8. KAPITEL

Enrico wandte sich hastig ab, als könnte er Freyas Anblick nicht mehr ertragen.

„Moment mal.“ Sie zog ihn am Ärmel, damit Enrico sich wieder zu ihr umdrehte. Ihr zitterten die Knie, und ihr war gar nicht gut. Verzweifelt versuchte sie, gelassen zu bleiben – vergeblich. „Willst du behaupten, ich hätte mich zwei Tage vor unserer Hochzeit mit deinem Cousin getroffen?“

„Ja, mindestens zweimal.“ Wütend schob er ihre Hand von seinem Jackett.

„Das ist gelogen“, stieß Freya in eisigem Tonfall hervor.

„Du wiederholst dich, und ich glaube dir kein Wort. Du warst heute bei ihm im Hotel.“

Freya sah ihn fassungslos an.

„Letzte Woche hast du sogar meinen Sohn mitgeschleppt.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte ihn. „Da bist du dir ganz sicher, oder?“

„Die Beweise sind erdrückend.“

„Das können höchstens Indizien sein, Enrico, aber du hast ja schon immer eine schlechte Meinung von mir gehabt.“

„Glaubst du vielleicht, es macht mir Spaß, mich mit deinem wahren Gesicht konfrontiert zu sehen?“

„Ganz zu schweigen von den heißen Liebesnächten. Die haben dir natürlich auch überhaupt keinen Spaß gemacht“, gab sie ironisch zurück.

„Dir auch nicht, wie ich gemerkt habe.“

Herausfordernd hob sie das Kinn. „Du hältst mich für ein billiges Flittchen.“

Er verzog das Gesicht. „Das habe ich nie gesagt.“

„Aber gedacht, Enrico. Sonst hätten wir diese Diskussion nicht.“

Wieder wandte er sich ab. „Du hättest dich einfach von ihm fernhalten sollen.“

„Da bin ich nicht so sicher.“ Auf unsicheren Beinen ging sie zum Bett, beugte sich vor und suchte etwas in den Einkaufstaschen. „Vielleicht ist Luca doch der bessere Cousin. Immerhin weiß er, was für ein Mistkerl er ist, während du dich zum Moralapostel aufspielst.“

Sie hatte gefunden, wonach sie gesucht hatte, richtete sich auf und warf den Gegenstand in Enricos Richtung. Er traf ihn am Rücken und landete dann auf dem Boden. Verblüfft drehte Enrico sich um und betrachtete das in Goldfolie verpackte und mit einer elfenbeinfarbenen Schleife versehene Päckchen.

„Mach es auf!“, forderte ihn Freya mit funkelnden Augen auf. „Dann kannst du selbst sehen, womit ich beschäftigt war, während ich angeblich mit deinem Cousin geschlafen habe.“

Zögernd hob Enrico das Päckchen auf und schüttelte es. Es klang wie zerbrochenes Glas. Mit zittrigen Händen zog er die Schleife auf, schlug die Folie zurück und betrachtete den Inhalt.

Freya beobachtete ihn mit Tränen in den Augen. Noch nie zuvor war sie so wütend und gleichzeitig so enttäuscht von ihm gewesen. Reglos betrachtete er das Geschenk.

„Es hat zwei Stunden gedauert, bis der Standesbeamte eine exakte Abschrift von Nickys Geburtsurkunde ausgefertigt hatte“, erklärte sie leise. „Und dann habe ich zwei weitere Stunden nach einem passenden Rahmen gesucht.“

Das Glas war zerbrochen, doch der Rahmen war heil geblieben, auch die Inschrift: „Ich danke dir für unseren wunderschönen Sohn“, war noch unversehrt.

„Auf der Geburtsurkunde bin ich als Vater eingetragen“, sagte Enrico ausdruckslos.

