ariana von Manten befand sich in denkbar ungünstiger Stimmung. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann führte sie es auch umgehend aus. Oder zumindest versuchte sie es. Diesmal leider bislang erfolglos, und das wurmte sie.
Vor einiger Zeit hatte sie die Mantenburg verlassen, auf der sie mehrere Jahre der Erziehung bei ihrer Stiefgroßmutter, Frau Jutta, verbracht hatte, und war in das Haus ihres Vaters zurückgekehrt. Der Grund war einleuchtend: Sie war inzwischen zwanzig Jahre alt und noch unverheiratet. Damit galt sie in absehbarer Zeit als alte Jungfer, und das war nun wirklich inakzeptabel. Immerhin war sie wunderschön, klug, redegewandt, sie verstand sich auf das Führen eines Haushalts, und ihre Handarbeiten wurden überall hochgelobt.
Es war geradezu grotesk, dass sie immer noch ohne Gemahl durchs Leben ging. Nun gut, zugegebenermaßen hatten sich auf der Mantenburg kaum infrage kommende Männer aufgehalten. Entweder waren sie ihr standesmäßig zu weit unterlegen, zu alt, bereits verheiratet oder dumm wie Bohnenstroh. Deshalb hatte sie sich mit Frau Jutta beraten, und gemeinsam hatten sie beschlossen, dass nur ein Ortswechsel etwas an diesem inakzeptablen Zustand würde ändern können.
Lange Zeit hatte Mariana davon geträumt, eines Tages ihrem stattlichen Ritter hoch zu Ross zu begegnen und sich auf den ersten Blick unsterblich in ihn zu verlieben. Selbstverständlich wäre er ihr ebenfalls sogleich mit Haut und Haaren – und seinem edlen Herzen – verfallen. Lediglich Frau Juttas Einwand, dass nur wenige Männer ein derart edles und vor allem langmütiges Herz besaßen, um es mit Marianas zuweilen teuflischem Temperament aufnehmen zu wollen, hatte Schatten auf jenen wunderschönen Tagtraum geworfen. Doch Mariana hatte sich nicht beirren lassen und weiter geträumt. Sie war sich absolut sicher gewesen, dass jener stattliche und natürlich unglaublich gut aussehende Ritters- oder Edelmann sie selbstverständlich von Herzen so lieben würde, wie sie war. Er würde ihre flinke, nun gut, hin und wieder auch spitze Zunge zu schätzen wissen und sich mit Vergnügen in hitzige Dispute mit ihr stürzen. Er würde ihre Klugheit ebenso bewundern wie ihre anmutige Gestalt, ihr langes, dunkelbraunes, beinahe schwarzes Lockenhaar und ihre dunklen Augen.
An ihrem neunzehnten Geburtstag begann dieser Traum allmählich zu verblassen, und als sie ihren zwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte, war ihr endgültig klar geworden, dass sie die Sache anders angehen musste, wenn sie nicht als alte, vertrocknete Jungfer enden wollte.
Einen Anteil am Fehlen eines Gemahls hatte natürlich auch ihr Vater. Graf Johann von Manten war außerordentlich wählerisch, was Ehegesponse für seine Kinder anging. Wobei es die Söhne insofern leichter hatten, als sie erstens deutlich später als ihre Schwestern überhaupt an eine Ehe zu denken brauchten und zweitens viel beweglicher waren. Sie konnten reisen, sich im weiteren Umkreis nach einer passenden Braut umsehen und dabei zudem noch so manche delikate Erfahrung machen, die einer wohlerzogenen Edeljungfer verwehrt war.
Grundsätzlich war Mariana dankbar, dass ihr Vater sie nicht einfach an den Meistbietenden verscherbeln wollte. Seine eigenen Erfahrungen sowie die seiner ältesten Tochter Enneleyn mit ihrem ersten Gemahl hatten ihn gelehrt, sehr viel genauer hinzusehen, wenn ein potenzieller Freier seiner Töchter bei ihm vorstellig wurde. Dieser Umstand hatte sie vor dem Schlimmsten bewahrt, dessen war sie sich sicher. Doch allmählich musste etwas geschehen, andernfalls war ihr Schicksal wohl leider besiegelt, ganz gleich, wie sehr ihr Liebreiz allerorten gepriesen wurde.
