9. Kapitel

IMAGE is auf eine kurze, reichlich förmliche Begrüßung vor der Kirchenpforte hatte Conlin noch kein Wort mit Reinhild gesprochen. Während der Messe stand er nun, umringt von Mitgliedern seiner wie ihrer Familie, neben ihr und warf ihr ein ums andere Mal unauffällige Seitenblicke zu, die sie jedoch nur zweimal sehr kurz erwiderte. Ansonsten stand sie ganz ruhig da und gab sich den Anschein, andächtig den Worten des Kaplans zu lauschen. Conlin war ihr jedoch nah genug, um zu bemerken, dass sie äußerst angespannt war.

Als gegen Ende des Gottesdienstes die anstehenden Aufgebote – so auch das ihre – verkündet wurden, spannte sie sich noch mehr an, während um sie herum erstauntes Raunen aufkam. Conlin konnte sich wahrlich etwas Schöneres vorstellen, als auf diese Weise in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu geraten. Schon gar, wenn seine Braut derart kühl und in sich gekehrt wirkte und er den Eindruck gewann, dass sie vor alldem am liebsten die Flucht ergriffen hätte. Vor alldem … und vor ihm.

Inzwischen ahnte er zumindest einen der Gründe für ihre offenkundige Angst, doch er wusste selbst nicht, wie er damit umgehen sollte. Vor einiger Zeit hatte sein älterer Bruder einige Bemerkungen über Reinhild fallen lassen, die in Conlin einen unglaublichen Verdacht geweckt hatten. Inzwischen war er sich fast sicher, dass Oswald der Vater von Reinhilds Sohn war, auch wenn sein Bruder selbst nie auf diesen Gedanken gekommen war. Noch ungeheuerlicher war allerdings, dass die Schilderung seines Bruders Conlin vermuten ließ, dass die Zeugung des Jungen nicht in einem einvernehmlichen Akt erfolgt war. Oswalds Worte ließen Conlin noch jetzt die Haare zu Berge stehen, wenn er daran dachte. Wie hatte es nur dazu kommen können?

Dass Reinhild Oswald nicht wegen Vergewaltigung angeklagt hatte, war verständlich. Ihre Schwangerschaft hätte vor Gericht zu einem vernichtenden Urteil führen können. Allgemein ging man davon aus, dass eine Frau nur dann empfangen könne, wenn sie einvernehmlichen Beischlaf mit einem Mann und darüber hinaus Lust empfunden habe.

Reinhilds Verhalten und die Tatsache, dass sie seit ihrer Vermählung mit Gottfried von Winneburg Conlins Familie und ganz besonders seinem Bruder weiträumig aus dem Weg gegangen war, sprachen dafür, dass die Sache gänzlich anders abgelaufen sein musste. Sie hatte Gottfried geheiratet, um sich und ihr Kind zu schützen, doch nun hatte sie in eine Ehe mit ihm, Conlin, eingewilligt oder vielmehr ihn dazu gedrängt, sie zu ehelichen. Und das, obwohl sie sich nach wie vor ganz offensichtlich vor Oswald fürchtete.

Conlin biss die Zähne hart aufeinander. Natürlich war heute auch Oswald mit seiner Gemahlin in die Messe gekommen, ebenso wie Christine als zukünftige Schwiegermutter und Bruder Genericus, der sich höchst aufmerksam in der Liebfrauenkirche umsah.

Er war zwar in Koblenz geboren, hatte die Stadt aber seit seiner Aufnahme ins Kloster der Kölner Dominikaner im Alter von elf oder zwölf Jahren nicht wieder betreten. Für ihn musste also alles gänzlich neu sein oder nur mit einigen Kindheitserinnerungen verwoben. Innerlich verfluchte Conlin die vertrackte Situation, in die er geraten war. Einerseits hätte er gern ein paar ungestörte Worte mit Reinhild gewechselt, andererseits wusste er nicht einmal, was genau er zu ihr sagen sollte. Nicht einmal Palmiro war hier, den er vielleicht um Rat hätte fragen können. Oder auch nicht, denn er durfte Reinhilds Geheimnis nicht einfach so jemand anderem gegenüber ausplaudern, auch nicht gegenüber Palmiro, obgleich oder gerade weil er Reinhild so gut kannte. Ganz zu schweigen davon, dass er immer noch höllisch wütend auf seinen guten Freund war, weil dieser mit seiner Kuppelei maßgeblichen Anteil an dieser vermaledeiten Verlobung hatte.

Und, viel schlimmer noch, Palmiro war ein Ketzer! Ein Sodomit! Ein grässlicher, grässlicher Sünder. Es schauderte Conlin allein beim Gedanken an die verwerflichen Dinge, die Palmiro mit Gottfried, und wer weiß, mit wem sonst noch, getrieben hatte. Conlin war, wie jeder andere christliche Mensch, in dem von den Priestern verbreiteten Wissen aufgewachsen, dass der Beischlaf zwischen zwei Männern oder zwei Frauen so ziemlich das Scheußlichste war, was man tun konnte. Es war gegen die Natur, gegen die Lehren der Heiligen Mutter Kirche, gegen …

»… und so ermahne ich euch alle, bevor ihr das Haus des Herrn verlasst«, drang die Stimme des Kaplans an Conlins Ohr. »Der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, so sagt schon Moses im Alten Testament, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft! Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.« Der Geistliche ließ die Worte einen Augenblick wirken, bevor er die Arme ausbreitete. »Nun gehet hin in Frieden!«

Die Kirchengemeinde murmelte mehr oder weniger deutlich ihre Antwort darauf, und die meisten drängten bereits zum Ausgang, während der Augustinerchor noch ein letztes Lied zum Lobpreis des Herrn sang. Conlin wurde von Reinhild fortgedrängt. Ehe er an ihre Seite zurückkehren konnte, befand er sich bereits vor dem Portal und war umringt von Gratulanten und Neugierigen, überwiegend Männer, die ihm gönnerhaft auf die Schultern klopften und ihn mit Fragen und Glückwünschen überhäuften.