„Ja. Dumm von mir, deine Vaterschaft abzustreiten, wenn es hier doch die ganze Zeit schwarz auf weiß stand, oder? Aber du …“ Sie atmete tief durch. „Schließlich habe ich beschlossen, dass du es verdienst, die Wahrheit zu wissen, und ich wollte dir die Abschrift der Geburtsurkunde zur Hochzeit schenken. Albern, oder?“

„Das ist überhaupt nicht albern.“

„Egal, jedenfalls brauchst du mich nicht zu heiraten, um dein Anrecht auf unseren Sohn durchzusetzen. Ich wollte dir das Geschenk in unserer Hochzeitsnacht überreichen, als …“

Zeichen, dass mir unsere Ehe etwas bedeutet, hatte sie sagen wollen. Doch sie brachte es nicht über die Lippen. Es spielte auch keine Rolle mehr, denn die Hochzeit würde nicht stattfinden.

„Wer hat dich heute Morgen angerufen, bevor du das Haus verlassen hast, um die Urkunde zu besorgen?“ Er musste es doch wissen, oder? Wie lange sollte Luca noch zwischen ihnen stehen? Er hatte Freya nicht in die Augen gesehen, seit er das Geschenk aufgehoben und entdeckt hatte, was es war. Wieso hatte er nicht selbst daran gedacht, zum Standesamt zu gehen und einen Auszug aus dem Geburtenregister zu verlangen? Das hätte ihm einiges erspart.

„Cindy“, erwiderte sie ausdruckslos. „Wir haben uns zu einem Einkaufsbummel verabredet.“ Wie eine Braut sich eben mit ihrer besten Freundin verabredet, um sexy Dessous und ein verführerisches Nachthemd für die Hochzeitsnacht zu kaufen. „Du kannst sie gern fragen, wenn du mir nicht glaubst.“

Jetzt fand Enrico die Kraft, sie anzusehen, doch sie hatte sich abgewandt. Er war völlig verstört. Wie hatte er Freya nur so misstrauen können?

„Es … tut mir sehr leid“, sagte er leise.

Sie schüttelte nur abweisend den Kopf. Diese schwache Entschuldigung konnte sie nicht annehmen. Dazu war es zu spät. Wieder atmete sie tief durch. „Ich habe versucht, deinen Standpunkt nachzuvollziehen, und verstehe sogar, warum du so schlecht von mir denkst.“ Die Situation damals hatte für ihn nur einen Schluss zugelassen. „Aber ich hatte gehofft, wir könnten es noch einmal von vorn versuchen, um Nickys willen. Doch Luca spukt dir noch immer im Kopf herum, und du betrachtest mich noch immer als leichtes Mädchen, das von Cousin zu Cousin flattert.“

„Das ist nicht wahr.“

„Doch. Und weißt du was, Enrico? Ich fühle mich auch so, weil ich es dir so leicht gemacht habe.“

„Du hattest was mit meinem Cousin.“

„Ich hatte eine feste Beziehung zu dir, bis du sie zerstört hast“, erwiderte sie heftig.

„Erwartest du von mir, dass ich einfach vergesse, was vor drei Jahren passiert ist?“

„Vor drei Jahren hat man Lügen über mich verbreitet, mich falsch beschuldigt und mir keine Gelegenheit gegeben, mich zu rechtfertigen. Ich wurde beleidigt und erniedrigt und aus deinem Leben hinausbefördert. Erinnerst du dich, wie ich dich angefleht habe, mir zu glauben, Enrico? Weißt du noch, dass ich dir unter Tränen erzählt habe, ich würde ein Baby von dir erwarten? Du hast mich einfach verächtlich weggestoßen wie einen lästigen Gegenstand. Und dann musste Fredo mich aus dem Haus begleiten und wurde auch noch Zeuge, wie ich mich im nächstgelegenen Waschraum übergeben musste.“

Enrico war immer bleicher geworden. Geschieht ihm recht, dachte Freya verbittert. „Du hast mir nicht einmal Zeit gelassen, meine Sachen zu packen“, fuhr sie fort. „Sie wurden mir in einem Karton zugeschickt, mit der Aufschrift: ‚Persönliche Gegenstände der Freya Jenson‘, als wäre ich tot.“ Freya konnte die Tränen nicht zurückhalten und drehte sich schnell um. Daher entging ihr Enricos schockierte Miene.

