Es ist immer noch hell genug zum Schreiben

Es ist immer noch hell genug zum Schreiben. Nur kühl wird es. Im hellblaugrauen Himmel steht der gelb leuchtende Mond. Das Gelb und Rot der Bäume ist noch gut zu erkennen. Margot spielt mit dem Kind im Freien. Die Kleine geht seit heute allein und lacht. Ein großer Tag. Als Lilo die ersten Schritte machte, gab es großen Jubel im ganzen Haus, Freudengeheul von Margot, Freudengeheul von mir, und auch die Quartierfrau applaudierte, und später brachte sie Süßigkeiten. Aus dem Garten steigt Laubgeruch auf. Ich bin erstaunt. Es gibt keinen Augenblick ohne Verwunderung.

Margot kam mit dem Kind herauf, zog ihre Jacke aus und hängte sie über meinen Sessel, und schließlich setzte sie sich nieder. Das habe ich so gern, wenn sie neben mir sitzt, aber schreiben kann ich dann nicht mehr, da werden mir alle Striche schief. Sie saß neben mir, und ich sprach oft zu ihr, entweder ich fragte sie etwas, oder ich sagte, das muss ich noch aufnotieren. Und sie sagte, dass ich ruhig sein und schreiben solle, und sie sagte, vergiss nicht zu erwähnen, dass Lilo gehen kann. / »Ich habe es schon erwähnt«, sagte ich. / »Dann ist es gut.«

Margot fütterte das Kind, unter dessen Kinn sie ihr Taschentuch hielt. Nachher schrieb sie ebenfalls, Briefe, weil die ganze Welt wissen sollte, dass Lilo ihre ersten Schritte in einem Mietzimmer über einem Schweinestall in Mondsee gemacht hatte. Und wie viel Freude es bereite, dem Mädchen zuzusehen, wie es die noch unsichere Fähigkeit erprobte und sich nicht entmutigen ließ, wenn es hinfiel. / Von einem Stuhl zum andern. Vom Knie einer schreibenden Person zum andern Knie einer schreibenden Person. Und nochmals. / Es ist schade, dass man sich später nicht mehr erinnert, wie viel Freude einem Wiederholungen machten, als man klein war.

Als erstes schrieb Margot an ihre Mutter, dann an den Kindsvater. Er stand jetzt bei Memel. In seinem letzten Brief hatte er mitgeteilt, es sei bei ihm immer dasselbe, und vor allem sei es am Wasser schon furchtbar kalt, ab und zu fange es leise an zu graupeln, seine Hände seien steif, weshalb er mit Handschuhen schreibe. Gott sei Dank sei endlich etwas Winterkleidung herangebracht worden, so müssten sie nicht mehr ganz so sehr frieren, wo sie doch Tag und Nacht im Graben stünden in abgetretenen Wanderschuhen statt in Stiefeln undsoweiter. / Er schrieb, dass er von Lilo geträumt habe und dass Lilo ja scheint’s wirklich schon ziemlich erwachsen sei. Und dass Margot mit dem Kind vollauf zu tun habe, sei ihm natürlich recht, wenigstens komme sie dann nicht auf andere Ideen. Er habe hier Kameraden, die zu ihm sagten, eine Frau könne bei so langer Trennung nicht treu sein. Und wenn er über so Hänseleien erhaben sei und alles weit von sich weise, sagten sie, man habe schon Pferde kotzen sehen.

Ein schöner Ausspruch, was? Aber egal. / Heute schicke ich euch wieder etwas Geld. Verfüge frei darüber, liebe Margot, wer weiß, ob ich jemals etwas davon haben werde. Nütze es, mache Ausflüge, Reisen, kaufe, was man noch kaufen kann, und gestalte wenigstens dir und dem Kind das Leben besser.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich von solchen Zeilen hörte. Aber für mich war Margot seit Jahren der erste erfolgreiche Versuch, mein Glück zu korrigieren, und da wollte ich nicht schüchtern sein. Na ja, was kann man ändern?

