19. Kapitel

IMAGE rst als Benedikt außer Sicht- und Hörweite war, gestattete Palmiro sich wieder zu atmen. Ein kurzer Blick zu seinem Gesinde veranlasste dieses, sich eilfertig wieder seinen Aufgaben zuzuwenden. Geräuschvoll stieß er die Luft aus und fuhr sich mit gespreizten Fingern durchs Haar. Es hatte sich teilweise aus dem ordentlichen Zopf gelöst. Betont ruhig schob er die Schwertklinge zurück in die Scheide, dann erst löste er den Lederriemen, mit dem er sein Haar zusammengebunden hatte, und fasste es erneut zusammen. Langsam, bedächtig, ohne jede Hast.

Verflucht, wem wollte er etwas vormachen? Er war vollkommen außer sich! Erschrocken, verwirrt, bestürzt – und erregt. Was in des Gottseibeiuns’ Namen war da gerade geschehen? Woher war dieses unselige, furchteinflößende Begehren so plötzlich gekommen? Es hatte ihn wie der sprichwörtliche Blitz getroffen und ein heißes, sehnsüchtiges Brennen ausgelöst, das selbst jetzt noch nicht wieder gänzlich nachgelassen hatte.

Nein, nein, dreimal verflucht, nein! Zornig rieb Palmiro sich übers Gesicht, bemühte sich, seine Beherrschung wiederzuerlangen.

Das hier … das durfte nicht sein. Unter keinen Umständen. Es war gefährlich und der reine Irrsinn. Benedikt vom Heidenstein war nicht wie er. Er war kein … Ketzer.

Palmiro war sich vollkommen sicher, dass Benedikt noch niemals in seinem Leben auch nur einen sündigen Gedanken an einen Mann verschwendet hatte. So etwas spürte er, selbst ohne ein Seelenlicht zu sehen. Er hatte es in Benedikts Blick gesehen, als er … als sie beide …

»Himmel, nein!« Verzweifelt ballte Palmiro die Hände zu Fäusten, stürmte hinüber in den kleinen Obstgarten und machte erst an der brusthohen Mauer halt, die das Anwesen umgab. Schwer atmend stützte er sich mit beiden Händen daran ab, blickte zu Boden, dann hinauf zum fast wolkenlosen Himmel. »Bitte nicht«, flehte er tonlos.

Benedikt war nicht wie er. Das konnte gar nicht sein. Und dennoch hatte auch er es gespürt, dieses regelrecht zornige Verlangen, die Hitze, das hatte Palmiro ihm angesehen. Ein schmerzhafter Stich durchzuckte Palmiro selbst jetzt noch bei der Erinnerung. Benedikt hatte es ebenfalls gespürt. Wie war dies möglich? Seine Reaktion, sich sofort und beinahe panisch zurückzuziehen, war verständlich. Palmiro konnte das Entsetzen verstehen, das Benedikt ergriffen haben musste.

Doch was nun? Darüber zu sprechen, verbot sich. Palmiro hatte keine Ahnung, wie Benedikt darauf reagieren würde. Er konnte ihn nicht einschätzen, und es war zu gefährlich, sein Geheimnis einem Mann anzuvertrauen, bei dem er nicht einmal sicher war, ob er eine Seele besaß.

»Don Palmiro, geht es Euch wohl?«

Beim Klang von Nildas Stimme fuhr er erschrocken herum. »Kind! Was tust du denn hier?« Um Ruhe bemüht, atmete er tief durch. »Hast du keine Arbeit?«

»Minta wollte, dass ich nach Euch sehe.« Schüchtern senkte die junge Magd den Blick. »Verzeiht, wenn ich Euch gestört habe. Wir dachten nur … Minta wollte sichergehen, dass Ihr nicht verletzt seid. Das war ein ziemlich böser Kampf.«

Allmählich kehrte Palmiros Seelenruhe zurück. Zumindest so weit, dass er das Mädchen mit einem schiefen Lächeln beruhigen konnte. »Mir geht es gut. Der alte Mann hat sich eingebildet, er hätte leichtes Spiel gegen mich. Ich musste ihn eines Besseren belehren.«

»Alter Mann?« Nilda kicherte. »So alt ist Herr Benedikt doch noch gar nicht.«

»Alt genug, um eine Lektion von einem Grünschnabel einstecken zu können.«

Wieder kicherte Nilda. »Hat er Euch Grünschnabel genannt? Das ist aber nicht schön. Gut, dass Ihr es ihm gezeigt habt.« Sie blickte kurz über die Schulter in Richtung des Hofes. »Also hattet Ihr keinen Streit mit ihm? Ihr saht beide so … wütend aus. Minta sagt, sie dachte schon, Ihr bringt Euch gegenseitig um. Aber dann kam Herr Benedikt plötzlich über den Hof gestürmt und ist durchs Tor auf und davon.«

»Er ist fort?« Palmiro atmete auf, spürte jedoch gleichzeitig Besorgnis in sich aufsteigen.