„Damit hatte ich nichts zu tun“, behauptete er leise.

„Wie schön für dich! Dann wäschst du deine Hände ja in Unschuld.“

„Bitte, Freya! Ich war völlig fertig. Du hast ja keine Ahnung, wie ich mich damals gefühlt habe.“

„Zum Narren gehalten, verletzt, hintergangen?“, schleuderte sie ihm ins Gesicht, nachdem sie sich ihm schnell wieder zugewandt hatte.

„Ganz genau so.“

„Dann können wir uns ja die Hand reichen“, rief sie aufgebracht. „Du erwartest doch wohl kein Mitleid von mir?“

„Ich sehe euch noch genau vor mir. Jedes Mal, wenn ich an Luca denke, sehe ich, was du mit ihm getan hast.“

„Und ich sehe den Mann, den ich geliebt habe, einfach so dastehen. Du hast mich verachtet, Enrico, stattdessen hättest du mir helfen müssen! Aber du hast dich bis heute nicht geändert. Du verachtest mich noch immer. Das hat doch alles keinen Sinn!“

„Was willst du damit sagen?“ Seine dunklen Augen glitzerten.

Wie gern hätte Freya ihn gehasst, doch sie liebte ihn so sehr. Und das war das Tragischste an der ganzen Geschichte.

Ohne zu antworten, ging sie ins Ankleidezimmer und kehrte mit einem halb ausgepackten Karton zurück, den sie aufs Bett stellte. Dann öffnete sie Schubladen und warf ihre Sachen in den Karton.

„Was, um alles in der Welt, tust du da?“, fragte Enrico aufgebracht.

„Ich packe. Ich verschwinde aus deinem Leben.“

Mit wenigen Schritten war er bei ihr und zwang sie, ihn anzusehen. „Bildest du dir etwa ein, dass ich so etwas zulassen werde? Meinst du wirklich, du könntest einfach so weggehen mit meinem Sohn?“

Sein Sohn – sein Sohn! Immer drehte sich alles nur um Nicky! Ich bin doch nur Mittel zum Zweck gewesen und ein aufregender Zeitvertreib im Bett. Und ich dachte, er hätte sich geändert – wie dumm von mir. Nun wusste Freya endgültig, dass Träume sich nicht erfüllten.

„Das kannst du ihm nicht antun.“

Auf genau das Argument hatte sie gewartet. Nicky liebte diesen Mann und hing an seiner neuen Familie. Durfte er wirklich wieder entwurzelt werden?

„Wenn ich vergessen kann, was ich vor drei Jahren gesehen habe und dich unseres Sohnes willen heirate, dann kannst du mir doch wohl auch verzeihen, dass ich mich heute in Bezug auf dich und Luca geirrt habe, oder?“

Er will wohl auf Nummer sicher gehen, dachte Freya, falls ich wirklich die Wahrheit sage. Aber glauben tut er mir nicht. Er wird überprüfen lassen, ob ich wirklich mit Cindy unterwegs war.

Als sie nichts sagte, umfasste er ihren Arm fester. „Hörst du mir überhaupt zu, Freya?“, fragte er rau. „Nicolo hat es verdient, ein Leben zu führen, wie ich es ihm bieten kann.“

Genau das ist der Punkt, dachte Freya. Nicky verdiente das Beste, und das durfte sie ihm nicht nehmen. Sie löste sich aus Enricos Griff und wich zurück. „Du verlässt jetzt sofort das Schlafzimmer und wehe dir, wenn du mich je wieder anfasst“, stieß sie mit bebender Stimme hervor.