Während Margots Mann seit bald einem Jahr keinen Urlaub gehabt hatte, tauchte zu Allerheiligen der Mann der Quartierfrau wieder auf, es hieß, er habe aus dienstlichen Gründen im Hinterland zu tun, die Firma habe volles Vertrauen in seine Zuverlässigkeit, Dinge müssten erledigt werden. / Vom Dinge-Erledigen war aber nicht viel zu sehen, es fiel nur auf, dass er, wie der Brasilianer es ausdrückte, mit besonderem Nachdruck den Mief seiner Ideologie verbreitete. Zum Glück verschwand er oft für Stunden im Keller des Hauses, wo er die dort eingelagerten Vorräte einer gründlichen Inventur unterzog.

Nach außen hin signalisierte der Lackierermeister weiterhin, dass er überzeugt war, seine Stunde sei nicht nur gekommen, sondern werde andauern. Dass nach Paris auch Belgrad zurückerobert war, die Rote Armee vor Warschau und vor Budapest stand, die Amerikaner und Engländer Anstalten machten, über den Rhein zu setzen, schien ihn nicht zu verunsichern. Dabei konnte, wer wollte, an einem Tag von der Ostfront an die Westfront fahren. Und ein Tag vergeht schnell. Und wie schnell erst eine Stunde. Die Stunde des Lackierermeisters war vorbei. Und die eiserne, unbeugsame, bockige Ehre, mit der er seine Positionen vertrat, hatten etwas Enervierendes. Zu Margot, die er beim Waschen der Windeln ansprach, sagte er, der F. habe auf der Welt viele Neider, aber was könne der arme F. dafür, dass er so gut sei und so viele Erfolge zu verzeichnen habe. Margot sei das Gesicht eingeschlafen.

Nachdem Dohm seine Zigarette zu Ende geraucht hatte, stieg er wieder hinunter in den Keller. Als Schlaumeier und Rückversicherer hatte er dort vor Jahren kistenweise Marseiller Seife eingelagert, zwischendurch dieses und jenes hinzugefügt, Rosinen aus Sarajevo und Waschpulver aus Sofia. Diesmal hatte er mehrere Kanister mit Sonnenblumenöl herangeschafft, was darauf schließen ließ, dass er nicht auf bessere Zeiten wettete, sondern Vorsorge traf, damit einem militärischen Zusammenbruch kein ökonomischer folgte.

Mir war unbehaglich in seiner Nähe. Wenn er mich sah, lächelte er verächtlich und schätzte mit einem kurzen Blick meine Unbedeutendheit ab. Einmal redeten wir, aber nur kurz, ziemlich einseitig, denn nach dem Vorfall mit dem Hund im Frühling hatte ich ihm nicht mehr viel zu sagen. Er seinerseits schien überrascht, dass ich noch hier war, er beanstandete meine Laxheit, und in der Hoffnung, dass er bald wieder abreiste, sagte ich, es bereite mir keine Freude, aber ich hätte den Einrückungsbefehl bereits in der Tasche. Das hörte er mit Genugtuung und erinnerte mich an meine heiligen Pflichten. Ich dachte, mit dem nächstbesten Eskimo, der mir begegnet, verbindet mich mehr als mit diesem Trottel.

Der Brasilianer gab sich, wie sich denken lässt, weniger Mühe, seine Abneigung gegen den Schwager zu verbergen. Man spürte deutlich, wie sehr die beiden einander hassten, schon am zweiten Tag gerieten sie aneinander, Gegenstand des Schreiduells war aber nicht Politik, sondern die Erschießung des Hundes. Irgendwann gingen beiden die Schimpfwörter aus, sie schnaubten nur noch, und für einige Sekunden standen sie einander wie Todfeinde gegenüber, bis sie wie auf Kommando kehrtmachten und in verschiedene Richtungen davonstapften. / Als sich der Brasilianer wieder beruhigt hatte, sagte er, sichtlich zufrieden, wie der Großidiot H. könne sich auch sein Schwager nicht damit abfinden, ein kleines Würstchen zu sein, daher die Boshaftigkeit. Er rieb sich genüsslich die Hände.

