J.d.K. 987, am späten Abend des sechzehnten Tages im zwölften Mondzyklus, Königreich Noweiten
Derio und seine Gefährten hatten die große Ehre, einer spätabendlichen Besprechung zwischen König Torvin und seinen Verbündeten beiwohnen zu dürfen. Der Regent von Noweiten repräsentierte die Kaiserliche Nordarmee, der sich Zwerge und Elfen nicht offiziell unterordnen wollten. Somit hatte man diese Runde kurzerhand Nordallianz getauft. Als Versammlungsort dieser Allianz diente das geräumige Kommandozelt des Königs.
Derio fand das ganze ein wenig obskur, da das Kaiserreich zusammen mit Söldnern, die aus der kaiserlichen Schatulle bezahlt wurden, mehr als neun Zehntel der Soldaten zu dieser sogenannten Allianz beisteuerte. Aber vermutlich war das ganze Brimborium notwendig, um die, wenn auch eher kleinen, Beiträge der Verbündeten im Kampf gegen die Diener S’zarozs zu sichern.
Die Zwerge hatten immerhin drei Hundertschaften ihrer besten Krieger geschickt und waren hier am Tisch durch einen graubärtigen Vizekönig vertreten. Narben im Gesicht des alten Zwerges zeugten davon, dass er über Jahrzehnte hinweg so manche Schlacht überlebt hatte.
Die Elfen hatten leider nur wenige Dutzend ihrer legendären Langbogenschützen geschickt. Die schiere Zahl wäre fast schon eine Beleidigung gewesen, aber aufgrund ihrer überlegenen Reichweite und Treffsicherheit entsprach ihr militärischer Wert gut zwei Hundertschaften kaiserlicher Schützen.
Das geheimnisvolle Volk der Elfen wurde in dieser Versammlung der Nordallianz durch einen Lichtgeweihten vertreten. Derio hatte noch nicht herausfinden können, ob der Titel eher einem Meister der weißen Magie oder einem Chandoriapriester entsprach. Die Gesichtszüge des blonden Elfen waren ebenmäßig, aber seine braunen Augen voller tiefgründiger Lebenserfahrung, so dass sich sein Alter unmöglich schätzen ließ.
Außerdem war noch ein hochdekorierter General der Kaiserlichen Armee anwesend, der grimmig zur Rechten des Königs hinter einem Stapel aus Pergamenten hockte.
Der charismatische Menschenkönig ergriff als erster das Wort. »Zunächst möchte ich im Namen des halbgöttlichen Kaisers unseren Verbündeten danken. Elfen und Zwerge standen treu an unserer Seite. Das Böse ist von uns gemeinsam zurückgeschlagen worden.«
Derio strich sich nachdenklich durch den Bart. Der Dank war eher zurückhaltend formuliert, was in der daunenfederweichen Sprache der Diplomatie einer herben Kritik entsprach. Der König war vermutlich verstimmt, weil der Beitrag von Zwergen und Elfen eher gering ausgefallen war.
»Dennoch ist das Böse lange nicht besiegt«, fuhr Torvin von Noweiten fort. »Der Dunkle Herrscher ist noch am Leben. Die meisten seiner Magister der schwarzen Magie sind es ebenfalls. Und auch aus den Reihen der feindlichen Soldaten ist nicht mehr als jeder Zweite gefallen. Wir müssen die Gelegenheit beim Schopfe packen, das Böse ein für alle Mal mit Stumpf und Wurzel auszurotten.«
Der General räusperte sich bedächtig. »Auch wir haben ein Drittel unserer Männer und Frauen verloren. Und ein Feldzug bei diesem Wetter ist eine immense logistische Herausforderung, gelinde gesagt. Manch einer würde gar von einer Verrücktheit sprechen und …«
»Manch einer sitzt hier nicht am Tisch«, unterbrach König Torvin seinen General harsch. »Für die Strategie, dieses Schwarzmagierpack und die Orkbrut vollständig auszumerzen, habe ich die volle Rückendeckung des halbgöttlichen Kaisers und seiner engsten Berater. Wir haben den Säbel der zehn Götter an der Spitze unserer Armee – eine historische Chance für die Mächte des Guten. Ich persönlich werde die Nordarmee zum Sieg führen.«
Für einen kurzen Moment herrschte Stille im Zelt. Niemand wagte, König Torvin zu widersprechen. Nur der Lichtgeweihte der Elfen strich sich in einer seltsam unbeteiligten Geste eine Strähne blondes Haar aus dem Gesicht.