„Aber …“

„Du hältst dich besser daran, Enrico. Ich denke nämlich nicht daran, weiterhin den Preis dafür zu bezahlen, was dein widerwärtiger Cousin mir angetan hat. Ich finde es auch ganz erbärmlich, dass du mir nicht vertraust. Du willst also um Nickys willen eine Vernunftehe eingehen? Die kannst du haben, allerdings zu meinen Bedingungen. Und jetzt verschwinde endlich!“ Dann drehte sie sich um, ging ins Badezimmer und warf die Tür hinter sich zu.

Außer sich vor Zorn, stürmte Enrico aus dem Zimmer und fragte sich, wie er sich so hatte irren können.

Fredo erwartete ihn unten im Foyer.

„Hol mir sofort deinen Informanten ans Telefon“, raunzte Enrico auf dem Weg ins Arbeitszimmer.

Fredo wählte bereits die Nummer, als er seinem Boss folgte. Zwei Minuten später erschienen Digitalfotos von der Rothaarigen, wie sie Lucas Suite betrat, auf Enricos Computerbildschirm.

Schweigend blickten die beiden Männer starr auf den Monitor. Dann fluchte Fredo unterdrückt und drückte damit auch Enricos Gefühle aus. „Das ist nicht Freya“, sagte er erleichtert.

Statt ebenfalls Erleichterung zu empfinden, wurde Enrico nur noch wütender. Er hatte sich nicht nur zum Narren gemacht, sondern auch Freya so gegen sich aufgebracht, dass er nicht wusste, wie er das jemals wiedergutmachen sollte. Dabei hatte er alles zwei Wochen lang bis ins Detail geplant. Nun war alles für die Katz!

Er betrachtete das Geschenk, das Freya ihm gemacht hatte. Las noch einmal die Geburtsurkunde seines Sohnes und die Widmung auf dem Rahmen.

Freya hatte ihm eine Freude machen wollen. Sie hatte sich dieses Hochzeitsgeschenk für ihn ausgedacht, um ihm zu beweisen, dass sie ihm jetzt vertraute. Damit hatte sie ihm alles gegeben, was er sich ursprünglich gewünscht hatte, doch jetzt kam es ihm vor, als hätte er alles verloren.

Und ich sehe den Mann, den ich geliebt habe, einfach so dastehen. Du hast mich verachtet, Enrico, stattdessen hättest du mir helfen müssen!

Hatte sie damals etwa auch schon die Wahrheit gesagt? Wieder sah Enrico die Szene vor sich. Luca lag auf Freya, während sie seinen Kopf umfasst hielt. Doch es hatte nicht so gewirkt, als würde sie vor Leidenschaft vergehen. Im Gegenteil – sie hatte ihn verzweifelt an den Haaren gezogen! Sie hatte ihn auch nicht verlangend geküsst, sondern versucht, ihn zu beißen!

„Lass mich allein“, stieß Enrico hervor und wies Fredo die Tür.

„Enrico, du …“

„Verschwinde einfach.“

Er musste allein sein und endlich den Tatsachen ins Auge sehen. Freya war kreidebleich gewesen und hatte schockiert gewirkt. Ihre Miene hatte Erleichterung ausgedrückt, als sie Enrico entdeckt hatte. Dann hatte sie Luca einen solchen Schlag verpasst, dass er von ihr abließ, und war schwankend aufgestanden und hatte nur noch geschluchzt: „Enrico, dich schickt der Himmel!“

Die Tür hatte sich hinter Fredo geschlossen. Enrico war den Tränen nahe. Er hatte ihre geschwollene Unterlippe und die Abdrücke auf ihren Brüsten gesehen, als sie den Bademantel zuband, um sich zu bedecken.

Und er selbst hatte einfach nur wie versteinert dagestanden und nichts getan, als sie auf ihn zugestürzt war. „Ich fasse es nicht“, sagte er rau und barg verzweifelt das Gesicht in den Händen.

Ein Stockwerk höher stand Freya im Schlafzimmer und zitterte noch immer am ganzen Körper, als ihr Handy plötzlich klingelte. Sie zerrte es aus ihrer Handtasche und betrachtete es. Auf dem Bildschirm erschien Cindys Name. Jeden anderen Anruf hätte sie weggedrückt, aber mit ihrer Trauzeugin konnte sie das wohl nicht machen.

