8. KAPITEL

ENDE EINES SKANDALS

Ein beschämendes Dreiecksverhältnis geht zu Ende. Natasha Moyles, Schwester von Cindy Moyles, Englands neuster Popsensation, hat den Mann verlassen, den sie in sechs Wochen heiraten wollte, und ist mit seinem Stiefbruder durchgebrannt. Mit dem griechischen Milliardär Leo Christakis konnte der italienische Playboy Rico Giannetti nicht mithalten.

Cindy Moyles sagt, sie habe es nicht kommen sehen. „Ich hatte keine Ahnung, dass Natasha sich hinter Ricos Rücken mit Leo trifft. Ich bin genauso schockiert, wie alle anderen“, bestätigt sie heute bei einem ersten Treffen mit ihrem neuen Management. In Kürze wird ihre neue Single erscheinen, der jetzt schon prophezeit wird, die Charts zu stürmen.

Rico Giannetti stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung. Seine Mutter soll sich sehr große Sorgen machen. Die Pressesprecherin von Christakis dementiert jede amouröse Verbindung zwischen ihrem Arbeitgeber und der Verlobten seines Stiefbruders.

Wir jedoch sind in Besitz des Beweisfotos, das mehr als Worte sagt …

Der Artikel ging noch weiter. Doch Natashas Blick blieb an dem Bild haften, auf dem sie und Leo einander leidenschaftlich umschlungen hielten. Und zwar genau hier, auf dieser Terrasse. Sie klammerte sich wie eine liebestolle Katze an ihn. Auch beim besten Willen konnte niemand auf die Idee kommen, dass diese Umarmung harmlos sein könnte.

„Das Wunder von Teleobjektiven“, sagte Leo spöttisch.

Natashas Gesicht war kalkweiß geworden. „Aber wie haben sie herausgefunden, dass ich bei dir bin?“

„Deine Schwester“, klärte er sie düster auf. „Das ist ein sehr gutes Beispiel für Schadensbegrenzung. Cindys neues Managementteam versteht sein Handwerk. Sie muss sofort zu ihnen gegangen sein und ihnen alles erzählt haben. Sie haben dann die Köpfe zusammengesteckt und entschieden, die Initiative zu ergreifen und Cindys Version der Geschichte zuerst an die Presse zu verkaufen. Zum Glück für sie ist es mir gelungen, Rico zum Stillschweigen zu verdonnern. Ansonsten wäre sie Gefahr gelaufen, letzten Endes, wie das manipulative Flittchen dazustehen, das sie in Wirklichkeit ist.“

„Sag so etwas nicht.“ Natasha fühlte sich von dem hässlichen Bild wie erdrückt, das er ihr ausmalte.

„Schau dir doch die Beweise an, Natasha“, sagte er barsch. „Sie bekommt dadurch gratis Publicity. Ihr neues Management hat sogar dafür gesorgt, dass der Firmenname abgedruckt wird.“

„Gibt es irgendetwas, was du tun kannst?“

„Vieles“, entgegnete er. „Ich könnte deine Schwester erwürgen, aber ich vermute, dazu ist es bereits zu spät. Oder ich könnte dich in die Wüste schicken und mir das Vergnügen gönnen, in den Zeitungen als rücksichtsloser Mistkerl bezeichnet zu werden, der dich Rico für einen Two-Night-Stand ausgespannt hat.“

„Oder ich könnte einfach gehen“, warf Natasha ein. „Ich könnte die Schlampe spielen und behaupten, beide Brüder gehabt zu haben … und keiner von beiden war es wert.“

Leos Miene verfinsterte sich gefährlich, doch das kümmerte Natasha nicht. „Miss Steif und Prüde ist eben nicht ganz so prüde, wie die Menschen dachten! Mit dem Verkauf der Geschichte könnte ich ein Vermögen verdienen. Eine schlüpfrige Geschichte über die sexuellen Eskapaden eines griechischen Tycoons und seines armen italienischen Stiefbruders.“

„Es nicht wert?“, nahm er den einzigen Teil ihrer Tirade auf, der anscheinend eine Bedeutung für ihn hatte.

