Von seinem Standort aus konnte Alexandre DeChamp die Jacht gut beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Der Verkauf sollte in wenigen Minuten stattfinden, und er sah einen Taxischweber über das Landefeld kommen. Er glaubte, durch das Okular Cally und Clark darin ausmachen zu können.
Langsam schwenkte er sein Fernglas über die umliegenden Gebäude und die Hügel rings um das Gelände sowie über die auf dem Raumhafen stehenden Schiffe. Er suchte die ganze Umgebung nach Versteckmöglichkeiten ab. Wenn Hernandez in der Stadt war, musste DeChamp davon ausgehen, dass er ebenfalls von dem Verkauf Wind bekommen hatte. Es war somit besser, erst in die Geschehnisse einzugreifen, wenn er diese Gefahr ausfindig gemacht und neutralisiert hatte. Allerdings stand zu vermuten, dass Esteban Hernandez einen ähnlichen Plan verfolgen und sich auch nicht vorzeitig zeigen würde. Es war ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem sich zwei Jäger gegenseitig bekämpften und Cally und Clark als Köder fungierten. Wer zuerst die Nerven verlor, verlor die Beute – und das eigene Leben!
Das Taxi hatte die Jacht erreicht und das Pärchen stieg aus. Von Hekate Morlon war weit und breit noch nichts zu sehen. Alex fragte sich, ob es denkbar war, dass die runzlige Alte von der Jagd auf die Verkäufer gehört hatte und es daher vorzog, sich lieber nicht in die Schusslinie zu begeben. Doch kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, als er am Rand des Flugfeldes einen luxuriösen Privatgleiter auftauchen sah. Das Gefährt näherte sich langsam der Jacht und den davor wartenden Eigentümern.
Wieder schwenkte DeChamp sein Fernglas. Er glaubte hinter der Landestütze eines uralten Frachters, der unweit der Jacht geparkt war, etwas aufblitzen zu sehen. Vorsichtig drehte er an den Einstellungen und zoomte näher heran. Tatsächlich lugten hinter dem dicken Metallteil wenige Zentimeter des Laufes einer Waffe hervor. Das Sonnenlicht hatte sich kurz auf dem blanken Metall gespiegelt, und DeChamp hatte es aus den Augenwinkeln erfasst. Du wirst nachlässig, Hernandez , dachte Alex und lächelte vor sich hin.
Er selbst lag in äußerst unbequemer Haltung bereits seit Stunden inmitten der Antennenaufbauten eines am Rand des Landefeldes geparkten Wracks, wo er so gut wie unsichtbar war, aber durch die Schlitze und Lücken zwischen den Parabolantennen, Satellitenschüsseln und glockenförmigen Subraumantennen die gesamte Umgebung sehr gut im Auge behalten konnte. Trotzdem hatte er Hernandez nicht kommen sehen, was entweder bedeutete, dass dieser schon vor ihm hier eingetroffen war, oder dass er sich doch geschickter anstellte, als Alex DeChamp es ihm zugetraut hätte. Dann war der Lichtreflex auf dem Lauf von Hernandez’ Waffe vielleicht nur ein glücklicher Zufall gewesen. DeChamp beschloss, seinen Gegner lieber nicht zu unterschätzen.
Hekate stieg aus ihrem Luxusgleiter und ging zu dem wartenden Pärchen. DeChamp konnte von seinem Standort aus nicht hören, worüber sie sich unterhielten. Er konzentriert sich nun ausschließlich auf das Versteck, in dem er Hernandez vermutete. Es war ihm gleichgültig, was Cally und Clark mit der Alten ausmachten. Seine Mission betraf allein die Sicherheit des jungen Silvestri.
