33.

 


In dem für das Publikum offenen Bereich des Mondkalbs tobte das Chaos. Die Luft war rauchgeschwängert und Dutzende von Leichen übersäten den Boden. Alex DeChamp war es bisher gelungen, von Thorensons Männern nicht als Gegner wahrgenommen zu werden. Entweder kannten sie sich untereinander nicht gut genug oder sie dachten, er gehöre zu Hernandez, den er schemenhaft hinter der langen Theke hatte verschwinden sehen. Da sie nichts von der Anwesenheit einer dritten Gruppe wussten, kamen sie nicht auf den Gedanken, er könne gegen Hernandez vorgehen wollen. Er war direkt hinter ihm von draußen hereingestürmt und konnte deshalb in ihren Augen nicht zu den Verteidigern gehören.

Die zahlreichen Besucher des berüchtigten Etablissements versuchten verzweifelt, ins Freie zu gelangen. Da sich jedoch die überlebenden Männer Bellamys nach wie vor ein Feuergefecht mit Thorensons Leuten lieferten, zuckten Ionenstrahlen, Laserblitze und Kugeln quer durch den Raum. Wer sich nicht auf den Boden oder in Deckung geworfen hatte, wurde schnell zu einem Opfer dieses Kampfes. Keine der beiden Seiten nahm Rücksicht auf die Gäste.

DeChamp warf sich hinter einen umgestürzten Tisch und überlegte, wie er Hernandez folgen konnte, ohne selbst zum Opfer des andauernden Schusswechsels zu werden.

Direkt vor ihm sprang einer der männlichen Gäste auf, um zum Ausgang zu gelangen. Er hatte noch keine vier Schritte gemacht, als ihn ein Schuss niederstreckte. Verdammt , dachte DeChamp, wenn ich zur Theke will, muss ich durch die Feuerlinie des Schützen .

Dann hatte er eine Idee. Der umgestürzte Tisch, hinter dem er lag, war rund. Er griff nach dem zentralen Standfuß und begann daran zu drehen. Wie ein von einem Motor angetriebenes Rad setzte sich die Tischplatte gehorsam in Bewegung. Langsam drehte DeChamp weiter und blieb dabei die ganze Zeit über in Deckung. Er konnte hören, wie in schneller Folge Projektile auf der ihm abgewandten Seite einschlugen. Glücklicherweise verfügte der unsichtbare Schütze nicht über eine Strahlwaffe. Damit hätte er sich durch die Tischplatte brennen können. Kugeln hielt sie hingegen problemlos auf.

Nach schier endlosen Sekunden erreichte er die Theke. Der Beschuss hörte auf. Entweder war der Schütze außer Gefecht gesetzt worden oder er hatte ein lohnenderes Ziel gefunden. Für DeChamp kam es jetzt darauf an, wie viel Glück er heute hatte. Er sprang auf und hechtete über den Tresen. In diesem Moment hätte er ein leichtes Ziel geboten, aber er kam wohlbehalten auf der anderen Seite an. Etwa fünf Meter vor ihm kauerte eine Frau hinter der Theke und schoss über den Tresen hinweg auf ein Ziel, das er nicht sehen konnte. DeChamp war sich nicht sicher, ob sie zu Bellamys oder Thorensons Truppe gehörte. Er ging kein Risiko ein und streckte sie mit einem gezielten Schuss aus seinem Ionenstrahler nieder. Egal, zu wem sie gehörte, sie war zur falschen Zeit am falschen Ort und stand ihm im Weg. Dann sprintete er mit eingezogenem Kopf, immer in Deckung bleibend, bis zum anderen Ende der Theke. Dort glaubte er gesehen zu haben, wie Hernandez durch eine Tür verschwunden war. Er musste dessen Vorsprung schnellstmöglich aufholen, bevor Solchois Mann Clark vor den Lauf seiner Waffe bekam. DeChamp stieß sich ab, flog über den Tresen und betete gleichzeitig zu allen Göttern. Niemand schoss auf ihn. Er rollte sich ab und warf sich durch die offen stehende Tür in den dahinter liegenden Gang.

»Meine Energiezelle ist gleich leer!«, schrie Cally.

»Ich habe auch nur noch ein paar Schuss«, antwortete Jane.

Es sah nicht gut für sie aus.

»Wieso hast du dein Büro in eine solche Mausefalle verwandelt?«, schrie Jane Bellamy zu. »Mitten im Gebäude und ohne Notausgang.«

»Erschien mir sicherer, als ein Fenster im Rücken zu haben, durch das man mich erschießen könnte«, rief Bellamy durch das Krachen der Schüsse zurück.

»Wie sicher es ist, sehen wir jetzt«, brummte Jane, was Bellamy allerdings nicht hören konnte, und schoss erneut in den Gang, als sich dort ein Kopf zu weit vorwagte.

