Kapitel 14

 

Melody

 

„Eli?“

Ich starrte ihn schockiert an. Erst sein Gesicht und dann den Blumenstrauß, den er in der Hand hielt, und schließlich in seine schokobraunen Augen.

„Hi, Melly“, sagte er.

Er stand groß und stolz da, trug einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd. Er sah gut aus, wenn auch etwas overdressed für eine medizinische Praxis, aber so attraktiv wie immer. Sein Aussehen war nie das Problem gewesen.

„W-was machst du denn hier?“, stotterte ich. Meine Stimme war nicht laut, doch innerlich brüllte ich. Was zum Geier wollte er hier? In New York? An meinem Arbeitsplatz?

„Ich wollte dich überraschen.“ Er lächelte.

Warum lächelte er?

Das war nicht gerade ein Bilderbuchmoment – ich im Arzthelferinnenkittel, Eli angezogen, als würde er gleich zur Oscar-Verleihung gehen, und ein Wartezimmer voll schwangerer Frauen, die sich jeden Moment Popcorn besorgen und es sich für diese Theatervorstellung gemütlich machen würden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass wir uns vor Monaten getrennt hatten.

„Die Überraschung ist gelungen“, murmelte ich.

Sein Lächeln wurde breiter. Jesus Christus. Das war typisch für ihn. Er war so von seinem Plan eingenommen, dass er meine Reaktion nicht bemerkte. Ich war nicht begeistert von seinem Erscheinen, und ich wusste, dass man das meinem Gesicht ansah. Ich hatte meinen Gesichtsausdruck noch nie neutral halten können, wenn der Drang zum Ausflippen überwältigend war. Nein, ich war der Typ, der dann auch ausflippte. Der heutige Zusammenbruch war allerdings eine kleine, hölzerne Melody mit heruntergesacktem Kiefer, großen Augen und einem Rückgrat so steif wie ein Brett.

„Ich vermisse dich“, sagte er und drückte mir den riesigen Blumenstrauß in die Hand, auf den ich höchstwahrscheinlich allergisch war.

Diese Monstrosität wäre sicherlich ein tolles Requisit für die Saturday Night Live Show, und mit meinen Allergien gegen die meisten Blumenzwiebeln, Pollen und Blüten wäre auch für den Slapstick-Moment gesorgt.

Um eine Szene zu vermeiden, war ich höflich und nahm den Strauß entgegen. Pastellfarbene Blütenblätter von Tulpen, Tausendschönchen und Rosen tanzten vor meinen Augen, sodass ich nichts mehr sehen konnte. Ich versuchte, drüberzuschauen, rechts vorbei, links vorbei, aber es war sinnlos. Und als meine Nase anfing zu kitzeln und mein Gesicht zu kribbeln, war ich mir nicht sicher, ob Eli mir seine Liebe gestehen oder mich umbringen wollte.

Wenn es sein Plan war, mich durch einen allergischen Schock umzubringen, musste ich ihm Punkte für Kreativität geben. „Du bist extra nach New York gekommen, weil du mich vermisst?“, fragte ich und legte die Blumen auf den Empfangstresen, um sie loszuwerden. Melissa lächelte mich heimtückisch an und plante offensichtlich ihren nächsten Schritt.

Ein Nieser. Noch einer. Noch drei Nieser, und es war offiziell: Die Todesblumen hatten meine Nase erobert. Na super.

Melissa seufzte genervt. „Die blockieren mir die Sicht ins Wartezimmer, Loady.“

Da ging es schon los. Ich konnte ihren Frust nachvollziehen, denn Eli hatte den weltgrößten Blumenstrauß gekauft, aber mir war es egal. Scheiß auf Melissa. Sie kümmerte sich sowieso nur zu fünf Prozent ihres Arbeitstages um die Patientinnen. Da konnten die Blumen ruhig einmal fünf Minuten ihre Sicht blockieren. Außerdem hatte ich gerade immer noch andere Probleme.

