5. KAPITEL

Ungläubig sah Cristina ihn an. „Du machst mir einen Heiratsantrag?“ Sie brachte die Worte kaum über die Lippen.

Antons Züge wurden hart, es strahlte eine Eiseskälte aus. „Um es deutlich festzuhalten, Cristina … Das ist kein Heiratsantrag, sondern ein Geschäftsabkommen. Ich brauche eine Ehefrau“, wiederholte er, „du entsprichst dem Bild. Du bist jung, man kann mit dir repräsentieren, und du bist immer noch begehrenswert.“

„Selbst als gebrauchte Ware?“

„So ist es.“ Er nickte. „Denk daran … du brauchst mein Geld mehr als ich dich.“

„Wieso brauchst du eine Frau?“

„Das geht nur mich etwas an.“

„Ah, du willst also eine stille, diskrete Frau.“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Mir ist klar, dass ich mit dir in dieser Hinsicht ein Risiko eingehe.“ Er lächelte dünn.

„Warum überträgst du nicht deiner Assistentin die Rolle?“

„Sie erfüllt die Anforderungen nicht.“

„Aber sie würde mit Sicherheit nicht Nein sagen.“

„Soll das heißen, du denkst daran abzulehnen?“

Cristina war zu sehr damit beschäftigt, die Neuigkeit zu verdauen, als dass sie etwas hätte sagen können.

„Nun, wahrscheinlich lässt du lieber Kinsella meine Liebkosungen ertragen, als sie selbst noch einmal ertragen zu müssen.“

Das gab den Ausschlag. „Ich habe nie behauptet, kein einziges Mal, dass ich nicht gern mit dir geschlafen hätte, Luis!“, begehrte sie hitzig auf. „Und hör endlich auf damit, mir meine Worte von vor sechs Jahren zu zitieren!“

„Harte Worte, Cristina. Grausame Worte von einer stolzen Marques.“

„Wie du ja schon selbst bemerktest, es liegt kein Stolz mehr darin, eine Marques zu sein.“ Sie holte tief Luft. „Der Name wie auch mein Ruf sind ruiniert. Hältst du mich für so dumm, dass ich es ohne deine Hilfe nicht bemerkt hätte?“

„Dann muss ich dich wohl um Entschuldigung bitten.“

Sie sagte nichts, wandte den Blick ins Leere. Eine Entschuldigung hatte nur Wert, wenn man bereute. „Darf ich fragen, wie du dir meine Rolle als Ehefrau vorstellst?“

„Natürlich darfst du“, sagte er so glatt, dass es wie ein Schlag ins Gesicht war. Er saß da, völlig entspannt, während sie mit aller Kraft um ihre Haltung ringen musste und Angst hatte vor dem, was als Nächstes kommen würde. „Deine Rolle wird die einer jeden anderen Ehefrau sein. Du wirst dich um das Heim kümmern, wirst Gastgeberin sein und das Bett mit mir teilen. Wirst mir zu Willen sein, wann immer ich es wünsche.“ Er richtete sich auf, damit er ihr ins Gesicht sehen und ihre Reaktion genau verfolgen konnte. „Einen Haken hat das Ganze allerdings. Wir, das heißt du und ich, werden uns bemühen müssen, so schnell wie möglich eine Schwangerschaft herbeizuführen. Du musst innerhalb weniger Monate schwanger sein.“

Fasziniert beobachtete er sie. Es war, als hätte er ihr ein Messer ins Herz gestoßen. „Ist das zu viel verlangt?“, hakte er nach. Und als sie nicht antwortete: „Willst du immer noch deinen perfekten Körper um jeden Preis bewahren? Oder hegst du tatsächlich die alten Skrupel, weil sich mein halb englisches Blut mit deinem portugiesischen vermischen würde?“

Cristina stand wortlos auf, zögernd, langsam, wie ein Zombie. Drehte sich um und ging auf die Tür zu, ließ Anton sitzen, einfach so.

Sie tat es ihm schon wieder an! Wut kochte in ihm auf, er sprang auf die Füße. „Wie ich sehe, haben wir gerade die Grenze ausgemacht“, rief er ihr nach. „Und noch etwas, Cristina … Sobald du die Hand auf die Türklinke legst, ist unser Deal gestorben!“

Sie blieb stehen, zitternd am ganzen Körper. „Ich hasse dich, Luis“, flüsterte sie.

