Will
Die U-Bahn war voller als sonst, als ich nach Hause fuhr. Eigentlich hätte ich mich jetzt darauf gefreut, Melody zu sehen, aber ich hatte während des Meetings eine Absage per SMS von ihr bekommen, und auf meine anschließenden Anrufe hatte sie nicht reagiert. Nachdem ich ihr die Nachricht geschickt hatte, dass ich bei Bill und Janet aufkreuzen würde, wenn sie mir nicht wenigstens versicherte, dass alles okay war, hatte sie kurz geantwortet: Alles okay. Bis morgen bei der Arbeit.
Die knappe Antwort machte mich hibbelig und ich fragte mich, ob doch irgendetwas los war, aber ich versuchte, nichts hineinzuinterpretieren. Ich wusste, dass Janet seltsam sein konnte, besonders wenn es um einen Fitnessnotfall ging.
Nachdem meine Idee für eine kostenlose Klinik vom Vorstand mangels Geld abgelehnt worden war, musste ich mich auf Plan B konzentrieren. Normalerweise war ich nicht der Typ für Gruppennachrichten, doch ich wollte sie alle schnell zusammenrufen, und das war der beste Weg. Telefonate würden nur zu sinnlosem Geplapper führen.
Ich: Ich brauche ein Meeting.
Thatch: Eins bei den AA? Hast du etwa ein Alkoholproblem, William?
Jesus. So viel zum Vermeiden von sinnlosem Geplapper.
Ich: Nein, Thatch, ich hab kein Alkoholproblem, und ich wäre dir dankbar, wenn du das nicht in medizinischen Kreisen herumerzählen würdest.
Thatch: Um deinen Ruf musst du dir keine Sorgen machen, Bro. Ich torpediere keine sinkenden Schiffe.
Ich: Fick dich.
Thatch: Ich hab dich auch lieb.
Kline: Vielleicht spricht er von einem Psychologen. Wegen des Pubertätstraumas, seinen Eltern beim Vögeln zusehen zu müssen.
Ich: Du auch noch? Sind denn keine Erwachsenen in diesem Chat?
Wes: Ich hab nix gesagt.
Ich: Dann bist du mein neuer Liebling, Wes.
Wes: Ich meine … ich hab es nur gedacht, aber nicht getippt.
Ich: Fickt euch alle, Mann.
Kline: Also, ein Meeting?
Ich: Ja, mit euch dreien.
Thatch: Ich dachte, du kannst uns nicht leiden.
Ich: Ein Meeting könnte meine Meinung ändern.
Kline: Morgen Vormittag hätte ich Zeit.
Wes: Ich auch. Und ich bin auch in der Stadt.
Ich: Thatch?
Thatch: …
Kline: Du weißt, worauf er wartet. Sag es einfach.
Ich: Seufz. Ich hab dich lieb, großer Krieger. Dein Samen ist der stärkste im ganzen Land.
Wes: Du musst dieses Meeting wirklich dringend brauchen.
Thatch: Um 8:00 Uhr in meinem Büro, ihr Affen. Cassie und ich haben uns zum Mittagssex verabredet und ich will pünktlich sein.
Ich ignorierte seine unverlangten Informationen und verließ den Chat mit den Worten:
Ich: Okay, bis morgen.
Dann versuchte ich noch einmal, Melody anzurufen, landete aber auf der Mailbox. Ich kniff frustriert die Augen zusammen und lehnte den Hinterkopf an die Wand. Dass sie nicht antwortete, ließ mein Hirn irrational durchdrehen. In den letzten paar Wochen störte es meinen Schlafrhythmus, wenn Melody nicht bei mir im Bett lag. Ich wollte sie hier bei mir, und offen gesagt, ich wollte sie jede Nacht. Ich musste sie überreden, bei mir einzuziehen. Doch das war ein anderer Kampf für ein andermal.
Heute, nach einem langen Tag, wollte ich mich nur noch in Melody versenken und dann schnell einschlafen, aber wegen ihrer Abwesenheit musste ich mich mit Letzterem zufriedengeben. Es war diese Woche an drei Tagen in der Praxis spät geworden, und zwei Nächte waren von der nackten Melody erfüllt gewesen, weshalb ich verdammt erschöpft war. In der U-Bahn konnte ich kaum wach bleiben, während der Zug vor sich hin schaukelte und durch die dunklen Tunnel New Yorks glitt. Blinkende Lichter drangen kaleidoskopmäßig durch meine Lider und ich öffnete die Augen erst an meiner Station wieder.
Ich bewegte mich mit der Menschenmenge die Treppen hinauf und lief zu meiner Wohnung. Es fühlte sich anders an, als ich dort die Treppen hoch und in die leere Wohnung ging. So anders, dass ich stehen blieb und mich umsah. Nichts schien verändert, aber irgendwas stimmte nicht.
Sie ist nicht hier, wisperte mein Verstand.
Ich lachte in mich hinein und schüttelte den Kopf, weil Melody Marco es geschafft hatte, so sehr unter meine Haut und in mein Herz zu kriechen, dass sich das Nachhausekommen in die Melody-lose Wohnung nicht gut anfühlte. Um die Nacht ohne meine Freundin schneller herumzubringen und Schlaf nachzuholen, ging ich direkt ins Schlafzimmer, zog mich unterwegs aus, ließ mich aufs Bett fallen und schlief sofort ein.
„Guten Morgen, mein Süßer“, begrüßte mich Thatch, als ich in sein Büro kam und mich neben Wes und Kline in der kleinen Konferenzecke niederließ.