„Geht es dir gut? Bist du krank?“ Eli berührte meine Schulter und sah mich besorgt an.

„Nein“, sagte ich mit einem Kopfschütteln und höchstwahrscheinlich widerlichem Schniefen. „Ich bin nicht krank. Nur allergisch.“

„Allergisch?“

„Gegen die Blumen.“

„Du bist allergisch gegen Blumen? Wann ist das denn passiert?“

„Äh … vor ungefähr neunundzwanzig Jahren.“ Er wirkte immer noch verwirrt. Verdammt, was hatte ich an ihm gemocht? „Um die Zeit meiner Geburt herum.“

„Echt jetzt?“

Ich nickte, er sah allerdings nach wie vor verwirrt aus.

„Aber ich habe dir doch andauernd Blumen geschenkt.“

„Nein“, widersprach ich. „Du hast mir nur ein einziges Mal Blumen geschenkt, und dann damit aufgehört, als du festgestellt hast, dass Blumen nicht der Weg zu meinem Herzen sind, es sei denn, du wolltest mich umbringen.“

„Scheiße“, murmelte er und sah mir entschuldigend zu, wie ich mir mit einem Papiertuch vom Empfangstresen die Nase putzte. „So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt.“

„Ich hatte gehofft, es wird romantisch“, sagte eine der Frauen hinter mir.

„Ich auch“, bekräftigte eine andere. „Ich glaube, das läuft nicht wie geplant.“

„Er muss seine Taktik ändern, falls da noch Hoffnung ist“, warf eine dritte Frau ein.

„Ist ihr Gesicht geschwollen?“

„Ja. Ich schätze, das kommt von den Blumen. Sie hat gesagt, sie sei allergisch.“

Niemals wollte ich dringender im Boden versinken als in diesem Augenblick.

Nachdem ich mit Niesen und Schnäuzen fertig war und mein Gesicht nicht mehr kribbelte, ging ich diesem Affentheater auf den Grund. „Ehrlich jetzt“, begann ich, „warum bist du in New York?“

 „Wegen dir“, sagte Eli und machte eine kurze Pause. „Nun ja, ich bin zufällig in der Gegend.“

„In der Gegend?“

„Ein Investorentreffen“, erklärte er. „Die Firma hat einen großen potenziellen Kunden an der Angel, und ich bin hier, um den Vertrag abzuschließen.“

Natürlich war er hier wegen einer Geschäftsreise. Ich war nur eine praktische Zugabe – wie ich es immer gewesen war, was Eli betraf. Seine Reise hatte nichts mit mir zu tun. Er wollte keine echte, verpflichtende Beziehung mit mir. Er mochte mich ein wenig vermisst haben, aber mir war klar, dass es nicht reichte, um für mich quer übers ganze Land zu fliegen.

Das war der Unterschied zwischen Eli und mir. Vor fünf Jahren war ich für ihn quer übers ganze Land geflogen. Und war bei ihm geblieben. Ich hatte mein Zuhause, meine Familie und meine Freunde verlassen. Für ihn. Sicher, er bedeutete mir noch etwas. Ich wollte nach wie vor, dass es ihm gut ging. Aber ich wollte nicht mehr mit ihm zusammen sein. Ich liebte ihn nicht.

Du liebst Will.

Himmel, der Gedanke traf mich unvorbereitet. Ich war doch nicht in Will verliebt, oder? Die Vorstellung schien lächerlich. Wir kannten uns viel zu kurz.

Will mögen? Natürlich.

Will lieben? Das klang verrückt.

„Ist das nicht süß?“, wisperte jemand im Warteraum, und diese Worte brachten mich so abrupt in die Gegenwart zurück, wie ein rennender Hund von einer Rollleine gestoppt wird. Ich wollte rufen: Hör zu, Lady, das ist nicht süß. Dieser Mann ist einer der egoistischsten Menschen, die du jemals treffen wirst, und er hatte fünf Jahre, um sich anzustrengen. Jetzt ist nicht der passende Zeitpunkt. Und ich hätte wirklich gern ein Antihistamin und ein Nickerchen.