Etwas hilflos beobachtete er, dass es Reinhild ganz ähnlich erging. Kurz kreuzten sich ihre Blicke, doch das angestrengte Lächeln, das sie aufgesetzt hatte, bereitete ihm beinahe körperliche Schmerzen.

»Da habt Ihr Euch aber rangehalten, Herr Conlin«, rief Gylo, einer der städtischen Schöffen, und knuffte ihn lachend gegen die Schulter. »Ich dachte, ich höre nicht recht, als Bruder Petrus eben Euer Aufgebot verkündet hat.«

Sein Schöffenkollege Siegfried von der Rollingsgasse grinste anzüglich. »Wie habt Ihr die junge Witwe denn so rasch nach dem Tod ihres Gemahls für Euch gewinnen können?«

Gylo lachte dröhnend. »Viel eher würde mich interessieren, wie Ihr Graf Johann für diesen Plan begeistern konntet.« Er wies mit dem Kinn auf Reinhilds Vater, der aufrecht, mit verschränkten Armen und dem für ihn typischen gewittrigen Blick etwas abseits stand und dem Treiben der Gratulanten schweigend zusah. Die Glückwünsche, die an ihn gerichtet wurden, nahm er zwar freundlich, jedoch mit undurchdringlicher Miene entgegen. Der Blick seines zukünftigen Schwiegervaters, der Conlin in diesem Moment traf, war jedoch alles andere als begeistert. Prompt lachte Gylo erneut. »Sonderlich froh sieht er nicht aus.«

Siegfried nickte zustimmend. »Mir war auch so, als sei er stets eher wenig an einer näheren Freundschaft mit Eurer Familie interessiert – und an familiären Banden schon gar nicht.«

»Stimmt«, bekräftigte Gylo. »Offenbar hat er seine Meinung nun geändert. Was mich auf meine ursprüngliche Frage zurückführt: Wie habt Ihr das geschafft, Herr Conlin?« Noch einmal knuffte er Conlin gegen die Schulter. »Wisst Ihr was, das erzählt Ihr uns bei einem guten Trunk in Meister Brauers Gasthaus.«

»Tut mir leid«, wehrte Conlin ab. »Ich bin bei Reinhild und ihrer Familie eingeladen und muss …«

»Papperlapapp«, unterbrach Gylo ihn und winkte gleichzeitig ein paar andere Mitglieder des Schöffenkollegs sowie ein paar Ratsherren herbei. »Eure Verlobung muss erst einmal ordentlich begossen werden. Kommt schon, tut uns den Gefallen, Herr Conlin. Schon lange gab es nicht mehr eine so pikante Verlobungsgeschichte in unserer Stadt.«

Conlin sträubte sich. »Daran ist nichts pikant.«

»Doch, doch«, widersprach Gylo und zog ihn einfach mit sich. »Gerade weil Ihr es abzustreiten versucht, muss sich eine delikate Geschichte dahinter verbergen. Sagt, wird es noch einen großen öffentlichen Verspruch geben? Auf dem Florinshof oder hier auf dem Kirchhof von Liebfrauen?«

»Nein«, grollte Graf Johanns Stimme hinter Conlin, noch ehe dieser Luft für eine Antwort holen konnte. »Wir verzichten auf großes Tamtam.« Er bedachte Conlin mit einem väterlich strengen Blick. »Lasst uns Herrn Gylos Einladung annehmen und ihn auf einen kurzen Umtrunk begleiten.«

»Aber … Reinhild hat mir ausrichten lassen, dass sie mich und meine Familie zum Mittagsmahl erwartet«, protestierte Conlin.

»Sie wird es verschmerzen, wenn wir ein bisschen später dort eintreffen.« Des Grafen Blick wurde noch eindringlicher, und als sich Gylo kurz den anderen Männern zuwandte, um in Conlins Namen alle in die Wirtschaft einzuladen, raunte er: »Da müssen wir jetzt durch, Herr Schwiegersohn. So können wir zumindest steuern, welche Gerüchte über euch beide in Umlauf geraten. Tun wir es nicht, denken die«, er wies mit dem Kinn auf die frohgemute Schöffen- und Ratsherrengruppe, »sich weiß Gott was aus. Das sollten wir schon um Reinhilds willen verhindern. Und auch ich lege keinen gesteigerten Wert auf irgendwelche Skandalgeschichten. Also lass nach Möglichkeit mich reden. Ich habe bereits Übung darin, die Wahl meiner Schwiegersöhne zu rechtfertigen!«

Ehe Conlin darauf etwas erwidern konnte, brandete ringsum Applaus auf, zusammen mit Jubel- und Hurra-Rufen. Er verdrehte die Augen. Woher kamen plötzlich all diese Leute?

»Das wird ein teurer Spaß«, raunte Johann ihm grimmig zu.

