Wütend sprang Freya auf. Was fiel ihm eigentlich ein, sie so zu behandeln? Statt zurückzuweichen, beugte auch sie sich vor, stützte die Hände ebenfalls auf den Schreibtisch und erwiderte Enricos zornigen Blick.
„Ich habe nicht ein einziges Mal an dich gedacht. Wozu auch? Schließlich warst du auch nur ein Typ, der mich sitzen gelassen hat, nachdem er bekommen hatte, was er wollte.“
„Ich habe dich nicht sitzen lassen! Ich habe dich hinausgeworfen!“
„Warst du nicht froh, mich loszuwerden? Wahrscheinlich hast du Luca sogar auf mich angesetzt, um eine Entschuldigung zu haben, mich an die Luft zu setzen“, fuhr sie wütend fort.
„Du hättest ihn abweisen können.“
Er stritt es nicht einmal ab! „Sollte ich einem Ranieri den Spaß verderben? Wenigstens war Luca ehrlich genug zuzugeben, dass es ihm nur um Sex ging.“
Enrico war blass geworden, doch nicht so kreidebleich wie Freya, die ihn über den Schreibtisch hinweg anfunkelte, während die Atmosphäre zwischen ihnen geladen zu sein schien.
„Ich hoffe, dass ich niemals so tief sinken werde, einer Frau so etwas an den Kopf zu werfen“, stieß er aufgebracht hervor.
Das tat weh! Freya richtete sich wieder auf. Sie bebte am ganzen Körper. „Meiner Meinung nach könntest du gar nicht tiefer sinken, Enrico.“ Sie wandte sich um und lehnte sich Halt suchend an die Tischkante. Statt kühl und sachlich mit ihm zu diskutieren, hatte sie sich auf eine hitzige Auseinandersetzung eingelassen.
Bis zum Äußersten angespannt und den Tränen nahe, wartete sie darauf, was nun kommen würde. Immerhin hatte sie diesen Mann einmal über alles geliebt und geglaubt, nichts könnte diese Liebe zerstören.
Ganz zerstört war sie auch nicht. Doch es war eine unglückliche Liebe, die ihr den Atem nahm.
Traurig betrachtete sie ihre Schuhe, die schon bessere Tage gesehen hatten. Ihr Rock war auch verknittert. Geistesabwesend versuchte sie, die Falten zu glätten, unterließ es dann aber, weil ihre Hand zu sehr zitterte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Enrico in seinem makellosen Anzug und in den auf Hochglanz polierten Schuhen auf sie zukam.
„Kann ich dir etwas anbieten?“, fragte er.
Sie hörte ein Glas klirren und schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich muss zurück zu meiner Arbeit.“
„Es muss ja faszinierend sein, am Scanner zu stehen.“
Freya sah auf. „Ich werde dafür bezahlt, Enrico.“
„Du bekommst einen Hungerlohn“, erwiderte er höhnisch. „Als du für mich tätig warst, hast du das Zehnfache verdient. Josh Hannard hat offensichtlich nicht gewusst, was für ein Schatz sich in seinem Untergeschoss verborgen hält. Du hättest dieses Unternehmen wesentlich besser führen können als er, und zwar mit verbundenen Augen.“
„Du hast mich entlassen.“
„Weil du hinter meinem Rücken gemeinsame Sache mit Luca gemacht hast. Er hat schon einiges angestellt, dieses Mal ist er aber eindeutig zu weit gegangen und von der Familie verstoßen worden. Du hast wenigstens nur deinen Job verloren.“
Und dich, dachte Freya traurig. „Ohne eine gute Beurteilung von dir war ich praktisch nicht vermittelbar.“
Ungerührt, abweisend, mitleidlos und arrogant trank er einen Schluck.
„Ich habe nichts hinter deinem Rücken getan. Luca wollte mir etwas anhängen. Ich habe ihn dabei erwischt, wie er deinen Safe ausräumen wollte, und gedroht, zur Polizei zu gehen.“
„Du hast nur damit gedroht?“, fragte er höhnisch.
