twas widerwillig, weil die Sommerhitze nach wie vor beinahe unerträglich durch die Gassen von Koblenz waberte, verließ Benedikt vom Heidenstein die angenehme Kühle der Liebfrauenkirche, in der er sich eine ganze Weile aufgehalten hatte. Vorgeblich um zu beten, was er allerdings recht schnell hinter sich gebracht hatte. Den Rest der guten Stunde, die er in dem imposanten Bauwerk verbracht hatte, war er der Betätigung nachgegangen, für die er bezahlt wurde: Er hatte Informationen gesammelt.
Sein Auftrag machte es notwendig, sich sehr genau mit den Menschen zu befassen, derentwegen er nach Koblenz entsandt worden war, ebenso mit der Umgebung, in der sie lebten.
Er sollte einen möglicherweise abtrünnigen Spion aus der Truppe des Inquisitors Erasmus von London ausfindig machen und nach Rom zurückbringen. Da besagter Spion gefährliche Ketzer und deren Sympathisanten hätte ausfindig machen müssen, war diese Aufgabe nun ebenfalls Benedikt zugefallen.
Über die Hälfte seines Lebens verdingte Benedikt sich bereits als Söldner. Zwar war er zum ersten Mal hinter mutmaßlichen Ketzern her, doch das machte kaum einen Unterschied für ihn. Ob es um Verräter, Mordbuben, Fahnenflüchtige oder eben um Ketzer ging – sie auszuspionieren, um ihrer habhaft zu werden, sie bestenfalls zu überführen und sie ihrer Strafe zuzuführen, gestaltete sich in der Ausführung stets sehr ähnlich. In jedem Fall würde bei einem erfolgreichen Abschluss des Auftrags eine fette Entlohnung auf ihn warten.
Inzwischen hatte Benedikt sein Ziel erreicht. Seit zwei Tagen hielt er sich bereits in der Handelsstadt Koblenz auf und hatte sich einen guten Überblick über die örtlichen Gegebenheiten verschafft. Überdurchschnittlich viele Händler und Kaufleute hatten sich hier am Zusammenfluss von Mosel und Rhein angesiedelt und gingen erklecklichen Geschäften nach. Knapp fünftausend Seelen mochten insgesamt in der Stadt leben, so schätzte er. Damit war Koblenz keine kleine Stadt, aber dennoch überschaubar. Benedikt war sich darüber im Klaren, dass die Anwesenheit eines Fremden nicht lange unbeachtet bleiben würde. Besonders dann, wenn er, wie es nun einmal notwendig war, sich eine geraume Weile hier aufhalten würde. Dieser Umstand floss selbstverständlich in seine Planung mit ein.
Da ihm der Magen knurrte, machte Benedikt sich entschlossen auf den Weg in Richtung der nahe gelegenen Braugasse, um im Gasthaus von Klais Brauer ein leichtes Mittagsmahl einzunehmen, begleitet von einem hoffentlich sehr kühlen Trunk.
In der Kirche hatte er so einige Gespräche der anwesenden Personen belauscht, die sich, ihm nicht unähnlich, aus der drückenden Hitze in das Gotteshaus geflüchtet und dort fröhlich getratscht hatten oder ihren Geschäften nachgegangen waren. Kirchen waren überall ein Born der Information, da sich dort, wie auch auf Friedhöfen, stets viele Menschen aufhielten und ihrem Tagewerk nachgingen. Alles, was er bisher vernommen hatte, wollte er nun in Ruhe für sich sortieren und bewerten, um sein weiteres Vorgehen entsprechend anpassen zu können.
Im Wirtshaus herrschte bereits ein reger Trubel, die sechs langen Holztische, jeweils von zwei Bänken flankiert, waren alle bereits teilweise besetzt. Sehr gut. So würde es ihm nicht schwerfallen, die ersten Kontakte zu knüpfen. Nachdem er seinen Blick über die Gäste hatte schweifen lassen, ging er zielstrebig auf den zweiten Tisch linker Hand zu und fragte nach einem Gruß, ob es den Anwesenden genehm sei, dass er sich zu ihnen setzte.