„Ich hasse dich“, flüsterte sie und zog den Morgenmantel enger um sich. „Bei der ganzen Sache war das böse Ende vorprogrammiert. Nach nur einer halben Minute in deinem Londoner Apartment hast du mir doch schon an den Kopf geworfen, dass du mich für dich haben willst! Welcher Mann sagt so etwas zu einer Frau, die gerade hat mit ansehen müssen, wie ihr Verlobter sie betrügt? Was für ein Mann, Leo“, fuhr sie ihn zornig an, „macht eine Frau an, von der er genau weiß, dass sie völlig neben sich steht?“

„Was für eine Frau verliebt sich in einen nutzlosen Playboy wie Rico und ahnt nicht einmal, dass er es hinter ihrem Rücken mit jedem weiblichen Wesen treibt, das er in die Finger bekommt?“

„Ich nehme an, als Nächstes erklärst du mir, dass Rico mich in Wahrheit nie heiraten wollte?“

„Damit du mir vorwerfen kannst, ich würde mir seine abgelegten Liebschaften unter den Nagel reißen?“

Benommen schob Natasha ihren Stuhl zurück. „So siehst du mich also?“, stieß sie erstickt hervor. Das Glücksgefühl, das sie nach der vergangenen Nacht empfunden hatte, starb einen raschen und endgültigen Tod.

„Nein“, seine Stimme schabte wie Sandpapier über ihre aufgewühlten Sinne. „So sehe ich dich nicht.“

„Warum sagst du es dann?“, schrie sie ihn an. „Glaubst du, ich bin stolz auf mein Verhalten, dass ich so mir nichts, dir nichts mit dir ins Bett gesprungen bin? Glaubst du nicht, ich hätte nicht schon selber längst erkannt, dass ich seitdem als geldgierig und leichtes Mädchen abgestempelt werde?“

„Weshalb hast du es dann getan?“

Er besaß einfach keinen inneren Sensor, der ihm verriet, wann er besser den Mund halten sollte! „Weil du mich wolltest! Und ich das Gefühl brauchte, gewollt zu werden! Man bekommt, was man verdient“, sagte sie mit belegter Stimme. Tränen brannten in ihren Augen. „Also, vielen Dank, Leo, weil du mir gezeigt hast, dass ich in sexueller Hinsicht eine ganz normale Frau bin. Ich weiß das wirklich zu schätzen.“

„War mir ein Vergnügen“, antwortete er finster. „Aber, um auf den ursprünglichen Punkt zurückzukommen, es gibt eine weitere Option, mit der wir beide unser Gesicht wahren können.“

„Welche denn?“

Er lachte. Leise und tief und sarkastisch. „Eine Hochzeit“, entgegnete er, griff nach einer weiteren Zeitung und legte sie über die erste. Diese war kein billiges Boulevardmagazin, sondern ein respektables britisches Blatt.

Die aufgeschlagene Seite kündigte ihre baldige Hochzeit an. Sie presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und zwang sich, den Artikel zu lesen.

„Es ist ein gutes Gefühl zu sehen, dass meine Instinkte noch funktionieren“, meinte Leo trocken.

„Ich werde trotzdem das geldgierige Flittchen sein.“

„Die Menschen mögen leidenschaftliche Liebesgeschichten, agape mou – das heißt, solange wir heiraten und unsere Verbindung so legitimieren. Es wird die Zweifler überzeugen, dass wir nicht ohne einander leben können. Natürlich“, fügte er mit einer Stimme, weich wie Honig, hinzu, „wird unser Ehevertrag eine Schweigeklausel enthalten, die du unterschreiben wirst, sobald meine Anwälte sie ausgearbeitet haben.“

Damit zahlte er ihr die Drohung heim, ihre Geschichte an die Presse zu verkaufen. „Kanntest du diesen Schmutzartikel eigentlich schon, während wir gestern mit deinen Freunden gegessen haben?“, frage sie misstrauisch.

In seinen dunklen Augen blitzte es überrascht auf. „Zufällig habe ich davon gehört.“

„Du bist ebenso hinterhältig wie Cindy und manipulierst die Menschen“, stieß sie angewidert hervor. „Gnade uns Gott, wenn ihr beiden jemals zusammenfindet.“

„Deine Schwester ist nicht mein Typ. Du bist mein Typ.“

Der leichtgläubige Typ, der allzu gerne die Augen vor dem verschloss, was andere über sie dachten? Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Eine Ehe zwischen uns wird niemals funktionieren.“

„Wer hat denn etwas von Funktionieren gesagt?“

Vor ihrem geistigen Auge flackerte ein Bild der kreischenden Gianna auf. Allmählich begriff sie, weshalb die andere Frau – seine Ehefrau – verrückt geworden war. Er wusste einfach nicht, wann er aufhören musste, auf einem Thema herumzureiten!