Genau das war ihr Fehler gewesen. Luca hatte zur Familie gehört, und ein Familienmitglied zeigt man doch nicht an. So viel hatte sie während ihres Zusammenlebens mit Enrico gelernt. Wie hatte sie ahnen können, dass dies nicht für Luca galt? „Ich wollte dir die Entscheidung überlassen. Deshalb bin ich nach Hause gegangen und habe auf dich gewartet. Stattdessen tauchte Luca auf – sturzbetrunken. Ich hatte gerade ein Bad genommen. Er hatte einen Schlüssel zum Haus, den du ihm angeblich gegeben hattest. Jedenfalls stand er splitterfasernackt im Schlafzimmer und behauptete lachend, du hättest mich an ihn abgetreten, weil …“
„Du weißt genau, dass ich davon nichts hören will. Warum erzählst du mir das also?“, unterbrach Enrico sie kühl.
„Aus einem ganz einfachen Grund: Ich habe auch ein Recht darauf, mich gegen den Schmutz zu verteidigen, mit dem ihr Ranieris mich überschüttet habt.“
„Ich habe dir damals nicht zugehört, warum sollte ich das also jetzt tun?“
„Weil du etwas von mir willst, was du nicht bekommen wirst, solange du mich nicht anhörst und mich für das entschädigst, was dein widerlicher Cousin mir angetan hat.“
„Sprichst du von meinem Sohn?“
„Er ist nicht dein Sohn.“
Die Atmosphäre war erneut aufgeheizt. „Er ist mein Sohn“, sagte Enrico stur.
„Das musst du mir schon beweisen.“
„Wie bitte?“ Er sah sie verblüfft an. „Eigentlich wäre das mein Text, oder?“
Freya verschränkte die Arme. Sie wollte sich nicht provozieren lassen. „Ich muss gar nichts beweisen. Da ich dich nicht als Nickys Vater will, werde ich deinen Anspruch anfechten. Wenn du dir deiner Vaterschaft so sicher bist, dann liefere mir doch mittels eines DNA-Tests den Beweis dafür.“
„Du machst wohl Witze.“
Freya zuckte nur die Schultern. „Deiner Meinung nach bin ich doch eine Frau, die von Ranieri zu Ranieri flattert.“
„Aus deinem Mund klingt mein Name wie eine Beleidigung.“
So hatte sie es auch gemeint. „Wenn ich wirklich so wäre, wie du behauptest, wie soll ich dann wissen, wer der Vater meines Kindes ist? Du musst schon beweisen, dass du es bist, bevor ich dich auch nur in die Nähe meines Sohnes lasse.“
„Wer Augen im Kopf hat, sieht sofort, dass er von mir ist“, stieß Enrico hervor.
„Oder von Luca“, gab sie zu bedenken und freute sich diebisch über seinen fassungslosen Gesichtsausdruck. „Es sei denn, du hast dir von Luca bereitwillig einen Bären aufbinden lassen.“
„Bereitwillig ganz sicher nicht“, antwortete er abweisend.