Oft saß ich wieder bei ihm im Gewächshaus, mit hoch aufragenden Knien, Zigarette im Mund, und hörte ihm beim Reden zu. Manchmal half ich ihm bei der Arbeit, auch dann zuweilen mit einer Zigarette im Mund, was er widerwillig duldete, weil er mich nicht wegschicken wollte. Er war auf meine Mithilfe angewiesen, denn es sah nicht mehr so aus, als habe er noch Kraft oder Willen genug, sich aus der Not herauszuarbeiten. Mit Schößlingen war er zwar ausreichend versehen, er hatte Blattsalat, Mangold, Karfiol und auch wieder einige Beete mit Orchideen. Aber wenn ihm niemand Gesellschaft leistete, schlief er schon Mitte des Vormittags auf der Hundedecke oder bei gutem Wetter in der Hängematte, eigensinnig und weltverloren, trotz der den See überfliegenden Bombergeschwader. Und die Schnecken, die in der Nacht zu Dutzenden aus den angrenzenden Wiesen ins Gewächshaus eingefallen waren, fraßen die jungen Salatpflanzen kahl.

Vielleicht fehlte es dem Brasilianer tatsächlich weniger an der nötigen Kraft als am nötigen Willen. Wie er seinen Panamahut trug, mit der Eleganz eines Eckenstehers, das war beachtlich. Und wenn er endlich ins Arbeiten gekommen war, führte er so gleichmäßige Bewegungen aus, wie nur jemand, der seine Arbeit kennt und währenddessen an ganz etwas anderes denkt. Und die Welt rings um ihn schien ihm ganz gleichgültig zu sein, und er hielt inne und bewegte sich für mehrere Minuten nicht.

Sein Zurück zur Natur ging mir auf die Nerven, aber er bestand darauf, jeder andere Weg sei ein Weg des Wahnsinns. Ich hörte es mir geduldig an. Wenn er jedoch, was nicht mehr ganz so oft geschah, auf Politik zu reden kam, legte ich die Platte mit den südamerikanischen Liedern auf, die ein Tenor zur Gitarrenbegleitung sang, und verlangte, dass der Brasilianer die Lieder übersetzte: Ich seh dich in allem, was die Farbe der Sonne hat und heiß ist. / Wir schauten einander an und lachten.

Im feuchten Erddunst stützte er sich auf seine Hacke: »Manchmal bräuchte ich ein wenig Zuneigung«, sagte er: »Ich will nicht pathetisch klingen. Meistens genieße ich meine Unabhängigkeit und fühle mich vollständig in meinem Alleinsein. Aber manchmal, wenn ich müde bin, wäre es schön, umarmt zu werden. Ich vermisse die Zuneigung mehr als den Süden. Vielleicht liegt es daran, dass es nie viel davon gab.« / Er lächelte entschuldigend. / Dann prasselte wieder ein Regenschauer auf das Dach des Gewächshauses, und wir setzten die Arbeit fort, während der Tenor ein neues Lied anstimmte: Ai, yoyo … ai, yoyo …

Am Dienstag gab es Rekordföhn, der Watteknie machte und Regungen des Herzens erzeugte zwischen Melancholie und Blutrausch. Blauester Himmel. Die Drachenwand war sehr nahe gerückt, der See unwahrscheinlich grün. Der Nachgeschmack der Auffindung von Nannis Leiche tat ein übriges zu der gefährlichen Mischung. Da half nur erhöhte Arbeitstherapie.

Mit dem Brasilianer schüttelte ich die letzten Äpfel vom Baum. Dann buken Margot und ich einen Apfelkuchen, statt Germ verwendeten wir Natrontabletten, die ihren Zweck erfüllten. Als ich das erste Stück aß, bügelte Margot Wäsche, der Geruch nach heißem Stoff und dünstenden Textilfarben verbreitete sich im Zimmer. / Wir redeten über ihren Mann, Margot entschuldigte sich, dass sie ihm nichts von mir schreibe und das Ende des Krieges abwarten wolle. Ich sagte, sie sei mir keine Rechenschaft schuldig. / »Das sehe ich nicht so«, gab sie zur Antwort. / Ich betrachtete die schlanke Gestalt der langhaarigen Frau. Ihre Brüste schwangen beim Bügeln sacht hinter der Bluse. Ihre schmalen knochigen Hände und ihre zu langen Arme schienen in der Befangenheit noch länger zu werden. Sie faltete ein Kleid von Lilo, die gerade mit ihren vom Kuchen klebrigen Fingern die Bettdecke schmutzig machte, als sie sich dort aufrichtete. Vom Bett aus beobachtete mich das Kind mit Neugier, es sah, dass ich nachdachte.