Manchmal fragte sie sich, ob ihre um zwei Jahre ältere Schwester Reinhild wohl ebenfalls noch unverheiratet wäre, wenn sie nicht die Dinge in die eigenen Hände genommen hätte – sozusagen – und schwanger geworden wäre. Auch wenn Mariana weit davon entfernt war, solch drastische Mittel anzuwenden, musste sie doch anerkennen, dass Reinhild auf diese Weise den Mann bekommen hatte, den sie liebte. Dass sie nur knapp sechs Jahre später Witwe geworden war, hatte niemand ahnen können, und das war es auch gar nicht, worum sich ihre ungute Laune momentan drehte.
Der springende Punkt war, dass Mariana nicht einmal einen Mann zu benennen in der Lage gewesen wäre, dem ihr Herz gehörte, so wie Reinhilds Herz Gottfried gehört hatte. Oder so wie das Herz ihrer Mutter ihrem Vater gehörte oder das von Enneleyn ihrem Anton. Mariana war schlicht und ergreifend noch niemals verliebt gewesen, und das war bemerkenswert, wenn man bedachte, wie sehr sie fast ihr gesamtes Leben lang von ihrem Ritter hoch zu Ross und einer großen unsterblichen Liebe geträumt hatte. In Wahrheit wusste sie nicht einmal, wie die Liebe sich anfühlte.
Natürlich liebte sie ihre Familie aus tiefstem Herzen, ebenso wie einige enge Freundinnen, doch das war ja wohl etwas gänzlich anderes. Die aufregende, Herzklopfen bereitende Verliebtheit, von der jene Freundinnen hin und wieder geschwärmt hatten, war ihr ebenso unbekannt wie die weit innigere, wärmere, tiefere Liebe, die sie bei so manchen Ehepaaren in ihrer Umgebung wahrnahm und die deutlich häufiger vorhanden zu sein schien, als viele Leute behaupteten.
Die Liebe und Leidenschaft zwischen einem Mann und einer Frau kannte sie nur aus Geschichten, Sagen, Legenden und den großen Balladen, die die Troubadoure zu besingen wussten.
Selbstverständlich hätte sie eine solche Liebe auch gern einmal erlebt, doch wenn sie weiter darauf wartete, wäre sie irgendwann alt und grau. Wenn sie also aus irgendeinem Grund keine große Liebe erleben würde, etwas, das sicherlich vielen anderen Menschen ebenfalls widerfuhr, dann bedeutete das zumindest nicht, dass sie sich keinen Ehemann suchen konnte. Sie musste es nur klug angehen und deutlich aktiver als bisher. Anstatt darauf zu warten, dass ihr der passende Mann über den Weg lief, würde sie sich auf die Suche begeben. In Koblenz gab es sicherlich einige Kandidaten, die sie sich näher ansehen müsste.
Dummerweise verboten ihr Anstand und Sitte, dieses Unterfangen ganz allein anzugehen. Sie brauchte eine Verbündete. Ihre Schwester hatte immerhin schon weniger als zwei Monate nach dem Tod ihres Gemahls einen neuen Mann gefunden, der sie in sehr absehbarer Zeit heiraten würde. So ganz genau hatte Mariana noch nicht durchschaut, wie es dazu gekommen war, wusste sie doch sehr genau, wie sehr ihre Schwester den Verlust Gottfrieds betrauerte. Mariana hatte Gottfried von Winneburg durchaus sehr gern gemocht, doch Conlin war schneidiger, sah besser aus und besaß wohl auch ein viel prägnanteres Temperament. Zwar hätte sie selbst ihn nie in Betracht gezogen, weil er doch ein rechter Glücksritter gewesen und weil ihr sein Bruder Oswald zugegebenermaßen unheimlich war. Doch aus irgendeinem Grund schien er sogar besser zu Reinhild zu passen als Gottfried, auch wenn das mehr ein vages Gefühl war, das Mariana selbst nicht recht greifen konnte.