Conlin sah, dass Reinhild ihm irritiert nachblickte, als er sich mit den anderen Männern auf den Weg in Richtung Braugasse machte, und nahm gleichzeitig besorgt zur Kenntnis, dass Oswald sich ihnen ebenfalls anschloss. Doch wahrscheinlich war das besser, als wenn sein Bruder unbeaufsichtigt in Reinhilds Haus herumstöberte. Seit ihrer Rückkehr verhielt sein Bruder sich zwar recht friedlich, doch man konnte nie wissen, wann seine Stimmung umschlug oder ihn einer seiner Tobsuchtsanfälle überkam. Eine Wirtshausschlägerei war ganz sicher weniger schlimm als die Möglichkeit, dass Oswald Reinhilds Einrichtung kurz und klein schlug. Leider musste man mit so etwas inzwischen ständig rechnen.

»Nun erzählt endlich«, forderte Gylo Conlin auf, nachdem sie sich in Klais Brauers Wirtsstube alle um einen der langen Tische versammelt hatten. »Wie habt Ihr Frau Reinhilds Herz erobert? Oder doch zumindest ihre Hand.«

Johann räusperte sich vernehmlich, sodass sich die Anwesenden alle ihm zuwandten. »Ich habe die Entscheidung getroffen, dass eine baldige Neuvermählung meiner Tochter sinnvoll und wichtig ist, schon weil sie einen Sohn hat, der einen Vater braucht.«

Conlin starrte ihn verblüfft an. Mit dieser Aussage hatte Johann von Manten die Wahrheit ganz außerordentlich gedehnt.

Johann fuhr derweil fort: »Ihr wisst alle, dass ihre erste Ehe von mir zwar nicht geplant war, doch was tut ein Vater nicht alles, wenn es um das Herz seiner Tochter geht, nicht wahr?« Direkt leutselig blickte er in die Runde, und prompt nickten einige der Männer und murmelten gutmütige Zustimmung.

Zufrieden nickte Johann. »Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte schon damals eine Verbindung zwischen unserer Familie und derer vom Langenreth stattfinden können, doch das fiel dann ja leider aus.«

Conlin hustete. Das war nun eindeutig eine Lüge. Niemals hätte Graf Johann von Manten ihn als Schwiegersohn in Erwägung gezogen.

Selbst Oswald merkte auf. »Ihr wolltet Reinhild mit meinem Bruder vermählen?«

Johann nickte vollkommen gelassen. »Es wäre eine standesgemäße Verbindung gewesen.«

»Doch dann hat Eure Tochter Euch den Winneburger ins Nest gelegt«, fiel der Schöffe Diederich Boos ihm ins Wort. »Höchst ungebührlich, aber so etwas kommt ja in den besten Familien vor, nicht wahr?« Seine Stimme klang gallig und es stand außer Frage, dass die beiden Männer einander nicht allzu gut leiden konnten.

Johann ging nicht darauf ein. »Letztlich konnte ich mich über die Wahl meiner Tochter nicht beschweren, denn Gottfried, der Herr hab ihn selig, war ihr ein guter Mann und seinem Sohn ein ebenso guter Vater. Nach seinem tragischen Tod, den wir alle nach wie vor beklagen, ist es nun aber meine Pflicht, mich um die Zukunft meiner Tochter und meines Enkels zu sorgen. Da Conlin sich bislang noch nicht vermählt hat, lag es in meinen Augen nahe, den Plan einer Verbindung seiner mit unserer Familie wieder aufzugreifen, und wie ihr seht, ist er diesmal aufgegangen.«

»Ihr hättet früher mit mir sprechen sollen«, brummte Oswald. »Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn ich rechtzeitig von Euren Plänen gewusst hätte.« Er runzelte die Stirn. »Warum habt Ihr uns nicht stattdessen Mariana angeboten? Sie ist nur wenig jünger als Reinhild, und Conlin hätte sie bestimmt ebenso gern genommen.«

Am Tisch wurde getuschelt und geraunt ob dieser unverhohlenen Frechheit.

Johann blieb jedoch weiterhin ganz ruhig. Lediglich Conlin, der in den vergangenen Tagen ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, die Stimmungen seines zukünftigen Schwiegervaters zu studieren, bemerkte ein leichtes Zucken in dessen narbenverunzierter Wange und dass sich seine Augen leicht verengten. Beides sagte ihm, dass Oswald sich auf sehr dünnes Eis begeben hatte, doch das würde ihn vermutlich nicht einmal scheren, wenn er es bemerkt hätte.

»Mit Mariana habe ich andere Pläne«, erwiderte Johann nur knapp. »Um sie geht es auch heute nicht, sondern um Reinhild und Conlin, auf die wir doch wohl heute trinken wollen, oder etwa nicht?« Er winkte die Schankmagd herbei und bestellte unter erneutem Hurra und Applaus vom besten Wein und Bier des Hauses.

»Ihr überrascht uns«, griff Boos das Thema erneut auf, als sich der Jubel ein wenig gelegt hatte. »Ich zumindest hatte stets den Eindruck, dass Ihr Conlin vom Langenreth nicht allzu freundschaftlich gesinnt seid.« Er wandte sich Conlin zu. »Nichts für ungut.«

Conlin wusste nicht, was er darauf antworten sollte, denn natürlich hatte der Schöffe vollkommen recht.

