Es waren die längsten zwei Nächte, die sie je erlebt hatte.
An ihrem Hochzeitstag versuchte Freya, sich von der Begeisterung ihrer Mitmenschen anstecken zu lassen. Nicky war schrecklich aufgeregt, Lissa strahlte, denn sie hatte schon einen Blick auf das Brautkleid erhaschen können, das am Morgen geliefert worden war. Sonny gab sich betont gelassen, doch selbst Freya, die an diesem Tag besonders angespannt war, musste vergnügt lächeln, als sie ihn in einem dunklen Anzug mit Weste und eisblauer Seidenkrawatte auftauchen sah. Bisher hatte sie ihn nur in Jeans und T-Shirt zu Gesicht bekommen.
Fredo hatte sich noch nicht blicken lassen. Er musste sich in Enricos Nähe aufhalten, wo auch immer das gerade war.
Cindy war eingetroffen, als Freya gerade ein entspannendes Bad nahm, um sich von einer weiteren schlaflosen Nacht zu erholen. Und plötzlich war der Morgen vorbei. In einer halben Stunde wurden sie in der Kirche erwartet.
Cindy trat einen Schritt zurück und betrachtete Freyas Spiegelbild. „Du siehst fantastisch aus“, sagte sie bewundernd und verträumt zugleich. Sie war unheilbar romantisch.
Vielleicht sollte ich ihr nacheifern, dachte Freya. Immerhin blickte ihr eine Braut aus dem Spiegel entgegen, die alles getan hatte, um eine romantische Hochzeit zu erleben.
Enrico hatte sich eine traditionelle Hochzeit gewünscht und am Morgen noch einen Beitrag dazu geleistet. Freya hatte ein kleines Päckchen erhalten. Als sie es behutsam auspackte, fand sie eine zarte Goldkette mit einem Anhänger aus zwei ineinander verschlungenen Herzen, die mit Brillanten besetzt waren. Auf der beiliegenden Karte standen nur zwei Worte: „Sei da.“ War das nun ein Befehl oder eine Drohung?
Freya betrachtete den Anhänger und wurde noch aufgeregter.
„Du bist ein richtiger Glückspilz“, sagte Cindy leise. „Gleich wirst du deinen Traummann heiraten, und er ist so romantisch.“
„Sprichst du von dem Börsenhai mit den scharfen Zähnen?“
Cindy lachte. „Gib doch zu, dass du bis über beide Ohren in ihn verliebt bist. Mir machst du nichts vor. Fühlst du dich nicht wie im Märchen?“
Allerdings, dachte Freya. „Gleich kommt die Fee mit einer Kürbiskutsche und sechs tänzelnden Schimmeln“, witzelte sie.
Stattdessen erschienen Sonny und ein Chauffeur, der sie in einem schwarzen Bentley zur Kirche fahren sollte.
Vor dem Haus hatte sich eine größere Zahl von Paparazzi eingefunden, die es gar nicht erwarten konnte, Fotos zu machen. Sonny und der Chauffeur hielten die Leute zurück, damit Freya und Cindy in die Limousine steigen konnten.
Die kleine alte Kapelle, die sie wenig später erreichten, wirkte zwischen den modernen Bauten etwas verloren, doch das war gerade das Reizvolle an London, wo alt und neu kunterbunt gemischt war.
Fünf Stufen führten zum Portal hoch. Dort wartete Lissa mit dem aufgeregten Nicky, der zu Hose und Oberhemd eine eisblaue Krawatte trug – wie Sonny. Trotz seiner zwei Jahre wirkte er so erwachsen, dass in Freyas Augen plötzlich Tränen der Rührung und Wehmut schimmerten.
In diesem Moment begann die Orgel zu spielen, und Freya vergaß alles um sich her. Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Jetzt musste sie sich entscheiden: Sollte sie Nicky auf den Arm nehmen und mit ihm aus der Kirche stürzen, oder sollte sie …?
„Bist du so weit, Herzchen?“, fragte in diesem Moment jemand leise.
Sie sah auf und entdeckte Sonny, der sie ernst ansah und gleichzeitig den Ausgang versperrte. Offensichtlich wusste er genau, was in ihr vorging. Vermutlich wusste auch Fredo Bescheid.
