44.

 


Alexandre DeChamp entschied sich dafür, in Zeltronia zu landen. Dort war die Wahrscheinlichkeit am größten, Cally und Clark zu finden. Es gab zwar noch andere Großstädte auf dem einzigen Kontinent des Planeten, der zu über achtzig Prozent von einem Ozean bedeckt war, aber nur von hier starteten die Raumschiffe zur Erde. Außerdem vermutete er, dass die beiden versuchen würden, ihre kleine Jacht zu verkaufen, was in der Hauptstadt am einfachsten sein würde. Tickets für einen Flug mit dem Passagierschiff waren enorm teuer, und er bezweifelte, dass sie über genügend Bargeld oder Kredit auf ihren CredCards verfügten. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass sie versuchen würden, der Spur von Clarks Mutter an Bord eines Frachters zu folgen, aber er hielt dies nicht für sehr wahrscheinlich. Die meisten Frachtschiffe gingen unregelmäßig und diejenigen, die auf der Route zur Erde pendelten, wurden bei ihrer Rückkehr ins irdische Sonnensystem streng kontrolliert. Die Paranoia der Erdregierung, die Angst vor einem Vergeltungsanschlag durch eine Separatistenfraktion, machte es nahezu unmöglich, sich auf einem Frachter einzuschleichen. Passagiere auf einem offiziellen Linienflug galten hingegen als wenig verdächtig. Erstens waren die Tickets so teuer, dass Terroristen sie sich kaum würden leisten können, und zweitens durfte man nur wenig Gepäck mitnehmen, das zudem genau kontrolliert wurde, was die Gefahr eines Anschlags deutlich verringerte. Selbst wenn es einem Terroristen gelingen sollte, an Bord eines Passagierraumschiffes zu gelangen, wäre er ohne Ausrüstung kaum in der Lage, großen Schaden auf der Erde anzurichten. Die hohen Kosten für einen Flug zur Erde standen also in keinem Verhältnis zur Erfolgswahrscheinlichkeit einer feindlichen Mission. Das wäre so gewesen, als hätte sich ein Terrorist im geschichtlichen 21. Jahrhundert einen First-Class-Flug genehmigt, um das Ziel anschließend mit einem Messer zu attackieren. Daher waren es in erster Linie die Frachtschiffe, die mit äußerster Sorgfalt kontrolliert wurden.

Nachdem er sein Schiff auf dem großen Landefeld des Haupthafens geparkt hatte, fertigte man ihn mit sachlicher Routine ab. Es wurden nicht viele Fragen gestellt und niemand unterzog seine – natürlich gefälschten – Papiere einer genaueren Überprüfung. DeChamp hatte nichts anderes erwartet. Er war nicht zum ersten Mal auf Zeltra. In der Vergangenheit hatte er wiederholt dringend benötigte Ausrüstungsgegenstände für seinen Clan hier besorgen müssen – in erster Linie Waffen. Daher verfügte er über etliche Kontakte in der Hauptstadt und war zuversichtlich, Cally und Clark schnell ausfindig machen zu können, wenn sie hier auftauchten. Ein junges Pärchen, das versuchte, eine kleine Luxusjacht auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen, blieb in einschlägigen Kreisen nicht lange unbemerkt.

Sein erster Weg führt zu einem alten Bekannten, der eine führende Position in der Hehlerszene innehatte. Was immer man benötigte und in Zeltronia suchte – er konnte es besorgen. Ob Handstrahler oder medizinische Geräte, Subraumspürer oder illegale Software, selbst Raumschiffe aller Größen – was immer auf den Markt kam, er würde es erfahren. Sobald die beiden einen Versuch starteten, ihr Schiff zu Geld zu machen, würde es seinem Bekannten zu Ohren kommen.

Er betrat das Geschäft, welches nach außen den Eindruck erweckte, medizinische Geräte zu verkaufen. An den Wänden rechts und links waren Glasvitrinen errichtet, die bis an die Decke reichten und in denen die modernsten Diagnosegeräte, Medikamentensynthesizer, Neuroprothesen und OP-Roboter ausgestellt waren. Natürlich nur als nicht funktionsfähige Plastikmodelle. Die echten Artikel konnten nur bestellt werden, wurden jedoch nicht hier gelagert. In Wahrheit diente die Auslage lediglich dazu, das Gewünschte auszusuchen und zu bestellen, damit es später gestohlen oder auf andere illegale Art und Weise besorgt werden konnte.