»Verzeiht, wenn ich das so offen anspreche«, sprach Boos an Johann gerichtet weiter. »Wie gesagt, ich bin nur so erstaunt, das ist alles.«

»Das sei Euch belassen, Boos.« Nun doch mit einem gewissen Ingrimm, musterte Johann ihn. »Nur weil ich gewisse Verhaltensweisen in der Vergangenheit gescholten habe, bedeutet das nicht, dass ich nicht um die Vorteile einer strategischen, wirtschaftlich wie politisch vorteilhaften Verbindung weiß und diese nutzen werde. Da Conlin anstrebt, ein ehrenwertes Gewerbe auszuüben, sehe ich diesen Nutzen sogar in mehrfacher Hinsicht. Der Verkauf von Sicherheiten ist heutzutage ebenso gefahrvoll wie einträglich, deshalb werden wir in dieser Hinsicht zukünftig eng zusammenarbeiten. Nicht wahr, Conlin?«

»Hm, ja, natürlich.« Hastig nickte Conlin, obgleich er weder besonders begeistert von dieser Aussicht war noch begriff, was der Graf mit seiner zur Schau gestellten Leutseligkeit bezweckte, die so gar nicht zu ihm zu passen schien.

»Was das angeht, so kann ich Euch alle, wie Ihr hier anwesend seid, nur dringend empfehlen, Euch bei Bedarf an meinen zukünftigen Schwiegersohn zu wenden. Denn wozu auswärtige Sicherheitengeber beschäftigen, wenn es gleich vor Eurer Haustür einen vertrauenswürdigen Mann gibt, der Euch gewiss ein ausgezeichnetes Angebot machen wird.« Bedeutungsvoll hielt Johann inne und blickte von einem zum anderen.

Nun wusste Conlin, was sein Schwiegervater in spe bezweckte, und war hin- und hergerissen zwischen Verblüffung, Ärger und Bewunderung. Mit seinen nächsten Worten bewies Johann, dass er genau wusste, was er tat.

»Aller Anfang ist schwer, das muss ich wohl nicht erst betonen, denn das ist einem jeden von Euch nur zu bekannt. Deshalb stehe ich mit meinem Namen und Leumund voll und ganz hinter Conlin vom Langenreth.«

Und mit seinem Geld, fügte Conlin im Geiste hinzu, doch das musste nicht laut ausgesprochen werden. Die Anwesenden hatten auch so begriffen, was Graf Johann ihnen mitteilen wollte. Denn nicht nur er hatte Conlin stets für einen Tagedieb und Glücksritter gehalten, sondern auch die übrigen Anwesenden. Durch Johanns so eindeutige Fürsprache bürgte er nun offen für Conlin und ebnete ihm damit den Weg in die großen Handelskontore. Allein hätte er das kaum geschafft, schon gar nicht so schnell.

Die Ehe mit Reinhild allein hätte daran kaum etwas geändert, wenn alle Welt davon ausgegangen wäre, dass Reinhilds Vater zwar zugestimmt hatte, jedoch nicht wirklich hinter dieser Ehe oder Conlins Plänen stand. Johann hatte immerhin schon einmal einer nur bedingt vorteilhaften Eheschließung seiner Tochter zugestimmt. Nun aber hatte er, der bisher selbst an Conlins Charakter gezweifelt hatte, sich mit wenigen, jedoch eindringlichen Worten für ihn verbürgt und damit nicht nur seinen Leumund gestärkt, sondern praktisch garantiert, im Falle eines Falles mit voller wirtschaftlicher Kraft hinter ihm zu stehen.

Erst in diesem Moment begriff Conlin in vollem Umfang, was Palmiro mit seinem Drängen auf die Verbindung mit Reinhild bezweckt hatte. Und er verstand nun auch, wie klug es von Reinhild gewesen war, für diese Verlobung zu sorgen. Wie sonst hätte er seine Pläne jemals umsetzen sollen? Ganz Koblenz hielt ihn für einen Taugenichts oder Müßiggänger. Niemand hätte ihm auch nur die Sicherheit für den Schmutz unter den Fingernägeln anvertraut. Schon gar nicht, da sich längst herumgesprochen hatte, dass Oswald sowohl verrückt als auch überschuldet war.

Eine widerwärtige Mischung aus Dankbarkeit, Verlegenheit und Zorn ergriff ihn. Zorn auf sich selbst, weil er, gleich wie, aus eigener Kraft rein gar nichts erreicht hätte. Zumindest nicht hier in seiner Heimatstadt oder in einem Umkreis, in dem sein Name bekannt war. Und für einen Neuanfang in der Fremde fehlten ihm die Mittel. Ganz zu schweigen davon, dass er seine Familie verdammt noch eins nicht im Stich lassen durfte.

Seine Mutter und Schwägerin und deren Kinder konnten schließlich nichts dafür, dass der Graf vom Langenreth den Verstand verloren hatte und darüber hinaus unfähig war, seine Ländereien so zu verwalten, dass sie die Familie leidlich ernährten. Conlin hatte diese Pflicht und Last nie tragen wollen, doch nun hatte er keine Wahl, und das machte ihn mindestens ebenso zornig. Auf Oswald, auf Graf Johann, auf Reinhild, auf die ganze Welt.