Freya befeuchtete sich die Lippen. „Ich kann nicht …“
„Oh doch, du kannst“, widersprach Sonny nun energisch. Dann neigte er den Kopf und flüsterte ihr ins Ohr: „Vertrau ihm, cara.“
Immer wieder ging es um Vertrauen!
Und dann spürte sie, wie eine kleine Hand sich in ihre schob – wie aufs Stichwort. „Komm, Mummy“, sagte Nicky ungeduldig. „Wir müssen jetzt los und Daddy heiraten.“
Daddy heiraten, wiederholte sie lautlos. Ob der Kleine überhaupt wusste, was das bedeutete? Spielte es überhaupt eine Rolle für ihn? Sie war seine Mummy und Enrico sein Daddy und Fredo, Sonny und Lissa seine besten Freunde. Sie gehörten alle zu ihm. Also musste sie sich jetzt ein Herz fassen und diese Zusammengehörigkeit auch legalisieren. Das war sie ihrem Sohn schuldig.
Sie ließ sich von Nicky durch den Vorraum ziehen, nachdem Cindy die Schleppe gerichtet hatte. Ich darf jetzt gar nicht daran denken, was Luca uns antun könnte, dachte Freya und schritt an Nickys Seite auf den Altar zu. Enrico wartete dort bereits in einem dunklen Anzug.
Erst jetzt bemerkte sie, dass die Kirche voll besetzt war. Bei näherem Hinsehen entdeckte sie Enricos unzählige Verwandte auf einer Seite, die sie teils lächelnd, teils neugierig, teils mit arroganter Miene betrachteten. Auf der anderen Seite schien sich die gesamte Belegschaft von Hannard versammelt zu haben. Einige ihrer ehemaligen Kolleginnen wirkten genauso verträumt wie Cindy.
Enrico musste alle eingeladen haben, ohne ihr auch nur ein Wort davon zu sagen. Dabei hatte er doch damit rechnen müssen, dass die Braut einfach Reißaus nehmen würde.
Oder glaubte er, beim Anblick all dieser vertrauten Gesichter würde sie es nicht wagen, ihn vorm Traualtar stehen zu lassen?
In diesem Moment fing sie Enricos Blick auf und hielt inne. Er sah einfach fantastisch aus in seinem eleganten Dreiteiler mit eisblauer Krawatte. Er wirkte blasser als sonst, als er ihr ernst entgegensah.
Enrico war ebenfalls hingerissen. Freyas Kleid war umwerfend: eine romantische Kreation aus Seide und feinster alter Spitze. Das Haar trug sie offen unter einem Spitzenschleier, der von einem mit Perlen besetzten Krönchen gehalten wurde. Seine Braut war wirklich von überirdischer Schönheit! Nur Freyas bleiches Gesicht verriet, wie angespannt sie war.
Würde sie ihn stehen lassen? Enrico hatte das Gefühl, als würde ihm das Herz herausgerissen. Die Orgel spielte, während Freya auf halbem Weg zum Altar verharrte. Sein jüngerer Bruder wurde nervös. Valentino kannte Freya nicht. Er hatte drei Jahre lang in den USA studiert. Jetzt fragte er leise: „Gütiger Himmel! Ist sie echt, Rico?“
Das frage ich mich auch gerade, dachte Enrico angespannt.
„Daddy!“ Die Gäste amüsierten sich königlich, als Nicolo, der kleine Brautführer, sich plötzlich losriss, zu seinem Vater lief, seine Hand nahm und zu seinem Vater aufsah. Doch Enrico hatte nur Augen für seine Braut. Würde sie ihn tatsächlich vor all diesen Menschen bloßstellen?
Komm sofort her, versuchte er sie zu beschwören. Steh nicht einfach so da, und sieh mich nicht so an, als wäre ich schon tot.
Freya hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als ihr Vater und Sohn entgegenblickten.