„Hallo, Cindy“, sagte sie.

„Du hast also einen Sohn, cara“, sagte jemand mit tiefer, seidiger Stimme. „Herzlichen Glückwunsch, dass du meinen Cousin offensichtlich von seiner Vaterschaft überzeugen konntest. Aber vielleicht sollte ich mir den Kleinen selbst mal ansehen.“

Freya schleuderte das Telefon von sich, als wäre sie gebissen worden. Es landete vor dem Bett auf dem Fußboden. Völlig außer sich sah sie es an.

Spielten ihr die überreizten Nerven einen Streich, oder hatte sie eben tatsächlich Lucas Stimme gehört? Aber auf dem Monitor hatte Cindys Handynummer gestanden!

Irgendwie hatte er sich das Handy verschafft, um sie anzurufen.

Von draußen waren Nickys und Lissas fröhliche Stimmen zu hören. Offensichtlich waren die beiden aus dem Park zurück und spielten nun im Garten Fußball.

Wieder klingelte das Handy. Offensichtlich war die Verbindung unterbrochen worden, als sie den Hörer weggeschleudert hatte.

Erst in diesem Moment begriff sie, wovon Luca gesprochen hatte. Hastig griff sie nach dem Handy. „Lass meinen Sohn in Frieden“, befahl sie in schrillem Tonfall.

„Warum sollte ich? Das ist doch eine günstige Gelegenheit, meinem Cousin mal wieder eins auszuwischen. Was meinst du, cara, wie viel werden die Gazetten mir für die Enthüllungsstory zahlen? Ich sehe schon die Schlagzeile: ‚Sexskandal um Enrico Ranieri. Cousin des Multimillionärs teilt sich die Braut mit ihm.‘ Wie findest du mein Hochzeitsgeschenk?“

„Das ist eine Lüge!“

„Wieso? Sind wir beide in flagranti in Enricos Bett erwischt worden oder nicht?“

Freya wurde es schwarz vor Augen. Mühsam hielt sie sich aufrecht. Von weit her drang die Stimme ihres Sohnes an ihr Ohr. Verzweifelt schleppte Freya sich ans Fenster und sah gerade noch, wie Nicky sich begeistert in die Arme seines Vaters warf.

Tränen verschleierten ihr den Blick. „Warum kriechst du nicht in das Loch zurück, aus dem du gekommen bist, Luca? Deine Lügen interessieren hier niemanden.“

„Doch, Enrico wird sie sich bestimmt anhören – wie beim letzten Mal. Ganz Europa wird fasziniert sein, wenn ich erzähle, wie er uns beide vor drei Jahren hinausgeworfen hat, nachdem er uns zusammen in seinem Bett erwischt hat.“

„Er wird dich umbringen, bevor du so einen Schmutz verbreiten kannst.“

„Dazu muss er mich erst mal finden.“ Luca lachte höhnisch. „Ich werde mit meinem fetten Honorar längst über alle Berge sein, bevor er mich aufspüren kann.“

„Warum machst du dir dann die Mühe, mich vorzuwarnen?“

„Es könnte ja sein, dass du mir ein besseres Angebot machst als die Skandalblätter.“

„Ich habe kein Geld.“

„Ich weiß. Du bleibst arm wie eine Kirchenmaus an der Seite deines Multimillionärs. Enrico wird dich auch nach der Hochzeit kurzhalten, weil er dir nicht vertraut. Außerdem wirst du das Haus nie verlassen können, ohne beschattet zu werden. Mein Cousin wird schon dafür sorgen, dass du ihm nicht noch einmal Hörner aufsetzt.“

„Sag endlich, was du willst, sonst beende ich den Anruf.“

„Das wirst du nicht wagen. Du hast viel zu viel Angst.“

Natürlich hatte er recht. Bei der Vorstellung, was Luca dem kleinen Jungen antun könnte, der seinen Vater gerade voller Bewunderung anblickte, geriet sie fast in Panik.