Mariana vertraute voll und ganz auf Reinhilds Urteilsvermögen. Wenn ihre Schwester Conlin für ihrer würdig empfand, dann hatte sie dafür gute Gründe. Welche das waren, würde Mariana sicherlich bald in Erfahrung bringen.
Und aus genau diesem Grund hatte Mariana sich am heutigen Donnerstagnachmittag auf den Weg zum Haus ihrer Schwester in der Schildergasse begeben. Die Magd, die sie begleitet hatte, schickte sie wieder nach Hause, sobald sie das schmale Wohnhaus erreichte. Trotz ihrer gemischten Stimmung setzte sie ein frohgemutes Lächeln auf und pochte an die Haustür.
***
Mathys le Smithy war guter Dinge. Er lenkte den einfachen Transportwagen, der von einem Zugpferd gezogen wurde, vom Florinshof aus in die Holzschuhergasse und wollte von dort aus die Mehlgasse in Richtung Burgtor nehmen. In der Mehlgasse waren die Bäcker ansässig, und offenbar wurden sie gerade allesamt mit ihrem wichtigsten Rohstoff beliefert, der der Gasse ihren Namen gab. Gleich mehrere Fuhrwerke stauten sich dort, sodass ein Durchkommen nicht möglich war. Ein feiner weißer Staub lag in der Luft, offenbar verursacht durch einen aufgeplatzten Mehlsack. Also entschied sich Mathys für die nächste, parallel zur Mehlgasse verlaufende Straße.
In der Schildergasse war es deutlich ruhiger, obgleich schon einige Reiter und Fußgänger vor ihm sich ebenfalls für diese Ausweichroute entschieden hatten. Eilig hatte Mathys es mithin nicht. Es war bereits hoher Nachmittag. Bis er die Pelze vom Wagen abgeladen hatte, würde es gut und gern schon fast Vesperzeit sein. Mit Kundschaft war so spät eher nicht mehr zu rechnen, also konnte er Frau Reinhild rasch noch die letzten Notizen auf seiner Wachstafel vorlegen und hernach einen frühen Feierabend einläuten. Don Palmiro hatte ihm dies ausdrücklich erlaubt, solange er fort war.
Der Kaufmann, der ihm in den vergangenen Monaten ein guter Freund geworden war, hatte sich am Vortag auf den Weg zum Kloster Eberbach gemacht, mit dem er neue Geschäftsbeziehungen aufzunehmen hoffte. Klöster konnten sich in der Regel Pelze von ausgesuchter Qualität leisten. Eberbach war solch ein reiches Kloster, und Mathys hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Palmiro erfolgreich sein würde.
Ein wenig erschütterte ihn immer noch die Erkenntnis, dass Palmiro ein Ketzer war. Ein Mann, der die schlimmste, unaussprechliche Sünde begangen hatte. Er hatte einem anderen Mann fleischlich beigelegen. Nicht ein Mal, was vielleicht noch als einigermaßen entschuldbar hätte gelten können, sondern offenbar schon sehr oft. Herausgefunden hatte Mathys dies nur rein zufällig, weil er ungehörigerweise ein Gespräch zwischen Palmiro und dessen Freund, dem Edelmann Conlin vom Langenreth, belauscht hatte.
Die Neugier war der Katze Tod, so konstatierte Mathys bei sich. Nun musste er mit einem Wissen leben, das ihn in Teufels Küche – oder vielmehr in die Fänge der Inquisition – treiben könnte. Mit so etwas kannte er sich aus, immerhin war er selbst ein Spion des in Rom ansässigen Inquisitors Erasmus von London.