»Guter Plan«, mischte Oswald sich überraschend ein. »Sicherheiten bringen gutes Geld in die Kasse.« Er nickte Conlin friedfertig und eine Spur gönnerhaft zu. »Und ein ansehnliches Weib kriegst du obendrein. Reinhild wird dir gewiss noch weitere Söhne austragen. So bleiben beide Linien der Familie bestehen.« Da in diesem Moment die Schankmagd eine erste Ladung Getränke an den Tisch brachte, griff Oswald nach einem Krug Bier und einem Becher und hob beides so schwungvoll an, dass ein wenig der Flüssigkeit über den Rand des Kruges schwappte. »Darauf sollten wir ebenfalls trinken, Männer!«

***

Benedikt saß schon seit einer geraumen Weile am Nebentisch, mit dem Rücken zu der Gesellschaft von Ratsherren und Schöffen. Wenn er es richtig verstanden hatte, wurde hier gerade die Verlobung eines gewissen Conlins vom Langenreth gefeiert. Jenes Mannes, der ebenso wie Palmiro Bongert der Häresie verdächtigt wurde. Das war interessant, wenn auch wenig verdächtig, sah man einmal davon ab, dass eine Eheschließung so kurz nach dem Tod des ersten Gemahls der Braut als pietätlos bezeichnet werden konnte. Ungewöhnlich war solch ein Vorgehen jedoch auch wieder nicht, speziell, wenn auch noch Kinder versorgt werden mussten und die betreffende Frau über eine nicht zu verachtende Mitgift verfügte.

Inzwischen hatte Benedikt sich ein recht umfassendes Bild von den Verhältnissen gemacht, in denen die Familie und Freunde von Palmiro Bongert und Conlin vom Langenreth lebten.

Als Johann von Manten wie nebenbei zu erzählen begann, dass er gemeinsam mit seinem zukünftigen Schwiegersohn mehrere Gleven zusammenzustellen gedachte, um die Überwachung zu transportierender Waren bei Bedarf selbst übernehmen zu können, sah er seine Gelegenheit gekommen.

Beiläufig drehte er sich zum Tisch der Feiernden um. »Verzeiht, wohledler Herr Graf, dass ich mich einmische, aber wenn Ihr noch Wachleute suchen solltet, würde ich Euch gern meine Dienste anbieten. Mein Name ist Benedikt vom Heidenstein.«

Johann von Manten musterte ihn erstaunt. »Ihr seid nicht von hier.« Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage.

Benedikt nickte. »Das ist richtig. Ich …«

»Ihr seid doch dieser Söldner von neulich«, unterbrach Boos ihn. »Habt Ihr noch keine neue Anstellung gefunden?«

Auch hierzu nickte Benedikt und freute sich, dass sein Plan aufging. »Herr Diederich, wie schön, Euch wiederzusehen.« Er lächelte dem korpulenten Kaufmann zu. »In der Tat habe ich noch keine neue Anstellung, allerdings auch noch nicht so aktiv danach gesucht, wie ich es hätte tun sollen. Ich habe meine Zeit zunächst damit verbracht, Koblenz und die nähere Umgebung zu erkunden. Ich dachte mir, dass es wohl nicht schadet, wenn ich mir ein paar Ortskenntnisse aneigne, bevor ich mich bei potenziellen Dienstherren vorstelle. Dies ist ein sehr schönes Fleckchen Erde, auf dem man sich gewiss recht schnell heimisch fühlen wird.«

»Da habt Ihr wohl in beiden Punkten recht«, stimmte Boos jovial zu. »Ortskenntnisse sind stets von Vorteil für einen Mann im Wach- oder Schutzdienst, und unser Rhein- und Moselland hat viele schöne Gegenden zu bieten.«

»Ihr kennt Euch?«, wandte Johann sich an Benedikt, doch es war nicht auszumachen, ob dies ein Vor- oder Nachteil sein würde.

»Durch Zufall sind wir uns kürzlich hier begegnet«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Ich war so frei, mich bei Herrn Diederich zu erkundigen, ob er eine freie Stellung für mich wisse. Ich war lange Jahre im Sold verschiedener Heerführer, bin nun aber der Kriege und Schlachten müde und suche nach einer anderen Art von Arbeit. Der Dienst als Wachmann eines Kaufherrn würde mir zusagen.« Während er sprach, beobachtete er mit Interesse, dass Conlin vom Langenreth mit der Hand an seine Brust fasste und irritiert die Stirn runzelte. »Falls Ihr, Herr Graf, also Bedarf an zuverlässigen Männern haben solltet, kann ich Euch gern Referenzen nennen.« Dass einige davon erfunden und andere erlogen waren, spielte sicherlich keine Rolle. Koblenz war weit genug von Benedikts früheren Wirkungsstätten entfernt, sodass sich der Graf wohl kaum die Mühe machen würde, alle seine Angaben zu überprüfen.

»Vom Heidenstein, sagtet Ihr?« Erneut musterte Johann von Manten ihn, diesmal deutlich eingehender. »Dieser Name sagt mir nichts. Ihr seid von Adel, nehme ich an?«

»Ich entstamme einer jüngeren Linie der Familie vom Heidenstein, die in der Nähe von Nürnberg ansässig ist.«

»Und da sucht Ihr so fern von der Heimat eine Anstellung?«

Diese Frage würde er wohl noch häufiger beantworten müssen, das hatte er erwartet, nicht jedoch, dass ihm dies erneutes Unwohlsein bereiten würde. Er hatte gedacht, längst mit seiner Vergangenheit abgeschlossen zu haben. »Ich bin in meiner Heimat nicht allzu willkommen. Meine Eltern und Schwestern starben, als ich noch ein Knappe in den Diensten meines Onkels war. Er wollte mich danach loswerden und in ein befreundetes Kloster abschieben. Da bin ich, nun ja, geflohen.«