Und der Föhn rüttelte an den schon fast zur Gänze entlaubten Ästen des Kirschbaums. Und plötzlich erstarrten die Äste, als habe der Baum den Befehl erhalten, strammzustehen. Und da suchten mich die schwärzesten Vorstellungen heim, dass ich mit meinen gefälschten Befunden aufflog und nie mehr hierher zurückkehren würde, und Bilder überkamen mich so plötzlich, dass ich Schüttelfrost bekam und nicht mehr wusste, ob Nacht ist oder Tag oder etwas dazwischen, das nie wieder ganz wird.

Weiter weiß ich nicht mehr viel, nur, dass ich ein Pervitin nahm und mit Hühnerschritten zum Bett tappte, ich hatte dauernd das Gefühl, dass mir die Beine versagen. Margot erzählte mir später, dass ich mich hingelegt hätte und fast augenblicklich eingeschlafen sei. Wieder etwas Neues.

Jetzt sehe ich die Kaffeekanne auf dem Tisch stehen und daneben die kleine Metalldose mit dem Pervitin, Margot überprüft die Temperatur der Flasche für das Kind an der Wange, und ich frage mich, wie das alles zusammenpasst.

Margot gab Lilo die Flasche, und als die Flasche fast leer war, kotzte das Kind alles wieder heraus. Margot war so frustriert und erschöpft, dass sie in Tränen ausbrach. Sie sagte: »Wir sind offenbar alle am Ende unserer Kräfte.«

Kurz darauf gab es draußen wieder ein Schreiduell. Es bringt nichts, alle Details aufzuzählen, der Brasilianer und sein Schwager beschimpften einander, und zunächst hatte ich den Eindruck, es gehe um gesunde Ernährung und die Abträglichkeit des Rauchens. Der Brasilianer schwor bei seiner Liebe zur Sonne, die Zigarren, die er noch besitze, lieber in den Ofen werfen zu wollen, als sie Verbrechern zu überlassen, gegen die Nero, Tiberius und Caligula sittliche Größen seien. Er schimpfte auf alle Fleischfresser. Das schlimmste an seinem Gefängnisaufenthalt in Linz sei die dortige Industrie gewesen, woher ständig ein schrecklicher Pestgeruch gedrungen sei. Man habe das große Linzer Werk ganz richtig nach dem dicken Reichsmarschall benannt. Wenn sie dort wieder eine größere Partie faule Eier verarbeitet hätten, habe es so fürchterlich gestunken, als habe der fleischfressende Reichsmarschall einen Furz gelassen. »So riechen nur Fleischfresserfürze«, brüllte er.

Dohm schrie zurück, bestimmt habe man in der Mozartstraße noch eine verwanzte Pritsche frei, der Reformapostel sehne sich offenbar nach Linz zurück. Da schrie der Brasilianer, nach Rio de Janeiro sehne er sich, denn unter Menschen, die glaubten, dass sie von Haus aus was Besseres seien, wolle er nicht leben. Gobineau, der den Rassismus als Weltanschauung quasi erfunden habe, sei Gesandter am kaiserlichen Hof in Rio de Janeiro gewesen, und Gobineau habe das Land gehasst. Das sei das Allerschönste an Brasilien: »Herrenmenschen werden dort nicht glücklich.«

»Pfui Teufel!« / »Menschenschinder!« / »Negerkönig!« / »Möchtegernherrderwelt!« / »Totalversager!« / »Berufsverbrecher!« / »Arschloch!«

»Und eins will ich dir sagen, ihr Maschinenmenschen wollt mir unabhängig Gebliebenem das Leben nur schwermachen, weil ich euch daran erinnere, dass ihr vor langer Zeit auch frei gewesen seid. Geh doch zu deinem F., der dem grausigen Europäertum den letzten Ansporn zu Gewalt und Unvernunft gegeben hat, und kriech ihm in den Arsch, bis nur mehr die Stiefel herausschauen. Dann kannst du die Hacken ein letztes Mal knallen lassen, bis der F. sein Tröpflein abspritzt. Und dann soll dir der Teufel das Genick brechen.«