„Eine Heirat mit Rico erscheint mir von Minute zu Minute verlockender“, konterte sie höhnisch. „Zumindest besaß er einen gewissen Charme, um die fieseren Seiten seines Charakters auszugleichen. Du hingegen …“

Leo war von seinem Stuhl aufgesprungen und hatte sich drohend vor ihr aufgebaut, noch bevor sie erschrocken aufschreien konnte. „Glaubst du das wirklich?“

Erst jetzt bemerkte Natasha das goldene Funkeln in seinen Augen und erinnerte sich daran, was es bedeutete. Das letzte Mal, als sie ihn so wütend gesehen hatte, hatte sie ihn beschuldigt, auf Rico eifersüchtig zu sein.

„Das war doch nur ein Scherz!“, rief sie, als er seine Hände um ihre Taille legte und Natasha in seine Arme zog. Er hielt sie so fest, dass sie kaum atmen konnte.

„Nur ein Scherz, Leo“, wiederholte sie mit unsicherer Stimme. Sie musste ihre Arme um seinen Nacken schlingen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Wieder spürte sie dieses vertraute Kribbeln.

Leo sprach kein einziges Wort, während er auf das Schlafzimmer zusteuerte, was Natasha nur noch mehr erregte. Er drängte sie aufs Bett, legte sich neben sie und machte kurzen Prozess mit den Gürteln an ihren Morgenmänteln.

„T … trotzdem hast du es verdient“, konnte Natasha nicht widerstehen, seine Wut noch weiter anzufachen. „Denk darüber nach, Leo. Wenn du etwas willst, verhältst du dich genauso rücksichtslos wie …“

„Sag seinen Namen, wenn du dich traust!“

Natasha biss sich auf die Zunge. Sie wusste, sie sollte Angst vor ihm haben, doch die hatte sie nicht. Sie lag einfach da, ließ ihn die Morgenmäntel öffnen und wartete darauf, dass er sich auf sie schob.

Haut traf auf Haut, ihre Lippen fanden einander im hungrigen Kuss. Jetzt hielt Natasha sich nicht länger zurück. Sie erwiderte die stürmischen Liebkosungen mit derselben Leidenschaft und schlang ihre Beine um seine Hüften, lud ihn ein, zu ihr zu kommen.

Es war ein unglaublich wundervolles Gefühl, als er in sie eindrang. Während er sich in ihr bewegte, schaute er ihr tief in die Augen. Doch ansehen reichte nicht. Natasha hob den Kopf und küsste ihn immer wieder, bis sich seiner Kehle ein rauer Seufzer entrang.

Nichts in ihrem winzigen sexuellen Erfahrungsschatz hatte sie auf die Intensität des Höhepunkts vorbereitet. Ein Schauer durchlief sie, dann noch einer und noch einer, bis die Wogen über ihr zusammenschlugen und sie endgültig in ein fernes unbekanntes Land entführten. Nie hätte sie geglaubt, dass es dem Mann, der für all das verantwortlich war, genauso ergehen könnte. Leo erbebte in ihren Armen, wieder und wieder, im Gleichtakt mit ihr.

Als die Ekstase nachließ, blieb er angenehm schwer auf ihr liegen, den Kopf an ihrem Hals verborgen. Ihr Herz klopfte rasend schnell. Was da gerade passiert war, war so überwältigend gewesen, dass es sie fast ein wenig verstörte. Ihr Körper zitterte noch immer. Und auch Leos wurde noch von Schauern der Lust durchlaufen.

Endlich hob er den Kopf und blickte sie an. Das dunkle Funkeln in seinen Augen raubte ihr den Atem.

„Ich war grob zu dir“, murmelte er leise.

„Nein.“ Natasha hob eine Hand und legte einen Finger auf seinen Mund. „Es hat mir gefallen.“ Sie nahm den Finger weg und küsste seine Lippen.

Und dann reichte ein Kuss nicht mehr aus. Mochte das erste Mal wütender Leidenschaft geschuldet sein, nahmen sie sich jetzt unendlich viel Zeit für langsame und zärtliche Liebkosungen. Leo erkundete ihren gesamten Körper mit den Lippen. Jegliche Schüchternheit, die sie vielleicht noch empfunden hatte, verschwand.

Und sie tat es ihm gleich. Sie küsste und streichelte jede Stelle, die sie erreichen konnte, genoss die Schauer, die ihn durchliefen, während sie wieder und wieder seinen Namen flüsterte.

Anschließend, noch ganz gefangen von dem neuen Gefühl der Verbundenheit, schlenderten sie ins Badezimmer. Leo zeigte ihr, wie sie die Knöpfe und Hebel der Dusche bedienen konnte.