Ich muss Enrico sagen, was passiert ist, dachte sie bedrückt. Sie durfte einfach nicht riskieren, dass Luca seine gemeinen Lügen an die Öffentlichkeit brachte. Plötzlich wusste sie genau, was zu tun war. Entschlossen verließ sie das Schlafzimmer und schlich leise die Treppe hinunter.

„Wie bist du an Cindys Handy gekommen?“, fragte sie, um Luca in ein Gespräch zu verwickeln.

„Ich habe es mir ausgeliehen“, behauptete er trocken. „Besser gesagt, eine Freundin von mir.“ Diese Bemerkung schien ihn sehr zu amüsieren. „Deine Trauzeugin durchsucht wahrscheinlich gerade ihre vielen Einkaufstaschen, während wir beide uns unterhalten.“

„Du hast also mal wieder gestohlen, Luca.“ Mit zittrigen Knien setzte sie ihren Weg nach unten fort.

„Ich musste dich doch direkt erreichen, ohne zuerst Fredo oder Sonny am Telefon zu haben“, erklärte Luca.

„Oder Enrico.“ Freya hatte jetzt den Salon erreicht. Dieses Mal hatte sie keinen Blick für die Muster, die der Kristalllüster an die hellen Wände warf. „Du denkst, ich habe Angst, Luca. Dabei bist du es, der sich vor Enrico fürchtet. Sonst würdest du nämlich mit ihm sprechen, statt mit mir.“

Der Hieb schien gesessen zu haben, denn Luca schwieg eine Weile. Freya lächelte zufrieden, als sie den Salon durchquerte.

„Du solltest nicht so mit mir reden, cara“, sagte Luca schließlich. Seine Stimme hatte einen bedrohlichen Tonfall angenommen. „Jetzt sitze ich am längeren Hebel. Ich könnte deine romantische Hochzeit mit einem Anruf zunichtemachen.“

Freya hatte die Terrasse betreten. In der Sonne wirkte ihr Haar wie gesponnenes Rotgold. Nicky kurvte auf seinem Laster durch den Garten. Enrico sah zu, ganz der stolze Vater. Er wandte sich um, als er Freya kommen hörte.

Wie hinreißend er aussieht, dachte Freya, deren Herz bei Enricos Anblick sofort schneller pochte. Dagegen ist sein Cousin nur ein drittklassiger Abklatsch.

Enrico kam auf sie zu und wollte anscheinend etwas sagen.

Warnend schüttelte sie den Kopf. „Wenn du mich erpressen willst, Luca“, sagte sie erstaunlich kühl und bemerkte, wie Enrico bei der Erwähnung dieses Namens zusammenzuckte, „dann solltest du mir jetzt verraten, was genau dich davon abhalten könnte, dich an die Presse zu wenden.“

Schnell reichte sie Enrico das Handy und beobachtete, wie er es sich ans Ohr hielt.

„Ich will, dass du ihn vorm Traualtar stehen lässt“, hörte Enrico seinen Cousin. „Er soll sich in aller Öffentlichkeit bis auf die Knochen blamieren. Das ist das Mindeste, was ich erwarte, cara. Er soll auch mal spüren, wie es ist, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Ich will, dass er am eigenen Leib erfährt, dass ihm sein Reichtum und seine Macht überhaupt nichts nützen, wenn es um Stolz geht. Du wirst seinen Stolz verletzen, wenn du Enrico einfach am Altar stehen lässt. Hörst du mir auch gut zu, Freya?“, fragte er plötzlich, als keine Reaktion von ihr kam.

Schweigend hielt Enrico ihr wieder den Hörer hin und bedeutete ihr mit einem Nicken, was er von ihr erwartete.

Sie räusperte sich. „Ja“, sagte sie dann gehorsam.

Enrico hielt sich das Handy wieder ans Ohr und hörte ausdruckslos zu, bis Luca seine Forderungen genannt hatte.