Hekate griff in ihre Umhängetasche und zog einen dicken Umschlag daraus hervor. Noch ehe sie das Paket mit dem Geld überreichen konnte, zuckte ein Laserblitz quer über das Landefeld und streckte ihren Fahrer und Leibwächter nieder, der in diesem Moment zwischen Clark und sie getreten war. Der Schuss hatte Clark gegolten, und nur durch einen Zufall lag er jetzt nicht tot auf dem Beton. DeChamp war für einen Moment wie gelähmt, bis es ihm dämmerte. Weder befand sich Hernandez hinter der Landestütze noch war der Schuss von dort gekommen. Der Schuft hatte damit gerechnet, dass DeChamp sich hier irgendwo auf die Lauer legen würde und eine Waffe so an der Landestrebe befestigt, dass sie ihm früher oder später auffallen musste. Nicht zu auffällig, natürlich, sondern nur wie eine kleine, unprofessionelle Nachlässigkeit. Eine fast perfekte Falle. Hernandez musste bereits in der Nacht hier eingetroffen sein und sich irgendwo versteckt halten.
Der Laserstrahl war aus einem Bereich zwischen zwei kleinen Mietschiffen gekommen. DeChamp nahm den Schatten zwischen den Schiffen durch sein Fernglas in Augenschein, während er sich gleichzeitig aufrappelte. Hernandez’ erster Schuss hatte das geplante Ziel verfehlt, aber der nächste würde treffen.
Clark hatte Cally zu Boden gestoßen, als der Leibwächter tödlich getroffen zusammensank. Er selbst warf sich ebenfalls auf den harten Beton und versuchte, ihr mit seinem Körper Deckung zu geben. Nur Hekate stand paralysiert und mit offenem Mund immer noch vor der Jacht und hielt nach wie vor das Geldpaket in der Hand. Der nächste Schuss streifte ihr linkes Bein und sie fiel mit einem Aufschrei vornüber. Wieder hatten Cally und Clark Glück. Der Strahl zerstob nur Zentimeter vor Clarks Körper auf dem Boden und wirbelte kleine Steinbrocken auf.
DeChamp stand mittlerweile eingekeilt zwischen den Metallstreben einer Subraumantenne und zielte mit seinem Ionenstrahler sorgfältig auf die Stelle, von der die Schüsse gekommen waren. Zischend krachte der blassblaue Strahl in die Wandung eines der Mietschiffe und zwang den Schützen in Deckung. Verflüssigtes Metall tropfte auf den Boden, wo sein Strahl eingeschlagen war, und siedend heiße Metalltropfen flogen durch die Luft. Sofort schickte er einen weiteren Schuss hinterher.
Clark nutzte die Gelegenheit, um Cally geistesgegenwärtig durch die offene Luke in die Jacht zu ziehen. DeChamp atmete auf. Die beiden waren zunächst in Sicherheit, doch er musste Hernandez erledigen, bevor dieser auf die naheliegende Idee kommen konnte, die ganze Jacht mit einem gezielten Schuss auf den Sauerstoff-Wasserstoff-Tank zur Explosion zu bringen. Er musste ihn beschäftigen und durfte ihm keine Zeit zum Nachdenken lassen.
DeChamp gab Dauerfeuer auf die Stellung des Gegners ab, während er geduckt über die Oberseite des Wracks rannte. Alle paar Sekunden schoss er einen Ionenpuls in Hernandez’ Richtung, um ihn weiter in Deckung zu zwingen. Springend wich er dabei diversen kleineren Aufbauten aus und näherte sich der Kante, von der aus es mehrere Meter hinunter auf das Landefeld ging. Fieberhaft überlegte er, wie er Hernandez weiterhin an einem gezielten Schuss auf die Jacht hindern konnte, während er vom Wrack herunterklettern musste. Doch all seine Überlegungen wurden plötzlich überflüssig.