Dann reichte er ihr ein Stück Seife und forderte sie auf, ihn zu waschen. Entspannt lehnte er sich gegen die weißen Kacheln, seine Miene bar jeder Arroganz.

Natasha wusste, dass sich etwas Entscheidendes zwischen ihnen verändert hatte, auch wenn sie diese Veränderung nicht benennen konnte.

Als sie sich jedoch enger an ihn schmiegte und seinen Körper mit feinem Seifenschaum bedeckte, dachte sie, dass sie vielleicht doch ahnte, was passiert war. Während ihres ausgedehnten Liebesspiels hatten sie nämlich beide ihre Deckung fallen gelassen.

Ewigkeiten später zog Leo sich an und ging zur Arbeit. Und Natasha … nun, Natasha schlüpfte wieder ins Bett, rollte sich auf seiner Seite zu einem kleinen Ball zusammen und flüsterte: „Ich liebe ihn.“

So schockierend, furchtbar und einfach war das. Ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief, galt der Frage, wie das hatte passieren können. Und was zum Teufel sie dagegen unternehmen sollte.

Am Abend führte er sie abermals zum Essen aus. Diesmal entschied sie sich für ein schwarzes Kleid, das ihre Kurven umschmeichelte, aber nicht betonte. Doch Leo fuhr sich bei ihrem Anblick wieder mit dem Finger über den Nasenrücken. Er macht das, schoss es Natasha durch den Kopf, immer, wenn er über etwas unglücklich ist.

Allerdings sagte er nichts. Leo trug einen braun-grauen Leinenanzug, dazu ein schlichtes schwarzes Hemd.

Das Restaurant, in das er sie ausführte, lag abseits der Stadt und den Touristenströmen in den Bergen. Sie aßen an einem, nur von Kerzen beleuchteten kleinen Tisch und tranken perfekt gekühlten Weißwein. Jedes Mal, wenn sie sich bewegte, senkten sich die Lider mit den wunderbar langen und dichten Wimpern über seine Augen. Und dann wusste Natasha, dass er in Gedanken wieder mit ihr Liebe machte.

Es war ein berauschendes Gefühl, das Zentrum seiner Aufmerksamkeit zu sein. Und die Tatsache, dass sie sich mittlerweile in ihn verliebt hatte, ließ sie alles noch intensiver wahrnehmen. Plötzlich empfand sie es als überaus wichtig, sein Interesse an ihr nicht erlöschen zu lassen. Deshalb ließ sie das angeregte Gespräch auch nicht für eine Sekunde abbrechen und warf ihm immer wieder verführerische Blicke zu.

Leo war völlig verzaubert. Hin und wieder traten Menschen an ihren Tisch, die er kannte, um ihn zu begrüßen und ihnen beiden zu gratulieren. Natasha schien sie kaum zu bemerken und ignorierte die neugierigen Blicke, die in ihre Richtung gesandt wurden.

Wann immer jemand ihn in eine kurze Unterhaltung verwickelte, legte er seine Hand auf ihre. Sofort zeichnete sie mit den Fingerspitzen zarte Muster in seine Handfläche und hielt so seine Sinne gefangen.

Es war ein überwältigendes Gefühl zu wissen, dass diese wunderschöne und betörende Frau sich nur ihm allein enthüllte. Allen anderen gab sie höfliche Antworten, blieb jedoch so kühl und reserviert wie die alte Natasha. Rico hatte ja keine Ahnung, was er verpasst hatte.

Rico. Wieso schlich sich der Name seines Stiefbruders so oft in seine Gedanken? Ob Natasha jetzt lieber mit ihm hier sitzen würde? Wenn sie ihn ansah, wünschte sie dann insgeheim, sie würde Ricos Gesicht sehen?

Unvermittelt erhob Leo sich und zog auch Natasha auf die Füße. „Gehen wir“, sagte er knapp.

Er musste mit ihr allein sein … in seinem Bett.

„Was ist los?“, fragte Natasha, als Rasmus die Limousine durch die Berge steuerte.

Leo schaute sie nicht einmal an. Die Anspannung, die von ihm ausging, beunruhigte sie.

„Du wirst mich heiraten. Ob du willst oder nicht“, verkündete er kalt.

Schweigen senkte sich über sie. Leos Ärger wuchs, während er darauf wartete, dass sie lauthals protestierte, wie sie es sonst immer tat. Als nichts passierte, wandte er den Kopf. Ruhig saß sie neben ihm, den Blick starr auf einen Punkt vor sich gerichtet.