Jetzt ergriff Cindy die Initiative. Sie schien ein feines Gespür für Freyas Probleme zu haben. „Sie gehören zu dir“, flüsterte sie. „Geh zu ihnen.“
Wie in Trance gehorchte Freya und setzte einen Fuß vor den anderen. Enrico schien nervös zu sein, die Musik spielte noch, und die Menschen unterhielten sich leise. Als sie näher kam, trat Fredo vor und nahm Nicky auf den Arm.
Und dann stand sie tatsächlich mit Enrico vor dem Geistlichen. Voller Anspannung lauschte Enrico jedem ihrer Worte. Noch konnte sie Nein sagen.
Doch dann war die Trauformel gesprochen, und alles war gut gegangen. Enrico atmete erleichtert auf. Jetzt mussten nur noch die Unterschriften geleistet werden, dann waren sie wirklich Mann und Frau.
Valentino stellte sich Freya vor und hieß sie – mit typischem Ranieri-Charme – in der Familie willkommen. Enrico wurde richtig eifersüchtig, als sie seinem Bruder herzlich zulächelte, wohingegen sie ihn links liegen ließ.
Er beobachtete, wie sie den Blick über die vielen Mitglieder der Ranieri-Familie gleiten ließ, als sie an seinem Arm den Mittelgang entlangschritt. Offensichtlich befürchtete sie, Luca könnte jeden Moment aufspringen und einen Skandal verursachen.
Ich hätte sie diesem Stress niemals aussetzen dürfen, dachte Enrico, der sich über sich ärgerte. Wie hatte er nur so mit ihren Gefühlen spielen können?
Vor dem Portal wartete die Presse bereits darauf, Schnappschüsse zu machen. Das Brautpaar ließ sich bereitwillig auf den Stufen knipsen – mit einem strahlenden Nicky in der Mitte.
Cindy unterhielt sich angeregt mit Valentino. Doch Freya wirkte noch immer angespannt.
Je eher wir von hier verschwinden, desto besser, dachte Enrico und sah sich nach Fredo um, der sich um Nicky kümmern sollte. Plötzlich entdeckte er auf der anderen Straßenseite eine Person mit rotem Haar.
Dieser Mistkerl, dachte er. Luca hatte der Versuchung also nicht widerstehen können. Trotz ihrer Vereinbarung, war er hergekommen und versuchte offensichtlich, Schwierigkeiten zu machen.
Enrico bückte sich, nahm Nicky auf den Arm, legte den anderen Freya um die schmale Taille und begann, schnell die Stufen hinunterzugehen. Vor der Kirche stand der Bentley bereit, in dem die kleine Familie Platz nahm.
Der Chauffeur folgte Enricos kurzer Anweisung und fuhr los. Enrico hielt Nicolo fest, so gut es ging. Leider gab es im Bentley keinen Kindersitz. Merkwürdigerweise ließ Freya diesen Umstand unkommentiert. Auf der kurzen Fahrt zum Country Club sprachen sie kein Wort miteinander. Nur Nicky plapperte die ganze Zeit.
Als sie den Club betraten, wandte sich Enrico an Freya: „Freya …“
„Ich habe sie gesehen“, antwortete sie kurz angebunden und verschwand im Waschraum.
Diese Gelegenheit ergriff Nicky, um wegzulaufen. Doch Enrico fing ihn wieder ein. Und dann trafen auch schon die ersten Gäste ein und fragten verwundert, wo denn die Braut geblieben sei. Enrico beruhigte sie mit scherzhaften Bemerkungen über seine plötzlich verschwundene Frau.
Schließlich tauchte Freya neben ihm auf. Schnell nahm er ihre Hand und ließ sie nicht wieder los, bis alle Gäste begrüßt worden waren.
Freya überstand die Begrüßungszeremonie. Auch das anschließende Essen verlief ohne Zwischenfälle. Immer wieder ließ sie den Blick über die vielen Menschen gleiten. Sie befürchtete, der Rotschopf oder – schlimmer noch – der dunkelhaarige Luca selbst könnte wieder auftauchen. Dann wurde ihr plötzlich bewusst, dass Nicky nirgends zu sehen war, und sie bekam schreckliche Angst um ihren Sohn. Nach einem kurzen Blick auf Lissa rannte sie aus dem Saal und hinaus in den weitläufigen Garten. Enrico hatte die Szene aus den Augenwinkeln beobachtet, fluchte unterdrückt und folgte seiner Frau. Ihm war klar, dass es nur um Nicky gehen konnte, wenn Freya so heftig reagierte.