„Versetz dich doch mal in meine Lage: Würdest du deinem Kind den Umgang mit einem Mann erlauben, der so ein schlechtes Bild von dir hat? Deine Ansichten würden nachher noch auf Nicky abfärben und ihn gegen seine Mutter einnehmen, die er liebt.“
„Ich würde nie versuchen, ihn gegen dich aufzuhetzen.“
„Das nehme ich dir nicht ab. Ich kann mich nur wiederholen: Du wirst beweisen müssen, dass Nicky dein Sohn ist, aber erwarte dabei keine Hilfe von mir.“
Mit einem Knall setzte Enrico das Glas ab und funkelte sie wütend an. „Aber du weißt, dass er mein Sohn ist.“
„Tatsächlich?“
„Hör auf mit diesen Spielchen, Freya!“ Unwillig verzog er das Gesicht. „Das ist doch albern. Ich weiß, dass er mein Sohn ist, selbst wenn du dir nicht sicher bist.“
„Gratuliere, Enrico.“ Sie lächelte. „Jetzt hast du den Spieß selbst umgedreht. Das war ein großer Fehler, denn dadurch hast du dich selbst als den Mistkerl entlarvt, der du nun einmal bist. Ich sage es dir noch einmal: Ich will nicht, dass du dich in das Leben meines Sohnes einmischst. Deshalb werde ich deine Vaterschaft auf medizinischem Weg widerlegen. Ich würde dich sogar verklagen, wenn du weiterhin behauptest, Nickys Vater zu sein.“
„Kannst du dir das leisten?“
„In diesem Land gibt es finanzielle Unterstützung für Bedürftige, wenn sie sich mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sehen“, gab Freya zu bedenken und wandte sich zum Gehen. „Zieh Fredo ab“, fügte sie hinzu, während sie zur Tür ging. „Sonst zeige ich ihn wegen einschlägigen Verhaltens an.“
„Wo willst du hin?“
Sie wandte sich kurz um. „Ich gehe weg.“
„Heißt das, du hängst deinen Job an den Nagel?“
Freya blieb erschrocken stehen. „Nein“, erwiderte sie leise.
„Sie können es sich wohl nicht leisten, zu kündigen, Miss Jenson, weil Sie auf das bescheidene Einkommen angewiesen sind.“
„Ja“, antwortete sie kaum vernehmbar.
„Sie sind auch auf den Krippenplatz für Ihren Sohn angewiesen. Was würden Sie wohl tun, wenn kein Platz mehr zur Verfügung steht?“
Von einer Sekunde zur nächsten wurde ihr klar, dass sie gegen Enrico nicht die geringste Chance hatte. Diese Erkenntnis traf sie zutiefst. Langsam drehte Freya sich zu Enrico um, der noch immer am Barschrank stand. Wie sollte sie gegen so viel Selbstbewusstsein ankommen? Im Licht der Nachmittagssonne schimmerte sein schmales sonnengebräuntes Gesicht goldfarben, während seinen Mund ein höhnisches Lächeln umspielte.
Sie ist richtig schön blass geworden, dachte Enrico und freute sich diebisch. Jetzt hatte er sie da, wo er sie haben wollte.
„Das würdest du nicht tun“, sagte sie leise, am Ende ihrer Kraft.
„Warum nicht? Ich bin doch der Schurke, der dich seinem Cousin für ein Sexabenteuer überlassen hat. Mir ist also alles zuzutrauen.“
Das ist nicht sein Ernst, dachte Freya verzweifelt. Er will sich nur für meine Bemerkung von vorhin rächen. „Aber das würde viele Mütter treffen, die …“
„Spar dir deine Worte, Freya! Du hast über ein Jahr lang mit mir zusammengearbeitet und weißt genau, wie der Hase läuft. Wo würdest du denn bei Hannard zuerst Kosten einsparen?“
„Ganz sicher nicht bei der Kinderkrippe, Enrico.“
„Weil du ein persönliches Interesse daran hast – im Gegensatz zu mir.“
„Du …“, sie biss sich auf die Zunge.
Er beugte sich gespannt vor. „Ich höre, cara. Wolltest du mir gerade sagen, dass ich auch ein persönliches Interesse am Erhalt der Krippe habe?“
„Nein“, stieß sie hervor.
Enrico lehnte sich wieder zurück. „Dann betrachten wir deinen Job doch mal näher. Das Archiv nimmt viel Platz im Keller ein. Man könnte es auflösen und die Räume vermieten.“
„Das Archiv ist aber wichtig“, behauptete sie und legte schützend die Arme um ihren Körper. Wieder war sie einer Panikattacke nahe.