»Sicher, sicher, nehmt Platz!« Einer der Männer, korpulent, vermutlich Mitte oder Ende vierzig und der Kleidung aus feiner Wolle und Seide nach zu urteilen ein wohlhabender Kaufmann, deutete mit einem leutseligen Grinsen auf den freien Platz neben sich. »Ihr seid fremd in der Stadt, nicht wahr? Zumindest habe ich Euch noch nie hier gesehen. Seid Ihr auf der Durchreise? Ach ja, gestattet, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Diederich Boos.«
»Benedikt vom Heidenstein.« Benedikt ließ sich auf der Bank nieder. »Sehr erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen, Herr Diederich. Ihr habt recht, ich bin neu in Koblenz, jedoch nicht nur auf der Durchreise.« Er winkte einer vorbeieilenden Schankmagd zu, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Ach, dann besucht Ihr wohl jemanden? Familie gar?« Der Kaufmann sah ihn neugierig an.
»Das weniger.« Benedikt fasste einen Entschluss, der ihm in diesem Augenblick am sinnvollsten erschien. »Ich suche nach einer neuen Anstellung. Bislang habe ich als Soldat in verschiedenen Heeren gedient, bin jedoch der Kriege und Schlachten müde und möchte mich fortan lieber einem Handelsherrn anschließen oder vielleicht die Gleve eines Amtmannes ergänzen und Wachdienste verrichten.« Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf. »Mir scheint, Ihr selbst seid im Kaufmannsgewerbe tätig. Vielleicht wisst Ihr ja sogar eine geeignete Stellung für mich.«
»Ihr seid ja sehr geradeheraus.« Diederich Boos griff nach seinem Weinbecher und trank einen Schluck. »Das gefällt mir.« Er musterte Benedikt eingehend. »Ich nehme an, Ihr könnt Referenzen vorweisen. So, wie Ihr ausseht und Euch kleidet, seid Ihr von höherer Geburt, nehme ich an?«
Benedikt zögerte nur einen Lidschlag lang. Er sprach nicht gern über seine Herkunft und Vergangenheit, doch hin und wieder war es unvermeidlich. »Meine Familie entstammt väterlicherseits einer jüngeren Linie der Grafen vom Heidenstein, die unweit der Stadt Nürnberg ihren Sitz haben. Meine Mutter war die jüngste Tochter eines Nürnberger Bürgermeisters.« Er bemühte sich um eine gleichmütige Miene, die nichts über seine Gedanken und Gefühle verriet.
»Ah, soso.« Boos nickte ihm mit mildem Interesse zu. »Ihr sucht Euch aber eine Stellung sehr weit von Eurem Geburtsort entfernt. Man möchte meinen, dass es einen Mann nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückzieht – zu seiner Familie.«
»Meine Familie existiert nicht mehr.« Nun klang seine Stimme doch ein wenig hohl, aber er gestattete sich keinerlei Gefühlsregung. Es war müßig, über Tatsachen Schmerz zu empfinden, die sich nicht ändern ließen. »Meine Eltern und Schwestern starben an einem Lungenfieber, das in meiner Heimat grassierte, als ich fast noch ein Junge war. Ein Knappe in den Diensten meines Onkels. Als er vom Tod seines Bruders, meines Vaters, erfuhr, wollte er mich in ein Kloster geben, zu dem er freundschaftliche Bande pflegte und in dem er bereits zwei seiner eigenen jüngeren Söhne untergebracht hatte.«
Boos nickte erneut, diesmal mit gerunzelter Stirn. »Er wollte Euch loswerden. Das Los vieler verwaister Nichten und Neffen.«
»Nicht das meine.« Nun klang Benedikts Stimme wieder vollkommen gleichmütig, obgleich die Erinnerung an die Kaltherzigkeit seines Onkels, zu dem er bis zu jenem Tag bewundernd aufgeblickt hatte, ihm immer noch ein gewisses Unwohlsein bescherte. Dabei begriff er mit dem Verstand die Beweggründe eines Mannes, der zuvorderst das Wohl seiner eigenen Familie und das Erbe der eigenen Söhne im Auge zu behalten hatte. Einen vom Rang her unbedeutenden Neffen ohne ersichtlichen Nutzen hätte er selbst, so redete Benedikt sich seit Jahren mehr oder weniger erfolgreich ein, wahrscheinlich ebenfalls loswerden wollen. Das kaum erwähnenswerte Erbe seines Vaters hätte gerade ausgereicht, um die Aufnahmegebühr für das Kloster abzudecken.
