Kapitel 25

 

Melody

 

Der Tag hatte wie ein normaler Samstag in New York angefangen.

Ich war mit dem Duft von frischem Kaffee und dem Anblick von Wills Hintern in der Küche aufgestanden. Er hatte mir einen Kaffeebecher und ich ihm einen Kuss gegeben. Nach dem Sex auf der Arbeitsplatte hatte ich geduscht, mich angezogen und einen netten Spaziergang mit Georgia und Cassie gemacht. Wir waren zum Mirabelle’s Auktionshaus gegangen und hatten ein paar Dinge für die Wohltätigkeitsveranstaltung ersteigert, die ich in der Praxis geplant hatte.

Wir wollten die Sachen weiterversteigern, aber da unsere Auktion eine stille und außerdem für einen guten Zweck sein würde, war es nicht dasselbe, wie etwas weiterzuverschenken, hoffte ich.

Alles in allem war es ein toller Tagesbeginn gewesen.

Zunächst hatte mich Wills Meinungsänderung, den Frauen in der Praxis nichts über uns zu sagen, überrascht. Ich hatte befürchtet, etwas falsch gemacht zu haben oder dass er plötzlich Zweifel bekommen hatte. Aber als ich dann sein Büro verlassen hatte, nachdem wir uns unsere Liebe gestanden hatten, sah ich unverzüglich den Sinn darin. Melissa hatte mehr gearbeitet, als ich je gesehen hatte, doch sie hatte auch schwer über Will hergezogen. Mit einer Intensität, die ich ihr nicht zugetraut hätte. Sie meinte, er sei voreingenommen und behandele einige Leute im Büro anders als andere. Er habe sich ihr gegenüber schlecht benommen und benötige wohl mal wieder Sex.

Ich hatte nicht viel rationales Denken gebraucht, um mir vorzustellen, was sie gesagt hätte, wenn wir ihr an diesem Tag von unserer Beziehung erzählt hätten. Die Verzögerung war also angebracht, und wir hatten seitdem nicht mehr darüber gesprochen. Das war vor anderthalb Wochen gewesen.

Doch ich war glücklich. Glücklicher als je zuvor.

Zumindest war ich das, bis wir im Auktionshaus waren und die Dinge rabiat wurden.

„Ich werde der Alten in den Arsch treten, wenn sie weiterhin alles ersteigert, was ich haben will“, flüsterte Cassie. „Die blöde Zicke sucht Streit, ich spüre es.“

Das war es, was ich meinte. Cassie hatte sich in den Krieg mit einer alten Frau begeben, die nicht einen Tag jünger als achtzig sein und sich wahrscheinlich nur mit einem Gehstock vorwärtsbewegen konnte.

Ein glatzköpfiger Mann vor uns sah über seine Schulter und machte Pssst-Geräusche. Sofort flüsterte eine Frau mit einem riesigen blauen Hut in der nächsten Sitzreihe ihre Zustimmung in Richtung des Glatzkopfes.

Guter Gott, Cassie war nicht nur in einem Gebotskrieg mit einer Achtzigjährigen, sondern zog nun auch noch die Aufmerksamkeit der Leute auf uns drei. Ich hielt nach den Ausgangsschildern Ausschau, falls die Meute Mistgabeln ersteigern und auf uns losgehen würde.

„Hör auf, so laut zu sein, Cass“, schimpfte Georgia, schien aber ansonsten unbesorgt zu sein und stopfte sich Skittles in den Mund. Die Tüte Skittles lag auf ihrem runden Bauch, und es war offensichtlich, wie wenig die Auktionshaus-Etikette sie störte.

Notiz an mich selbst: Das nächste Mal, wenn Cassie und Georgia mit dir zu einer Auktion gehen wollen, finde eine gute Ausrede.

„Ich glaube nicht, dass sie Streit sucht, Cass“, sagte ich in der Hoffnung, die Lage zu beschwichtigen, ehe sie eskalierte. „Sie hat bestimmt nur denselben Kunstgeschmack wie du.“

„Nein“, widersprach Cassie. „Sie spielt Spielchen mit mir.“ Sie starrte auf ihre kleine, weißhaarige Gegnerin, die in der Reihe vor uns saß. „Sieh sie dir an“, flüsterte sie. „Wieso zum Geier will sie die ganzen perversen Nacktbilder haben?“

„Die sind nicht pervers, Cass-Dummerchen“, flötete Georgia. „Das sind geschmackvolle Akte. Die meisten von Impressionisten des 20. Jahrhunderts. Die sind viel wert. Wahrscheinlich betrachtet sie die als Investition und nicht als Mittel, ihrem Mann eine Dauererektion zu bescheren.“

Cassie spöttelte: „Thatch einen Steifen zu verschaffen, ist viel wichtiger als eine blöde Kunstinvestition.“

Ja, ich hatte richtig gehört. Cassie bot auf alles, was Titten hatte, um ihrem Ehemann, wie sie sagte, häufigere Ständer als Viagra zu verursachen.

