Die drei Tage an Bord des kleinen, aber durchaus luxuriösen Schiffes waren quälend langsam vergangen. Nachdem sich der anfänglich hohe Adrenalinspiegel nach der erfolgreichen Flucht normalisiert hatte und alle ein wenig zur Ruhe gekommen waren, gab es an Bord nichts zu tun, als abzuwarten. Weder Cally noch Clark wussten, welchen Kurs und welches Ziel Jane in den NavComp eingegeben hatte. Die Jacht raste, von den Bordsystemen gesteuert, durch den Subraum. Cindy war wieder ansprechbar und ihre Wunden heilten langsam. Zumindest die körperlichen Verletzungen, die glücklicherweise nur oberflächlich waren. Wie es in ihr aussah, konnte niemand wissen. Jane blieb die meiste Zeit am Pilotenstand, obwohl sie dort nichts zu tun hatte und lediglich die Instrumente anstarrte. Cally und Clark hingegen verbrachten die Tage überwiegend in ihrer Kabine und genossen die ungestörte Zweisamkeit.
Am dritten Tag rief Jane alle in die kleine Bordkombüse, wo sie sich um den zentralen Tisch versammelten.
»Wir werden in wenigen Stunden an unserem Ziel ankommen«, erklärte sie. »Halo-City ist die einzige Stadt auf dem Planeten Rotaron. Wer von euch bisher der Meinung war, Freistatt sei ein übler Ort, wird hier eine böse Überraschung erleben. In Halo-City trifft sich der Abschaum der Galaxis und dort regiert das Faustrecht. Einige Clans sorgen in ihren Bezirken für Ordnung, wobei der Begriff nichts mit Recht und Gesetz zu tun hat. Es leben etwa zwei Millionen Menschen in der Stadt. Hauptsächlich Gestrandete, Verzweifelte, Verbrecher und diejenigen, die untergetaucht sind, weil sie sich nirgendwo mehr blicken lassen können, ohne ihr Leben zu riskieren. Also, Freunde, wir müssen uns sehr, sehr vorsichtig bewegen, wir dürfen nicht auffallen und vor allem keinen Ärger riskieren.«
»Was wollen wir an einem derart gefährlichen Ort?«, fragte Cindy; es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen sie überhaupt etwas sagte.
»Wir sind auf der Suche nach Clarks Mutter, und Halo-City war der Ort, den sie als Erstes aufsuchen wollte, nachdem Solchoi sie aus Freistatt verbannt hatte.«
»Was wollte sie ausgerechnet hier?«, fragte Clark.
»Es gab hier einen Mann, der ihr noch einen Gefallen schuldig war. Wenn sie untertauchen wollte, brauchte sie jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Und sie musste untertauchen, da sie, genau wie wir, befürchten musste, dass Solchoi sich nicht mit ihrer Verbannung zufriedengeben, sondern einen Killer auf ihre Spur setzen würde. Sie hatte ihn in seiner Ehre noch mehr gekränkt, als dies nun bei Cally der Fall ist.«
»Du glaubst wirklich, dieser Solchoi wird uns jemanden hinterherschicken?« Cindy wurde blass, Tränen schimmerten in ihren Augen.
»Davon bin ich überzeugt«, antwortete Jane. »Aber ich denke, du bist am wenigsten gefährdet. Dich kennt er nicht einmal und du solltest ihm vollkommen gleichgültig sein.«
Dies schien Cindy etwas zu beruhigen. Jane verschwieg der Siebzehnjährigen, dass sie dadurch allerdings sehr leicht zum Kollateralschaden werden konnte. Wen auch immer Solchoi auf ihre Spur setzte, er würde Cindy, ohne zu zögern, beseitigen, wenn sie seinen Plänen im Weg stand.
Drei Stunden später erreichte die kleine Jacht den Raumhafen von Halo-City. Die Landeformalitäten waren denkbar einfach: Niemand fragte nach einem Namen, dem Grund des Aufenthaltes, einer Schiffsregistrierung oder gar nach einem Pass. Als Jane den Anflug anmeldete, teilte man ihr lediglich die Nummer eines freien Landeplatzes mit und sendete einen Peilstrahl für die automatischen Landesysteme. Niemand interessierte sich dafür, als die kleine Gruppe das Schiff verließ.