»Ach.« Der Graf warf einen seltsamen Blick auf seinen zukünftigen Schwiegersohn, der daraufhin grimmig die Lippen verzog. »Geflohen seid Ihr also, um Euch den Plänen Eures Onkels zu entziehen.«

»Ja«, gab Benedikt freimütig zu. »Seine Pläne für mich waren nicht die meines Vaters, da bin ich mir sicher, denn ich war der einzige Sohn. Ich war noch ein Junge, gerade dreizehn Jahre alt, doch ich wusste, dass ich für ein Leben hinter Klostermauern nicht geschaffen war.«

»Soso.« Wieder blickte der Graf sinnierend zu Conlin vom Langenreth. »Ihr habt Euch dann also als Söldner verdingt und sucht nun ein neues Betätigungsfeld.«

»Inzwischen bin ich fünfunddreißig Jahre alt. Zweiundzwanzig Jahre Kriegsdienst sind mehr als genug.« Damit hatte er zwar nicht erneut gelogen, jedoch deutlich übertrieben. Er hatte in vielen Schlachten gekämpft und schon nach gut zehn Jahren einen Schlussstrich unter diesen Teil seines Lebens gezogen. Zwanzig Jahre oder mehr hätte er nicht überlebt, selbst wenn er nicht im Kampf gefallen wäre. Doch das ging niemanden außer ihm selbst etwas an.

»Verständlich.« Johann von Manten rieb sich übers Kinn. »Was sagst du dazu, Conlin? Ein zusätzlicher Mann kann wohl nicht schaden, oder? Meine Gleven sind zwar so weit vollständig ausgestattet, aber das soll ja nichts heißen. Wobei …« Er runzelte die Stirn. »Übernimmst du auch die Sicherheit für Palmiros Waren?«

Conlin zuckte kaum sichtbar zusammen, als der Name Palmiro fiel, und er fasste sich erneut unwillkürlich an die Brust. Benedikt nahm es mit höchstem Interesse zur Kenntnis. Trug Conlin da etwas unter dem Wams verborgen? Ein Schmuckstück?

»Ja, also …« Conlin räusperte sich. »Darüber haben wir bislang nicht gesprochen.«

Der Graf verzog missbilligend die Lippen. »Der Junge sollte nicht so sorglos sein. Ich habe ihm ja bereits zwei Wachleute verliehen, doch ausreichen werden die wohl kaum. Was Reinhild so erzählt, hat er bereits Pelze und Geschmeide von hohem Wert in seinem Lager und ist gerade unterwegs, um weitere Geschäfte anzubahnen. Allein«, fügte er grollend hinzu. »Geschäftstüchtig ist der kleine Strolch ja, aber dass er sich das Geld für einen festen Wachtrupp spart, wenn er auf Reisen geht, ist in meinen Augen leichtsinnig. Nach dem Überfall bei Basel hätte ich ihn für vernünftiger gehalten.«

Bei der Bezeichnung kleiner Strolch hätte Benedikt beinahe gehustet. Gerade noch konnte er sich beherrschen, doch dem Grafen war seine Verblüffung wohl nicht entgangen, denn er lächelte grimmig. »Wenn Ihr meinen Enkel kennen würdet, Herr Benedikt, wüsstet Ihr, was ich meine.« Erneut rieb er sich übers Kinn, dann winkte er die Schankmagd herbei. »Bring uns frisches Bier und Wein, und Ihr«, er nickte Benedikt zu, »gesellt Euch zu uns, dann könnt Ihr uns in Ruhe Eure Referenzen aufzählen.«

»Vielen Dank, das werde ich gern tun.« Benedikt schnappte sich seinen Becher und setzte sich auf den Platz, den die Männer auf der Bank rechts vom Grafen für ihn frei machten. Dann begann er, den nächsten Schritt seines Plans in die Tat umzusetzen.

***

»Du bist verärgert«, konstatierte Johann, nachdem sie sich endlich von der munteren Gesellschaft im Wirtshaus hatten verabschieden können und sich auf den Weg in die Schildergasse machten, um sich der Familienfeier anzuschließen.

»Wundert Euch das?« Conlin warf dem Grafen einen finsteren Blick zu.

Johann zuckte jedoch nur unbeeindruckt mit den Achseln. »Es ging nicht anders. Das müsste dir eigentlich klar sein.«

»Ihr habt die Schöffen und Ratsherren offen belogen.«

Johann erwiderte seinen Blick spöttisch. »Nicht so sehr, wie du glaubst. Ganz abgesehen davon wäre es wohl kaum klug gewesen, den Amtmännern den wahren Hergang eurer Verlobung anzuvertrauen.«

Das wusste Conlin natürlich. Dennoch ging ihm die Vorgehensweise seines zukünftigen Schwiegervaters gegen den Strich. Vielleicht weil er genau wusste, dass er Johann dafür dankbar sein musste. Er wollte nicht vom Wohlwollen eines anderen Menschen abhängig sein, verdammt noch eins!

»Ich muss Euch wohl danken. Auch dafür, dass Ihr Euch so offen hinter mein neues Gewerbe gestellt habt.« Er brachte die Worte nur äußerst gereizt hervor und erntete prompt ein Stirnrunzeln Johanns. Doch dann lachte der Graf plötzlich auf.