Georgia schnaubte. „Ihr zwei habt eine abartige Beziehung.“

„Ja, oder?“, sagte Cassie und lächelte zufrieden. „Wir sind die Besten. Ich liebe diesen riesigen Idioten so sehr.“

Ich hatte Angst, Details dieser Beziehung hören zu müssen. Schon nach einer kurzen Unterhaltung mit Cassie hatte ich gewusst, dass sie und ihr Ehemann Freaks waren, aber wissen und Details kennen waren zwei verschiedene Dinge. Himmel, beim Spaziergang zum Auktionshaus hatte sie ihm ständig schmutzige Nachrichten per Handy geschickt und uns seine Antworten vorgelesen. Wäre der Weg zum Auktionshaus weiter gewesen, hätte sie womöglich ihre Brüste ausgepackt und ihm ein Selfie zukommen lassen.

„Wann ist die Wohltätigkeitsveranstaltung, Mel?“, fragte Georgia und ich war froh über die Ablenkung.

„In einer Woche.“ Auszusprechen, wie schnell es so weit sein würde, verursachte mir eine Gänsehaut. Zahllose Stunden Arbeit und kreatives Denken hatten wir in die Planung jedes Details gesteckt, und ich war gespannt, wie alles ablaufen würde.

Die Veranstaltung, um Spenden für Frauen zu sammeln, die dringend finanzielle Hilfe brauchten, sollte einen ganzen Tag dauern. Kostenlose Untersuchungen für Schwangere sollten zur Verfügung gestellt werden, und es würde ein Rahmenprogramm geben, um mehr Besucher anzulocken, die spenden sollten. Ich wollte zweigleisig fahren: eine kurzzeitige Betreuung anbieten, die zu einer langzeitigen führen konnte. Diese Frauen sollten die Möglichkeit bekommen, öfter als nur an diesem einen Tag betreut zu werden.

Doch ich hatte dabei auch an meinen eigenen Spaß gedacht. Ich hatte ein Gerät organisiert, mit dem man Geburtswehen simulieren konnte. Obwohl es ein wenig böse von mir war, freute ich mich bereits darauf, Wills Gesicht zu sehen, wenn er herausfand, wie sich Wehen wirklich anfühlten.

„Das ist ja schon bald“, sagte Georgia mit sichtlichem Interesse. „Was macht ihr mit dem Geld?“

„Es kommt Frauen zugute, die finanzielle Hilfe für die medizinische Betreuung benötigen, weil sie keine Krankenversicherung haben und sie sich nicht leisten können.“

„Das ist toll“, sagte sie mit einem Lächeln. „Es gibt so viele unterprivilegierte Frauen da draußen, die solche Hilfe brauchen.“

„Ja. Ich wünschte, das St. Luke’s würde eine Frauenklinik eröffnen, um Unterversorgte in der Stadt zu behandeln, aber ich bin schon froh, wenigstens ein bisschen helfen zu können.“

Sie nickte zustimmend. „Sie sollten wirklich einen Weg finden, das zu realisieren. Das wäre eine echt positive Sache für die Stadt.“

Wenn mir nur eine Möglichkeit einfallen würde …

Ich arbeitete viele Tage und Nächte dafür, dass unsere Patientinnen mit geringem Einkommen alles hatten, was sie brauchten. Aber dass es für die meisten anderen da draußen so wenig Unterstützung gab, brach mir das Herz. Ich war bloß eine einzelne Person. Ich konnte nicht genug Anrufe tätigen. Ich persönlich konnte lediglich ein paar Patientinnen betreuen. Das Wissen, dass ich nur wenig tun konnte und dass es noch so viele Frauen gab, die Hilfe bedurften, fing an, mich emotional zu belasten. Was als etwas angefangen hatte, das sich wichtig anfühlte, war schnell zu etwas geworden, das mir wie eine Berufung vorkam. Wie es aussah, brauchte ich diese Patientinnen genauso wie sie mich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Berufsleben würde sich am Ende weniger auf typische Arzthelferinnentätigkeiten konzentrieren, sondern mehr auf Einzelfallbetreuungen wie bei Carmen.