»Ja, ganz offensichtlich.« Boos lachte trocken. »Mir scheint, Ihr seid auch nicht unbedingt ein Mann, der sich in Mönchskutte und Tonsur wohlfühlen würde. Nun denn. Leider habe ich selbst derzeit keinen Bedarf an weiteren Wachleuten. Ihr solltet Euch an die Zunft der Kaufleute wenden, die findet Ihr hier in der Braugasse, nur drei Häuser weiter.« Vage gestikulierte Boos in Richtung des Ausgangs. »Dort wissen sie normalerweise um offene Stellen. An die Amtmänner oder den Adel gelangt Ihr eher über den Stadtrat. Einer unserer beiden Bürgermeister ist Graf Johann von Manten. Er stellt etliche Gleven für die Stadtverteidigung. Bei ihm könntet Ihr Glück haben.« Er stockte einen Moment und grinste dann breit. »Vielleicht gar … Habt Ihr selbst ein Weib, Herr Benedikt?«
»Nein.« Da endlich die Schankmagd an den Tisch trat, bestellte Benedikt einen Krug leichtes Bier sowie Brot, Käse und gebratenen Schinken und nach kurzer Überlegung auch noch eine Schüssel Rührei. Er hatte durch seine vermaledeite Seekrankheit in den letzten Tagen und Wochen häufig nur wenig oder gar nichts bei sich behalten können, und seine Hosen schlackerten inzwischen unerfreulich um seine Beine. Als die Magd weitereilte, fügte er an Boos gewandt hinzu: »Das Leben eines Söldners ist nicht geeignet, eine Familie zu gründen.«
»Falls Ihr dies nun ebenfalls ändern möchtet, kann ich Euch im Vertrauen den Hinweis geben, dass Graf Johann eine Tochter im heiratsfähigen Alter hat.« Boos’ Stimme hatte einen leicht süffisanten Unterton angenommen, der Benedikt verriet, dass Boos der Grafenfamilie von Manten offenbar nicht allzu freundliche Gefühle entgegenbrachte, sich jedoch offenbar nicht wagte, dies öffentlich auszusprechen. Vermutlich fürchtete er den Einfluss des Grafen, der als Bürgermeister in Koblenz ganz sicher hohes Ansehen genoss.
»Tatsächlich«, war alles, was Benedikt sicherheitshalber darauf erwiderte.
»Ja, ein Zufall, nicht wahr?« Das Grinsen des Kaufmanns reichte mittlerweile von Ohr zu Ohr. »Jungfer Mariana ist ein zauberhaftes Wesen, ganz ohne Zweifel. Sie ist erst kürzlich von der Mantenburg zurückgekehrt, wo sie erzogen wurde. Ich nehme an, der Graf will sie endlich unter die Haube bringen. Zeit wird es allemal. Sie muss schon an die zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt sein. Dass er sie nicht schon viel eher verheiratet hat, ist mir ein Rätsel. Freier gab es mithin genügend, soweit ich weiß. Aber für Euch könnte sich dieser Umstand als Vorteil erweisen, wenn Ihr Eure Karten richtig ausspielt. Ihr seid ein stattliches Mannsbild, da wird sie doch gewiss Gefallen an Euch finden.« Boos hielt inne, weil Benedikts Speisen aufgetragen wurden, und fuhr erst fort, nachdem die Schankmagd sich entfernt hatte.