„Das betrübt mich wahrlich zu Tode, querida“, spottete er. „Also, was ist? Gehst du oder bleibst du?“

Sie wirbelte zu ihm herum. „Wozu bleiben? Damit du dich rächen kannst, weil ich dein ach so wertvolles Ego einst zerstört habe?“

„Zerstört? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.“

„Ich habe es in Grund und Boden verdammt“, stieß sie hervor. „Ich habe es mit Füßen getreten! Willst du mehr davon, querido? Sehnst du dich danach, diese Zurückweisung noch einmal zu durchleben?“

„Weise mich zurück, geh durch diese Tür“, forderte er sie auf. „Wer weiß, vielleicht findet sich ja noch ein verknöcherter alter Kerl, der sich Zugang zu deinem perfekten Körper kaufen kann.“

Sie stürzte auf ihn zu. Es überraschte ihn nicht. Seit sie eingetreten war, hatte er es darauf angelegt, hatte sie bewusst provoziert. Das unansehnliche Kostüm, die strenge Frisur – davon ließ er sich nicht täuschen. Es war eine Verkleidung, dazu gedacht, die echte Cristina zu verstecken. Doch jetzt war sie zum Vorschein gekommen, und er würde sicherstellen, dass sie den Weg zurück hinter diese Fassade nicht fand.

Er fing sie mit seinen Armen auf und hob sie hoch. Ihre Gesichter waren auf gleicher Höhe, ihres weiß vor Wut, seines wie aus Stein gemeißelt. Sie schlug mit den Fäusten nach ihm. Er lachte laut auf und ließ die Zunge über ihren Mund gleiten.

Es war, als wäre die Hölle losgebrochen durch diese eine Geste. Cristina stieß ein Wimmern aus und begann zu zittern. Ihr Widerstand erlahmte, als Luis die Geste wiederholte, sie zu einem gierigen Kuss werden ließ.

Während er mit ihr in den Armen weiterging, schob sie die Finger in sein Haar. Um seinen Kopf fortzuziehen? Nein, nicht diese Frau. Diese Frau hielt seinen Kopf fest, um den Kuss zu vertiefen. Schließlich wusste er, wie er sie erregen konnte, sie so weit brachte, dass sie ganz allein ihm gehörte!

Irgendwie schaffte er es, stolpernd und strauchelnd durch die Tür in seine private Suite zu gelangen. Auf dem Weg zum Schlafzimmer, ohne die Lippen von ihren zu lösen, schob er ihr die Kostümjacke von den Schultern, zog den Reißverschluss des viel zu großen Rockes auf, sodass der Stoff an ihren Beinen hinunterglitt. Als Nächstes folgte ihre Frisur. Haarnadeln wurden herausgezogen und achtlos zu Boden geworfen, die befreite Mähne glitt seidig über seine Finger. Cristina streifte ihm voller Ungeduld das Jackett von den Schultern, schlang die Beine um seine Hüften, sog seine Unterlippe zwischen ihre Zähne und biss zu.

Es tat weh. Als er zusammenzuckte, biss sie erneut zu. Als er den Kopf zurückziehen wollte, hielt sie ihn mit beiden Händen fest und presste gierig ihre Lippen auf seinen Mund.

Sie war wild, hemmungslos und absolut losgelöst. Er liebte es. Unbändiges Verlangen schoss in ihm auf, als er instinktiv den Weg zum Schlafzimmer fand. Cristina klammerte sich an ihn, rieb sich lüstern an dem Beweis seiner Erregung. Er umfasste ihren Po mit beiden Händen und legte sie aufs Bett, ließ sich auf sie fallen und stützte sich auf beide Arme, um sie betrachten zu können. Ihr Atem ging heftig, ihre Augen waren halb geschlossen.

„Gehst du oder bleibst du?“, fragte er sie noch einmal. Der Unterschied zwischen seiner eiskalten Stimme und seinem heißen Körper war so gravierend, dass es Cristina einige Sekunden kostete, ehe sie begriff, was er meinte.

„Du wolltest doch dein sexuelles Vergnügen.“

„Ich will mehr als das. Ich will deine undankbare, habgierige Seele in Geschenkpapier und mit Schleife von dir überreicht bekommen, mit der Garantie, dass sie auf ewig mir gehört.“

Cristina suchte in den harten Zügen nach etwas, das ihr einen Funken Hoffnung geben würde, fand jedoch nichts. „Du wirst es bereuen“, sagte sie ehrlich.

„Du bleibst also?“

„Du wirst mich wieder hassen lernen.“

„Du bist nicht hier, weil ich dich anbete, querida, sondern weil ich dich noch immer begehre.“

Es sollte schmerzen, diese Worte aus seinem Mund zu hören, doch warum? Sie hatte nicht mehr verdient, als er ihr anbot. „In deinem Bett? Als deine willige, gehorsame Gespielin?“

„Ja.“

„Das kannst du auch ohne Heirat haben.“

„Das hatte ich bereits. Gefiel mir nicht. Dieses Mal also mit Trauschein. Das gehört zur Abmachung.“

Wie auch das Baby? Am liebsten hätte sie sich an seiner Schulter ausgeweint, aber sie tat es nicht. „Und das Geschenkpapier?“

„Ist die Heiratsurkunde. Ich lasse mich auf keine Kompromisse ein“, warnte er heiser.