„Mir ist keine Profit machende Firma bekannt, die einen Haufen unfähiger Leute beschäftigt, die nichts anderes zu tun haben, als Dokumente durch einen veralteten Scanner zu schieben“, sagte er verächtlich. „Ich könnte fünfzig Leute von einer Zeitarbeitsfirma kommen lassen, sie mit modernen Geräten ausstatten, und der Keller wäre innerhalb einer Woche leer. Das würde mich höchstens …, na ja, wie viel würde es mich kosten? Vielleicht …“ Er nannte eine Summe, die Freya erbleichen ließ. „Dann würdet ihr alle auf der Straße stehen. So, wo könnte ich noch Kosten einsparen?“
Freya zitterte am ganzen Körper. Quasi im Handstreich wollte Enrico nicht nur sie, sondern Dutzende Kollegen auf die Straße setzen. Damit nicht genug, er drohte auch damit, die Krippe zu schließen. Dadurch würden vierunddreißig Mütter praktisch entlassen, denn wenn diese ihre Kinder nicht mehr abgeben konnten, wie sollten sie dann arbeiten?
„Du verdienst es gar nicht, einen Sohn zu haben“, stieß Freya hervor. „Kehr doch zurück in die Gosse, aus der du gekommen bist!“
Die Beleidigungen schienen an ihm abzuprallen, denn er zuckte nur die Schultern. „Ich kümmere mich um angeschlagene Unternehmen, nicht um Menschen. Bei Hannard wird völlig unrentabel gearbeitet. Eigentlich müsste ich die gesamte Belegschaft entlassen.“
„Und bei mir machst du den Anfang. Ich hasse dich.“
„Wirklich? Wie lässt sich das wohl ändern? Mit mehr Geld? Mit einem sicheren Arbeitsplatz? Mit einem Kindermädchen für den Jungen?“
Sie funkelte ihn wütend an. Sie war plötzlich so bleich, dass Enrico befürchtete, sie würde gleich ohnmächtig werden. „Er fühlt sich in der Krippe sehr wohl.“
„Komm, setz dich wieder. Dann besprechen wir alles Weitere.“
Freya dachte gar nicht daran. Sie wäre am liebsten fortgelaufen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Die Beine gehorchten ihr einfach nicht. Die Atmosphäre wurde immer gespannter.
„Vielleicht sollte ich Sie daran erinnern, wen Sie vor sich haben, Miss Jenson.“
„Untersteh dich, mir zu drohen, Enrico“, sagte sie mit bebender Stimme und versuchte, sich zusammenzureißen.
Enrico kehrte an seinen Schreibtisch zurück, griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer, während er Freya keine Sekunde lang aus den Augen ließ.
„Carlo? Ich habe Miss Jenson gerade fristlos entlassen. Bitte bringen Sie ihre Sachen in mein Büro.“
Dann legte er den Hörer auf und musterte sie kühl. „Wieder mal gefeuert“, sagte er langsam und wartete auf ihre Reaktion, bevor er gelassen hinzufügte: „Nun setz dich bitte her.“ Enrico hatte sich an den Schreibtisch gelehnt.
Wie in Trance bewegte sie sich auf den Schreibtisch zu.
Habe ich sie tatsächlich entlassen? Enrico konnte es kaum fassen, so gnadenlos gewesen zu sein. Doch das gehörte zu seinem Beruf. Allerdings war es etwas anderes, wenn man eine Frau so gut kannte, wie er Freya mal gekannt hatte.
Offenbar glaubte sie ihm, dass er sie gefeuert hatte, wohingegen er sich dessen nicht so sicher war.
Sie blieb direkt vor ihm stehen. Hinsetzen konnte sie sich nicht, weil seine langen Beine ihr den Weg versperrten.
Er bemerkte, dass sie noch immer zitterte. Sie hielt den Blick gesenkt und hatte noch immer ihren Körper schützend umfangen.
Doch vor Enrico gab es keinen Schutz.