„Wenn du das für mich tust, halte ich den Mund und wende mich nicht an die Presse“, versprach Luca. „Dein Sohn kann auch seinen Vater behalten. Ich bin der Letzte, der sich wünscht, Vater zu sein. Und wir wissen ja beide, dass ein DNA-Test ans Tageslicht bringen wird, wer der leibliche Vater ist. Ich kann es ja nicht sein. Aber ich habe die Genugtuung, dass Enricos Stolz verletzt ist. Verstehen wir uns, Freya?“

Wieder reichte Enrico ihr den Hörer.

„Ja“, wiederholte sie mit bebender Stimme.

„Wirst du mir den Gefallen tun?“

„Ja“, antwortete sie leise, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Luca von ihr gefordert hatte.

Enrico nahm ihr das Handy weg und unterbrach dann die Verbindung. Freya blinzelte erschrocken. Dann sahen sie einander schweigend an. Nur das Knirschen des Lasters auf dem Kiesweg war zu hören.

„Was will er?“, fragte sie schließlich.

„Meinen Kopf auf einem Silbertablett“, antwortete Enrico trocken und verzog das Gesicht. „Du hast dich gerade einverstanden erklärt, mich vor dem Traualtar stehen zu lassen.“

„Oh.“ Freya ließ sich ihre Gefühle nicht anmerken.

„Sag mal, wie ist Luca an deine Handynummer gekommen?“

Sein fortgesetztes Misstrauen verletzte sie. Glaubte er etwa, sie selbst hätte Luca die Nummer gegeben? Freya seufzte und erklärte, was passiert war. „Er hat Cindys Handy gestohlen“, sagte sie und griff nach ihrem eigenen Mobiltelefon. „Würdest du gern zuhören, wenn ich Cindy anrufe, damit sie das bestätigt?“

Er nickte nur schweigend.

Pikiert über sein Misstrauen, blätterte Freya im Telefonverzeichnis ihres Handys, um Cindys Festnetznummer zu finden, die sie sofort wählte. Nicky kam näher. Gleich würde er seine Mutter entdecken.

„Man hat mir mein Handy gestohlen, als wir unterwegs waren“, erzählte Cindy aufgebracht, nachdem Freya sich als Anruferin zu erkennen gegeben hatte. „Wahrscheinlich war es diese rothaarige Schlange, die auf der Heimfahrt neben mir im Bus saß.“ Cindy war fuchsteufelswild.

Vermutlich die rothaarige Schlange, die ständig mit mir verwechselt wird, dachte Freya zornig.

„Stell dir vor, sie hat alle meine Einkaufstaschen umge­worfen, als sie sich neben mich gesetzt hat. Und ich habe mich noch bedankt, weil sie mir geholfen hat, die Sachen wieder aufzuheben.“ Cindy schäumte vor Wut.

„Tu mir einen Gefallen, Cindy, erzähl das alles bitte auch Enrico. Ich gebe ihn dir.“ Sie reichte Enrico den Hörer, trat einen Schritt zurück und begrüßte lächelnd ihren Sohn.

Mit wachsender Erleichterung hörte Enrico sich Cindys Geschichte an, und langsam erkannte er, dass er einige unverzeihliche Fehler gemacht hatte. Doch er wäre nicht Enrico Ranieri, wenn er nicht wenigstens versuchen würde, die Fehler wiedergutzumachen. „Du musst deinem Netzbetreiber sofort mitteilen, dass man dir das Handy gestohlen hat“, sagte er zu Cindy. „Freya ist telefonisch belästigt worden. Ich lasse dir innerhalb einer Stunde die neue Nummer mitteilen.“ Damit beendete er das Gespräch, schob Freyas Handy in die Hosentasche und betrat das Haus. Er war entschlossener denn je, Freya zu heiraten. Enrico lächelte verhalten. Sein Sohn und bald seine Frau! Insgeheim hatte er sich das wohl schon lange gewünscht. Warum war er nur so begriffsstutzig gewesen?