»Er hat gesagt, wir sollen nicht mit dem Essen auf ihn warten, und war weg.«

Die Besorgnis wuchs, doch Palmiro ließ sich nichts anmerken. »Dann tun wir das auch nicht. Er wird schon nicht verhungern.«

Nilda nickte vage. »Er ist irgendwie nett.«

»Was?« Verblüfft starrte er sie an. »Nett?« Diese Bezeichnung wäre ihm im Traum nicht für Benedikt vom Heidenstein eingefallen.

»Ja. Na ja, er ist nicht immer freundlich, zu Euch jedenfalls fast nie.« Nilda hob die Schultern. »Aber er ist immer geradeheraus und gerecht und behandelt mich gut … respektvoll. Dabei bin ich doch bloß eine Magd. Auch zu Minta ist er so, auch wenn sie ihm bestimmt manchmal auf den Geist geht. Aber er mag sie, glaube ich, trotzdem irgendwie.«

»Benedikt mag Minta?« Palmiro runzelte die Stirn. »Er beschwert sich täglich über ihr loses Mundwerk.«

»Aber er hat sie noch nie dafür gescholten«, erwiderte Nilda. »Stattdessen brummelt er irgendwas vor sich hin, was niemand verstehen kann, und dann schimpft er stattdessen Euch aus.«

»Du scheinst ihn ja gut leiden zu können.«

»Ja.« Eifrig nickte Nilda. »Also, dass er immer so unfreundlich mit Euch spricht, finde ich nicht so schön, aber ich glaube, er ist einfach so und trotzdem nett und gut. Hannes hat das auch gesagt.«

»Hannes?« Palmiro erinnerte sich an das Gespräch, das Benedikt mit dem kleinen Jungen geführt hatte. Konnte ein Mann, der sich auf Anhieb so gut mit einem Kind verstand, seelenlos sein? Diese Frage trieb ihn nicht zum ersten Mal um.

»Der Kleine hat danach von nichts anderem mehr geredet. Herr Benedikt dies und Herr Benedikt das.«

»Soso.« Palmiro wäre es lieb gewesen, wenn es ihm selbst nicht ebenso ergehen würde, doch das war wohl nur ein frommer Wunsch. Zumindest vorerst würden sich seine Gedanken um nichts und niemanden sonst drehen, wenn er nichts fand, was ihn ganz rasch gehörig ablenkte. »Weißt du was? Ich denke, ich werde Herrn Conlin wegen des Kontrakts aufsuchen, den wir noch aufsetzen müssen. Ich habe es immer wieder aufgeschoben; damit ist jetzt Schluss.« Entschlossen straffte er die Schultern. »Lauf zu und sag Eggebrecht, er soll mein Pferd satteln.«

»Mach ich.« Nilda wandte sich zum Gehen, blickte aber noch einmal über die Schulter zu ihm zurück. »Also müssen wir wohl auch auf Euch nicht mit dem Essen warten, oder?«

Palmiro nickte. »Besser nicht.«

***

»Hier steckst du.« In der Tür zu der winzigen Schreibkammer, in der früher Bruder Fidelmus über der Heiligen Schrift gesessen, diese gelesen und Passagen daraus abgeschrieben hatte, war Oswalds hochgewachsene Gestalt erschienen. »Was verkriechst du dich denn hier wie ein lichtscheuer Schreiberling?«

»Möglicherweise ist dies der einzige Raum, in dem ich meine Ruhe habe«, brummte Conlin. »Oder hatte.«

»Wenn du über deinen Büchern hocken willst, kannst du das auch in meiner Schreibkammer tun. Da hast du mehr Platz und Licht als in diesem Mauseloch hier. Außerdem ziemt es sich für einen Edlen vom Langenreth nicht, sich in so einer Rumpelkammer zu verstecken. Überlass sie Genericus, dem steht sie wohl an.«

»Und wenn es mir hier gefällt?« Missmutig blickte Conlin zu seinem Bruder auf. »Wie gesagt, hier habe ich meine Ruhe.«

»Verdammt noch eins!« Oswald stand mit einem Schritt vor dem schmalen Schreibpult und klappte einfach das Rechnungsbuch zu, das Conlin vor sich abgelegt hatte. »Wirst du wohl gefälligst auf der Stelle mitkommen? Ich habe weder Zeit noch Lust, mich den ganzen Tag mit dir und deiner Widersetzlichkeit herumzuärgern.«

»Was?« Mehr verblüfft als verärgert erhob Conlin sich. Kritisch musterte er seinen Bruder auf der Suche nach Anzeichen für einen neuen Anfall von geistiger Umnachtung.