Doch ich schaffte es, cool zu bleiben und einen weniger streitbaren Gesichtsausdruck aufzusetzen.

„Schön, dass die Firma Erfolg hat“, sagte ich und meinte es auch so. Nur weil ich nicht mit ihm zusammen sein wollte, bedeutete das nicht, dass ich ihm sein Glück nicht gönnte. „Aber …“, begann ich, meine wahren Gefühle zu erklären, allerdings wurde ich unterbrochen.

„Ist alles in Ordnung, Mel?“, fragte Will von irgendwo in der Nähe.

So nah, dass sich die Härchen auf meinen Armen aufrichteten. Ich drehte mich um und fand ihn direkt hinter mir, mit fragendem Blick und zusammengezogenen Augenbrauen.

Jesus, das hier wurde jede Minute schlimmer. Der Exfreund und der Mann, den ich gestern fünfmal gefickt hatte.

„J-ja“, stotterte ich, während ich einen Ausweg aus dieser Situation suchte.

„Wer ist das?“, fragte Eli.

„Äh, das ist Will … äh, Dr. Cummings.“ Mein Liebhaber, dachte ich, sagte aber stattdessen: „Mein Boss.“

„Hi.“ Eli schüttelte Wills Hand. „Ich bin Eli, Mels Freund.“

Oh, verdammte Scheiße. Ich schloss die Augen und verzog das Gesicht, fand dann jedoch, dass ich sie besser offen lassen sollte, falls ich verhindern musste, dass Schlimmeres geschah.

Will sah Eli an und Eli sah Will an, und meine Lungen brannten so sehr, dass ich dachte, sie würden von einem Wirbel gepackt. Ehe ich etwas tun konnte, um das Chaos zu beruhigen – nicht, dass ich eine Ahnung gehabt hätte, was ich tun könnte – rief Melissa nach Will.

„Dr. Cummings, Marlene braucht Sie dringend in Raum sechs.“

Will drehte sich augenblicklich um und wollte panisch fliehen, doch ich hielt ihn am Arm zurück.

„Will, warte …“

Aber er schüttelte den Kopf, ging durch die Tür in den Flur und – wie ich annahm – zu Raum sechs.

Scheiße, Scheiße, Scheiße.

„Warum hast du das gesagt?“, fragte ich Eli mit zusammengebissenen Zähnen. „Du bist nicht mein Freund. Du bist mein Exfreund.“

„Ich weiß“, sagte er, doch es fühlte sich nicht so an, als ob er das wüsste, sondern nach dem, was er immer tat: aus Situationen Kapital schlagen, wenn es für ihn optimal war. „Aber ich will weder dein Freund noch dein Exfreund sein. Ich will mein Leben mit dir verbringen.“

Mein Kiefer klappte nach unten. Buchstäblich. Sackte zu Boden. „Wie bitte?“

„Oh mein Gott“, wisperte eine Frau hinter mir. „Glaubst du, er macht ihr gleich einen Heiratsantrag?“

Ich hoffte nicht, verdammt noch mal.

Bist du da, Gott? Ich bin’s, Melody. Lass das hier bitte einen Scherz sein.

„Meinst du nicht auch, wir sollten dieses Gespräch woanders führen?“, fragte er und blickte durch den Raum und in zahlreiche neugierige Augen. Sie glühten praktisch, wie bei einer Herde Rehe im dunklen Wald.

Wir waren zu einer Live-Seifenoper im Wartezimmer geworden. Und ja, wir sollten dieses Gespräch woanders führen. Die ganze Situation fühlte sich an wie eine Aneinanderreihung von Desastern. Aber dieser Mist war Elis Schuld, und ich wollte verdammt sein, wenn ich ihm etwas gäbe, was er haben wollte.