Rotaron war ein unwirtlicher Planet, der eine orange Sonne auf einer engen Umlaufbahn umkreiste. Obwohl Halo-City in der nördlichen Polregion lag, herrschten tropische Temperaturen. In dem schwül-heißen Klima gedieh eine Flora und Fauna, die überaus aggressiv und feindselig war. Die Äquatorzone war für menschliches Leben ungeeignet, da die Tagestemperaturen dort selten unter sechzig Grad fielen. In der Stadt sprach man von einem kühlen Tag, wenn vierzig Grad ausnahmsweise einmal nicht erreicht wurden.
Jane loggte sich in das Netz der Stadt ein und bestellte ein Schwebetaxi zum Landeplatz. Das Fahrzeug kam wenige Minuten später und brachte sie zu einem kleinen Gebäude am Rand des Raumhafens.
»Hier müsst ihr euch anmelden«, sagte der Fahrer, ein pockennarbiger, etwa sechzigjähriger Mann, dessen rechtes Ohr fehlte.
»Warten Sie hier auf uns«, sagte Jane.
»Kostet extra«, antwortete der Fahrer. »Zehn Creds pro Minute.«
Der genannte Preis war unverschämt hoch, aber mangels einer Alternative nickte Jane nur.
Im Inneren der Meldestation saß eine stark geschminkte Frau unbestimmbaren Alters hinter einem Terminal und sah sie gelangweilt an.
»Welcher Landeplatz?«, fragte sie ohne eine Begrüßung.
Jane nannte ihr die Nummer, woraufhin sie langsam etwas in ihre Tastatur tippte.
»Wie lange?«, fragte sie, ohne aufzusehen.
»Wie lange was?«
»Wie lange bleibt ihr?«
»Unbestimmt. Ein paar Tage.«
»Tausend Creds am Tag. Drei Tage Deposit.«
Cally glaubte, nicht richtig zu hören. Das waren Wucherpreise. Von eintausend Credits konnte man auf fast jedem Planeten der ehemaligen Föderation eine Familie bequem einen Monat lang ernähren. Jane protestierte zu ihrem Erstaunen nicht und schob eine CredCard über den Tresen.
»Wir bevorzugen Barzahlung«, erfolgte die Antwort. »Wenn ihr mit Karte zahlen wollt, kostet es Aufschlag.«
»Wie viel?«, fragte Jane, sichtlich genervt.
»Zehn Prozent«, entgegnete die Frau und grinste sie unverschämt an.
Cally hatte den Verdacht, dass der größte Teil des Aufpreises in die Tasche dieses Drachen wandern würde.
»Wenn während unseres Aufenthaltes meinem Schiff etwas geschieht oder jemand einzudringen versucht, halte ich mich an dich persönlich«, sagte Jane mit drohendem Unterton.
»Keine Sorge, Mütterchen, mit der Gebühr steht euer Schiff automatisch unter dem Schutz meines Bosses«, wurde sie informiert.
»Schön, dass wir uns verstehen«, sagte Jane.
Die ‚Empfangsdame‘ zog Janes CredCard durch einen Scanner und gab sie zurück.
Jane warf ihr noch einen finsteren Blick zu, drehte sich um und bedeutete den anderen, ihr zu folgen. Sie verließen das Gebäude und stiegen in das immer noch wartende Schwebetaxi.
Die unfreundliche Bedienstete sah ihnen durch die offene Tür nachdenklich hinterher. Dann schaltete sie eine Kom-Verbindung, die sofort aktiviert wurde.
»Ja?«, grollte ein tiefer Bass.
»Ich bin’s, Boss. Soeben ist eine Gruppe von vier Personen gelandet, die der Beschreibung entsprechen.«
Für einige Sekunden herrschte nachdenkliche Stille.
»Ich werde es weitergeben. Wenn es die Gesuchten sind, hast du dir eine Belohnung verdient.«
Draußen setzte sich das Schwebetaxi in Bewegung.
Bring uns ins Mondkalb «, sagte Jane zu dem Fahrer.
»Ich kann euch eine bessere Unterkunft empf…«, wollte er vorschlagen, doch Jane unterbrach ihn.
»Kein Interesse! Zum Mondkalb!«
»Hören Sie, diese Gegend ist gerade für Frauen nicht besond…«
»Wir können auf uns aufpassen, mein Bester«, fiel ihm Jane erneut ins Wort und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen, dass jede weitere Bemerkung nicht nur ihren Unwillen hervorrufen würde, sondern auch unangenehme Konsequenzen für den Fahrer haben konnte.
Er zuckte nur mit den Schultern und fuhr ohne einen weiteren Kommentar los.