„Bitte tu mir das nicht an“, flüsterte sie. „Ich brauche den Job.“
Plötzlich wurde ihm ganz heiß. Er atmete ihr Parfüm ein. Es war ein ganz leichter Duft, und dann stellte sich Enrico vor, was sich unter ihrem unförmigen Kostüm verbarg: feste Brüste mit aufregend empfindlichen Spitzen, ein flacher Bauch, dessen Nabel er so gern mit der Zunge verwöhnt hatte … Ich darf gar nicht daran denken, überlegte er mürrisch und ließ den Blick zu ihrem Gesicht gleiten. Sie ist wunderschön, dachte er, auch wenn sie viel zu blass ist.
Würde sie sich wehren, wenn er ihren Haarknoten löste, ihn beißen, wenn er ihre bebenden Lippen küsste?
Er hatte sie jetzt genau da, wo er sie haben wollte. Nur eins fehlte noch: Das Geständnis: „Ja, er ist dein Sohn.“ Früher oder später würde sie sich schon dazu durchringen, ihm die Wahrheit zu sagen. Doch das konnte warten. Jetzt genoss er erst einmal das erregende Gefühl, ihr so nahe zu sein.
War es denn möglich, dass er sie immer noch so sehr begehrte? Offensichtlich. Drei Jahre lang hatte er sich seine Befriedigung geholt, ohne dass es ihn emotional berührt hatte. Vielleicht sollte er das auch bei dieser kleinen Lügnerin probieren, die ihn betrogen hatte und so unglaublich sexy war. Diese Frau hatte ihm zwölf fantastische Monate lang jeden erotischen Wunsch erfüllt.
Seitdem hatte er nie wieder so empfunden, geschweige denn, Gefühle gezeigt. Sie war ihm einiges schuldig. Es fühlte sich fast wie ein Höhepunkt an, ihr nahe zu sein und sich vorzustellen, auf wie viele verschiedene Arten sie ihre Schulden bei ihm abzahlen müsste.
„Hast du mir etwas anzubieten, was mich bewegen könnte, meine Meinung zu ändern?“, fragte er leise.
Sie gab keine Antwort und sah weiterhin zu Boden.
Ihm wurde immer heißer. „Dich selbst vielleicht? Willst du nicht wissen, ob dein sensationeller Körper, den du unter diesem grauen Sack verbirgst, mich noch immer erregen kann?“
Gute Frage, dachte Freya und war über sich selbst schockiert, weil sie tatsächlich über Enricos widerlichen Vorschlag nachdachte. Würde sie ihren Job behalten, wenn sie mit Enrico schlief? Die Versuchung war groß, wie sie sich zu ihrem Befremden eingestehen musste.
Reiß dich zusammen, schalt sie sich. In Wirklichkeit ging es hier um Nicky, nicht um erniedrigenden Sex.
Doch es knisterte immer heftiger zwischen ihnen. Sie war sich nur zu bewusst, wie heißblütig und sexy der Mann vor ihr war und wie sehr er sie erregen konnte …
Sie atmete tief ein und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Der Mann ist ein Mistkerl, der sich einbildet, mich feuern und im nächsten Moment mit mir schlafen zu können!
Was sollte sie tun? Er hatte sie ja praktisch in der Hand. Sie war auf den Job angewiesen, wie sonst würde sie in der Lage sein, Nicky und sich selbst durchzubringen? Sie war Enrico ausgeliefert.
Sollte sie trotzdem einfach das Büro verlassen und so tun, als ginge sie das alles nichts an? Im Waschraum hatte sie ja selbst behauptet, selbst Enrico wäre nicht so vorsintflutlich eingestellt, sie zu entlassen, weil sie ihm nicht zu Willen war.
„L’alimentazione della donna è nel suo silenzio“, zitierte er leise.
Die Stärke einer Frau liegt im Schweigen, übersetzte Freya, die sich in ihrem ganzen Leben noch nie so schwach und hilflos gefühlt hatte, seinen Satz insgeheim.
Enrico umfasste behutsam ihr Kinn und hob es an. Als ihre Blicke sich begegneten, war alles wieder da, was sie einmal füreinander empfunden hatten. Alles war so vertraut, und Freya wusste genau, was Enrico vorhatte.