»Sie, also Jungfer Mariana, soll allerdings ein ordentliches Temperament besitzen. Einem Mann wie Euch könnte das wohl gefallen, oder? Falls Ihr aber lieber etwas weniger Feuer bevorzugt, haltet Euch an des Grafen ältere Tochter Reinhild. Sie ist seit Kurzem verwitwet, müsst Ihr wissen, und von wesentlich ausgeglichenerem Gemüt. Allerdings könnte es auch sein, dass sie nicht mehr, nun ja, verfügbar ist. Man munkelt, sie werde immer öfter in Gesellschaft von Conlin vom Langenreth gesehen. Möglicherweise hat er ein Auge auf sie geworfen. Verstehen könnte man es. Sein älterer Bruder, Graf Oswald, ist nicht gerade … Nun, sagen wir, er täte gut daran, seinen Bruder in eine gut betuchte Familie einzuverheiraten. Anderenfalls wird es wohl mit dem Geschlecht derer vom Langenreth alsbald nicht mehr weit her sein.«
Lieber Himmel, dieser Kaufmann war nicht nur ganz eindeutig von missgünstiger Natur, sondern tratschte auch noch mit offensichtlichem Vergnügen. Das machte ihn für Benedikt zu einem absoluten Glücksfall, wenngleich nicht einmal ansatzweise sympathisch.
»Falls Ihr Euch also mit dem Gedanken tragen solltet, sesshaft zu werden …«, redete Boos munter weiter.
»Ich werde Eure Ratschläge bedenken«, unterbrach Benedikt ihn rasch. »Zunächst einmal suche ich nur nach einer Anstellung.«
»Natürlich, natürlich.« Fröhlich klopfte Boos mit den Handflächen auf die Tischplatte. »Gewiss wird Eure Suche von Erfolg gekrönt sein. Koblenz ist ein guter Ort, viele wohlhabende Familien leben hier. Bei einer werdet Ihr gewiss Glück haben.« Er atmete hörbar ein und wieder aus, und es wirkte, als wolle er noch weitere Ratschläge folgen lassen, doch bevor er dazu kam, trat ein halbwüchsiger Junge zu ihnen und raunte Boos etwas ins Ohr, das sich für Benedikt so anhörte wie: »Wied sucht nach Euch. Er ist ziemlich wütend.«
Boos’ Miene verlor all ihre Leutseligkeit. »Sag ihm, er soll sich nicht so anstellen.«
»Aber …« Die Kinnlade des Jungen klappte herab. »Er ist der Bürgermeister.«
»Jaja, ich weiß.« Sichtlich vergrätzt erhob Boos sich und hielt gleichzeitig die vorbeieilende Schankmagd am Arm fest, sodass sie abrupt herumgewirbelt wurde. Nur ihrer Geschicklichkeit war es zu verdanken, dass ihr dabei nicht alle leeren Krüge und Teller entglitten, die sie gerade in die Küche tragen zu wollen schien. »Sag dem Wirt, er soll meine Zeche anschreiben. Ich zahle wie immer am Ende des Monats.«
»Ja, Herr Boos, gewiss.« Die Magd nickte und eilte weiter.
Boos wandte sich an Benedikt. »Ich muss mich leider nun verabschieden. Wichtige Schöffenangelegenheiten rufen mich. Gehabt Euch wohl. Vielleicht trifft man sich bei Gelegenheit wieder.«
»Gehabt Euch wohl.« Benedikt war nicht unglücklich darüber, den Kaufmann nun loszuwerden und sich seinem Mahl widmen zu dürfen. Dass Boos offenbar ein städtischer Schöffe war, notierte er sich jedoch im Geiste ebenso wie den Namen des zweiten Bürgermeisters neben Johann von Manten und den Umstand, dass jener wohl ein Hühnchen mit Boos zu rupfen hatte. Solche Informationen waren wichtig, um die verborgenen Strukturen ebenso wie die Händel innerhalb eines städtischen Gefüges einschätzen zu können.
Fest stand für Benedikt zum jetzigen Zeitpunkt bereits, dass die Familie Boos in Koblenz zwar einen hohen Rang innehatte, sich jedoch auf wenig freundschaftlichem Fuße mit den derzeit offenkundig einflussreichsten Familien von Manten und Wied befand. Falls er sich entschied, eine Freundschaft mit Boos anzustreben, musste er diese Fakten berücksichtigen. Boos’ beinahe schon unverfrorenen Vorschlag, sich eine der beiden Töchter des Grafen zu angeln, hätte er durchaus als Affront auffassen können, wenn er viel darauf geben würde, dass er, wenn auch von Adel, so doch von wenig beachtenswerter Stellung war. Da Boos aber vermutlich nur in reichlich alberner Manier gute Ratschläge hatte loswerden wollen, dachte Benedikt gar nicht weiter darüber nach.