Für einen Moment war Ruhe. Margot und ich drängten uns im offenen Fenster. Etwas abseits auf dem Vorplatz stand die Quartierfrau, die Fäuste in die Seite gestemmt, darauf wartend, was noch kam. Der Lackierermeister schaute sich um, bestürzt, dass die zuletzt ausgestoßenen, derben Beleidigungen jemand mitangehört haben könnte. Er sah Margot und mich, und er sah das wie immer höhnische Lächeln seiner Frau. Da zog er die Pistole und drückte dem Brasilianer den Lauf ins linke Auge. So standen die beiden, einer wie der andere mit hochrotem Kopf. / »Ein Schwächling weniger«, sagte Dohm mit kalter Stimme. Dann entspannte er sich, steckte seine Pistole weg und sagte: »Einen wie dich spuck ich nicht einmal an.« / Mit einem steiflippigen Lächeln ging er zur Scheune. Wenige Sekunden später hörten wir das Motorrad aufheulen, und ohne das Tor der Scheune hinter sich zu schließen, fuhr der Lackierermeister davon.

Als ich den Brasilianer fragte, was in ihn gefahren sei, schwieg er. Ich wartete darauf, dass er antwortete. Langsam machte sich Befangenheit breit, und ich spürte, dass er in Ruhe gelassen werden wollte. Dann sagte er: »Die Indianer haben Schrumpfköpfe am Gürtel, die Lippen der Schrumpfköpfe sind mit Menschenhaar zugenäht, damit sie nicht reden können. Aber so einer bin ich nicht, es ist einfach nicht anders auszuhalten.« / Er griff in seine Hosentasche und gab mir zum zweiten Mal seine Schlüssel. / »Ich weiß, dass ich ein Idiot bin, Menino. Aber kein so großer Idiot wie andere, deshalb werde ich jetzt von der Bildfläche verschwinden. Lieber ins eigene Loch statt in deren Loch. Mag man das eigene Loch auch mit Ratten teilen, so ist es doch besser, weil selbst gewählt.« / Er betrachtete mich aus seinen bleichen, grauen Augen. Sein Blick hatte nichts Vorwurfsvolles, war vielmehr ein liebevolles Mustern, mit dem er zur Kenntnis zu nehmen schien, dass auch ich mich verändert hatte. / Ich steckte den Schlüssel ein. / »Du hast ja auch sonst alle Vollmachten, Menino. Die Zigarren sind unter dem Fußboden in der Speisekammer. Nimm sie, wenn es nottut.« / Dann stapfte er spuckend zum Haus hinüber und verschwand hinter der Tür.

Margot und ich blieben neben dem kaputten Leiterwagen stehen und warteten. Es war ein föhniger Abend Anfang November. Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, und kurz wurde ein gelber Mond zwischen den heranziehenden Wolken sichtbar. Bald würde es dunkel sein. Der Brasilianer kam wieder heraus mit einem großen Sack über der Schulter, er steckte noch schnell einige gefaltete Papiere in die Gesäßtasche. Er wollte wohl noch etwas sagen, sehr vieles vielleicht. Seine Augen sahen uns traurig an. Dann nickte er. Zu seiner Schwester, die noch immer beim Brunnen vor dem Haus stand, rief er hinüber: »Du siehst mich auch lieber von hinten als von vorn, Trude, also lass mich jetzt bitte in Ruhe.« / Da ging sie ins Haus. / Gleich darauf stand der Brasilianer zitternd im hinteren Garten an der Grenze zum offenen Feld. Er sammelte seine Kräfte, er wusste, dass sein Leben jetzt keinen Pfifferling mehr wert war, es schien ihn aber nicht im erwarteten Ausmaß zu bekümmern. Frei als Einzelner zu sterben, sei besser, als ein Sklavendasein zu führen, sagte er und stapfte los mit dem Sack über der Schulter und mit flatternden Hosenbeinen. Ein weiterer Flüchtling.