Er hörte ein helles Sirren, das typisch war für ein hochfahrendes Lasergeschütz. Das Geräusch kam von der Jacht. Dann brach aus dem Bordgeschütz ein gleißend heller Laserstrahl hervor und bohrte sich genau in die Lücke zwischen den beiden Mietschiffen, hinter denen sich Hernandez verbarg. Jede Waffe eines Raumschiffes war für den Einsatz im Weltraum über große Entfernungen ausgelegt. Über eine kurze Distanz und auf der Oberfläche eines Planeten war die Wirkung selbst eines relativ leistungsschwachen Lasergeschützes, wie es die kleine Jacht besaß, verheerend. Der oberarmdicke Laserstrahl traf die Bordwand eines der Schiffe und verflüssigte das Metall an dieser Stelle innerhalb von Sekundenbruchteilen, was der Wirkung einer starken Explosion gleichkam. Splitter und große Mengen flüssigen Metalls wurden durch die Druckwelle meterweit durch die Luft gewirbelt. Der entstehende Feuerball hatte einen Durchmesser von mindestens zehn Metern und niemand, der sich in der Nähe befand, hatte eine Chance, dieses Inferno zu überleben. Von Esteban Hernandez blieb nicht einmal ein Häufchen Asche zurück. Sein Körper verdampfte völlig in der mehrere Tausend Grad heißen Wolke aus Feuer und geschmolzenem Metall.
DeChamp musste zugeben, dass Cally oder Clark die Situation zwar nicht elegant, aber doch effektiv gelöst hatten – abgesehen davon, dass schon bald eine Polizeistreife hier erscheinen würde. Der Schusswechsel und die gewaltige Explosion konnten nicht unbemerkt geblieben sein.
Er kletterte die letzten Meter nach unten und rannte zur Jacht, vor der sich Hekate Morlon gerade wimmernd aufzusetzen versuchte. Über ihr rechtes Bein zog sich eine schwarz verfärbte Wunde aus verbranntem Fleisch. Der Streifschuss aus Hernandez’ Laserwaffe war zwar nicht tödlich gewesen, aber die Verletzung war sicherlich äußerst schmerzhaft. Hekate würde die Dienste eines guten Schönheitschirurgen in Anspruch nehmen müssen.
DeChamp half ihr auf die Beine und setzte sie auf den Fahrersitz ihres Schwebers.
»Sie sollten von hier verschwinden, bevor die Bullen kommen. Ich fürchte, aus dem Deal wird nichts. Können Sie das Ding fliegen?«
Sie nickte, doch dann fiel ihr etwas ein.
»Mein Geld!«
Die Schmerzen waren offensichtlich nicht groß genug, um das für sie Wichtigste zu vergessen. Über ihren Fahrer verlor sie hingegen kein Wort. Alex sah sich kurz um, entdeckte das Paket mit den dicken Bündeln Geldscheinen auf dem Boden und warf es in Hekates Fahrzeug.
»Hauen Sie ab!«, sagte er und schlug die Tür des Schwebers zu.
Er konnte gerade noch zur Seite springen, als Hekate abhob und mit voller Beschleunigung über das Landefeld davonraste. In der Ferne ertönten bereits die Sirenen sich nähernder Polizeischweber. Es wurde Zeit, ebenfalls zu verschwinden.
DeChamp eilte die kurze Treppe ins Innere der Jacht empor und starrte in den Lauf einer Waffe. Clark stand vor ihm und beäugte ihn misstrauisch. Seine Waffe, eine altertümliche Projektilpistole, zielte genau auf DeChamps Stirn.
»Dich wird man nicht so einfach los!«, knurrte er.
»Sei froh, dass ich da war, sonst hätte Hernandez euch erwischt. Außerdem haben wir keine Zeit zum Streiten. Die Bullen werden gleich hier sein und wir sollten schleunigst abhauen.«
»Aber …«
»Kein Aber, wenn ihr nicht im Knast landen wollt!«
»Er hat recht!« Cally kam aus der Kommandozentrale und baute sich neben Clark auf. »Wir müssen hier weg. Draußen liegt ein Toter und wir hätten einiges zu erklären, was wir nicht gut erklären können.«
»Aber meine Mutter …«
»Die kannst du nicht finden, wenn du hinter Gittern sitzt«, unterbrach DeChamp ihn.
Clark zögerte kurz und nickte dann.
Die drei eilten in die Zentrale und Clark begann, die Jacht startklar zu machen. Als der erste Polizeischweber den Raumhafen erreichte, waren die Vorbereitungen abgeschlossen. Unter den Augen der wütenden Polizisten schoss die Jacht in den Himmel, beschleunigte aus der Atmosphäre und verschwand im All.