Kerngedanke der Regie: Wo ist Brechts Werk heute? Danke im voraus für eine Rückmeldung und schönen Gruß, Ihr [Unterschrift].«

DER BETRIEBLER 1 [ per Mail]: »Lieber Herr G., wir können gerne telefonieren, aber ich weiß jetzt schon, dass mich Ihre Frage überfordern wird. Klingt eher nach einer Aufgabe für einen Theaterwissenschaftler, so über Werke reden, nicht? Herzliche Grüße, [Unterschrift].«

DER BETTLER: »Aber nein, nein! Es ist etwas durch und durch Theaterpraktisches! Bzw. ist es halt etwas für’s ›Theater des wissenschaftlichen Zeitalters‹, nicht wahr ... Aber gut, wann telefonieren? Wollen Sie etwas vorschlagen? Ich kann mich heute ab ... nach Ihnen richten, Anfang nächster Woche auch. Herzlichen Gruß Ihres [Unterschrift].«

DER BETRIEBLER 1: »Dann lieber nächste Woche. Dienstag zwischen 10 und 12. Meine Mobilnummer ist ..., ggf. kann ich Sie vom Festnetz zurückrufen. Beste Grüße, [Unterschrift].«

Die nächste Woche, Dienstag, 11 Uhr

DER BETTLER [per Telefon]: »Hallo, Herr K.! Hier ist G., grüße Sie.«

DER BETRIEBLER 1 [per Telefon]: »Hm.«

Schweigen

DER BETTLER: »Herr K., sind Sie da? Haben Sie denn jetzt Zeit?«

DER BETRIEBLER 1: »Hm, ja.«

Schweigen

DER BETTLER: »Nun, ich – – Also sagen Sie, darf ich das kurz fragen, ist es bei Ihnen üblich, an Wissenschaft zu denken, wenn der Name Brecht fällt? Fand ich ja ulkig.«

DER BETRIEBLER 1: »Nee. Ach, ich dachte halt nur, ›Brecht‹, ›Prolog‹, ›1948‹, ›Uraufführung‹, das klang alles so trocken.«

DER BETTLER: »Ah.«

Kurze Pause

DER BETTLER: »Jedenfalls rufe ich heuer in eigener Sache an. Ich habe gerade etwas Geld bekommen für die szenische Umsetzung des Prologs aus Brechts Antigone, ca. 10 Minuten Spielzeit, 1 Sprecher, 2 Statisten. Aus inhaltlichen und historischen Gründen möchte ich, ...«

In der Leitung Geräusch von Türenschlagen

DER BETTLER: »... dass dies im Uraufführungsraum im ehemaligen städtischen Theater Chur stattfindet. Da ist heute eine Filiale der Cinema-SuperStore AG beherbergt. Als ich den Ort das erste Mal sah, da war mir klar, hier ist genau wieder so ein ›Schauplatz barbarischen Opferkults‹, von dem Brecht seinen blinden Seher sprechen lässt. Kurz, es geht um Intervention im Brechtschen Sinn. Und weil Brecht selbst dies damals alles mit Schauspielern und Dramaturgen Ihres Hauses erarbeitet hat, war nun meine Überlegung, ob Sie nicht Interesse ...«

Computergeräusche. Pause.

DER BETTLER: »Herr K.? Hallo?«

DER BETRIEBLER 1: »Yes, sorry, bin schon wieder da!«

DER BETTLER: »Also laut Jury darf ich mir das Team zu dieser Aktion aussuchen. Ich könnte jedes nehmen, würde es aber gern mit Akteuren Ihres Hauses machen. Es hätte eine spezielle Dynamik, theatergeschichtlich.« DER BETRIEBLER 1: »Ja, da kann ich jetzt weiter nichts zu sagen. Ich bin ja weg, ab der nächsten Spielzeit weg. Die Planungen macht dann die Chefin Frau Sch. Am besten schreiben Sie Ihr eine Mail.«

DER BETTLER: »Ach so, Herr. K., ja schade. Aber können Sie mir nicht die Telefonnummer von Frau Sch. geben? Das E-Mail-Zeitalter frisst doch seine eigenen Kinder, und ich möchte nicht ...«

DER BETRIEBLER 1: »Kennen Sie Frau Sch.?« DER BETTLER: »Nein.«

DER BETRIEBLER 1: »Dann kann ich Ihnen auch die Telefonnummer nicht geben.«

Schweigen

DER BETRIEBLER 1: »Oder Sie rufen Frau Kr. an. Die macht die Termine.« DER BETTLER: »Bon. Vielleicht haben Sie noch mal die Durchwahl für mich?«

DER BETRIEBLER 1: »Äh – – ich glaube es ist ... Aber rufen Sie am besten die Zentrale an.«

DER BETTLER: »Danke. Auf Wiederhören.«

DER BETRIEBLER 1: »Tschüßi, bis später dann.«

Eine halbe Stunde später

DER BETTLER [per Telefon]: »Hallo, guten Tag, G. mein Name. Herr K. hat mich an Sie vermittelt. Ich würde gern einen Termin mit Frau Sch. ausmachen.«

