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»Du bist ein Narr!« Vincent Silvestri war mehr als nur ungehalten. »Willst du tatsächlich einen Krieg mit Solchoi riskieren? Wegen einer verdammten Sklavin?«
»Sie bedeutet mir viel. Sehr viel!«
Vincent warf seinem Sohn einen prüfenden Blick zu und runzelte die Stirn.
»Du willst mir doch nicht sagen, dass du dich in sie verliebt hast, oder?«
»Doch, Vater, genau das will ich sagen. Ich habe das nicht geplant, aber es ist nun einmal so gekommen. Und wie es scheint, bin ich ihr ebenfalls nicht gleichgültig. Ich werde keinesfalls erlauben, dass sie in Solchois Hände fällt.«
»Erlauben? Du wirst es nicht erlauben? Noch bin ich der Chef dieser Familie und dieses Clans! Wenn du eines Tages meinen Platz einnehmen willst, musst du lernen, persönliche Gefühle zurückzustellen. Macht zu haben und vor allem, sie zu behalten erfordert manchmal Opfer. Auch große Opfer, mein Sohn. Ich erwarte von dir, dass du dies begreifst und danach handelst.«
Clarks Vater war aufgesprungen und hatte sich in Rage geredet.
»Denkst du etwa, ich habe dies nicht ebenfalls lernen müssen? Glaubst du, ich hätte nicht auch Opfer bringen müssen, um dort zu stehen, wo ich … wo wir heute sind? Deine Mutter …« Er unterbrach sich, als hätte er bereits zu viel gesagt.
»Meine Mutter? Was hat das mit meiner Mutter zu tun?«, fragte Clark entgeistert. »Du hast immer gesagt, sie sei bei meiner Geburt gestorben.«
Vincent sah seinen Sohn an und antwortete nicht. Es war ihm anzusehen, dass widersprüchliche Gefühle in ihm tobten.
»Ich möchte dieses Thema nicht vertiefen«, sagte er schließlich, was Clark erst recht aufbrachte.
»Du hast sie ins Spiel gebracht, Vater! Ich will jetzt die Wahrheit wissen – was hat meine Mutter damit zu tun? Wie ist sie gestorben?«
Der alte Silvestri ging zur Bar seiner Suite und schenkte sich mit zittrigen Händen ein Glas Whiskey ein.
»Ich wollte nie, dass du davon erfährst. Aber vielleicht ist es besser, ich erzähle dir diese Geschichte jetzt, damit du die ganze Tragweite deiner – und meiner – Situation begreifst.« Er nippte an seinem Drink. »Alles begann ein Jahr vor deiner Geburt. Solchoi und ich dienten ursprünglich beide als Kapitäne auf Schiffen der Föderationsflotte in einem gemeinsamen Flottenverband. Wir waren gerade aus dem Dienst der Föderationsarmee desertiert und hatten ein paar Schiffe mit uns ergebenen Besatzungen auf unsere Seite gezogen. Alles um uns herum brach zusammen. Die aufständischen Planeten waren nicht mehr unter Kontrolle zu bringen und erzielten einen militärischen Erfolg nach dem anderen. Unsere Verbände waren hoffnungslos unterlegen, doch die Führung der Föderation hatte kein Einsehen und schickte uns in immer neue, aussichtslose Kämpfe. Wir waren nicht mehr als Kanonenfutter in einem längst sinnlos gewordenen und schon lange verlorenen Krieg. All dies weißt du bereits.« Er nahm einen weiteren, diesmal größeren Schluck. »Was ich dir nie gesagt habe: Kathy, deine Mutter, war damals die Geliebte von Anatoly Solchoi. Anatoly und ich waren Freunde – gute Freunde – und Kathy diente als Navigatorin auf seinem Schiff. So hatten sie sich kennengelernt und eine Romanze begonnen. Natürlich waren Beziehungen zwischen Schiffskapitänen und Untergebenen verboten und so wusste nur ich von der Affäre. Keiner von uns hatte es geplant, aber es kam, wie es kommen musste. Kathy und ich verliebten uns ineinander. Als sie von mir schwanger wurde, flog alles auf. Sie hat ihm sofort gesagt, dass das Kind nicht von ihm war. Solchoi war außer sich vor Wut und eine Zeit lang dachte ich, er würde uns beide umbringen. Doch seine Rache war noch viel teuflischer.«
Er setzte das Glas an die Lippen, stellte fest, dass es leer war, und schenkte sich einen zweiten Whiskey ein. Clark kannte seinen Vater gut genug, um zu wissen, wie aufgewühlt er sein musste.