Ganz abgesehen davon, dass er sich von jeglichem Standesdünkel schon vor vielen Jahren verabschiedet hatte, war er ganz sicher nicht hergekommen, um sich ein Weib zu suchen. Dass er nur in Koblenz weilte, um einen Auftrag, zwei, wenn man es genau nahm, auszuführen, durfte er natürlich nicht verlauten lassen.
Da Boos ihm nicht allzu angenehm war, beschloss Benedikt, dessen ersten Ratschlag viel eher zu beherzigen. Er würde sich bei der Zunft nach offenen Stellen für Wachleute erkundigen – und wohl auch beim Stadtrat. Insbesondere der Name Conlin vom Langenreth klang vielversprechend, denn dieser Mann war einer der beiden mutmaßlichen Ketzer, die Mathys, Sohn des Earl von Smithingham, genannt Mathys le Smithy, laut seiner Berichte an den Inquisitor Erasmus von London bis nach Koblenz verfolgt hatte. Wenn Benedikt es fertigbrachte, sich jenem Conlin anzudienen, würde er mit Sicherheit ganz leicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Dass Mathys le Smithy, jener offenbar abtrünnige Spion des Inquisitors, nicht etwa, wie Benedikt zunächst angenommen hatte, gestorben war, sondern sich quicklebendig in der Stadt aufhielt, noch dazu als Handelsgeselle des zweiten mutmaßlichen Ketzers, eines Pelz- und Geschmeidehändlers mit dem eigentümlichen Namen Palmiro Bongert, hatte er schon sehr kurz nach seinem Eintreffen in Koblenz in Erfahrung bringen können. Nun musste er sich weiteres Hintergrundwissen aneignen, um dieser potenziell gefährlichen Männer habhaft zu werden und sie möglichst bald zusammen mit aussagekräftigen Beweisen nach Rom zu überführen.
Ob Mathys tatsächlich abtrünnig war, musste er natürlich ebenfalls erst einmal herausfinden. Vielleicht gab es auch einen anderen Grund dafür, dass dessen Berichte an Erasmus immer seltener und nichtssagender geworden und zuletzt beinahe gänzlich ausgeblieben waren. Ein Spion musste sich stets den Gegebenheiten anpassen. Manchmal bedeutete das, sich gänzlich bedeckt zu halten und zur eigenen Sicherheit die Kommunikation mit den Auftraggebern einzustellen, um nicht entdeckt zu werden. Erasmus wusste das, gehörte jedoch beileibe nicht zu der geduldigsten Sorte Mensch. Er wollte Ergebnisse sehen, möglichst noch innerhalb der kommenden sechs bis zwölf Monate. Je eher, desto besser, denn ein weiterer erfolgreich geführter Kampf gegen die Häretiker würde ihm in Rom sicherlich großes Ansehen verschaffen und ihm den Weg aufwärts auf der Karriereleiter des Vatikans ebnen. Dass der Inquisitor vermutlich auch noch einen anderen Beweggrund für seine Jagd auf zwei Männer hatte, die so fern von Rom lebten, ging Benedikt zwar nichts an, machte die Sache jedoch eine Spur interessanter als alles, was er bisher getan hatte, um sein täglich Brot zu verdienen.
Während Benedikt sich mit Genuss über das Mahl aus Eiern, Schinken und Brot hermachte, behielt er seine Umgebung gewohnheitsgemäß wachsam, jedoch unauffällig, im Auge. Dieses Gasthaus gehörte zu den besseren in Koblenz, was bedeutete, dass er hier am ehesten Informationen über genau die Personen sammeln konnte, um die sich sein Auftrag drehte. Deshalb sprach er, nachdem er seinen Teller und die Schüssel mit dem Rührei geleert hatte, einen Mann zu seiner Rechten an, dessen aufwendig bestickter Mantel ihn als Amtmann einer Zunft auswies.