DER BETRIEBLER 2 [per Telefon]: »Um was geht es?«

DER BETTLER: »Ja, ich – ich hatte es eben schon Herrn K. erzählt, ich möchte...«

DER BETRIEBLER 2: »Ich denke, es ist besser, Sie schreiben mir eine E-Mail, in der Sie kurz darstellen, was Sie wünschen. Die leite ich dann an Frau Sch. weiter, und wir schauen, wie wir einen Termin hinkriegen.« DER BETTLER: »Sprechen wir über einen Telefontermin? Nur dass ich es recht verstehe. Ich bin nächste Woche auch in der Stadt. Wäre ein Treffen vor Ort nicht das Einfachste?«

DER BETRIEBLER 2: »Schreiben Sie erst. Das andere sehen wir dann. Auf Wiedersehen.«

Eine weitere halbe Stunde später

DER BETTLER [per Mail]: »Liebe Frau Kr., sehr geehrte Frau Sch., ich sprach eben mit Herrn K. (der mich damals zu Ihrer ...-Veranstaltung eingeladen hatte, allein die Kalender waren gegen uns) über ein kleines Projektvorhaben, in dem ich mich mit dem Prolog aus Brechts Antigone beschäftigen will. Er wies mich an Sie weiter. Et voilà, hier meine Mailanfrage:

Aus einem Gastkünstleraufenthalt in Palermo ist eine Auseinandersetzung mit der thebanischen Trilogie des Sophokles entstanden. Für ein erstes Konzept dazu habe ich gerade einen Theaterpreis gewonnen, und beginnen will ich mit o.g. Prolog in der Brechtschen Bearbeitung. In principe kann ich mir gemäß den Jury-Vorgaben die Schauspielcrew (1 Sprecher, 2 Schweigepartien) dafür aussuchen, würde es aber zu gern Ihnen anbieten, weil Brecht ’I8 für die Sa in Bhur ebenfalls mit Ihrem Naus zusammengearbeitet hat. Für mein Inszenierungskonzept sind derlei Verbindungen relevant. Näheres gern fernmündlich oder vis-à-vis. Frage an Sie: Ist diese Woche ein Telefontermin für Sie machbar, optional nächste Woche zw. dem ... und ... ein Treffen vor Ort in ...? Naben Sie vielen Dank für eine Rückmeldung. Mein Mobilkontakt: ... Mit schönen Grüßen, [Unterschrift].«

Am Nachmittag

DER BETRIEBLER 2 [per Mail]: »Lieber Nerr G., ich habe Frau Sch. Ihre Anfrage weitergeleitet und mit ihr darüber gesprochen. Leider muss ich Ihnen jedoch mitteilen, dass wir mit unserer Planung für die kommende Saison sowohl technisch als auch dispositionell bereits ausgelastet sind, so dass Frau Sch. leider keine Möglichkeit sieht, Ihr historisches Projekt an unserem Naus zur Aufführung zu bringen. Es tut mir leid, Ihnen keine erfreulichere Mitteilung machen zu können. Ich bedanke mich jedoch für Ihr Interesse an unserem Haus und wünsche Ihnen viel Erfolg mit dieser interessanten Untersuchung! Herzliche Grüße aus ... [Unterschrift], [Signature 1], Mitarbeiterin Dramaturgie, [Signature 2].«

In der Nacht

DER BETTLER [per Mail]: »Liebe Frau Kr., - ??? - Normalerweise würde man jetzt schreiben: Besten Dank für die schnelle Rückmeldung. Im vorliegenden Fall jedoch sag ich: Das war mehr als schnell, dafür weniger als eine Rückmeldung, Dank insofern nur unter folgendem Vorbehalt. Erstens: Woher wissen Sie, dass mein Projekt ›interessant‹ ist? Ich habe es Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Zweitens: Ebenso wenig sprach ich von einer ›nächsten Spielzeit‹ oder ›Aufführung an Ihrem Haus‹. Sind da also nicht, Verzeihung, ein paar Standardrepliken aus einer falschen Schublade gerutscht? Theater jedoch ist verwundet bis ins Mark, wenn Dramaturgieabteilungen Werke und Künstler von sich fernhalten mit einer Schreibe, die dem Setzkasten entnommen ist und Börsenmakler beschämen würde. Brecht hätte es sinngemäß ›entfremdete Sprache‹ genannt, z.B. im Prolog zu Antigone. Drittens: Dass Sie unsereins nicht einmal die Möglichkeit eines 10-minütigen Telefonats - jeder Abonnent bekommt mehr Vermittlungszeit - einräumen, allzumal wir Geld für diese winzige, 5-minütige Modell-Intervention mitbringen, das ist stark. Und: trostlos über’s persönliche Sentiment hinaus. So was macht einen zweifeln am Kommunikationswillen des Theaters schlechthin. Und so fragen wir: Finden Sie nicht auch? Mit freundlichen Grüßen, [Unterschrift].«

Eine Antwort ist man uns schuldig geblieben.

Ob die Rollen des Bettlers und der Betriebler nicht gegeneinander vertauscht gehörten L wer gibt und wer nimmt? L, bleibt desgleichen eine Frage an den Äther.