Gewesen, betonte Mathys in Gedanken. Er war ein Spion gewesen, als er sich auf Palmiros Spuren begeben und so nach Koblenz gekommen war. Doch sein Gewissen verbot ihm, Palmiro an Erasmus auszuliefern. Er hatte den Kaufmann und dessen Freund Conlin lange Zeit verfolgt und ausspioniert. Doch es gab in seinen Augen keinen Hinweis auf Häresie, zumindest nicht in der Art, wie Erasmus sie suchte und bei Palmiro vermutete.
Der Inquisitor war auf der Suche nach den Nachkommen und Sympathisanten der sogenannten Tempelritter, die den legendären Gralsschatz seit Jahrhunderten versteckten und bewachten. Nach Männern, die sich offen oder im Geheimen gegen die Lehren und Regeln der Heiligen Mutter Kirche auflehnten, ihrer spotteten und andere Menschen zu gottlosem Tun verleiteten. Doch nichts von alldem traf auf Palmiro Bongert zu. Er war ein gottesfürchtiger, kluger, rechtschaffener Kaufmann und besaß darüber hinaus viel mehr christliche Nächstenliebe als viele andere Menschen, ja sogar wahrscheinlich mehr als Erasmus selbst.
Einen solchen Mann konnte er nicht ausliefern. Selbst als er von Palmiro oder vielmehr Conlin als Spion entlarvt worden war, hatte Palmiro ihn nicht hinausgeworfen oder ihm irgendetwas antun wollen. Im Gegenteil! Er hatte Mathys vor die Wahl gestellt und ihm angeboten, hier in Koblenz ein neues, besseres Leben unter wahren Freunden zu beginnen.
Mathys hatte nie echte Freunde gehabt und auch kein Zuhause. Die Entscheidung war ihm nicht schwergefallen. Selbst seine jüngste entsetzliche Entdeckung hatte daran nichts geändert, obgleich ihm der Gedanke, dass Palmiro ein Sodomit war, auch heute noch, mehrere Tage nach dieser Erkenntnis, kalte Schauer der Ungläubigkeit und des Entsetzens verursachte.
Allerdings, so musste er sich eingestehen, war er nur allzu geneigt, diese Ungeheuerlichkeit in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses zu verdrängen, um seinen Traum von einem Ort, an dem er sich willkommen und angenommen fühlte, nicht aufgeben zu müssen.
War er selbst also nichts anderes als ein Ketzer, weil er einen solchen zu schützen gewillt war? Und weshalb konnte Palmiro diese mächtige Reliquie tragen, obgleich diese angeblich jeden Menschen strafte oder gar zerstörte, der nicht reinen Herzens im Herrn wandelte? War die Reliquie gar selbst Teufelswerk? Wie aber sollte dies angehen, wenn sie doch dem heiligen Gralsschatz entstammte?
Fragen über Fragen, die Mathys nicht beantworten konnte und die er ebenfalls tunlichst verdrängte. Er wollte nicht aus Koblenz fort, so einfach war die Sache, wenn man sie auf den Punkt brachte. Er fühlte sich wohl hier, beinahe sogar glücklich. Das wollte er nicht aufgeben. Wenn ihn das ebenfalls zum Ketzer machte, nun, dann würde er früher oder später die Konsequenzen tragen müssen. Spätestens dann, wenn er vor seinen Schöpfer treten würde. Doch das, so hatte er bei sich beschlossen, war es wert.
Er hatte eine gute Stellung als Handelsgeselle in Palmiros Kontor. Vielleicht konnte er, so sein verwegener Traum, eines Tages sogar als Kompagnon in das Geschäft einsteigen. Diese Aussicht erschien ihm so viel besser als alles, was ihm bisher in seinem Leben widerfahren war, und auch als alles, was ihn als Spion der Inquisition erwarten würde.
Sein Leben war endlich, nach mehr oder weniger vergeudeten sechsundzwanzig Jahren, in ein ruhiges, angenehmes Fahrwasser gelangt. Ein wenig hatte er mit seinem letzten Bericht an Erasmus nachgeholfen, und er hoffte, damit alles Notwendige getan zu haben, um den Inquisitor endgültig losgeworden zu sein. Dieser Gedanke ließ ihn lächeln und tief die frische Sommerluft einatmen, die nach den Unwettern der letzten Tage die Schwüle und drückende Hitze abgelöst hatte. Sogar eine angenehme Brise umwehte ihn, und der Anblick eines bunten Schmetterlings, der seinen Weg kreuzte, ließ ihn sein Lächeln noch vertiefen.
