Melody
Mein Leben hatte sich auf sechs Pappkartons reduziert.
Das kam mir bekannt vor.
Bloß dass ich diesmal bei meinen Eltern auszog.
Ich hatte Will vor zwei Wochen das letzte Mal gesehen. Zwei Wochen, seit ich die Stelle in seiner Praxis gekündigt und unsere Beziehung beendet hatte. In den ersten paar Tagen hatte die Zeit praktisch stillgestanden. Es war so schlimm gewesen, wie man es sich nur vorstellen konnte für eine Neunundzwanzigjährige, die sich gerade frisch getrennt hatte, arbeitslos war und noch bei den Eltern wohnte. Aber nachdem ich mich von der Welt zurückgezogen und meine Wunden geleckt hatte, bis der Schmerz auszuhalten war, hatte ich mich aufgerappelt und stand nun wieder auf den Beinen, wenn auch auf wackeligen.
Ich machte Babyschritte, aber langsam und entschlossen fand ich Dinge, auf die ich mich konzentrieren konnte, die meine Tage füllten, sodass ich nicht ständig an Will denken musste. Meistens funktionierte es, außer nachts, wenn ich ohne seine Wärme und der Geborgenheit seiner Arme im Bett lag. In diesen stillen, einsamen Momenten fiel mir auf, wie sehr ich ihn vermisste. Wie sehr ich ihn immer noch liebte. Doch ehe ich etwas Überstürztes tun konnte, wie in seine Wohnung zu eilen und ihn zu bitten, mich zurückzunehmen, erinnerte ich mich stets daran, wie sehr er mich verletzt hatte.
Was ich nicht alles gegeben hätte für eins seiner albernen Lächeln!
Und das war eine deutliche Erinnerung daran, dass ich weitermachen und ihn hinter mir lassen musste.
Mein sparsamer Umgang mit Geld erwies sich als nützlich. Bevor ich den Job gekündigt hatte, hatte ich genug gespart, um die Kaution für eine Wohnung in SoHo bezahlen zu können. Allerdings bekam ich eine günstige Miete von einem Freund der Familie und hatte nur Geldreserven für sechs Monate übrig, bis ich wusste, was mein nächster Job sein würde, aber das war besser als nichts.
Ich hätte nicht sagen können, dass alles gut war, doch ich tat mein Bestes, um meine Lage zu verbessern.
„Melody“, sagte meine Mutter und spähte in ihren Fitnessraum, wo ich dabei war, noch ein paar Dinge in einen Karton zu packen. „Möchtest du, dass ich dir die Mikrowelle mitgebe?“
Ich lächelte und schüttelte den Kopf. „Danke, Mom, aber ich brauche keine Mikrowelle.“
Seit zwei Stunden fragte sie mich solche Sachen. Wie programmiert kam sie alle fünfzehn Minuten und bot mir etwas aus ihrem Haushalt an. Erst den Couchtisch. Dann das Sofa. Allerdings widersprach Bill dem sofort. Mein Vater lebte für dieses Ledersofa, und die eingedellte Stelle von seinem Hintern auf der Seite am Fenster bewies, dass er sich dort mehr aufhielt als sonst irgendwo. Im Grunde wollte sie mir alles mitgeben außer der Küchenspüle. Ich wäre aber nicht überrascht gewesen, wenn sie mir die auch noch angeboten hätte.
Janet seufzte und lehnte den Kopf an den Türrahmen. „Ich möchte dir doch nur irgendwie helfen.“
„Mom, du hast mir schon genug geholfen“, sagte ich und lächelte dankbar. „Keine Sorge, ich bin ein großes Mädchen. Ich werde wunderbar allein zurechtkommen.“
„Ich sollte wohl froh sein, dass du bloß zwanzig U-Bahn-Minuten weit wegziehst und nicht in einen anderen Staat.“
Ich grinste. „Genau.“
Sie kam mit einem weißen Umschlag auf mich zu. „Hier“, sagte sie und hielt ihn mir hin.
Ich neigte den Kopf zur Seite. „Was ist das?“
„Nur eine Kleinigkeit, die wir dir geben möchten.“
„Mom, ehrlich, ihr müsst nicht …“
Sie unterbrach mich, indem sie eine Hand hob. „Doch, wir möchten es dir geben.“
Ich sah auf den Umschlag. „Ich weiß, dass Geld drin ist, Mom.“
„Ja, und?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir sind stolz auf dich. Und wir wollen dir etwas Rückhalt geben, damit du Zeit hast, dir einen Job zu suchen, den du wirklich willst.“
„Wow. Ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll.“
„Du musst jetzt gar nichts sagen.“ Sie lächelte. „Denn es ist Besuch für dich da.“
Will?
Allein bei seinem Namen hüpfte mein Herz in meiner Brust. Aber es fiel ganz schnell zu meinen Füßen, als die Person, die anstelle meiner Mutter im Türrahmen erschien, nicht er war.
„Brauchst du Hilfe beim Packen?“, fragte Georgia mit einem freundlichen Grinsen und einer typisch mütterlichen Hand auf ihrem Bauch.
„Was machst du denn hier?“, erwiderte ich und ärgerte mich, dass meine Stimme enttäuscht klang.
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nur sehen, wie es dir geht.“
Die Worte kamen aus meinem Mund, ehe ich sie stoppen konnte. „Hat Will dich geschickt?“ Gott, wieso konnte mein Herz nicht einsehen, dass es vorbei war?