Auf den Terrassenstufen verlor Freya ihre Schuhe. Jetzt hatte sie den Rasen erreicht, der an einen Golfplatz grenzte. Dort hockte Luca vor Nicky, der gerade nach dem Fußball griff, den Lissa ihm mitgebracht hatte.
Der Schleier hatte sich aus Freyas Haar gelöst und wehte im Wind, bis er auf dem Rasen landete.
Enrico, der fast über ihre Schuhe gestolpert wäre, hastete über den gepflegten Rasen. „Bleib stehen, Freya!“, rief er.
Doch Freya hörte nicht auf ihn. Sie musste mit aller Macht verhindern, dass Luca ihren Sohn entführte!
In diesem Moment drehte der Mann sich um und sah sie entsetzt an, als sie sich auf ihn stürzte und zu Boden warf.
Nicky, der das Ganze für ein neues Spiel hielt, lachte begeistert, bis Enrico sie erreichte und Freya von dem anderen Mann wegzog.
„Schluss jetzt“, fuhr er sie an, als sie versuchte, ihn abzuschütteln. „Beruhige dich, cara, das ist doch Valentino.“
Sie hielt sofort inne und sah Enrico aus schreckgeweiteten Augen an. Sie war völlig außer Atem, und am liebsten hätte Enrico sie an sich gezogen und geküsst.
Freya verstand die Welt nicht mehr, während Nicky sich noch immer ausschüttete vor Lachen. „Du …, du bist ja gar nicht Luca“, sagte sie schließlich leise.
„Zum Glück nicht. Hast du das etwa gedacht?“
„Er …, er …“
„Sie sorgt sich sehr um unseren Sohn, Tino. Vielleicht hättest du Bescheid sagen sollen, dass du mit ihm Fußball spielen gehst.“
„Ich habe doch sein Kindermädchen um Erlaubnis gefragt.“ Valentino stand auf und machte dabei eine ebenso gute Figur wie sein Bruder, dem er verblüffend ähnlich sah.
„Es tut mir schrecklich leid“, sagte Freya verlegen.
„Schon gut.“ Valentino lächelte frech. „Eigentlich hat es mir ganz gut gefallen, von der Braut meines Bruders umgeworfen zu werden.“
Enrico fand das jedoch nicht so witzig. Er hielt Freya fest im Griff und bedeutete Valentino, woanders mit Nicky zu spielen.
„Lass uns wieder Fußball spielen“, forderte Nicky Valentino auf, als er ihn forttrug.
„Klar, machen wir. Aber wir müssen uns ein Plätzchen suchen, wo deine Mummy dich nicht findet. Sonst will sie wieder mitspielen.“
Freya lachte, doch es klang nicht sehr fröhlich.
Enrico war dagegen ernst geblieben, denn ihm war bewusst, dass die vielen Gäste dem Schauspiel von der Terrasse aus zugesehen hatten.
„Wollen wir denen jetzt mal was Richtiges bieten?“, fragte er Freya. „Ich könnte dich übers Knie legen und versohlen. Dann halten die uns wenigstens beide für verrückt.“
„Du weißt ja gar nicht, warum …?“
Enrico wusste es sehr wohl.
„Von Weitem sah er wie Luca aus.“
„Du beleidigst meinen kleinen Bruder.“
„Er war bei Nicky, und nachdem ich die Rothaarige vor der Kirche gesehen hatte …“
„Und ich dachte immer, du hast Adleraugen. Dabei bist du blind wie ein Maulwurf.“
„Sei nicht so gemein. Jeder kann sich mal irren.“
„Wenn du glaubst, die Rothaarige und Luca seien zwei verschiedene Personen, dann irrst du dich, cara.“
Freya sah ihn erstaunt an.
„Was hast du gerade gesagt?“
„Nichts“, behauptete er.