Dann jedoch erblickte er sie – und das Lächeln gefror auf seinen Lippen.
***
Auf Marianas Klopfen hin rührte sich überraschenderweise nichts im Haus. Also pochte sie erneut gegen das glatte, dunkle Holz der Eichentür.
Nichts.
War Reinhild nicht zu Hause? Sie knabberte an ihrer Unterlippe. Es war ein gewöhnlicher Donnerstagnachmittag. Ihre Schwester ging doch sonst um diese Zeit nicht aus. Und selbst wenn, wo steckte das Gesinde? Wo war die Magd Anni, die auch Hannes’ Kinderfrau war? Wo die Köchin, wo die Knechte? Irgendwer musste doch wohl hier sein, und sei es auch nur, um sie nun wieder nach Hause zurückbegleiten zu können. Sie hatte ihre Magd zugegebenermaßen viel zu vorschnell fortgeschickt, und nun stand sie hier, allein, und kam sich einigermaßen dumm vor.
Donnerstag! War das nicht einer der Tage, an denen Reinhild neuerdings in Palmiros Kontor beim Führen der Rechnungsbücher aushalf? Natürlich. Dienstags, donnerstags und samstags. Wie hatte sie das nur vergessen können? Sie hielt so viel auf ihr gutes Gedächtnis, doch in letzter Zeit lenkten ihre Heiratspläne sie viel zu sehr ab.
Was nun? Bestimmt war Anni mit Hannes ausgegangen und das Gesinde auf Botengängen unterwegs. Oder auf dem Markt. Wie ärgerlich!
Unschlüssig blickte sie an der Fassade des Hauses empor. Allein, gänzlich ohne Begleitung, konnte sie nicht nach Hause gehen. Nun ja, könnte sie sehr wohl, doch es schickte sich nicht, und sowohl Reinhild als auch ihre Eltern wären mit Sicherheit erbost, wenn sie sich ohne Begleitung auf den Heimweg machen würde.
»So ein Mist«, murmelte sie bei sich und hätte der unschuldigen verschlossenen Tür am liebsten einen Tritt versetzt. Das Rumpeln eines Fuhrwerks hinter sich auf der Straße beachtete sie nicht weiter. »Wie kann man nur so dumm sein, Mariana?«, klagte sie sich selbst an, diesmal, ohne es zu bemerken, in normaler Lautstärke.
»Für dumm hatte ich Euch bislang nicht gehalten, Vainly Maiden . Aber ich nehme an, Ihr müsst es selbst am besten wissen.«
Mariana zuckte heftig zusammen, als sie die dunkle, spöttische Männerstimme hinter sich vernahm. Eine Stimme mit einem unverkennbaren englischen Akzent. O nein! Sie flog um ihre eigene Achse und starrte in einer Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit den schlanken, braunhaarigen Mann an, dessen graue Augen ebenso spöttisch funkelten, wie seine Stimme geklungen hatte. Sie schluckte, weil ihr Herz vor Schreck einen unanständigen Satz gemacht hatte.
