as für eine Aufregung.« Amüsiert ließ sich Palmiro am Vormittag nach der Hochzeit auf den Stuhl hinter seinem Schreibpult im Kontor nieder. »Ich dachte, ich höre und sehe nicht recht. Notker und Gusti Wied. Was für eine verrückte Geschichte. Nicht einmal das Kruzifix hat sich gemuckt, sonst wären wir zumindest gewarnt gewesen.«
»Wovor gewarnt?« Benedikt war hinter ihm hereingekommen, blieb jedoch in einiger Entfernung zum Pult stehen.
»Vor … na, was auch immer.« Palmiro zuckte mit den Achseln. »Normalerweise gibt es irgendwelche Zeichen, wenn innerhalb unserer Familien ein Ungemach droht. Wenn es sich also bedeckt hält, was hat das dann zu bedeuten? Dass es die Verbindung der beiden gutheißt? Ich wäre meiner Lebtage nicht darauf gekommen, dass aus Gusti und Notker je ein Paar werden würde. Die beiden offensichtlich auch nicht. Wie hinterhältig von Arno Boos, dieses Gerücht zu streuen, noch dazu mitten auf der Hochzeitsfeier, wo es natürlich gleich hundert Gäste brühwarm mitbekommen. Das war niederträchtig und hätte doch wohl zumindest ein leises Summen auslösen müssen.« Palmiro lupfte sein Hemd und warf einen Blick auf das Kruzifix. »Aber was tust du, Kreuz? Rein gar nichts!«
»Ist dir klar, wie sich das anhört?« Benedikt verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein Kreuz, das angeblich summt und leuchtet und vor irgendetwas warnt, und jetzt redest du sogar mit ihm, als würde es dich verstehen. Das tut nicht gut, ganz gewiss nicht. Wenn jemand dich so sehen würde, könntest du froh sein, wenn man dich bloß für übergeschnappt hält.«
Überrascht hob Palmiro den Kopf. »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
Seit jener Nacht in der Scheune hatten sie mehr oder weniger wieder zu ihrem alten Umgangston zurückgefunden, was bedeutete, dass sie recht oft stritten. Über die Geschehnisse in der Scheune hatten sie nicht ein Wort verloren. Benedikt hatte sich vor ihm verschlossen, kaum dass das Tageslicht am Morgen danach hereingebrochen war. Er sah ihn kaum mehr direkt an, berührte ihn niemals, und es war auch ohne Worte klar, dass er zutiefst erschüttert war und Zeit brauchte, um das Erlebnis zu verarbeiten.
Palmiro konnte verstehen, wie schwierig es für Benedikt sein musste, diese Seite an sich zu verstehen und zu akzeptieren. Sie waren einander so nahegekommen, nicht nur körperlich. Ihre Seelen hatten sich aneinander gerieben, und Palmiro hatte, wenn auch kein Licht gesehen, so doch die Wärme gespürt, die Benedikts Seele innewohnte.
Nun fiel es ihm schwer, den Abstand zu wahren, den Benedikt so eindeutig einforderte. Doch was blieb ihm anderes übrig? Er musste Vertrauen haben und konnte nur hoffen, nichts weiter.
»Keine Laus.« Benedikt wandte sich abrupt ab und trat ans Fenster, durch das man das muntere sonntägliche Treiben auf dem Plan beobachten konnte. »Ich denke nur, es wäre besser, sich bedeckt zu halten.« Ruckartig drehte er sich um, trat auf das Pult zu. »Ich gehe fort.«
Ein schmerzhafter Stich durchzuckte Palmiro. »Fort? Wohin?«
»Es ist besser, wenn du das nicht weißt.« Benedikt löste seine Arme, jedoch nur, um gleich darauf die Hände zu Fäusten zu ballen. »Du weißt, dass ich nicht bleiben kann. Nicht nach … alldem.«
Palmiro schwieg. Seine Kehle schnürte sich zu.
»Ich bin hergekommen, um Geheimnisse in Erfahrung zu bringen. Doch mit diesem Geheimnis habe ich nicht gerechnet.«
»Was …« Nur mit Mühe fand Palmiro seine Stimme. »Was hat das zu bedeuten?«
»Ich bin nicht der, der ich zu sein vorgab.« Benedikts Stimme hatte einen harten, kühlen Ton angenommen. »Ich bin ein Spion, Palmiro. Ein Spion der Inquisition. Erasmus von London hat mich hierher entsandt. An deinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass du weißt, wer das ist. Er hat mich hergeschickt, weil er wissen will, wohin ihm sein erster Spion abhandengekommen ist.«
»Du … weißt, wer Mathys ist?« In Palmiro war ein heilloses Durcheinander ausgebrochen. Sein Herz schlug wilde Haken, seine Gedanken verknäuelten sich, und in seinem Inneren breitete sich ein unsäglicher Schmerz aus.