Gegenüber dem Eingang saß ein Mann hinter einem teuren Computersystem an einem Schreibtisch. Er wirkte nicht wie ein Verkäufer. Seine ausladende Figur mit den sich unter der eng sitzenden Jacke abzeichnenden Muskelpakete ließen ihn eher wie einen Leibwächter oder Rausschmeißer wirken – was seine tatsächliche Funktion auch besser beschrieb. DeChamp grinste ihn an.

»Hallo, Boris! Wie geht’s denn so?«

Der bullige Mann grinste zurück und hob grüßend die Hand.

»Alex! Lange nicht gesehen! Wieder auf Einkaufstour?«

»Diesmal nicht.« DeChamp schüttelte den Kopf. »Ist der Chef da?«

Der mit Boris Angesprochene deutete mit dem Kopf auf eine Tür hinter sich.

»Im Büro. Ich melde dich an.«

Er drückte einen Knopf unter der Tischplatte und sprach in ein verstecktes Mikrofon.

»Boss, Alex DeChamp ist hier.«

»Soll reinkommen«, knarzte es aus einem ebenfalls nicht sichtbaren Lautsprecher.

DeChamp ging um den Schreibtisch herum und öffnete die Tür. Dahinter lag ein kleines Büro, das nur aus einem Computerterminal und einer Sitzgruppe zu bestehen schien. Es gab keine Papiere oder Dokumente in dem ansonsten völlig kahlen Raum. Alles, was der kleine, glatzköpfige Mann hinter dem Terminal zur Abwicklung seiner Geschäfte benötigte, befand sich in seinem Kopf.

»Alex, setz dich! Was kann ich für dich tun? Was braucht Vincent denn diesmal von mir?«

»Ich suche diesmal keine besonderen Waren, sondern zwei junge Leute, die uns abhandengekommen sind.«

DeChamp nahm auf einem Sessel der Sitzgruppe Platz.

»Was haben sie denn ausgefressen, dass Silvestri seinen besten Mann hinter ihnen herjagt?«

DeChamp seufzte vielsagend.

»Es ist kompliziert, Jonathan. Einer der beiden ist der Sohn vom Chef.«

Jonathan Haktar, Chef eines der größten Hehlerringe auf Zeltra und langjähriger Geschäftspartner des Silvestri-Clans, runzelte die Stirn.

»Oh, eine Familienaffäre, sozusagen. Hat Clark etwas Schlimmes angestellt?«

»Eine Liebesgeschichte. Er ist mit einer Sklavin durchgebrannt.«

Jonathan lachte.

»Und deswegen musst du das Kindermädchen spielen?«

»Wie gesagt, es ist kompliziert. Solchoi erhebt Ansprüche auf die Kleine und hat Esteban Hernandez hinter den beiden hergehetzt. Ich soll auf den Jungen aufpassen und ihn zurückbringen.«

Jonathan pfiff durch die Zähne.

»Hernandez? Dann muss es Solchoi ernst sein. Der ist ein richtiger Bluthund und wird nicht lockerlassen.«

»Hernandez stellt kein Problem mehr dar«, bemerkte DeChamp vielsagend.

Jonathan sah ihn nachdenklich an.

»Wenn das bedeutet, was ich denke, dass es bedeutet, dann könnte daraus eine … äh … Komplikation entstehen.«

DeChamp zuckte mit den Schultern.

»Ich hatte keine andere Wahl. Mein Auftrag lautet, Clark zu beschützen.«

»Solchoi wird nicht begeistert sein, seinen besten Mann zu verlieren.«

Wieder zuckte DeChamp nur mit den Schultern, sagte jedoch nichts.

»Wie dem auch sei – was kann ich für dich tun?«

»Wahrscheinlich werden die beiden Turteltäubchen versuchen, hier ihr Fluchtschiff zu verkaufen. Es wäre nett, wenn du die Ohren offenhältst und mich informierst, wenn du etwas hörst.«

»Informationen kosten Geld!«

Jonathan war zwar ein langjähriger Freund, aber eben auch ein Geschäftsmann. DeChamp nickte.

»Vincent wird sich erkenntlich zeigen.«

»Dein Wort genügt mir selbstverständlich«, bestätigte Jonathan den Deal. »Ich melde mich, sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe. Wo kann ich dich erreichen?«

»Am üblichen Ort«, sagte DeChamp und erhob sich. Er verzichtete darauf, seinem Geschäftspartner die Hand zum Abschied zu reichen. Jonathan war Agaraphobiker und fürchtete nichts mehr als körperlichen Kontakt mit anderen Menschen. Er nickte ihm lediglich zu, drehte sich um und verließ den Raum.