»Du hast mich schon verstanden. Also komm, damit ich es hinter mich bringen kann.«

»Was hinter dich bringen?«, fragte Conlin, doch da hatte Oswald bereits die Kammer verlassen. Irritiert löschte er das kleine Arbeitslicht und folgte seinem Bruder bis in dessen Schreibkammer. Hier hatten schon Generationen von Grafen vom Langenreth ihre Korrespondenz erledigt, Urkunden gesiegelt und Besucher empfangen. Der Raum maß etwa vier Schritte in jede Richtung. An zwei Wänden gab es Regale und Truhen, in denen Schriftstücke aufbewahrt wurden. An der Wand um die Tür herum hingen Wandteppiche mit Jagdmotiven, an denen hier und da die Motten gefressen hatten. Auf der gegenüberliegenden Seite führten zwei Fenster hinaus auf das Anwesen. Meistens waren sie mit dünnen, geschabten Schweinehäuten verschlossen, doch heute standen die Spannrahmen unter der fast meterdicken Fensterbank. Früher einmal, als Conlin noch ein Junge gewesen war, hatten Butzenscheiben aus Glas die Fenster geschmückt, doch diese waren schon lange verschwunden. Sein Vater hatte sie zu Geld gemacht, und Oswald war nie in der Lage gewesen, den stetigen Verfall des Gutes aufzuhalten. Im Gegenteil, mit seiner Vorliebe für Wirtshäuser, Würfel- und Kartenspiel und der Himmel wusste, was sonst noch, hatte er noch dazu beigetragen, dass vom einstigen Wohlstand nicht mehr viel übrig war.

In der Tür blieb Conlin stehen. »Also, was ist los? Weshalb willst du mit mir reden? Du hast neulich schon mal so etwas gesagt, aber ich dachte, das wäre dir längst wieder entfallen.«

»Ich musste erst ein paar Dinge regeln.« Oswald saß jetzt an seinem Schreibpult, das im Vergleich zu dem in der anderen Kammer riesig und protzig wirkte mit seinen mannigfaltigen Schnitzereien und der faustdicken Schreibplatte. »Nun setz dich schon, aber schließ die Tür hinter dir. Was ich dir zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.« Er räusperte sich und wirkte für einen Moment beinahe verlegen. »Es wird sich noch früh genug herumsprechen.«

Ob des seltsamen Tonfalls, der Oswald so gar nicht ähnlichsah, gehorchte Conlin, musterte ihn jedoch argwöhnisch. »Raus mit der Sprache. Was hast du diesmal angestellt?«

»Red keinen Unsinn!« Unwirsch fuhr Oswald sich mit der Hand durchs Haar. »Ich war letzte Woche bei den Schöffen, wie du weißt.«

Conlin nickte. »Du hast nicht darüber gesprochen.«

»Es ist …« Oswald zuckte mit den Achseln. »Du musst die Strafzahlung leisten. Bis Martini hast du Zeit. Ich habe denen gesagt, dass wir bis dahin wieder Geld haben. Haben wir doch wohl, wenn das mit den Sicherheiten klappt?«

Einen langen Moment starrte Conlin seinen Bruder nur an. Was sollte er auch dazu sagen? Natürlich musste er die Strafe zahlen. Oder sich auf und davon machen und nie wieder nach Hause zurückkehren. »Wie viel?«

Oswald schien auf die Frage gewartet zu haben, denn er schob ihm prompt ein gesiegeltes Schriftstück zu.

Conlin warf einen Blick darauf. Schluckte. Fluchte. »Herr im Himmel! War es das wert?«

Rasch nahm Oswald das Pergament wieder an sich und legte es, ohne hinzusehen, in das Regal hinter sich. »Ich war auch beim Rat.«

Konsterniert sah Conlin seinen Bruder an. »Zu welchem Zweck?«

»Ich habe die ehrenwerten Ratsherren über meine Pläne in Kenntnis gesetzt.«

»Welche Pläne?« Alarmiert richtete Conlin sich auf.