„Aber du …“
„Nicht hier.“
„Doch, genau hier.“
„Willst du dich wirklich hier mitten auf dem Rasen vor allen Leuten mit mir streiten? Sollen alle zusehen, wie ich mich mit dir im Gras wälze?“
Freya wich einen Schritt zurück, und ihr wunderschönes Haar wehte in der warmen Sommerbrise. „Du sagst mir jetzt sofort, was du damit gemeint hast.“
„Du kleine grünäugige Hexe!“ Er umfasste ihre Taille, hob Freya hoch und küsste sie verlangend. Danach sehnte er sich schon seit Tagen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass Freya seinen Kuss voller Leidenschaft erwidern würde.
Wieso wunderte ihn das eigentlich? Schließlich reagierte sie immer so auf seine Küsse.
Er beendete den Kuss. „Dies ist nicht der richtige Ort“, stieß er mit kaum verhohlener Leidenschaft hervor.
„Okay“, sagte sie nur.
Das war alles? Kein Widerspruch? Enrico musste sich sehr zusammennehmen, denn am liebsten hätte er sie tatsächlich hier mitten auf dem Rasen genommen, so sehr begehrte er sie.
Stattdessen setzte er sie ab, umfasste ihre Hand und kehrte mit Freya zum Clubhaus zurück.
Freya hatte keine Lust, den Hochzeitsgästen unter die Augen zu treten. Als Enrico sich bückte, um den Schleier aufzuheben, hätte sie sich am liebsten dahinter versteckt. Kurz darauf hielt er ihr die Schuhe hin, in die sie verlegen schlüpfte. Dann durchquerte er mit ihr den Saal und verließ das Clubhaus durch den Vordereingang, wo der Bentley bereitstand. Enrico schickte den Chauffeur weg und setzte sich selbst ans Steuer. Offensichtlich konnte er es kaum erwarten, Freya für sich zu haben. Und sie sehnte sich ebenfalls danach, in seinen Armen zu liegen.
„Wohin fahren wir?“, fragte sie schließlich.
„Nach Hause.“
„Und was ist mit Nicky?“
Enrico schwieg und schaltete das Radio ein, aus dem laute Rockmusik ertönte.
Sie wusste, dass er jetzt nicht an Nicky denken wollte, sondern nur an seine Frau. Langsam schien Freya aus ihrer Trance zu erwachen. Bildete Enrico sich wirklich ein, sie würde mit ihm schlafen, während Luca Ranieri noch irgendwo herumlungerte und seinen Schatten über sie warf?
Als der Wagen vor der Villa in Mayfair hielt und Enrico den Motor ausstellte, kam Leben in Freya. „Wenn du glaubst, ich gehe da jetzt mit dir rein …“
Enrico stieg jedoch einfach aus und hielt Freya die Tür auf. Mit dem Schleier in der Hand, stieg sie aus und ging aufs Haus zu. Dort wartete sie, bis er die Tür aufgeschlossen hatte, und wollte gerade an ihm vorbeigehen, als er sie hochhob und über die Schwelle trug. „Das ist nun mal so Tradition“, meinte er und stieß die Tür mit der Schulter zu.
„Du und deine Traditionen.“ Freya verzog das Gesicht. „Du kannst mich jetzt absetzen.“
„Das könnte dir so passen.“ Er ging bereits die Treppe hinauf und stellte Freya wenig später im Schlafzimmer auf die Füße. Nun war sie doch enttäuscht, dass er sie nicht aufs Bett gelegt hatte, doch sie ließ sich nichts anmerken.
„Bitte erklär mir jetzt, was du vorhin über Luca gesagt hast“, bat sie unnachgiebig.
Enrico wusste genau, dass sie es gar nicht erwarten konnte, eins mit ihm zu sein. Ihr sehnsüchtiger Blick hatte es verraten. Doch er konnte warten. Er zog einen Umschlag aus dem Jackett und reichte ihn ihr, bevor er zur Kommode ging.
„Was ist das?“
„Mach ihn auf, dann siehst du es“, forderte er sie auf.
Freya war ganz ruhig geworden.
„Was siehst du, cara?“, fragte er schließlich.
„Ich kann das nicht glauben“, sagte sie leise.