Ich war geduscht und sauber angezogen und in meiner Tasche befand sich ein hoffnungsvoller Zungenspatel.
Deine Mandeln sind fast so groß wie dein Herz.
Ich hoffte, das übermittelte, was ich sagen wollte. Aber zunächst musste ich aus diesem Meeting herausschlagen, was ich wollte.
Ich machte eine halbherzige Geste und sank auf dem Stuhl zusammen, als würde ich schmelzen.
„Du siehst müde aus“, merkte Kline an.
Ich winkte ab, doch es stimmte. Ich war verflucht erschöpft und sauer, dass mein Körper anscheinend nicht mehr in der Lage war, allein zu schlafen. Meinem Hirn fiel es schwer, zu begreifen, wieso ich mich fühlte, als wäre meine Welt auf den Kopf gestellt worden. „Ich habe schlecht geschlafen.“
Kline nickte und betrachtete mich so vorsichtig, wie nur er es vermochte. Er war der Meister der Menschenkenntnis, und wenn er herausfinden konnte, was mit mir los war, obwohl ich es nicht einmal selbst konnte, dann bitte schön.
„Also, warum wolltest du dich mit uns treffen?“, fragte Wes und kam damit direkt zur Sache.
Dafür war ich dankbar. Ich richtete mich ein wenig auf dem Stuhl auf und gab mein Bestes, mein Anliegen zumindest etwas marktfähig vorzubringen. „Es geht um eine Investition.“
„Oh“, sagte Thatch. „Geld. Ich mag Geld. Besonders nachdem meine Frau 250.000 Mäuse für Tittenbilder ausgegeben hat.“ Er rollte mit den Augen. „Ich besitze die besten lebendigen Titten der Welt. Wofür zum Geier ich da noch welche auf Gemälden brauchen sollte, ist mir ein Rätsel.“
Kline schüttelte den Kopf und grinste. „Ihr seid wirklich ein perfektes Paar.“
Thatch lächelte, beugte sich vor und drückte auf den Knopf der Sprechanlage, um mit seiner Sekretärin zu reden. „Mad, bringst du uns bitte Kaffee?“
„Natürlich“, antwortete sie sofort.
Kaffee klang gut.
„Und worin sollen wir investieren?“, fragte Wes, der dieser Tage der Einzige zu sein schien, der sich auf etwas fokussieren konnte.
Ich nahm an, das lag am Einfluss seiner Stieftochter Lexi. Sie war ein Kind, das sich auf komplizierte Aufgaben konzentrieren konnte. Ohne Scheiß, sie war noch nicht einmal erwachsen, aber sie konnte schwierige Rechenaufgaben lösen. Ihr brillantes kleines Hirn gab niemals Ruhe.
„Immobilien?“, warf Thatch ein.
„Eine Start-up-Firma?“, riet Kline.
„Ist das hier ein Quiz?“, fragte Wes. „Lasst ihn doch mal selbst zu Wort kommen.“
Ich verzog das Gesicht in dem Wissen, dass mein Vorschlag nicht annähernd so profitabel war wie die genannten. Aber mit dem Gedanken an Melody und die Patientinnen, die sie brauchten, fuhr ich fort: „Es geht um eine Klinik.“
Sie starrten mich an.
„Eine kostenlose Klinik. Mit null Aussichten auf einen finanziellen Gewinn.“ Ich zuckte mit den Schultern und spuckte es aus. „Wahrscheinlich eher mit Verlusten, um ehrlich zu sein.“
Thatch lachte los. „Du hast echt Eier, Mann.“
Kline grinste und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. „Und wozu soll diese kostenlose Klinik gut sein? Wenn wir garantiert Geld verlieren, worin liegt der Vorteil?“
„Ihr würdet Frauen unterstützen, besonders schwangere, die sich keine Krankenversicherung leisten können.“
„Hat das irgendwas mit deiner Freundin zu tun?“, fragte Thatch.
Ich versuchte, unschuldig auszusehen, doch als er erneut loslachte, wusste ich, dass das misslungen war.
„Ich hab mich geirrt. Sie hat dich bei den Eiern gepackt.“
Kline schlug Thatch gegen die Schulter, aber sah nicht aus, als ob er nicht zustimmen würde.
Ich begann mit einer Erklärung. „Ja, sich um Patientinnen zu kümmern, ist Melodys Leidenschaft. Ihr solltet sie dabei sehen. Davon abgesehen kann die Stadt so eine Klinik gut brauchen. Es gibt jede Menge Frauen da draußen, die unterversorgt sind. Ich habe mich an den Klinikvorstand gewendet, aber die haben ganz schnell Nein gesagt.“
„Natürlich“, sagte Wes und lachte kurz. „Das ist ein Projekt zum Geldversenken.“
Kline nickte. „Die haben nur einen liebeskranken Idioten gesehen.“
„Die wissen nichts von unserer Beziehung“, korrigierte ich.
„Entschuldige, Alter, aber es steht dir ins Gesicht geschrieben.“
Niedergeschlagen stand ich auf und schüttelte jedem von ihnen die Hand. Ich konnte es ihnen nicht übel nehmen. Sie waren nicht deshalb so wohlhabend, weil sie Geld in aussichtslose Unternehmen gesteckt hatten. Sie lächelten und verabschiedeten sich, doch keiner von ihnen war bereit, mir Geld zu geben. Ich musste wir etwas anderes ausdenken.