„Nein“, protestierte sie mit bebender Stimme.
Doch es war zu spät. Er neigte den Kopf und begann, sie unendlich zärtlich und verführerisch zu küssen, so wie er es zum Auftakt des Liebesspiels immer getan hatte.
Verzweifelt versuchte Freya, die heißen Wogen der Leidenschaft, die sie sofort durchfluteten, zu ignorieren. Doch der Mann, den sie geliebt und verloren, jedoch nie vergessen hatte, küsste sie, wie er sie immer geküsst hatte – langsam und sinnlich, bis die Sehnsucht nach mehr Freya erfasste. Unendlich zärtlich ließ er die Zunge zwischen ihre Lippen gleiten und erforschte ihren Mund. Gleichzeitig begann er, Freyas Nacken zu streicheln, wobei er ihren Kopf leicht nach hinten drückte, damit er sie noch intensiver küssen konnte. Er hatte seine Verführungskünste nicht verlernt.
Stoß ihn zurück, dachte Freya. Lass dich nicht auf sein Spiel ein. Doch sie brachte es nicht über sich, ihn abzuweisen. Zu verführerisch waren seine Zärtlichkeiten. Es war unglaublich, wie sehr er sie mit der Zunge erregte. Im nächsten Moment hatte er den Knoten gelöst, sodass ihr das Haar in sanften Wellen über die Schultern fiel. Jetzt zog er Freya enger an sich. Als sie spürte, wie erregt er war, wurde jeder Gedanke an Widerstand im Keim erstickt. Es war, als hätte er sie wieder zum Leben erweckt.
Es war falsch, es war schlecht, doch sie konnte sich nur noch widerstandslos an ihn pressen und seine Küsse erwidern. Stöhnend ließ sie die Hände über Enricos Jackett und das weiße Hemd gleiten.
Er murmelte etwas Unverständliches auf Italienisch und öffnete die Schenkel, damit er Freya noch enger an sich ziehen konnte. Sie ließ es geschehen, spürte, wie er sich an sie drängte und wie das Blut in ihm pulsierte. Seine Erregung war unübersehbar und hatte nun auch sie erfasst. Sie empfand ein sehnsüchtiges Ziehen und schmiegte sich verlangend an ihn.
„Spürst du auch diese Anziehungskraft, cara?“, fragte er leise.
Doch sie konnte nur hilflos stöhnen. Wogen der Lust durchfluteten sie. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Enrico hatte sein Hemd aufgeknöpft und legte Freyas Hand auf seine nackte Brust. Es war ein wunderbares Gefühl, seinen bloßen Körper zu spüren und ihn erneut zu erforschen. Sein Brusthaar kitzelte sie an der Hand, während er ihre andere Hand tiefer führte, dorthin, wo er sie am liebsten hatte. Es war so erregend, dass Freya die Kontrolle zu verlieren glaubte.
Enrico fragte sich, wie weit er das Spiel treiben sollte. Natürlich bis zum Schluss, gab er sich selbst die Antwort, denn auch für ihn gab es nun kein Zurück mehr, da Freya ihn umfasst hielt und mit geschickten Handbewegungen aufs Höchste erregte. Enrico sehnte sich danach, nackt zu sein, damit er sie noch besser spüren konnte. Mit der anderen Hand liebkoste sie seine Brust, wobei ihre Nägel Spuren auf seiner Haut hinterließen. Enrico stöhnte vor Lust. Das Küssen hatte sie auch nicht verlernt, obwohl sie sich wie eine schüchterne, aber sehr willige Jungfrau verhielt. Sie war so warm und weich und voller Hingabe. Sie schmeckte so süß und war so leidenschaftlich und wirkte trotzdem so unsicher.