„Du gehörst zu den guten Menschen, Melody“, beschied Georgia mit einem Lächeln. „Diese Frauen können froh sein, dich zu haben. Und mein Bruder hat auch Glück, dich zu haben. Hoffentlich versaut er es nicht“, sagte sie und zwinkerte mir zu.

Ich lachte leise und war ziemlich sicher, dass ich die Glückliche war, weil ich Will haben durfte.

Das Quietschen des Mikrofons aus den Lautsprechern zog unsere Aufmerksamkeit nach vorn im Raum.

„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, meine Damen und Herren“, sagte der Auktionator. „Es geht weiter mit der letzten Hälfte der Angebote. Der nächste Gegenstand trägt die Nummer 175. Es ist ein Ölgemälde mit dem Namen Mademoiselle X von dem berühmten französischen Impressionisten Maurice Ehlinger. Er war bekannt für seine stilisierten Aktbilder und …“

Georgia und ich blickten einander mit großen Augen an. Himmel, nicht schon wieder Nacktbilder.

„Jetzt geht’s los“, murmelte Georgia und wir sahen Cassie an.

„Cassie, äh …“, begann ich, aber sie starrte bereits auf die alte Dame, noch ehe der Auktionator das Bieten eröffnet hatte.

Er deutete auf das Gemälde und verkündete der Menge stolz: „Wir fangen bei 200 Dollar an.“

„1000!“, rief Cassie.

Die Augen des Auktionators weiteten sich. „Äh, gut“, stotterte er ins Mikrofon. „Bietet jemand 1100?“

Die alte Dame hob kurz die Hand, um ihr Gebot zu abzugeben.

„55.000!“, brüllte Cassie.

Verständlicherweise schrumpfte die alte Dame in ihren Sitz, als der Auktionator in ihre Richtung sah.

Heilige Scheiße, Cassie hatte gerade das Gebot um fast 54.000 Dollar erhöht!

„55.000 Dollar zum Ersten … zum Zweiten und verkauft an … die überschwängliche Dame auf der linken Seite.“

„Saugeile Scheiße“, jubelte Cassie laut genug, dass ganz New York es gehört haben musste. Und sie vollendete ihre Verrücktheit, indem sie die alte Frau anstarrte und mit zwei Fingern auf ihre eigenen Augen zeigte. „Ich beobachte dich“, formte sie mit den Lippen.

Die alte Frau blickte schnell zur Seite. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich wollte auch nicht Ziel von Cassies Rache sein. Ihre Art von Irrsinn schien keine Grenzen zu kennen.

„Äh …“ Georgia sah Cassie an. „Dir ist klar, dass das Bild höchstens 2000 wert ist, ja?“

„Und?“

„Du hast gerade 55.000 dafür ausgegeben“, erinnerte ich sie.

Sie zuckte mit den Achseln. „Das bezahlt Thatcher.“

„Und du meinst, es macht ihm nichts aus, dass er heute 100.000 Dollar für Gemälde ausgegeben hat?“, fragte Georgia.

An dieser Stelle sollte ich wahrscheinlich erwähnen, dass Cassie und Thatch steinreich waren. Sie könnte morgen drei Jachten kaufen, und das würde keine Delle in ihrem Konto hinterlassen. Ich wusste nicht, ob ich mich je daran gewöhnen würde, so reiche Leute zu kennen.

„Ach was“, widersprach Cassie. „So viel hab ich nicht ausgegeben.“

„Doch, hast du“, merkte ich an, aber es war egal. Cassie hatte bereits ihr Augenmerk auf den nächsten Gegenstand gerichtet, und als der Auktionator den Preis verkündet hatte, richtete sich ihr Blick wie ein Zielsuchgerät auf die alte Dame. Es war wie bei einem Autounfall. Ich wollte nicht hinsehen, konnte allerdings auch nicht wegsehen. Ich hoffte, die alte Frau kam hier lebend wieder raus.

Um mich davon abzulenken, dass Cassie nur noch ein Gemälde weit entfernt war von dem, was Georgia einen Fight-Club nannte, holte ich mein Handy hervor und schrieb Will eine Nachricht.

 

 Ich: Es war wohl keine gute Idee, Cassie zur Auktion mitzunehmen.

 

Eine Minute später vibrierte das Handy mit einer Antwort.

 

Will: LOL. Ich kann es mir vorstellen …

 

Ich: Sie kämpft mit einer alten Dame um Aktgemälde. Sie ist davon überzeugt, dass Thatch von denen einen Dauerständer bekommt. Das ist ihre Wortwahl, nicht meine.