„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

Sie schürzte die Lippen, was ihrem Gesicht etwas unglaublich Verletzliches verlieh, und nickte.

„Dann antworte mir“, fuhr er sie ungeduldig an.

„Mir war nicht bewusst, dass du mir eine Frage gestellt hast.“

„Ich brauche trotzdem ein Ja von dir, wenn ich dich vor den Priester zerre.“

Das stimmt, dachte Natasha mit einem müden Lächeln. Gestern hatte er die bevorstehende Hochzeit vor seinen Freunden verkündet. Heute Morgen war dann die gedruckte Version erfolgt, die er ihr wie eine Herausforderung entgegengeschleudert hatte. Gleichzeitig ließ er keinen Zweifel an seiner Meinung, dass ihre Ehe sowieso nicht halten würde. Dann hatte er sie ins Bett gelockt, mit ihr geschlafen und sie dazu gebracht, sich in ihn zu verlieben.

Und jetzt war er wieder der unduldsame Mann und stellte ihr ein Ultimatum.

„Schau mich an, Natasha“, befahl er.

Sie wollte ihn nicht ansehen, wandte aber dennoch den Kopf. Ihr war, als würde sie in ihren neu entdeckten Gefühlen ertrinken. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so hilflos gefühlt.

„Heirate mich“, wiederholte er ruhig.

„Um dir zu helfen, dein Gesicht zu wahren?“

„Nein“, sagte er. „Weil ich dich will.“

Damit hatte er ihren letzten Widerstand gebrochen. Nicht nur die Worte, auch die Art, wie er sie sprach, leise, samtig, aufrichtig, ließen in ihr einen kleinen Funken Hoffnung aufkeimen.

„Okay. Ja“, sagte sie.

Mit okay, ja, würde er wohl leben müssen, ging es Leo frustriert durch den Kopf, als er mit ihr ins Bett taumelte. Okay, ja, war alles, was er bekommen würde. Allerdings würde er sich nehmen, was ihm zustand.

Und so beherrschte er ihren Körper, er beherrschte ihre Sinne, und Natasha ließ ihn gewähren.

Seit sie im Ringen um die Hochzeit nachgegeben hatte, schien es, als habe sie jeden Willen verloren, überhaupt gegen ihn anzukämpfen.

In den folgenden Tagen ließ Leo sie nur selten von seiner Seite. Wo auch immer er hinging, nahm er Natasha mit. Manchmal sogar in sein Büro. Dort stand sie dann am Fenster oder saß auf einem Stuhl und sah ihm bei der Arbeit zu.

Die Menschen gewöhnten sich sehr schnell daran, sie als Paar wahrzunehmen. So war es keine Überraschung, dass die Boulevardmagazine regelmäßig über sie berichteten.

Nur von Rico hörte und sah Natasha nichts. In keiner Zeitung erschien ein Foto von ihm, niemand hatte ihn aufgespürt, um ihm einen Kommentar über seine geplatzte Verlobung zu entlocken. Es schien, als sei er wie vom Erdboden verschluckt.

Exakt zwei Wochen nachdem sie mit Leo nach Athen geflogen war, heirateten sie in einer stillen Zeremonie an einem geheim gehaltenen Ort. Natasha trug – weil Leo darauf bestanden hatte – ein trägerloses Kleid aus weißer Seide mit einem bestickten Oberteil, das Persephone für sie gefunden hatte.

Als sie neben Leo stand, um ihr Ehegelübde abzulegen, wirkte er so groß und nüchtern, dass sie fast der Mut verlassen und sie ihre Meinung geändert hätte.

Die Hochzeitsanzeige erschien am nächsten Tag in allen Zeitungen. Doch zu diesem Zeitpunkt befanden sie sich bereits in New York. Offiziell nannten sie es Flitterwochen, allerdings war es in Wahrheit eher der Auftakt zu einer Reise zu sämtlichen von Leos Firmen, die sie um die ganze Welt führte.

Am Tag gab Leo sich als rücksichtsloser Geschäftsmann, abends spielte er den charmanten Mann von Welt, der sich mit Geschäftsfreunden traf. Allmählich lernte auch Natasha die Regeln dieses Spiels.

Und nachts, in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers, waren sie leidenschaftliche Liebende, die einander mit unerschöpflichem Verlangen begehrten.

Von New York aus ging es nach Hongkong, weiter nach Tokio und Sydney. Als sie nach zwei Wochen wieder auf griechischem Boden landeten, hatte Natasha sich vollkommen verändert. An ihr früheres Ich konnte sie sich kaum noch erinnern.