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf, aber mir entging weder das leichte Funkeln in ihren Augen noch ihr Lächeln. „Will hat mich nicht geschickt. Ich bin hier, weil wir Freunde sind und ich herkommen wollte, auch wenn du nicht mehr mit meinem Bruder zusammen bist.“
Obwohl Will und ich uns getrennt hatten, hatte ich den Kontakt zu Georgia und Cassie aufrechterhalten. Wir schrieben uns Textnachrichten und telefonierten. Allerdings hauptsächlich deswegen, weil die beiden verdammt hartnäckig waren. Daher war es keine Überraschung für Georgie, dass ich umzog, aber ich war überrascht, dass sie mir Hilfe anbot. Kartons packen und Dinge schleppen waren nicht gerade die besten Aktivitäten für eine Frau, die in vier Wochen entbinden würde.
Ich suchte nach einer Erklärung und fragte mich, ob sie nicht vielleicht doch mehr wollte als helfen, nachdem ich sah, wie sie die Finger nervös auf ihrem Bauch verschränkte.
„Das ist wirklich lieb von dir“, sagte ich, aber eigentlich wollte ich erfahren, ob das ein Versuch war, Will und mich wieder zusammenzubringen.
Sie blickte mich wissend an. „Du glaubst mir nicht.“
„Na ja, irgendwie schon.“ Ich war nicht sicher, doch da Georgia bereits ein paar Intrigen gesponnen hatte, als ich noch mit Will zusammen gewesen war, traute ich ihr alles zu.
„Glaub mir, ich tue meinem Bruder keine Gefallen.“ Sie kicherte nervös.
Meine Augenbrauen schossen nach oben. Erwischt. Definitiv war sie hier, um Dr. Beziehung zu spielen und zu versuchen, etwas zu reparieren, das schon viel zu kaputt war.
Ich grinste. „Du bist wirklich eine schlechte Lügnerin.“
Sie stöhnte auf. „Oh nein. Und ich dachte, ich wäre besser geworden.“
Ich lachte und sie lächelte entschuldigend.
„Schau“, sagte sie und setzte sich auf meinen Lieblingslesesessel, den ich im Zimmer nach vorn und aus dem Weg gezogen hatte. „Ich bin wegen euch beiden hier.“ Ich sah sie skeptisch an und sie hob die Hände. „Ich bin ganz ehrlich.“
„Du bist also hier, um mich zu überzeugen, wieder mit deinem Bruder zusammenzukommen?“
Sie grinste. „Sozusagen, aber hauptsächlich bin ich hier, um zu sehen, wie es dir geht.“
„Tatsächlich?“
Sie nickte, und als ihr Blick warm wurde, glaubte ich ihr.
„Also, wo ist denn nun deine Wohnung?“
„Ich hatte verdammtes Glück. Ein Freund der Familie hat mir für eine winzige Miete eine seiner vielen Wohnungen überlassen, die er als Geldanlage gekauft hat.“
„Das ist ja super.“
„Yep.“ Ich schloss einen Karton mit Klebeband. „Ich freue mich darauf, meine eigene Wohnung zu haben.“
„Ich könnte mir gar nicht vorstellen, wieder bei meinen Eltern einzuziehen, nachdem ich meine eigene Wohnung hatte.“
„Glaub mir, das ist schrecklich. Ehrlich, meine Eltern übertreffen deine in Sachen Unmöglichkeit.“
Georgia lachte. „Das ist schwer vorstellbar. Meine Mutter ist die unmöglichste Person, die ich kenne.“
Ich grinste. „Ich versichere dir, es ist kein Wunder, dass sie Freundinnen sind.“
Ich konnte nicht leugnen, wie traurig es mich machte, dass sich unsere Familien so gut verstanden. Bevor ich mit Will Schluss gemacht hatte, war ich tief in mir davon überzeugt gewesen, dass unsere Beziehung eine von denen war, die für immer hielten.
„Er vermisst dich, weißt du“, sagte Georgia in die Stille. Ich sah sie an. „Seit du Schluss gemacht hast, ist er ein komplettes Wrack.“
„Ich wünschte, die Dinge wären anders.“
„Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass die Dinge manchmal nicht so sind, wie sie scheinen.“
Ich neigte den Kopf zur Seite und sie lächelte warm.
„Kline und ich“, erklärte sie, „bevor wir uns verlobten, hab ich wegen falscher Annahmen mit ihm Schluss gemacht. Ich hatte total schiefgelegen mit meinen Mutmaßungen und hatte Glück, dass er uns nicht aufgegeben hat.“
„Er hat um dich gekämpft?“
Sie lächelte wie eine Frau, die unsterblich in ihren Mann verliebt ist. „Und wie.“
Ich freute mich darüber, dass Georgia und Kline wieder zueinandergefunden hatten, aber es machte mich auch traurig. Denn ich konnte nur daran denken, dass ich Will keine Gelegenheit dazu gegeben hatte, für uns zu kämpfen, selbst wenn er es versucht hätte. Seit ich seine Wohnung verlassen hatte, hatte ich keinen seiner Anrufe angenommen und keine seiner Nachrichten beantwortet. Und einmal, als er zu meinen Eltern gefahren war, hatte ich Janet beauftragt, ihm zu sagen, ich sei nicht zu Hause.
Und das Schlimmste war, dass ich mich dabei miserabel fühlte. Mir gefiel nicht, dass eine leise Stimme in mir flüsterte: Hast du einen Fehler gemacht?