»Ich bin hier, um seinen Auftrag zu Ende zu führen und ihn, wenn möglich, Erasmus zurückzubringen. Oder dachtet ihr, ein hochrangiger Inquisitor vergisst einfach so einen seiner Spione, nur weil der sich tot stellt?«
Palmiro erhob sich sehr langsam. »Mathys hat sich darum gekümmert. Er hat einen Bericht nach Rom geschickt. Ich habe ihn gelesen. Er besagt, dass es keinerlei Beweise für die Dinge gibt, die man uns vorwirft. Und dass er sich von Erasmus’ Söldnertruppe lossagt.«
Benedikt hob kurz die Augenbrauen, doch dann schnaubte er. »Was Erasmus euch oder dir vorwirft, ist nebensächlich. Er will den Gralsschatz. Deshalb ist er hinter euch her, dessen bin ich ziemlich sicher. Er glaubt, ihr wisst, wo der Schatz versteckt ist, und er wird nicht eher ruhen, bis er diese Information aus euch herausgeholt hat. Da kann Mathys so viele Berichte erfinden, wie er will. Du siehst an mir, dass Erasmus nicht so leicht aufgibt. Ich bin hier, um alles über dich in Erfahrung zu bringen. Über dich, Conlin und eurer beider Familien. Über jeden, der auch nur ansatzweise wissen könnte, wo sich dieser elende Schatz befindet. Mein Auftrag ist es, genügend Beweise für Ketzerei gegen dich – oder euch – zu sammeln, um eine Festnahme und Überführung nach Rom zu rechtfertigen.« Kurz schloss er schmerzerfüllt die Augen. »Erasmus wird dich peinlich befragen, bis er alles weiß, was du weißt. Dann wird er dich hinrichten lassen.«
***
Voller Grauen starrte Palmiro ihn an. »Du bist also hier, um … um mich …«
»Wenn du nicht fliehst oder verdammt noch mal beweisen kannst, dass du nicht weißt, wo der Schatz sich befindet, bist du des Todes.« Benedikt trat wieder ans Fenster, blickte hinaus, drehte sich erneut zu ihm um. »Das bist du auch, wenn dein Geheimnis herauskommt, Palmiro. Dein wahres Geheimnis. Ich weiß nicht, ob du ein Häretiker bist. Ein Freigeist sehr wohl, das allein ist schon gefährlich. Dazu noch diese Gaben, deine Visionen, das Kruzifix und zu allem Überfluss auch noch … diese Sache.«
Palmiro senkte das Haupt. »Ich bin ein Ketzer.«
Erneut ballte Benedikt die Hände zu Fäusten. »Ich kann nicht bleiben. Selbst wenn …« Verzweifelt atmete Benedikt ein und wieder aus. »Es ist nicht möglich. Das weißt du selbst.«
»Wann verlässt du uns?«
»Noch heute.« Benedikt blickte an Palmiro vorbei. »Ich werde versuchen, Erasmus von hier fortzulenken. Das ist das Einzige, was ich für dich tun kann.«
»Also gehst du nach Rom.«
»Ich kann nicht versprechen, dass er mir Glauben schenkt. Er will den Schatz. Ein verurteilter Ketzer ist für ihn nur eine nette Beigabe, die seinem Ansehen zuträglich sein wird. Sieh dich vor. Wenn ich keinen Erfolg habe, wird er andere Spione schicken. So lange, bis einer von ihnen erfolgreich ist. Du kannst sie nicht alle mit deinem Zauber betören.«
»Mit meinem was?« Abrupt hob Palmiro den Kopf. »Ich betöre niemanden.«
»Doch.« Benedikt fuhr sich kantig durchs Haar. »Das tust du schon allein mit deiner Existenz, Palmiro. Du bezauberst und betörst, ohne es zu bemerken oder zu wollen.« Er atmete tief durch. »Selbst mich. Den Mann ohne Seele.«
»Das ist nicht wahr!«, begehrte Palmiro auf. »Du besitzt eine Seele, Benedikt. Auch wenn mir ihr Licht verborgen bleibt, kann ich ihre Wärme spüren.«
»Siehst du?« Benedikts Herz wurde von einer eisernen Kralle zerquetscht. »Du tust es gerade jetzt. Dabei solltest du mich hassen. Ich bin hier, um dich in den Tod zu schicken.«
»Aber du tust es nicht.«
»Nein.« Die eiserne Kralle machte sich nun auch über seine übrigen Eingeweide her. »Ich werde alles versuchen, was in meiner Macht steht. Für dich, für Mathys. Aber vielleicht ist das nicht genug.« Seine Augen brannten, doch ein letztes Mal blickte er in die von Palmiro, die groß und dunkel auf ihn gerichtet waren. »Ich bin noch niemals einem Menschen wie dir begegnet. Einem Menschen, der mir das Gefühl gibt … lebendig zu sein. Doch ich bin nicht wie du. Ich kann nicht bereuen, was zwischen uns geschehen ist. Das macht auch mich zu einem Ketzer. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll.«
»Ich weiß.« Palmiro streckte die Hand nach ihm aus, ließ sie aber gleich wieder sinken und zog stattdessen das silberne Kruzifix unter seinem Hemd hervor. Für einen langen Moment betrachtete er es still, schloss die Finger so fest darum, dass die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten. Dann legte er die Reliquie auf dem Pult ab und blickte Benedikt in die Augen. »Ich weiß«, wiederholte er leise. »Leb wohl, Benedikt vom Heidenstein.« Damit wandte er sich ab und ließ Benedikt einfach mitten im Kontor stehen.