»Smissi«, brachte sie mit etwas Verspätung, jedoch hoffentlich dem rechten Maß an Verachtung heraus. »Was habt Ihr hier zu suchen?«
Mathys le Smithy sprang vom Bock des kleinen Fuhrwerks und trat zwei Schritte auf sie zu. Dass sie, wie immer, seinen Namen falsch ausgesprochen hatte, schien ihn nicht weiter zu erschüttern. Schade, bis vor Kurzem hatte sie ihn damit ausgezeichnet ärgern können. Er ließ jedoch nur träge seinen Blick über ihren Körper wandern, von ihrem Gesicht bis hinab zu ihren Füßen und wieder zurück. Als ihre Blicke sich erneut trafen, revidierte sie ihre Meinung. Er war verärgert, ganz eindeutig. »Die Frage könnte ich Euch ebenfalls stellen, Vainly Maiden .«
Sie kniff die Augen zusammen. »Nennt mich gefälligst nicht so!«
»Wie Ihr meint«, schnappte er. »Dann lasst es mich anders ausdrücken, denn Ihr scheint nicht nur eitel zu sein, Jungfer Mariana, sondern auch überaus töricht: Wie kommt Ihr dazu, ohne Begleitung in Koblenz herumzustromern, Foolish Maiden ?«
Zorn stieg in ihr auf, denn seit er sie neben Vainly Maiden auch einmal conceited – gefallsüchtig – genannt hatte, hatte sie sich ein wenig mit seiner Muttersprache befasst und wusste nur zu genau, dass er sie gerade erneut mit einem beleidigenden Namen bedacht hatte. »Ich bin weder herumgestromert noch war ich allein.«
»Ach? Ich sehe weder Knecht noch Magd an Eurer Seite.« Er sah sich übertrieben intensiv um, so als könne er auf diese Weise irgendwo doch noch eine Begleitperson entdecken.
»Ich habe die Magd vorhin weggeschickt.« Sie verschränkte die Arme vor dem Leib. »Da wusste ich noch nicht, dass meine Schwester nicht zu Hause ist.«
»Also seid Ihr auch noch ein wenig voreilig«, schloss er.
»Vielleicht«, gab sie widerwillig zu, denn aus genau diesem Grund hatte sie sich ja eben noch selbst gescholten. »Das macht mich aber noch lange nicht dumm.«
Er legte den Kopf ein wenig schräg. »Als dumm habt Ihr Euch selbst bezeichnet. Ich nannte Euch töricht.«
»Ihr nanntet mich soeben foolish .«
Plötzlich lächelte er. Nicht spöttisch, sondern erheitert und zugleich auf eine Weise, die etwas sehr Merkwürdiges mit Marianas Magengrube anstellte. »Wenn Ihr vorhaben solltet, die Feinheiten der englischen Sprache zu erlernen, kann ich Euch gern behilflich sein.« Ehe sie ob dieser Frechheit – er war immerhin nur ein einfacher Handelsgeselle und ihr damit vom Stand her unterlegen – auch nur Luft holen konnte, um ihn zu schelten, fuhr er fort: »Seid versichert, dass ich Euch für alles andere als dumm halte, Jungfer Mariana. Ihr seid sogar gefährlich klug und macht bei jeder Benutzung Eurer spitzen Zunge keinen Hehl daraus. Dennoch war es, wie Ihr ebenfalls sehr genau wisst, nicht sehr sinnvoll, Eure Magd wegzuschicken. Was mich nun leider in die Position versetzt, meinen frühen Feierabend aufgeben zu müssen, um Euch sicher und wohlbehalten nach Hause zu bringen.« Er wies auf das Fuhrwerk. »Es ist keine bequeme Sänfte, fürchte ich, aber besser als ein längerer Fußweg.«
Sie saß in der Falle, das wusste sie nur zu gut. Denn wenn sie sein Angebot ablehnen würde, dürfte er sie zurecht als töricht und noch einiges unerfreuliche andere bezeichnen. Oh, wie sie diesen Mann verabscheute! Da er dies aber längst zu wissen schien, ließ sie sich nicht anmerken, was sie ihm liebend gern an den Kopf geworfen hätte.