Schlimmer wog jedoch, dass sie sich erlaubt hatte, die wahren Gründe zu vergessen, die zu ihrer Hochzeit geführt hatten.

Die erste Erinnerung erhielt sie, als sie durch den Flughafen von Athen gingen und an einem Stand mit englischen Zeitungen vorbeikamen. Cindys Name stand groß auf der Titelseite. Sie feierte ihren ersten Nummer-Eins-Hit.

„Ihr Traum ist wahr geworden“, kommentierte Leo trocken.

„Ja“, entgegnete Natasha nur.

Die nächste Erinnerung an das, was sie in England hinter sich zurückgelassen hatte, fiel ihr als Teil des Glückwunschkartenstapels in die Hände, der sie bei ihrer Rückkehr in die Villa erwartete. Natasha erkannte die Handschrift auf der Karte sofort. Adressiert war sie ausschließlich an sie.

Auf der Innenseite waren die traditionellen Wünsche nebst silbernen Hochzeitsglocken abgebildet. Ihre Mutter hatte nur eine kurze Nachricht hinzugefügt. „Wir wünschen dir viel Glück in deiner Ehe.“ Das war alles. Kein liebes Wort, kein Zeichen, dass sie sie immer noch als ihre Tochter liebten.

„Vielleicht wissen sie, dass sie dich schlecht behandelt haben, und haben keine Ahnung, wie sie sich entschuldigen sollen“, schlug Leo vor.

„Und vielleicht sind sie einfach nur erleichtert, nach vierundzwanzig Jahren einen Schlussstrich unter den größten Fehler ihres Lebens ziehen zu können.“ Natasha drehte den Umschlag in ihren Händen. „Ich frage mich nur, woher sie diese Adresse kennen.“

„Von Angelina. Sie haben den Kontakt zu ihr gehalten.“

„Du wusstest davon und hast es mir nicht gesagt?“

„Warum sollte ich?“, fragte er schulterzuckend zurück. „Angelina brauchte die Gewissheit, dass ihr Sohn nicht von einer geschäftstüchtigen Cindy an die Presse verkauft wird. Deine Eltern brauchten die Gewissheit, dass ihre liebe Tochter nicht von einem verbitterten Rico aus Rache verraten wird.“

Natasha schob die Karte zurück in den Umschlag, ohne einen weiteren Blick daraufzuwerfen.

Eine weitere Woche verstrich. Leo arbeitete intensiv an einer Übernahme, die er während seiner Reise um die Welt vorbereitet hatte. Jetzt, da sie wieder in Athen weilten, widmete er seine gesamte Zeit dieser Aufgabe. An manchen Tagen kam er überhaupt nicht nach Hause, weil er kurzfristig zu einem Meeting in ein anderes Land fliegen musste.

Die Tatsache, dass er sie nicht mehr mitnahm, bereitete Natasha keine Sorgen. Es gab andere Dinge, an die sie nun denken musste. So hatte sie Leo zwar ihre neue Garderobe aus Designerkleidern bezahlen lassen, für alles andere jedoch kam sie selbst auf. Nun waren ihre ohnehin kärglichen Ersparnisse fast gänzlich geschmolzen. Sie brauchte dringend einen Job.

Natasha war nicht wählerisch, sie würde jede Arbeit annehmen. Allerdings fand sie rasch heraus, dass sie ohne Griechischkenntnisse keinen Bürojob bekommen würde. Also begann sie, sich an den Plätzen umzusehen, die bei Touristen beliebt waren. Vielleicht würde dort jemand eine durchaus intelligente Engländerin mit einer angenehmen Stimme einstellen.

Natürlich erfuhr Leo von ihren Aktivitäten, was zu ihrem ersten großen Streit seit Wochen führte. Es kam ja gar nicht infrage, dass seine Ehefrau eine niedere Arbeit in einem Laden für Touristen annahm. Falls sie Geld brauche, sagte er, würde er eben ihr Taschengeld erhöhen.

„Meinst du nicht, ich schulde dir bereits genug Geld?“

Die Worte laut auszusprechen, traf beide härter, als Natasha erwartet hatte. In einer Woche hätte sie Rico geheiratet. In sechs Tagen würde sie Zugang zu dem Geld erhalten, das bis dahin auf einem Konto bei einer Offshore-Bank deponiert war.

Leo musterte sie kühl, dann wirbelte er herum und verließ das Zimmer. Unwillkürlich überkam Natasha das Gefühl, gerade etwas Besonderes zerstört zu haben. Aber die Wahrheit blieb nun mal die Wahrheit. So einfach war das.