»Verärgert und beleidigt.« Sichtlich amüsiert musterte Johann ihn. »Spar dir die Dankbarkeit für den Zeitpunkt, an dem du sie empfindest, ohne dich selbst dafür zu verdammen, Junge. Du erinnerst mich verflixt an mich selbst, als ich etwa in deinem Alter war und noch etwas älter. Ich musste auch erst lernen, meinen Stolz hinunterzuschlucken. Die Weiber haben nun mal die unselige Eigenschaft, uns grundsätzlich und zielgenau da zu treffen, wo es uns am meisten schmerzt.«

»Die Weiber?« Verständnislos runzelte Conlin die Stirn. »Was hat denn Reinhild damit zu tun?« Noch während er die Frage stellte, wusste er, dass er sich gerade zum Narren machte.

Johann lachte denn auch wieder, diesmal jedoch mit einem grimmigen Unterton. »Darauf muss ich dir hoffentlich keine Antwort geben.«

Conlin senkte den Blick. In seinem Inneren rebellierte ein äußerst ungutes Gefühl gegen seine Selbstbeherrschung. »Ich verspreche Euch, Reinhild stets mit Respekt und Achtung zu behandeln.«

»Respekt und Achtung?« Johann rieb sich übers Kinn.

Panik ergriff Conlin und schnürte ihm beinahe die Luft ab. »Ich gelobe es Euch.«

Johann bedachte ihn mit einem langen, nachdenklichen Blick. »Sie hat dir ganz schön den Schneid abgekauft, was? In dieser Hinsicht scheint sie ganz auf ihre Mutter zu kommen. Deshalb muss ich dir leider mitteilen, dass Respekt und Achtung zwar tatsächlich zwei der Grundbedingungen sind, an die ich meine Zustimmung zu dieser Ehe knüpfe, doch ohne die dritte wirst du meiner Reinhild nicht gerecht werden. Ich vermute, das weißt du selbst, doch da du mir auf höchst ärgerliche Weise ähnlich zu sein scheinst, wird es wohl noch eine Weile brauchen, bis du dir das eingestehst und danach handelst. Ich gebe dir nur den guten Rat, ihr auf dem Weg dorthin nicht zu oft wehzutun. Du wirst es tun, das ist verflucht unvermeidlich, aber ich kann dir aus Erfahrung sagen, dass die Tränen eines Weibes, das du liebst, dir die schlimmsten Qualen bescheren werden. Dagegen dürfte das Höllenfeuer des Gottseibeiuns der reinste Spaziergang sein.«

Nun hatte Conlin das Gefühl, kurz vor dem Ersticken zu stehen.

Johann grinste voll zufriedenen Ingrimms. »Sehr gut. Ich sehe, wir verstehen uns.« Und dann, gänzlich beiläufig, wechselte er das Thema. »Was sagt eigentlich das Kruzifix zu diesem Benedikt vom Heidenstein? Als er uns ansprach, war es mir, als hätte es irgendeine Reaktion gezeigt.« Auf Conlins verblüfften Blick hin ergänzte er: »Du hast dir an die Brust gefasst. Hat es sich erwärmt?«

Conlin bemühte sich, die Panik, die ihn nach wie vor fest im Griff hielt, von sich zu schieben. »Es wurde kurz heiß, ja. Und vibriert hat es ebenfalls.«

»Jetzt aber nicht mehr?«

Conlin berührte die Stelle an seinem Wams, an der das silberne Kreuz verborgen war. »Nein. Oder, nun ja, doch, noch ein wenig.«

Johann sah sich vorsichtig um. Sie hatten die Schildergasse längst erreicht. Bis zu Reinhilds Haus waren es höchstens noch zwanzig Schritte.

»Lass sehen«, forderte er Conlin auf.

Erstaunt ob des brüsken Tonfalls zog Conlin das Kreuz hervor. Es fühlte sich warm an und pulsierte ganz leicht. Und, bei Gott, leuchtete es wieder?

»Rötlich«, murmelte Johann. »Ich wünschte, ich wüsste, was das zu bedeuten hat.« Dann lächelte er unvermittelt. »Zumindest scheint es sich nicht über unsere kleine Täuschung der Amtmänner zu beschweren, nicht wahr?«

Conlin hüstelte. »Was hätte es denn tun sollen?«

»Nun …« Johann nahm das Kreuz in die Hand und drehte und wendete es im Licht der Sonne. »Nach allem, was ich darüber weiß, verdammt es alles und jeden, das oder der nicht seiner Vorstellung von der wahren göttlichen Rechtschaffenheit, Güte und Gerechtigkeit entspricht. Wenn es mit unserem Vorgehen nicht einverstanden wäre, hätten wir das sogleich zu spüren bekommen.« Er ließ das Kruzifix wieder an Conlins Brust zurückgleiten. »Und wenn es keine besonderen Warnungen abgibt, wird dieser Benedikt wohl auch keine Probleme verursachen. Gefahren hat es bislang stets sehr zuverlässig angekündigt.«

»Ihr scheint diesem Kruzifix alle geradezu blind zu vertrauen.«

»Nicht blind, sondern sehenden Auges«, korrigierte Johann. »Glaub mir, ich habe ausreichend Erfahrungen damit gesammelt und weiß, dass ich auf dieses Kreuz vertrauen kann.«

Rasch schob Conlin das Kruzifix zurück unter sein Wams. »Haltet Ihr es für ratsam, diesen Söldner für Palmiro einzustellen, ohne ihn vorher zu fragen? Ich weiß nicht einmal, ob er beabsichtigt, meine Dienste in Anspruch zu nehmen.«