„So habe ich auch reagiert, als ich es in seiner Hotelsuite mit eigenen Augen gesehen habe.“
Sie blickte auf. „Du bist da einfach so reinspaziert?“
„Luca hat es sich immer leicht gemacht. Der Name ‚Ranieri‘ öffnet Tür und Tor und den Zugang zu teuren Hotels. Der Mann hat mich schon Unsummen gekostet. Die Familie hat ihn zwar verstoßen, aber ich habe seitdem seine Rechnungen bezahlt. Das Hotel, in dem er abgestiegen ist, gehört mir. Es war also kein Problem, mir Zugang zu seiner Suite zu verschaffen.“
„Und du hast ihn so angetroffen?“
„Genau.“
Erneut betrachtete sie das Foto, das Luca mit rothaariger Perücke, sorgfältigem Make-up und in einem sexy schwarzen Kleid zeigte.
„Ich habe die Aufnahmen mit dem Handy gemacht, bevor er sich von dem Schock erholen konnte, mich zu sehen“, erklärte Enrico. „Übrigens ist er nicht schwul, er verkleidet sich nur gern als Frau. Seine derzeitige Freundin findet es aufregend. Weniger erfreut ist sie allerdings darüber, wie viel Geld Luca zum Fenster rauswirft. Als unsere Heiratsanzeige in der Zeitung stand, hat er sich gedacht, ich könnte seine neue Einkommensquelle werden – wie du es vorausgesehen hast.“
„Er hat dich erpresst.“
„Ja. Er ist als rothaarige Schönheit aufgetreten. Eigentlich war er schon immer ziemlich verrückt.“
„Wusstest du von seiner Vorliebe?“
Enrico schüttelte den Kopf. „Nein, auch die Familie hat keine Ahnung. Deshalb konnte ich den Spieß umdrehen und ihm drohen, der Familie sein kleines Geheimnis zu verraten. Vor dem Zorn der Ranieris hat er nämlich wirklich Angst.“
„Trotzdem ist er als Rotschopf verkleidet vor der Kirche in Anwesenheit der versammelten Ranieris aufgetaucht.“
„Ja, obwohl ich seine Schulden bezahlt und ihm Geld gegeben habe. Er hasst mich, weil ich alles habe, was für ihn unerreichbar ist. Jedenfalls wollte er mir durch seine Anwesenheit offensichtlich zu verstehen geben, dass er sich selbst ‚outen‘ könnte. Dann hätte ich nichts mehr gegen ihn in der Hand.“
Da war aber noch etwas. „Glaubst du immer noch seine Version von dem Vorfall vor drei Jahren?“
„Bist du verrückt?“ Enrico fing ihren verletzten Blick auf. „Selbstverständlich habe ich ihm kein Wort geglaubt.“
„Und wieso hast du mich so lange in dem Glauben gelassen?“
„Hier …, fang auf!“
Freya ließ das Foto fallen, um die DVD-Hülle aufzufangen.
„Das ist dein Hochzeitsgeschenk, cara. Ich bin gern auf alles vorbereitet. Deshalb habe ich Lucas Geständnis mit meinem Handy aufgezeichnet. Ich habe es später auf DVD aufgezeichnet. Eigentlich wollte ich dir auch eine gedruckte Version im Rahmen überreichen, aber ich habe es mir anders überlegt, weil ich Angst hatte, du würdest sie aufhängen und jeder könnte lesen, was für ein überempfindlicher Idiot ich bin.“
„Wieso überempfindlich?“, fragte Freya verwirrt.
Er lächelte reumütig. „Na ja, ich hatte Angst, man könnte mich verachten, weil ich so hin und weg von dir war und dir hilflos ausgeliefert war.“
„Deshalb wolltest du seine Version glauben.“
„Ich war wie Wachs in deinen Händen, und das hat mir Angst gemacht.“
„Du bleibst, wo du bist, bis wir das ausdiskutiert haben“, befahl Freya energisch, als er näher kommen wollte.
„Ich hatte Angst, mich zu binden.“
„Und da kam es dir gerade recht, zu glauben, ich würde dich betrügen.“
Enrico war mit zwei Schritten bei ihr, hob sie hoch und blickte ihr voller Verlangen in die Augen. „Ich liebe dich über alles, Freya“, sagte er leise.