»Ich will hier raus!«, schrie Cindy.

Die junge Frau geriet zusehends in Panik. Das Gefühl, hier eingesperrt und völlig hilflos zu sein, zerrte an ihren Nerven.

»Beruhige dich«, sagte Clark. »Solange wir zurückschießen, kann hier niemand eindringen!«

In diesem Moment versagte Callys Waffe. Fluchend drückte sie noch ein paarmal auf den Auslösesensor, doch die Energiezelle war endgültig erschöpft. Cindy war dies nicht entgangen.

»Wenn wir uns ergeben, werden sie uns sicher nichts tun«, wimmerte sie. Tränen rannen ihr über das Gesicht.

»Woher willst du das wissen?«, entgegnete Clark. »Sie schießen auf alles, was sich bewegt.«

»Aber … aber … wir müssen uns ergeben! Dann werden sie uns schon nichts tun!«, wiederholte sie. Sie schüttelte verzweifelt Clarks Arm, den sie immer noch umklammert hielt.

»Noch kämpfen Bellamys Männer und noch sind wir hier drin am sichersten«, widersprach Clark.

»Nein!«, schrie Cindy voller Panik. »Ich will hier raus!«

Noch bevor Clark reagieren konnte, riss sie sich los und rannte mit erhobenen Armen quer durch den Raum zur Tür.

»Nicht schießen! Ich ergebe mich! Nicht …«

Sie hatte die Tür noch nicht ganz erreicht, als eine Kugel sie in der Brust traf. Wie von einem Vorschlaghammer getroffen, stoppte sie mitten im Lauf, blieb für eine Sekunde mit schreckgeweiteten Augen stehen und brach dann leblos zusammen. Die Austrittswunde in ihrem Rücken hatte die Größe einer Männerfaust.

Esteban Hernandez lag am Boden des Ganges, eng an die Wand gepresst. Eine vor ihm liegende Leiche bot nur unzulänglich Deckung. Außer ihm waren nur noch zwei Männer am Leben. Die letzten Meter zu Bellamys Büro schienen unüberwindbar, solange man von dort in den Gang feuern konnte. Er fluchte vor sich hin. Der Angriff war nicht so gelaufen, wie er es sich vorgestellt hatte. Zu viele seiner Kämpfer waren bereits beim Versuch, durch den rückwärtigen Teil des Mondkalbs einzudringen, umgekommen, und fehlten jetzt für den entscheidenden Ansturm. Es würde nicht einfach werden, die letzten Meter zu seinem Ziel zu überwinden. Er hatte Jane und die verdammte Sklavin schemenhaft durch die offene Tür erkennen können, bevor sie hinter einem wuchtigen Sessel Deckung gesucht hatten. Von dort aus versperrten sie mit gezielten Schüssen ihm und seinen beiden letzten Kumpanen das weitere Vordringen. So nah und doch so fern , dachte er verärgert. Die Zeit spielte gegen ihn. Wenn Bellamy Verstärkung bekommen sollte, bevor denen dort drin die Energie ausging, wäre er gezwungen, sich zurückzuziehen. Wieder fluchte Hernandez vor sich hin, während er Schuss um Schuss abgab, in der Hoffnung, eine der beiden verfluchten Frauen durch einen glücklichen Treffer zu erledigen.

Plötzlich kam es ihm so vor, als hätte sich die Häufigkeit der Schüsse aus dem belagerten Raum vermindert. Ah , dachte er, ihnen geht der Saft aus ! Vielleicht würde sich doch noch alles zum Gutenwenden. Er bedeutete einem seiner beiden Männer, langsam vorwärts zu robben. Solange sie sich an die linke Seitenwand des Ganges gepresst hielten, konnte die verbliebene Schützin sie von ihrer Position hinter dem Sessel aus kaum treffen.

Plötzlich erschien eine weibliche Gestalt mit wild wedelnden Armen direkt vor der Tür, sie schrie etwas, das Hernandez bei all dem Lärm nicht verstehen konnte. Im ersten Moment dachte er, es sei die verdammte Sklavin, doch sie war zierlicher gebaut und kleiner. Noch bevor er einen Befehl geben konnte, schoss einer seiner Begleiter auf die Gestalt. Die Kugel seiner altertümlichen Waffe traf die Frau in die Brust und sie brach augenblicklich zusammen.

»Idiot«, bellte Hernandez den Schützen an. »Wir sind hier, um die da drin gefangen zu nehmen. Nicht, um sie umzulegen. Du hast Glück gehabt, dass es nicht eine meiner Zielpersonen war, sonst würdest du jetzt neben ihr liegen!«

Dort drin verlor man anscheinend die Nerven. Esteban Hernandez lächelte kurz. Gut für ihn! Vielleicht konnte er seinen Auftrag ja doch noch erfolgreich abschließen.