»Weshalb sollte er das nicht tun?«, brummte Johann, diesmal wieder in altbekannter gewittriger Manier. »Ich wollte schon längst mit ihm darüber reden. Oder Anton anhalten, dies zu tun. Palmiro hat diese unselige Angewohnheit, sich zu überschätzen. Gewiss, er hat diese Gabe, das Wesen oder die Seele eines Menschen zu erkennen. Darauf scheint er sich gern zu verlassen, doch in meinen Augen handelt er damit zu leichtsinnig. Gegen den Überfall bei Basel hat es ihn nicht geschützt. Nicht einmal das Kreuz hat dies vermocht. Er muss lernen, dass Vorsicht stets besser ist als Nachsicht. Wenn er sein Kontor dauerhaft erfolgreich führen will, muss er gewisse Vorkehrungen treffen. Da ihr beide so gut befreundet seid, gehe ich davon aus, dass er deine Dienste in Anspruch nehmen wird. Du solltest einen Vertrag mit ihm aufsetzen, sobald er von seiner Reise zum Kloster Eberbach zurück ist.«

Conlin dachte an seine letzte Begegnung mit Palmiro. Warum nur? Warum hatte sein Freund ihn in dieses furchtbare Geheimnis eingeweiht? Warum war er, Conlin, nicht längst selbst darauf gekommen? Oder war er das vielleicht gar und hatte nur lange Zeit seine Augen davor verschlossen?

»Stimmt etwas nicht?« Johann sah ihn prüfend an.

»Nein, also, doch.« Conlin bemühte sich um eine gleichmütige Miene. »Es ist alles in Ordnung. Ich werde mit Palmiro darüber reden.« Momentan war dies allerdings das Letzte, wonach er sich sehnte.

»Da seid ihr ja endlich!«, ertönte in diesem Moment Elisabeths Stimme. Sie stand in der Haustür, die Hände in die Hüften gestemmt. Da sie von so ungewöhnlich hohem Wuchs war, bot sie einen beeindruckenden Anblick in ihrem leuchtend blauen Seidenkleid. Ihre strenge Miene tat ein Übriges, um das flaue Gefühl in Conlins Magengrube anzufachen.

Sie trat einen Schritt aus der Tür. »Wir haben nicht mit dem Essen auf euch gewartet. Das wäre eine Missachtung der guten Speisen gewesen und der Arbeit, die die Köchin sich damit gemacht hat. Ihr dürft euch also an den kalten Resten gütlich tun.«

Sie musterte erst Conlin, dann Johann mit eingehenden Blicken. »Nun gut, zumindest scheint ihr nicht betrunken zu sein. Also wirklich, ausgerechnet am Tage des Aufgebots geht ihr ins Wirtshaus. Hätte das nicht auch warten können? Die arme Reinhild ist ganz aufgebracht. Sie ist mit Hannes und Anni hinaus in den Garten gegangen.« Ein weiterer, mütterlich ungehaltener Blick traf Conlin. »Du solltest dich umgehend zu ihr begeben und um Verzeihung bitten.«

Conlin schluckte gegen die erneut aufsteigende Panik an, nickte jedoch stumm, deutete eine ehrerbietige Verbeugung an und machte sich auf den Weg um das Haus herum in den Hof, durch den man den Garten erreichte.

***

In einer Mischung aus Zufriedenheit und Besorgnis sah Elisabeth Conlin nach. »Was hat er denn? Er wirkt ein wenig käsig.«

Johann blickte ebenfalls zu seinem zukünftigen Schwiegersohn hin, bis dieser um die Hausecke verschwunden war. »Ich musste ihn mit ein paar unangenehmen Wahrheiten bekannt machen.« Gedankenverloren rieb er sich mit der linken Hand über die rechte. »Wahrscheinlich hat er daran eine Weile zu knabbern.«

»Er liebt Reinhild«, stellte Elisabeth lapidar fest.

Johann wandte sich ihr überrascht zu.

Sie lächelte fein. »Was? Hätte das etwa ein Geheimnis bleiben sollen?«

»Wohl eher nicht.« Johann räusperte sich. »Ich hätte mir denken können, dass dir so etwas nicht entgeht.«

»Wenn es mit meinen Kindern zu tun hat, entgeht mir so leicht nichts!« Elisabeth seufzte. »Ich hoffe, du hast ihm nicht zu arg zugesetzt.«

»Warum?« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Damit du das an meiner statt tun kannst?

»Ganz genau.« Grimmig lächelnd deutete sie hinter sich. »Nun komm herein, und iss etwas.« Als er gehorchte, folgte sie ihm und schloss die Tür hinter sich. »Was hast du da übrigens an der Hand?«

Vor der Tür zur Stube blieb er stehen und drehte sich verwundert zu ihr um. »Was meinst du?«

Sie ergriff seine Rechte und betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Du kratzt dich dauernd daran, und sie sieht leicht gerötet aus.«

Nun betrachtete auch Johann seine Hand genauer. Ein merkwürdiges Gefühl streifte ihn, das er nicht einordnen konnte. »Sie juckt. Ein Mückenstich vielleicht.« Die Haut war tatsächlich ein wenig rot.

»Wenn es nicht besser wird, hole ich eine Salbe.« Elisabeth betrat ihm voran die Stube, aus der die Stimmen der anderen Gäste drangen.

Johann musterte seine Hand, dann schüttelte er halb amüsiert, halb besorgt den Kopf. »Verflixtes Kruzifix«, murmelte er, bevor er seiner Gemahlin folgte und jovial in die Runde grüßte.