„Und damit, meinst du also, sei alles wieder gut, oder?“ Freya ließ sich nicht anmerken, wie überglücklich sie dieses Geständnis machte.
„Kannst du nicht etwas nachsichtiger mit mir sein?“, fragte Enrico und stöhnte.
„Nein, du bist erregt“, sagte sie gespielt angewidert.
„Als wüsste ich das nicht selbst.“
„Du bist verrückt, wenn du glaubst, dass ich …“
„Ich habe dich geheiratet, weil ich verrückt bin. Völlig verrückt nach dir vor lauter Liebe. Und weil ich Angst hatte, dich wieder zu verlieren, wie vor drei Jahren, als ich zu blind war, die Wahrheit zu erkennen.“
„Aber jetzt hat er dir ja die Wahrheit gesagt.“
„Nein, das warst du. Du hast mir die Augen geöffnet.“
Freya wollte widersprechen, doch Enrico verschloss ihr die Lippen mit einem Kuss, den Freya voller Leidenschaft erwiderte.
„Wir reden später weiter“, flüsterte Enrico an ihrem Mund, bevor er sie mit ungezügeltem Verlangen weiterküsste.
„Okay“, antwortete sie leise und schmiegte sich an den Mann, den sie über alles liebte.
„Du steckst voller Widersprüche“, stieß er hervor und setzte sie vor dem Bett ab, bevor er begann, sich auszuziehen.
„Lass mich das machen“, sagte sie, weil es ihr Spaß machte, ihn zu entkleiden. Das war ihr schönstes Hochzeitsgeschenk, und sie wollte es selbst auspacken. Ihr Mann, jetzt gehörte er ganz ihr. Der Ehering bewies es. Freya lachte glücklich.
Enrico machte eine nicht sehr charmante Bemerkung über Frauen, die einen Mann hinhielten, und drängte Freya aufs Bett, bevor er zu ihr kam.
Ohne Rücksicht auf ihr kostbares Kleid begann er, daran herumzuziehen, um es ihr abzustreifen. Doch so einfach ging das nicht.
Ich hätte auch in Lumpen heiraten können, dachte Freya, kniete sich hin und wandte Enrico den Rücken zu, damit er die vielen kleinen Knöpfe des Hochzeitskleides öffnen konnte. Gleichzeitig zog sie ihm Schuhe und Strümpfe aus.
„Besonders raffiniert stellst du es aber nicht gerade an“, beklagte sie sich. „Immerhin ist dies meine Hochzeitsnacht.“
„Die Raffinesse heben wir uns für später auf“, versprach er, als er ihr das Kleid endlich ausziehen konnte. Darunter trug sie nur einen sexy Spitzen-BH und einen String.
Besitzergreifend legte er ihr die Hände auf den Po, bevor er die Lippen spielerisch darübergleiten ließ. Freya erschauerte vor Erregung und zog Enrico die Hose und den Slip aus.
Endlich hielten sie einander leidenschaftlich in den Armen. So wild und besessen hatten sie einander noch nie umarmt. Die Spannung, die sich in den vergangenen Tagen aufgebaut hatte, entlud sich nun.
„Ich liebe dich so sehr“, sagte Freya schließlich verträumt.
Enrico hatte sich über sie gebeugt und sah ihr tief in die Augen. Ja, er konnte es in ihren wunderschönen grünen Augen lesen, dass sie ihn liebte. So hatte sie ihn vor drei Jahren angeschaut.
„Ich verdiene dich gar nicht“, sagte er rau.
„Ich weiß.“ Freya lächelte frech. „Du hast vielleicht ein Glück. Wenn ich mich sehr anstrenge, höre ich vielleicht auch von dir, dass du mich liebst.“
Enrico strahlte. „Wenn du hier und da auf die richtigen Knöpfe drückst, können wir gern darüber reden.“
„So, so“, antwortete sie und nahm die Herausforderung an. „Wie wäre es zum Beispiel mit diesem Knopf hier …?“
„Du kleine grünäugige Hexe! Was machst du nur mit mir?“ Enrico stöhnte. Ja, das ist gut, mach weiter …“
– ENDE –