»Mit dem Koadjutor des Erzbischofs habe ich ebenfalls korrespondiert. Als unser Lehnsherr muss Erzbischof Kuno von Falkenstein unserem Ansinnen zuerst zustimmen.«

Unbehagen stieg in Conlin auf. »Was genau ist denn unser Ansinnen?«

»Ich gehe ins Kloster.«

»Du …« Hatte er sich verhört? »Bitte was?«

»Das sagst du allen, wenn du mich eines Tages wegsperren musst.« Oswalds Stimme klang fest, bestimmt, doch in seinem Blick war Unsicherheit zu erkennen – und Furcht. »Ich bin krank, Conlin. Das weißt du genau, und auch, dass es immer schlimmer wird.«

Verblüfft starrte Conlin seinen Bruder an. »Du …«

»Natürlich weiß ich es!« Erbost funkelte Oswald ihn an. »Wenn ich … An guten Tagen weiß ich es.«

Conlin sackte in seinen Stuhl zurück. »Die guten Tage werden immer weniger.«

Ruppig nickte Oswald. »Ich kann es nicht mehr kontrollieren. Wenn es über mich kommt, ist es wie ein Bann, der alles andere verdrängt. Mein … Sohn ist tot, weil ich es nicht aufhalten konnte. Ich konnte mir selbst dabei zusehen und es nicht verhindern. Du musst mir helfen, Conlin.« Seine Stimme wurde eindringlich. »Versprich mir, dass du mich aufhältst. Mit allen Mitteln, Conlin, falls ich noch einmal Hand an Amalia lege oder an ein anderes Familienmitglied. Wenn du mich töten musst … Es sei dir verziehen.«

»Oswald!« Entgeistert fuhr Conlin auf.

»Wenn du mich einsperren und anketten musst, tu es in Gottes Namen. Ich will es so. Im Frankenturm war es die einzige Möglichkeit, mich davon abzuhalten, jemanden umzubringen.«

»Ich …« Conlin fehlten die Worte. Sein Innerstes wollte sich nach außen kehren. Gerade jetzt wirkte sein Bruder so vollkommen klar, normal, gesund!

»Ich weiß, dass dir das nicht leichtfallen wird«, knurrte Oswald. »Glaubst du etwa, mir geht es nicht so? Aber es geht nicht anders. Tu mir nur den einen Gefallen und verrate niemandem, dass ich irgendwo als sabbernder, kreischender Haufen Knochen in einem Verlies sitze. Sag allen, ich sei Gottes Ruf gefolgt und in einen strengen Mönchsorden eingetreten. Als Rekluse womöglich. Tust du das für mich?« Oswalds Blick war regelrecht flehend auf Conlin gerichtet. »Verdammt, lass mich nicht darum betteln!«

»Das tue ich doch gar nicht.« Ratlos blickte Conlin auf seine Hände. »Wie soll das gehen? Was soll aus deiner Frau und den Kindern werden?«

»Du musst dich um sie kümmern.« Oswald beugte sich über den Tisch. »Der Titel soll auf dich übergehen. Ich habe nachgeforscht und den Koadjutor gefragt. Wenn ich in einen Orden eintrete und gänzlich der Welt entsage, dann kann ich wie tot behandelt werden. Ich muss dies beurkunden, dann geht der Titel auf dich über, so als gäbe es mich nicht.« Er senkte den Blick. »Meine Söhne verlieren dadurch ihr Recht auf meinen Rang und Titel. Die deinen, solltest du je welche haben, würden ihnen vorgezogen.« Er hielt inne. »Sogar der kleine Winneburger, den Reinhild in die Ehe mitbringt, könnte den Titel erben, wenn ihr nicht alsbald für Nachwuchs sorgt.« Bitter verzog er die Lippen. »Ein Winneburger, bei Gott, was für ein Witz!«

»Du willst den Titel aufgeben?« Conlin konnte noch immer nicht fassen, was er da hörte.

»Ich muss, Conlin! Es wird kein gutes Ende mit mir nehmen.« Nun glänzten Oswalds Augen. Ein Anblick, der Conlin zutiefst verstörte. »Es ist so weit alles bereits vorbereitet. Eine Urkunde wird vom Erzbischof aufgesetzt.«

»Eine Urkunde.« Conlin fasste sich an den Kopf. »Verflucht, wie viel wird uns das kosten?«

»Nichts.«

Ungehalten blickte Conlin seinen Bruder an. »Wie viel?«

»Kein Geld. Wir haben ja keins.«

Nun fasste Conlin sich mit beiden Händen an den Kopf. »Was hast du ihnen zugesagt?«

»Der Schultheiß …«

»Großer Gott.« Conlin schloss die Augen.