„Hör zu“, sagte ich entschlossen. „Ich kenne deine Motive nicht …“

„Meine Motive?“ Mit einem Kopfschütteln unterbrach er mich. „Es gibt keine Motive, Melly. Ich liebe dich. Ich vermisse dich. Deshalb bin ich hier.“

Ich seufzte. „Du bist hier wegen eines Investorentreffens und weil es praktisch war.“

„Ach komm schon, Mel. Denkst du wirklich so von mir?“

Beweisstück A für Elis typische Art: Schieb Melody das schlechte Gewissen zu. Dafür hatte Eli ein Talent. Noch vor einem Jahr wäre ich augenblicklich eingeknickt und zu Kreuze gekrochen. Aber nicht heute. Nicht jetzt. Ich fing gerade erst an, mich selbst zu finden. Ich fing gerade erst an, zu reparieren, was in dieser Beziehung zerbrochen war. Ich fing gerade erst an, mich wie ich selbst zu fühlen. Ich hatte gerade erst Will gefunden …

Ich hielt seinem Blick stand. „Ich habe Portland vor über vier Monaten verlassen. Und das ist jetzt das erste Mal, dass ich von dir höre, von einer belanglosen Textnachricht abgesehen. Wenn du mich so sehr vermisst hast, wieso hast du mir das nie gesagt? Warum hast du gewartet, bis du zufällig geschäftlich nach New York kommst?“

„So ist das nicht.“

„Wie ist es dann? Sag es mir, Eli.“

„Ich möchte dich heiraten“, sagte er, als wäre es das Normalste auf der Welt.

Er wollte mich heiraten. So ein Blödsinn. „Nein, das willst du nicht.“

„Wie kannst du das sagen?“, fragte er mit einer frustrierten Handbewegung. „Wie kannst du meine Gefühle einfach so herunterspielen?“

„Ich spiele nichts herunter“, erklärte ich. „Deine Taten sprechen deutlicher als deine Worte. Was zeigen deine Taten, Eli? Einen Mann, der nicht weiß, was zum Geier er will.“

„Ich will dich.“

„Du willst mich? Du willst mich heiraten?“

Er nickte resolut. „Ja.“

„Okay, Eli. Dann sag mir, warum.“

Er schüttelte leicht den Kopf.

„Sag mir, warum. Was habe ich, ohne das du nicht leben kannst? Was habe ich, das dein Herz schneller klopfen lässt? Was habe ich an mir, das du mich unbedingt haben willst, weil du nicht weiterleben kannst, ohne mich zu besitzen?“

„Komm schon, Melly. Du weißt, warum.“

Ich schüttelte den Kopf. „Du willst deine Vorstellung von mir. Du willst die Melody, die immer nur gab, gab, gab, während du nahmst, nahmst, nahmst. Du willst, dass alles wieder so wird wie früher. Aber rate mal! So wird es niemals mehr sein. Ich will nicht zurück. Ich will bleiben, wo ich bin.“

Als diese Worte meine Lippen verließen, überwältigte mich Erleichterung. Vielleicht wusste ich nicht, was ich alles wollte, doch mir gefiel die neue Richtung. Und auch wenn ich einen Job hatte, der nicht unbedingt meine Berufung war und ich morgens von meinem Vater mit Black Sabbath geweckt wurde, war ich sicher, dass es die richtige Entscheidung war.

„Das war es dann also?“, fragte er.

Ich nickte. „Das war es.“

„Das wirst du bereuen, weißt du das?“, fragte er, und dass mich das kein bisschen beunruhigte, sagte mehr als alles andere.

Ich küsste seine Wange und wisperte die wohl letzten Worte, die ich je zu ihm sagen würde: „Auf Wiedersehen, Eli.“

Abschluss.

Das bedeutete dieser Abschied für mich. Ich hatte endlich die Tür zu dieser Beziehung geschlossen.

Als ich mich umdrehte und mich von meinem Ex entfernte, hatte ich nur eine Person im Kopf: Will.