Auf keinen Fall!

Was ich kann, das kann ich.

Und was ich kann, das mache ich richtig gut.

Ich mache meine Arbeit so gut,

dass meine Kollegen mich inzwischen

Mister Unkraut nennen.

Ich nehme es ihnen nicht übel.

Es stimmt ja: Ich bin der Fachmann für Unkraut.

Ich kann stundenlang auf den Knien kriechen.

Das tut mir nicht weh.

Andere haben Rücken-Schmerzen.

Ich nicht.

Andere haben Knie-Schmerzen.

Ich nicht.

Ich fasse Disteln und Brenn-Nesseln an.

Das macht mir nichts aus.

Ich rieche die Erde.

Ich sehe die Pflanzen.

Ich unterscheide.

Ich entscheide:

Was bleibt? Was muss weg?

Ich durfte in meinem Leben

noch nie etwas so Wichtiges tun.

Noch nie hatte ich die Freiheit der Entscheidung.

Noch nie durfte ich selber entscheiden.

Und dann auch noch danach handeln.

Aber vor dem Entscheiden kommt das Erkennen.

Ich muss ja Unkraut erkennen können.

Was ist denn der Unterschied

zwischen guten Pflanzen und schlechtem Unkraut?

Ich will das wissen.

Ich will das lernen.

Unkraut sät sich heimlich ein.

Es versteckt sich.

Unter Blumen und Blättern.

Unkraut, das sind Pflanzen, die von ganz alleine wachsen.

Irgendwie schlagen sie sich durch.

Unkraut wächst im Dunkeln.

Unbemerkt.

Zwischen Steinen und Wegen.

Unter Büschen und Bäumen.

Ganz ohne Ansprüche.

Mit nur wenig Wasser.

Und eines Tages kommt das Unkraut ans Licht.

Dann will es sich Platz verschaffen.

Denn jede Pflanze will wachsen.

Auch Unkraut setzt sich durch.

Oder es wird plötzlich herausgerissen.

Denn keiner will es haben.

Unkraut stört.

Als ich in den Büschen krieche,

spüre ich zum ersten Mal den Wunsch,

etwas lernen zu wollen.

Ich will alles über Pflanzen lernen.

Alles über Unkraut.

Und alles über den Unterschied

zwischen guten und schlechten Pflanzen.

Man muss das wissen,

um richtig handeln zu können.

Der Vorarbeiter zeigt mir,

was ich ausreißen soll.

Er hat Geduld mit mir.

Nur einmal ist er sauer.

„Mensch, Jakob“, sagt er,

„die Distel steht unter Natur-Schutz.

Die darfst du nicht einfach ausreißen.“

Ich schaue auf meine dreckigen Hände und sage:

„Ich dachte, alles muss weg,

was sticht oder brennt.“

„Nein“, sagt der Vorarbeiter.

„Unkraut sind Pflanzen, die unerwünscht sind.

Wenn sie in einem Beet wachsen.

Zwischen dem Salat.

Oder auf dem Acker, zwischen den Kartoffeln.

Oder in einem schönen Garten, wo sie den Blick stören.

Die Leute wollen schöne Blumen sehen.

Und kein grünes, wildes Zeug dazwischen.“

„Und wer bestimmt, was gut oder schlecht ist?

Oder schön oder hässlich?“, frage ich.

Der Vorarbeiter kratzt sich am Kopf.

„Die Bauern, die Reichen und die Umwelt-Schützer.“

„Aha“, sage ich.

„Deshalb sollte ich also die Distel nicht ausreißen.

Ich habe sie wieder eingepflanzt.“

Der Vorarbeiter nickt.

Dann grinst er.

„Es gibt auch Super-Unkräuter.

Pflanzen, die man einfach nicht kaputt kriegt.

Durch kein Gift.

Durch kein Spritz-Mittel.

Wahrscheinlich sind das

die gesündesten Pflanzen überhaupt.

Aber jetzt haben wir genug geredet.

Wir machen jetzt Feierabend, Jakob.“

Danach bin ich dann sehr vorsichtig geworden.

Mit dem Ausreißen.

Alle sind zufrieden mit mir.

Aber eines Tages will mich plötzlich

der Chef sprechen.

„Herr Gärtner“, sagt er,

„Sie sind uns aufgefallen.“

Sofort wird mir schlecht.

Die haben was gemerkt.

War ich denn nicht vorsichtig genug?

Ich habe doch kaum mit den anderen gesprochen.

Woran sollen sie was gemerkt haben?

In meinen Händen spüre ich Schweiß.

Ich starre auf meinen Ehering.

Laura, denke ich.

Sie dürfen Laura nichts erzählen.

Wahrscheinlich werde ich jetzt rausgeschmissen.

Weil sie es gemerkt haben.

Aber Laura sollen sie da raushalten.

Laura darf es nie erfahren!

Der Chef steckt sich eine Zigarette an.

„Wir sind sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit,

Herr Gärtner.“

Er sieht mir in die Augen.

Das macht mich noch nervöser.

Ich traue keinem, der mit mir zufrieden ist.

Und keinem, der mir in die Augen sieht.

Das kenne ich nicht.

Das bin ich nicht gewohnt.

Ich warte immer auf die Ohrfeige.

Nie geht etwas gut aus in meinem Leben.

Nur so kenne ich das.

So bin ich das gewöhnt.

„Wir möchten Sie befördern, Herr Gärtner.

Sie sind fleißig und zuverlässig.

Sie quatschen nicht unnötig bei der Arbeit.

So Leute wie Sie, die brauchen wir.

Ich habe den Vertrag schon vorbereitet.“

Der Chef drückt mir drei Seiten Papier in die Hand.

„Sie brauchen nur noch eine Fortbildung.

Und den Führerschein für die Maschinen.

Die Kosten übernehmen wir.

Aber nur, wenn Sie den Vertrag unterschreiben.

Ich muss ja sicher sein, dass Sie auch bei uns bleiben.“

Umfallen! Ohnmächtig werden!

Ich möchte jetzt einfach umfallen.

Wie komme ich nur raus,

raus aus dieser Scheiße hier?

Ich will keine Beförderung!

Die sollen mich in Ruhe lassen!

Was soll ich denn jetzt tun?

Was soll ich denn jetzt sagen?

„Kann ich mal aufs Klo, Chef?“

Er lacht.

„Damit hatten Sie wohl nicht gerechnet.

Mit so einer schönen Überraschung, nicht wahr?“

Ich gehe raus und laufe zur Toilette.

Mir ist schlecht vor Angst.

Und vor Ratlosigkeit.

Ich muss mich übergeben.

Auf keinen Fall will ich die Beförderung.

Ich müsste dann das Material bestellen.

Den Dünger, die Spritz-Mittel, die Werkzeuge.

Ich müsste dann Zettel ausfüllen.

Berichte schreiben.

Ich kann das doch gar nicht!

Aber ich kann doch auch nicht sagen,

dass ich das nicht kann.

Eine Fortbildung machen …

Ich denke an die Schule:

Schule, scheitern, Scheiße!

Nie wieder werde ich in eine Schule gehen!

Nie wieder!

Ich schließe mich hier ein.

Und ich werde sterben.

Hier auf diesem dreckigen Gärtner-Klo.