»Er benötigt einen Amtmann, der seine Geschäfte übernimmt.«

»Wozu?«

Oswald zuckte mit den Achseln. »Er ist mit anderen Dingen beschäftigt. Sein Stellvertreter wird einmal sein Amt übernehmen.«

»Nein.« Conlin wurde es eiskalt. »Nein, auf keinen Fall!«

»Die beiden Bürgermeister setzen sich ebenfalls dafür ein.«

»Was?« Der Boden unter Conlins Stuhl schien zu schwanken. »Im Leben nicht hat Graf Johann das befürwortet.«

»Er war wenig angetan, stimmt.« Oswald grinste wölfisch. »Einen interessanten Schwiegervater hast du dir da angelacht, das muss ich schon sagen. Nachdem er die Lage insgesamt bewertet hat …«

»Bewertet?«

»Ich habe ihm die Lage, in der sich unsere Familie befindet, genau dargestellt. Da hat er zugestimmt.«

Das war ein Albtraum, es konnte gar nicht anders sein. Conlins Kehle schnürte sich zusammen. »Ich soll der neue Amtmann des Schultheißen werden?«

»Ein bisschen albern klingt es, das gebe ich zu.« Nun hatte Oswald seinen herablassenden, spöttischen Ton wiedergefunden, mit dem er Conlin bedacht hatte, seit dieser sich erinnern konnte. »Aber du kriegst das schon hin. Bis du selbst einmal der Schultheiß wirst, wird es dauern. Johann Mohr von Kesselstatt ist noch keine vierzig Jahre alt. Er wird den Posten, so Gott will, noch eine ganze Weile besetzen. Es sei denn natürlich, der Erzbischof will ihn loswerden. Sieht aber nicht danach aus. Bis Mohr abdankt, hast du also noch Zeit.«

»Wunderbar.« Conlin verdrehte die Augen.

»Als Amtmann wirst du gut bezahlt.«

»Natürlich.« Er saß in der Falle – und was für eine Falle es war!

Oswald lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Wirst du tun, was nötig ist?«

»Bleibt mir eine andere Wahl?«

Oswald erwiderte seinen Blick ausdruckslos. »Wenn es einen anderen Weg gäbe, würde ich ihn gehen. Du bist mein Bruder. Wer sonst als du kann meinen Platz einnehmen?«

»Vater wollte nie, dass ich mich um Angelegenheiten unserer Familie kümmere.«

»Vater ist tot.« Oswald war eine Spur blasser geworden. »Er ist nie darüber hinweggekommen, dass du dich ihm widersetzt hast. Doch wenn du es nicht getan hättest, wäre unsere Familie, unser Name, einfach alles verloren.« Er schluckte. »Nicht du bist der verfluchte Sohn. Mich hätte er ins Kloster sperren sollen, das wäre besser gewesen.« Er schüttelte sich wie ein Hund. »Sei es, wie es ist. Aber verrate mir noch, weshalb Nyvelonck mich kürzlich auf der Straße ansprach und um Bezahlung einer Lieferung Holzbalken und -latten gedrängt hat. Wozu haben wir dieses Holz gebraucht?«

Irritiert runzelte Conlin die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, was du damit angestellt hast.« Er stockte. »Die Zollschranke vielleicht.«

»Zollschranke?« Fragend hob Oswald die Augenbrauen. Dann schien er zu begreifen. »Verdammich. Reitest du Richtung Mayen und sorgst dafür, dass der Bau nicht vollendet wird, oder soll ich es tun?«

»Ich mache mich auf den Weg.« Hastig sprang Conlin auf. Er hatte schon vor Wochen dort nach dem Rechten sehen wollen, es jedoch immer wieder verschoben oder schlichtweg vergessen. Zwar glaubte er nicht, dass tatsächlich jemand auf der Straße nach Mayen eine Zollschranke gebaut hatte, denn das hätte sich längst herumgesprochen, aber irgendwo musste das Holz ja geblieben sein. Das gab ihm eine gute Ausrede, seinen Bruder zu verlassen. Er hielt es nicht einen Moment länger hier aus. Er musste raus, nur weg, nachdenken.