»Er stellte deine Mutter vor eine grausame Wahl: Entweder würde er ihren neu geborenen Sohn und ihren Liebhaber umbringen lassen oder sie musste aus unser aller Leben verschwinden. Er würde die Angelegenheit nie wieder zur Sprache bringen und er und ich würden in der Lage sein, weiter zusammenzuarbeiten. Wenn er sie nicht haben konnte, durfte auch ich sie nicht haben. Anatoly wusste, dass er mich damit mehr treffen konnte, als wenn er mich getötet hätte. Sie bat ihn, dich mitnehmen zu dürfen, doch er lachte nur und meinte, du solltest mich jeden Tag an meinen Verrat und an meinen Verlust erinnern. Falls sie dich mitnehmen würde, wäre dies mein Todesurteil. Deine Mutter ist über Nacht verschwunden, bevor ich überhaupt erfuhr, was vor sich ging. Sie hat es getan, um dich und mich zu schützen.«
Clark blickte seinen Vater entsetzt an. »Du hast das zugelassen?«, fragte er ungläubig.
»Ich hatte keine Wahl, Clark. Zum einen verfügte er zum damaligen Zeitpunkt über mehr Schiffe und Männer und zum anderen konnte ich dein Leben nicht aufs Spiel setzen. Du warst alles, was mir geblieben war.«
Clark war von dieser Eröffnung wie erschlagen. Er wusste zwar, dass Anatoly Solchoi und sein Vater eine komplizierte Vergangenheit hatten, aber das Ausmaß der emotionalen Verstrickungen war ihm bisher verborgen geblieben.
»Wie konntet ihr all die Jahre zusammenarbeiten«, fragte er entgeistert.
»Pragmatismus, Notwendigkeit und, nicht zu vergessen, die Truppe um Theresa Grange, die kurz danach zu uns gestoßen ist. Sie war all die Jahre das ausgleichende Element. Zwar vertritt sie ebenfalls in erster Linie ihre eigenen Interessen, aber nur gemeinsam waren wir stark genug, Freistatt zu übernehmen und uns gegen andere marodierende Gruppen zu verteidigen. Allein hätte keiner von uns überleben können.«
»Kennt sie eure Geschichte?«
»Nein, außer Anatoly, Jane und mir – und jetzt dir – weiß darüber niemand Bescheid.«
»Jane ist eingeweiht?«
»Natürlich, sie war die engste Freundin deiner Mutter und Kathy hatte sie vor ihrer Abreise gebeten, sich um dich zu kümmern.«
Clark wurde plötzlich einiges klar, was er sich bisher nicht hatte erklären können. Er begriff, woher die Abneigung zwischen Anatoly Solchoi und seinem Vater kam, welche Rolle Jane in seinem Leben gespielt hatte, und auch, weshalb Solchoi jetzt so unerbittlich Callys Auslieferung verlangte. Es war fast so, als wiederholte sich die alte Geschichte. Erneut konnte er eine Frau benutzen, um Clarks Familie unter Druck zu setzen. Sein Hass musste all die Jahre unvermindert weiter geschwelt haben und nun sah er eine Gelegenheit, nach dem Vater auch den verhassten Sohn zu treffen. Clark nahm sich vor, dies auf keinen Fall zuzulassen. Er würde Solchoi mit allem, was ihm zur Verfügung stand, bekämpfen. Er würde Cally niemals aufgeben.