»Sagt, guter Mann, wo in dieser schönen Stadt finde ich wohl einen Pelzhändler? Ich suche schon seit einer Weile nach einem, der mir meinen alten, verschlissenen Winterpelz durch einen neuen ersetzen kann.«
»Einen Pelz wollt Ihr kaufen? Jetzt im heißesten Sommer?« Der Mann, schon etwas über fünfzig wohl und mit schütterem Haar und Halbglatze, hustete in seinen Weinbecher. »Habt Ihr Euch da nicht die falsche Jahreszeit ausgesucht?«
»Ganz und gar nicht.« Benedikt setzte eine leutselige Miene auf. »Im Sommer bekommt man eine Winterausstattung meist deutlich günstiger als im Herbst, wenn es kalt wird und alle Welt zu frieren beginnt.«
»Hm, ja, da mag etwas dran sein«, gab der Mann zu. »Nyvelonck ist übrigens mein Name, Walter Nyvelonck.«
»Erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen.« Freundlich nickte Benedikt ihm zu. »Mein Name ist Benedikt vom Heidenstein.«
Auch Nyvelonck nickte. »Ihr seid fremd in Koblenz, nehme ich an.«
»Seit ein paar Tagen erst bin ich hier«, bestätigte Benedikt. »Wenn ich eine Anstellung finde, werde ich vielleicht länger bleiben.«
»Eine Anstellung sucht Ihr? Als was, wenn ich fragen darf?« Die Neugier seines Gegenübers war geweckt.
»Als Wachmann oder dergleichen. Ich war Soldat, möchte mich aber nicht mehr auf Schlachtfeldern herumschlagen.«
»Allzu verständlich.« Nyvelonck schauderte sichtlich, bemühte sich aber um ein Lächeln. »Ein Mann will wohl in seinem Leben noch etwas mehr sehen als Kriege, nicht wahr?«
»So ist es«, bestätigte Benedikt. »Man riet mir, mich an die Zunft der Kaufleute zu wenden, wo man am ehesten über offene Stellen Auskunft geben könne.«
»Da könnt Ihr gleich mit mir mitkommen.« NyveIoncks Lächeln verbreiterte sich. »Ich bin Zunftmeister der Kaufleute und für die Zunftverwaltung zuständig. Ich kann Euch gern einige Handelshäuser nennen, bei denen sich das Vorsprechen lohnen dürfte.«
Erfreut richtete Benedikt sich auf. »Das ist ja ein ausgesprochen vielversprechender Zufall, will ich meinen.«
»Offensichtlich.« Nyvelonck gestikulierte mit seinem Weinbecher. »Ich muss ohnehin gleich ins Zunfthaus. Begleitet mich also gern, wenn Ihr wollt. Und was Eure Frage nach einem Pelzhändler angeht, so kann ich Euch das Kontor des jungen Don Palmiro empfehlen. Nicht nur, weil er derzeit der einzige Kaufmann ist, der in Koblenz mit Pelzen handelt, sondern auch, weil er ein angesehener, rechtschaffener Mann ist. Von etwas fragwürdiger Herkunft vielleicht, genauso wie sein Vater – oder vielmehr Ziehvater –, der Tuchhändler Don Antonio, aber darüber kann und sollte man tunlichst hinwegsehen, schon wegen seiner familiären Verbindung zu unseren beiden Bürgermeistern. Einen ordentlichen Winterpelz wird er Euch ganz sicher verkaufen können und ganz bestimmt zu einem erschwinglichen Preis.«
»Don Palmiro ist sein Name?« Da Nyvelonck sich erhob, trank Benedikt rasch sein Bier aus und tat es ihm gleich. »Ein ungewöhnlicher Name.« Er beeilte sich, einige Münzen aus der Geldkatze an seinem Gürtel zu fischen, um seine Zeche zu bezahlen, während Nyvelonck der Schankmagd auftrug, den Betrag, den er schuldete, anschreiben zu lassen. Ähnlich wie Boos zuvor schien er nicht abgeneigt, sein Wissen über die offenen Geheimnisse der Koblenzer Bürger mit Benedikt zu teilen. So erfuhr Benedikt denn auf dem Weg zum Zunfthaus so einige interessante, zum Teil höchst erstaunliche Details über Palmiro Bongert und dessen illustre Familie.