Auch Derio sinnierte still über die Tragweite dieser Entscheidung. Der König hatte insofern Recht, dass sich solch eine Gelegenheit dem Kaiserreich in den letzten tausend Jahren überhaupt nur zweimal geboten hatte – damals hatte das Reich jedoch eher zögerlich und defensiv agiert. Allerdings war Derio auch klar, dass die historische Dimension des Feldzuges nur ein schnöder, hässlicher Trost sein würde für all die Familien, deren Söhne und Töchter nicht aus dem Krieg zurückkehren würden.
»Kann ich, kann das Kaiserreich, hierbei auf seine Verbündeten zählen?«, fragte der Menschenkönig schließlich und hob erwartungsvoll eine Augenbraue.
»Einhundert meiner Männer sind bereits gefallen oder schwer verwundet«, brummte der langbärtige Vizekönig der Zwerge. »Warum? Weil die Zwerge treu zu ihren alten Bündnissen stehen und das Kaiserreich der Menschen mit ihrem Blut verteidigten. Zweihundert Zwergenkrieger bleiben mir noch – zwei Banner. Die eine Hälfte, meine mutigsten und stärksten Soldaten, wird zusammen mit den Kaiserlichen nach Norden ziehen. Die zweite Hälfte wird mit den schwer verwundeten Kriegern ins Zwergengebirge zurückkehren.«
König Torvin nickte grimmig. »Das sind zwar weniger Kämpfer als erhofft aber mehr als befürchtet. Außerdem werden wir noch Vorräte brauchen.«
»Die Stämme der Zwerge werden Planwagen nach Borburg und Nordwacht schicken. Jeweils eintausend Säcke voll Getreide. Der Winter wird hart und das ist das, was wir entbehren können.«
Gero kratzte sich am Kinn und räusperte sich. »Was nützen uns die Getreidesäcke in Nordwacht oder gar Borburg, wenn die Armee viel weiter im Norden kämpft?«
Der General rechts neben König Torvin wirkte amüsiert, wie nach einem guten Witz. »Einfachste logistische Übung. In dem Wissen, dass die Vorräte der Zwerge bald eintreffen werden, schicken wir eintausend Säcke von Borburg nach Nordwacht und zweitausend Getreidesäcke aus den dortigen Speichern der Armee hinterher.«
»Was ist mit den Elfen?«, brummte der Vizekönig der Zwerge. Es wurde mal wieder offensichtlich, dass die beiden Völker sich nicht besonders gut ausstehen konnten.
»Ich brauche nicht zu erwähnen, dass unsere Wälder viel zu weit weg sind, um Vorräte zu schicken. Ebenso ist unser Volk nicht so zahlreich wie Zwerge oder Menschen«, erläuterte der elfische Lichtgeweihte mit einer leisen Spur von Arroganz in Stimme und Mimik. »Außerdem sind unsere Bogenschützen Eis und Kälte nicht gewohnt – noch nie in diesem Jahrhundert lag Schnee in unseren Wäldern.«
»Feigheit«, zischte der Zwerg so leise in seinen Bart, dass man es fast überhören konnte – aber eben nur fast.
»Dennoch sind wir die, die S’zaroz und seine Diener am innigsten verabscheuen.«, fuhr der Elf fort, die Bemerkung des Vizekönigs völlig ignorierend. »Während unser Volk für die Schönheit und Perfektion steht, repräsentieren Orks und Schwarzmagier das exakte Gegenteil. Nur aus diesem Grund werden wir es ähnlich wie Zwerge halten: Die Hälfte unserer Kriegerinnen und Krieger folgen der Nordarmee gen Norden, während die andere Hälfte in Borburg ihr Winterquartier beziehen wird.«
»So sei es!« König Torvin strich über seinen modischen kurz geschnittenen Bart. »Gemeinsam werden wir diese Bastarde, die dem Dunklen Herrscher folgen, endgültig ausrotten.« An seinen General gerichtet fügte er hinzu: »Wer schwer verwundet ist, soll nach Nordwacht gebracht werden. Ansonsten will ich, dass jeder Mann und jede Frau aus der Nordarmee ins Herz des Feindes marschiert. Wir brechen im Morgengrauen auf.«