»Nun gut«, erwiderte sie so würdevoll wie nur möglich. »Da meine Schwester ja leider nicht hier ist, nehme ich Euer Angebot an.«
Er nickte nur knapp und kehrte ihr voran zu dem Fuhrwerk zurück. »Wenn Ihr Frau Reinhild dringend sprechen müsst, kann ich Euch auch mit zu Don Palmiros Kontor nehmen. Sie ist donnerstags immer dort, um …«
»Ich weiß.« Sie seufzte, als er sich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr umdrehte. »Es ist mir inzwischen wieder eingefallen«, setzte sie rasch hinzu. »Es war mir nur entfallen, weil …« Nein, ihre Heiratspläne gingen ihn nun wirklich nichts an. »So bringt mich denn zu ihr. Bitte.«
Mit einem weiteren Nicken trat er zur Seite, um ihr Platz zu machen. »Wie Ihr wünscht, Jungfer Mariana.«
***
Er ließ sie nicht aus den Augen, als sie nah an den Wagen herantrat. Es war ihm einfach nicht möglich, dazu war sie zu schön. Er tröstete sich damit, dass es wohl jedem Mann so ergehen würde, der noch einen Funken Leben in sich hatte. Allerdings war er klug genug, es beim Betrachten zu belassen.
Diese Jungfer war aus vielerlei Gründen gefährlich. Sobald er auch nur in ihre Nähe kam und in den Genuss ihrer scharfen Zunge, wollte er sie am liebsten durchschütteln, erwürgen und noch ein paar andere Dinge, die zwar auf den ersten Blick deutlich angenehmerer Natur waren, ihn jedoch umgehend in des Teufels Küche – auf den heißesten Bratrost! – entsendet hätten. Sie war ein rechtes Ärgernis, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war. Ein zauberhaft schönes Ärgernis, doch ihre Schönheit überwog mitnichten die Gefahr, in die er geraten würde, wenn er mehr täte, als sie zu bewundern. Und selbst das war schon ein Unterfangen, das ihm die Seelenruhe raubte. Sie wusste ganz genau, dass sie schön war. Und klug. Und dass sie über ihm stand, zumindest über dem Rang, den er selbst für sich erwählt hatte.
Eigentlich hätte dieser Umstand ausreichen müssen, um ihn auf weitestmöglichen Abstand gehen zu lassen. Das Letzte, was er vorhatte, war, sich wegen eines eitlen Weibes Ärger einzuhandeln. Leider brachte sie regelmäßig sein wohlgehütetes Temperament dazu, mit ihm durchzugehen. Normalerweise war er in Gegenwart von Frauen eher zurückhaltend, doch Mariana von Manten hatte etwas an sich, das ihn jegliche Vorsicht vergessen ließ. Selbst jetzt, als es eindeutig angebracht schien, sich in Schweigen zu hüllen, konnte er nicht an sich halten.
»Ich könnte Euch in der Tat bei den Studien meiner Muttersprache behilflich sein. Wann habt Ihr schon die Gelegenheit, eine fremde Sprache aus erster Hand zu erlernen?«
Ihre Miene verfinsterte sich umgehend.
»Ich studiere Eure Muttersprache nicht. Lediglich ein paar Worte habe ich in Erfahrung gebracht, die von Euch ganz eindeutig als Beleidigungen gedacht waren. Das war wohl nur mein gutes Recht, oder etwa nicht?«
»Gewiss.« Er reichte ihr die Hand, um ihr beim Aufsteigen auf den Bock behilflich zu sein. »Dennoch steht mein Angebot, falls Ihr vorhaben solltet, einmal mehr als nur englische Bezeichnungen für törichte und eitle Weiber auszutauschen – mit mir oder jedwedem weiteren meiner Landsmänner.«
Sie zögerte einen ganzen Atemzug lang, bevor sie seine Hand ergriff, und sie entzog sich ihm auch sogleich, nachdem sie sicher auf dem Bock Platz gefunden hatte. »Daran besteht kein Bedarf, Smissi.« Sie warf ihm einen scheelen Blick zu. »Ich sehe keinen Sinn und Grund darin, mich mit Euresgleichen auszutauschen.«
Er unterdrückte den Impuls, mit den Zähnen zu knirschen, und schwang sich rasch neben sie. Sie rutschte sogleich so weit zur Seite, wie es nur ging, und er fürchtete bereits, sie würde auf der anderen Seite des Bocks herunterfallen.