Ab diesem Moment begann ihr langsamer Abstieg in die Realität. Die nächsten Tage empfand sie wie eine Waffenruhe. Leo machte sich rar und arbeitete viel. Natasha hingegen klapperte die Touristenläden im Stadtviertel Plaka, unterhalb der Akropolis, umso entschlossener ab. Dabei war sie sich des Aufpassers, den Leo ihr nachsandte, durchaus bewusst.

Es musste das größte Pech der Welt sein, dass sie, als sie einen weiteren Laden – immer noch ohne Job – verließ, ausgerechnet Gianna über den Weg lief. Vielleicht war es Zufall. Doch die Art und Weise, wie Gianna ihre langen Fingernägel in Natashas Arm krallte, ließ sie das bezweifeln.

„Ich muss mit dir reden“, sagte Gianna.

„Das sehe ich anders.“ Natasha versuchte weiterzugehen, aber die Nägel bohrten sich noch schmerzhafter in ihren Arm.

„Leo gehört mir“, kreischte Gianna unvermittelt. „Du glaubst, du hättest ihn mit diesem hübschen Ring am Finger eingefangen, aber das stimmt nicht. Du glaubst, du mit deinen blonden Locken bist das perfekte Gegengift zu mir, aber Leo wird immer zu mir gehören!“

„Nicht, dass es jemand anders auffallen würde“, erwiderte Natasha. „Wie du schon richtig erkannt hast: Ich trage seinen Ring, ich schlafe in seinem Bett. Und ich treibe es nicht reihum mit seinen Freunden.“

Selbst Natasha konnte kaum fassen, dass sie das gesagt hatte. Gianna stieß ein schrilles Lachen aus, was zu dem hysterischen Ausdruck in ihren Augen passte. Sie ließ ihren Arm los, und für einen Moment glaubte Natasha, Gianna würde ihr jetzt mit ihren langen scharfen Fingernägeln das Gesicht zerkratzen. Sie trat sogar einen Schritt zurück.

„Du kleine Närrin“, fauchte Gianna sie verächtlich an. „Was glaubst du denn, wo er die Nächte verbringt, wenn er nicht bei dir ist?“

„Das ist eine Lüge“, erwiderte Natasha sofort, ohne dem Gift der anderen Frau die Zeit zu geben, überhaupt zu wirken. Stattdessen schaute sie Gianna mitleidig an. „Such dir Hilfe, Gianna“, sagte sie kühl. „Du brauchst dringend welche.“

Damit wandte sie sich um und verschwand, gefolgt von ihrem Leibwächter, in der Menschenmenge.

Leo erwartete sie bereits, als sie zur Villa zurückkam. Er war wütend, sagte aber kein Wort, sondern griff nur schweigend nach ihrem Arm. Sorgfältig untersuchte er die sichelförmigen Verletzungen.

„Woher weißt du davon?“, fragte Natasha.

„Spielt das eine Rolle?“

„Nein“, seufzte sie und dachte an den Leibwächter. „Ich glaube, Gianna ist vollkommen verrückt. Ich empfinde sogar Mitgefühl mit ihr.“

„Das brauchst du nicht. Glaub mir, es ist gefährlich, sie zu bemitleiden.“

„Danke für die Warnung.“ Sie entzog ihm ihren Arm. „Da du jetzt sicher sein kannst, dass ich nicht verblute, kannst du wieder ins Büro fahren.“

Etwas an der Art und Weise, wie sie das sagte, ließ in Leos Kopf Alarmglocken klingeln. Er machte einen Schritt zurück. Sie sah ihn nicht an. Hatte er sich in der letzten Zeit gefragt, ob die alte Natasha für immer verschwunden war, so erhielt er nun seine Antwort. Denn sie war wieder zurückgekehrt.

Er seufzte tief. Er hatte eine furchtbare Woche hinter sich. Mehrmals hatte die Übernahme zu scheitern gedroht, sodass er immer wieder zu kurzfristigen Rettungseinsätzen hatte fliegen müssen. Normalerweise gefiel ihm diese Arbeit. Sie weckte seine Jagdinstinkte.

Dass Natasha ihn jetzt fortschickte, brachte ihm zu Bewusstsein, dass er seine Jagdinstinkte schon seit geraumer Weile nicht mehr bei ihr eingesetzt hatte.

„Bist du auf Streit aus?“, fragte er ganz sanft.

„Nein.“ Sie wandte sich um, als wolle sie aus dem Zimmer gehen.