 

Will: Oh Gott. Was ist das für eine Art von Auktion? Ich dachte, du besorgst Sachen für die Veranstaltung.

 

Ich: Komm aus der Schmuddelecke raus. Das sind keine Pornos. Es handelt sich um Kunst des 20. Jahrhunderts. Fast nur Brüste. Keine Unterkörperdarstellungen.

 

Will: Ach so. Thatch steht auf Titten.

 

Das war offensichtlich. Ich war sicher, dass jeder im Auktionshaus wusste, dass Thatch auf Brüste stand.

 

Ich: Ja, und Cassie wirft gerade eine Menge Geld zum Fenster raus für seine Brustfixierung.

 

Will: Ich würde gern sagen, dass alles wieder gut wird, aber …

 

Ich: Hilf mir.

 

Will: LOL. Was macht Georgia?

 

Ich: Skittles futtern.

 

Will: Mitten in einer Auktion?

 

Ich: Ja. Ich bin hier praktisch mit Thelma und Louise zusammen. Nur dass wir nicht mit einem Auto eine Klippe runterstürzen. Cassie setzt alles dran, die alte Frau zu ärgern, die auf sämtliche Bilder bietet, die Cassie haben will.

 

Will: Du solltest ein Video davon machen. Für spätere Zwecke.

 

Ich: Du bist echt keine Hilfe.

 

Will: Du musst zugeben, dass das alles saukomisch klingt.

 

In diesem Moment war mir nicht zum Lachen zumute. Meine Hände waren verschwitzt und der Stress hatte zu einem scharfen Schmerz auf meiner Brust geführt. Wäre ich nicht unter dreißig und meine Familie hätte keine Herzprobleme, wäre ich davon überzeugt gewesen, eine Herzattacke zu haben. Natürlich hätte man sagen können, dass ich ein bisschen überdramatisierte, nur weil Cassie alles kaufen wollte, das mit nackten Brüsten zu tun hatte, aber die Blicke, die man uns von allen Seiten zuwarf, waren weder freundlich noch willkommen heißend. Ich fühlte mich wie ein im Zoo eingesperrtes Tier. Mit dem Unterschied, dass die Leute, die mich anstarrten, sich nicht freuten, sondern jeden Moment die Cops holen würden.

Ich war froh, dass Cassie nicht gegen mich auf irgendwas geboten hatte. Man konnte nicht sagen, welche medizinische Notfallsituation uns zugestoßen wäre.

 

Ich: Nur für Außenstehende. Nicht, wenn man mittendrin ist.

 

Will: Konntest du genügend Sachen für die Veranstaltung ergattern? Oder hat Cassie auch gegen dich geboten?

 

Ich: Ja, konnte ich, Gott sei Dank. Ich hab mich bloß auf Skulpturen und tittenlose Bilder mit Landschaften und Blumen konzentriert. Ansonsten hätte Cassie mich schon umgebracht.

 

Will: LOL

 

Ich: Schön, dass ich dich amüsieren konnte.

 

Will: Hilft es, wenn ich dir sage, dass du unglaublich bist?

 

Das half ein bisschen. Aber das musste ich nicht unbedingt zugeben.

 

Ich: Nein.

 

Will: Wie wär’s mit … ich bin so stolz auf dich, dass du diese Wohltätigkeitsveranstaltung organisierst.

 

Er war manchmal wirklich so süß zu mir. Doch auch das musste ich ihm nicht unbedingt erzählen.

 

Ich: Nein.

 

Will: Du bist die brillanteste Frau, die ich kenne.

 

Ich: Hilft immer noch nicht.

 

Will: Bleib heute Nacht bei mir und ich verspeise deine Pussy wieder und wieder …

 

Meine Augenbrauen schossen nach oben. Jetzt wurde es interessant.

 

Ich: Wie oft?

 

Will: Bis du um meinen Schwanz bettelst.

 

Okay, das konnte eine Frau nur eine bestimmte Zeit aushalten. Mit Freuden gab ich nach.

 

Ich: Abgemacht.

 

Will: Ist mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Ms. Marco. ;) Bis heute Abend.

 

Ich steckte das Handy weg und zwang mein Gehirn, sich den Abend mit Will vorzustellen. Sein Gesicht zwischen meinen Beinen, sein Mund an meiner Pussy, jede Menge Orgasmen …

Plötzlich waren Cassies haarsträubende Gebote auf alles Nackte nicht mehr so stressig.