Es ist wunderbar, sensationell, fantastisch, es ist so erregend, dachte Freya verträumt. Wie sehr hatte sie dieses Spiel immer geliebt. Nie hatte sie genug davon bekommen können. Die Gefühle, die Enrico in ihr entfesseln konnte, waren unbeschreiblich. Er war so schön, so erregend, in seinen Armen meinte sie, etwas ganz Besonderes zu sein. Er durfte jetzt nicht aufhören. Deshalb ließ sie es auch zu, dass er ihre Kostümjacke aufknöpfte.
Als er aber den Kuss beendete, um ihre Brüste zu betrachten, die nur von einem winzigen weißen Spitzen-BH bedeckt waren, wurde ihr plötzlich bewusst, worauf sie sich eingelassen hatte.
„Du hast also nicht alle Sachen, die du von mir bekommen hast, weggeworfen“, stellte er mit einem selbstzufriedenen Lächeln fest.
Freya errötete und versuchte, ihre Jacke wieder zuzuknöpfen, doch Enrico schob ihre Hände beiseite und begann mit federleichten Berührungen, die Umrisse des Spitzendessous nachzuzeichnen. Erwartungsvoll richteten die Brustspitzen sich auf. Er bemerkte es lächelnd, schob den Daumen unter den dünnen Stoff und liebkoste eine Brustspitze.
Freya stöhnte entzückt auf, schloss die Augen und bat leise: „Bitte nicht, Enrico.“
„Es ist immer wieder erregend, mit seinem ersten Liebhaber zu schlafen, cara mia“, flüsterte er. „Selbst wenn ich alt und grau bin, werde ich noch immer diese unwiderstehliche Anziehungskraft auf dich ausüben, mein Herz.“
„Aber ich möchte das nicht.“
„Ich weiß.“ Er lachte rau, bevor er sie wieder zu küssen begann. „Das macht es ja gerade so aufregend.“
Als sie ihm in die Augen sah, bemerkte sie, wie wütend er offensichtlich war. Einerseits begehrte er sie, wie er keine andere Frau je begehrt hatte, andererseits hasste er sie.
Wie auch sie ihn hasste. Und was tat sie dann hier? Sie ließ sich auf einen Quickie mit ihm ein, wie ein billiges Flittchen, für das er sie ja auch hielt. Ein Kuss, und schon bist du einem Mann verfallen. Diese Erkenntnis wirkte so ernüchternd auf sie, dass sie ihn entsetzt anfuhr: „Lass mich sofort los!“
Er reagierte umgehend und lächelte spöttisch, denn sie hielt ihn dort, wo sie ihn am meisten erregen konnte, noch immer umfasst.
Als sie sich dessen bewusst wurde, ließ sie ihn sofort los und wich zurück.
Als Freya ihre Kleidung wieder richtete, verachtete sie sich von ganzem Herzen. Enrico jedoch, der ihr gelassen zusah, kümmerte es offenbar wenig, dass er seine eigene Erregung nicht verbergen konnte.
„Ich hasse dich“, flüsterte sie.
„Du wiederholst dich.“
„Am liebsten würde ich dich umbringen.“
„Dann hätte unser Sohn aber keinen Vater mehr.“
Freya hielt in der Bewegung inne, sagte jedoch nichts.
„Wir machen Fortschritte“, meinte Enrico langsam und ließ den Blick über ihr seidiges rotes Haar gleiten.
Sie ist wirklich wunderschön, musste er sich widerstrebend eingestehen. Und er hatte es immer geliebt, sie zu entblättern – „sein Geschenk auszupacken“, wie er es genannt hatte.
Doch dann war Luca gekommen.
„Hat sich dein Gewissen gemeldet, cara? Denkst du über die vielen armen Menschen nach, die du um ihren Arbeitsplatz bringst, falls du nicht aufhörst, Lügengeschichten zu erzählen?“
Freya atmete tief durch. „Nicky ist …“
„Nicolo Alessandro Valentino Jenson“, unterbrach er sie. „Du konntest der Versuchung nicht widerstehen, meinen Sohn nach mir zu benennen.“