„Magst du dann mit mir ins Bett gehen und mir zeigen, wie sehr du dir wünschst, dass ich heute Abend nicht nach Paris fliegen muss?“

„Paris?“ Sie wirbelte herum. „Aber du bist erst gestern von dort zurückgekommen.“

„Und heute muss ich wieder hinfliegen.“ Er zuckte die Schultern, als wolle er die permanenten Reisen, die sein Job erforderte, herunterspielen.

Natasha verschränkte die Arme vor der Brust. „Bist du deshalb hier … um deine Koffer zu packen?“

Die provozierende Unschuld erregte Leo nur noch mehr. Mittlerweile vermochte er ihre Körpersprache recht gut zu lesen. Ihre abweisende Haltung hatte mitnichten zu bedeuten, dass seine Worte nicht genau die Wirkung erzielten, die er beabsichtigt hatte.

„Ich dachte an etwas anderes“, meinte er und bewegte sich mit der Eleganz einer großen Raubkatze auf sie zu. „Ich habe eine Champagnerflasche kalt gestellt, weißt du, allerdings gibt es keine Gläser. Dafür habe ich über mehrere Varianten nachgedacht, wie wir ihn trotzdem genießen könnten … falls du interessiert bist …“

Natasha musste lachen. „Du bist wirklich schockierend.“

„Du magst es, wenn ich schockierend bin.“ Er fasste sie an den Händen und zog sie an sich. „Und ich weiß, wie ich dich zum Schmelzen bringen kann …“

Und ihr Widerstand schmolz tatsächlich, kaum dass er ihre Lippen mit seinen berührte. Leo hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.

Sie verbrachten den ganzen Nachmittag im Bett. Und Natasha ließ zu, dass er sie auf immer neue Weisen schockierte. Denn sie wollte ihn, und sie hatte es vermisst, mit ihm zu schlafen und …

Ein Teil von ihr wusste, dass sie Leo gewähren ließ, weil Giannas giftige Bemerkungen in ihr den Wunsch geweckt hatten, ihn so gesättigt nach Paris ziehen zu lassen, dass er keine andere Frau mehr ansehen wollte.

Am Abend, kurz vor seiner Abreise, war sie sich sicher, dass er sie definitiv nicht gerne verließ.

„Tust du mir einen Gefallen und gehst morgen nicht auf Jobsuche?“, bat er. „Bitte?“, fügte er hinzu, als er die ersten Anzeichen eines Schmollmundes entdeckte, der normalerweise erbittertem Widerstand vorausging.

„Nenn mir einen guten Grund.“

Soll ich sie daran erinnern, dass morgen der Tag ist, an dem sie ursprünglich Rico hatte heiraten sollen? überlegte Leo düster. Dabei war das nicht wirklich eine Frage. Denn das Letzte, was er wollte, war, dass sie während seiner Abwesenheit im Bett lag und an seinen Stiefbruder dachte.

„Weil ich morgen Mittag mit einer Überraschung für dich zurück sein werde.“ Er küsste ihre Fingerspitzen. „Aber die bekommst du nur, wenn du hier auf mich wartest.“

„Ah ja“, erwiderte Natasha. „Erpressung entspricht mehr deinem Stil. Es sollte besser eine gute Überraschung sein.“

Leo lächelte nur, als er sich zu seiner eindrucksvollen Größe aufrichtete. Sein Blick verweilte auf Natasha, die noch nackt im Bett lag. Sie erinnerte ihn an eine verführerische Sirene, mit ihren blonden, ein wenig zerzausten Haaren, den schimmernden blauen Augen und den von seinen Küssen geröteten Lippen. „Wie bin ich nur je auf die Idee gekommen, du könntest prüde sein?“

Er beugte sich vor, gab ihr einen letzten Kuss und verließ eilig das Zimmer, bevor er seine Meinung über die Notwendigkeit der Reise ändern konnte. Er war sich sicher, dass sie bis zu seiner Rückkehr nur an ihn denken würde.

Natasha schlief schlecht in dieser Nacht, weil sie Leo furchtbar vermisste. Am nächsten Morgen wachte sie mit Kopfschmerzen auf. Deshalb entschied sie, heute auf die Jobsuche zu verzichten.

Sie war gerade beim Frühstück, als ihr Handy klingelte. In der Gewissheit, dass Leo der Anrufer war, klappte sie das Gerät auf, ohne auf das Display zu achten.

So war es ein mittlerer Schock, als Cindys kreischende Stimme an ihr Ohr drang.