»Festhalten«, brummte er, ergriff die Zügel und trieb das Zugpferd mit einem Schnalzen an.
Mariana schwankte tatsächlich kurz, fing sich aber rasch wieder. »Für einen Mann Eures Standes seid Ihr ganz schön anmaßend. Ich könnte mich bei Palmiro über Euch beschweren. Oder bei meinem Vater.«
»Könntet Ihr wohl, aber Ihr werdet es nicht tun, Vainly Maiden .« Bewusst hielt er seinen Blick auf die Gasse vor ihnen gerichtet.
»Und warum wohl werde ich das nicht tun, Smissi ?« Den verballhornten Namen betonte sie mit scharfem Spott.
Er grinste breit. »Weil Ihr dann erklären müsstet, auf welche Weise, oder soll ich besser sagen, mit welcher Frechheit Ihr meine anmaßenden Reaktionen herausgefordert habt. Ich denke, das behalten wir um Eures guten Rufes willen lieber für uns.« Er hörte, wie sie empört die Luft einsog, und setzte rasch hinzu: »Außerdem macht es Euch Spaß, mich zu ärgern. Mit solch einer Anklage bei Don Palmiro oder gar Eurem Vater würdet Ihr Euch dieses Vergnügens berauben, sollte man mich zur Strafe aus Eurem Einflussbereich entfernen.«
Diesmal stieß sie hörbar die Luft aus. »Seid versichert, Smissi, dass nichts – rein gar nichts! – an Eurer Gesellschaft oder an Gesprächen mit Euch mir auch nur einen Funken Vergnügen bereitet.«
»Nun, dann klagt mich an«, forderte er sie heraus und machte den Fehler, sie nun doch kurz anzusehen. Der Zorn sprühende Blick aus ihren dunkelbraunen Augen versetzte ihm einen unheilvollen Stich.
»Das werde ich tun, wenn Ihr nicht umgehend einseht, wo Euer Platz ist«, fauchte sie.
»Nur zu.« Da sie Don Palmiros Haus erreicht hatten, zügelte er das Zugtier und sprang vom Bock herunter. Auffordernd hielt er ihr wieder seine Hand hin, und wieder zögerte sie. Er sah ihr an, dass sie erwog, ohne seine Hilfe von dem Gefährt abzusteigen, doch die Vernunft siegte schließlich doch. Nach den Unwettern der letzten Tage waren Straßen und Gassen in Schlammpfuhle verwandelt worden, und ein unbedarfter Sprung vom Bock hätte böse enden können.
Also ergriff sie seine Hand und kletterte vorsichtig zu Boden. Dabei geriet sie dennoch leicht aus dem Tritt und wäre beinahe gegen ihn geprallt. »Danke.« Viel zu heftig entzog sie ihm ihre Hand. »Ihr steht mir im Weg«, setzte sie giftig hinzu.
»So it seems« , murmelte er mehr zu sich selbst. »Verzeiht, Vainly Maiden , mir war nicht bewusst, dass Ihr es so eilig habt.«
Sie kniff nur die Augen zusammen und hastete an ihm vorbei, als er einen Schritt beiseite machte. Er hatte das Fuhrwerk in Palmiros Hof gelenkt, sodass sie sich in Richtung Hintertür aufmachte.
Ihn ritt der Teufel, das war ihm bewusst, als er ihr hinterherrief: »Eure Klage bei Palmiro muss leider noch warten. Er weilt derzeit im Kloster Eberbach. Wir erwarten ihn erst kommende Woche zurück.«
Sie hatte die Hand bereits ausgestreckt, um die Hintertür aufzustoßen, und fuhr bei seinen Worten ruckartig herum. Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, hätte tödlicher nicht sein können. Doch ohne ein weiteres Wort verschwand sie schließlich im Haus.
Mathys blickte für mehrere Atemzüge auf die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte. Dann blickte er auf seine rechte Hand, mit der er ihr vom Fuhrwerk geholfen hatte, und fuhr sich schließlich frustriert durchs Haar.
»Damned! « , fluchte er. »Damned Fool!«