Entweder oder. Nimm den Mann, wenn du weißt, dass du es besser lassen solltest. Ertrage, was er dir im Namen der Rache antun wird, wenn du genau weißt, dass du gehen musst. Wieder. Irgendwann.

„Also, bleibst du oder gehst du?“, fragte er ein drittes Mal.

Sie antwortete nicht, sah ihn nur mit so traurigen Augen an, dass er meinte, ein enger Ring würde sich um seine Brust legen, der ihn gefährlich an Angst erinnerte. Anton wollte nicht wieder Cristinas Macht erliegen, er wollte sie in seiner Macht haben.

„Antworte endlich, oder geh“, verlangte er.

Sie legte ihm die Arme um den Nacken und zog seinen Kopf zu sich herunter, um ihn zu küssen.

War das eine Antwort? Er nahm es als eine solche hin. In dem Augenblick, als er ihre Zunge in seiner Mundhöhle fühlte, hatte er sowieso keine Wahl mehr. Sie schlang die Beine um seine Hüften, besitzergreifend, sinnlich, so wie er es von früher kannte, und mit einem ergebenen Aufstöhnen ließ er sich in die wilde Erfahrung fallen, die Cristina Marques ihm bot.

Es war wie eine Wiederentdeckung, heiß und fiebrig und hemmungslos. Sechs Jahre waren eine lange Zeit, wenn man unter Entbehrung litt. Jetzt schenkten sie sich gegenseitig die ersehnte Erfüllung. Die Welt hätte untergehen können, weder hätten sie es bemerkt, noch hätte es sie interessiert.

So hörten sie auch nicht die leisen Schritte, die durch das Wohnzimmer kamen. Sie hatten vergessen, dass sie die Tür vom Konferenzraum zur Suite hatten offen stehen lassen.

Kinsella Lane stand hinter der offenen Schlafzimmertür. Schon eine ganze Weile beobachtete sie die Szene, wie ein Voyeur, lauschte auf jedes Wort, das gesprochen wurde. In ihren blauen Augen funkelte blanker Hass.

Sie wollte Anton, hatte ihn vom ersten Augenblick an gewollt, als sie als Juniorsekretärin bei der Scott-Lee-Bank angefangen hatte, ein Rang, der natürlich viel zu niedrig gewesen war, als dass sie ihm überhaupt aufgefallen wäre. Also hatte sie sich zäh und zielstrebig hochgearbeitet, bis hinauf in seinen exklusiven Mitarbeiterstab. Sie hatte seine Frauen genauestens studiert. Er bevorzugte Blondinen, also war sie blond geworden. Er mochte seine Frauen schlank, elegant und weltgewandt, also hatte sie auf Eleganz geachtet und Gewandtheit geübt. Sie hatte sich perfektioniert, um genau dem Bild seiner sexuellen Präferenzen zu entsprechen. Und endlich, endlich hatte er sie bemerkt. Da war dieser warme Glanz in seine Augen getreten, jedes Mal, wenn er sie angesehen hatte … Doch sicher das Zeichen, dass er sich langsam zu ihr hingezogen fühlte?

Als er sie dann auf diese Reise nach Rio in seine Mannschaft eingeschlossen hatte, war sie überzeugt gewesen, dass er bereit war, ihre Beziehung zu vertiefen. Seine Zurückweisung im Lift letztens hatte zwar geschmerzt, aber sie konnte es nachvollziehen. Schließlich waren noch zwei andere Angestellte dabei gewesen. Sie hatte etwas dazugelernt: Man musste den richtigen Zeitpunkt abpassen. Zumindest hatte sie das gedacht.

Und jetzt … jetzt lag er mit einer Frau im Bett, die das genaue Gegenteil von allem verkörperte, was er sonst schätzte. Diese Frau war dunkelhaarig, klein und zog sich geschmacklos an. Ihr Haar war eine wirre Mähne, ihre Brüste waren zu groß. Mit Eleganz und Schliff hatte es nichts zu tun, wie sie ihn küsste oder berührte oder liebkoste, nicht einmal, wenn sie mit ihm redete. Und er war absolut verrückt nach ihr!

Keine Spur von Finesse, keine gekonnte Verführung. Nur animalische Gier und harter, zügelloser Sex. Selbst die Art, wie er sich jetzt ihre Beine um die Hüften zog, war eher die Art eines primitiven Tieres. Und die Frau stieß einen lüsternen Schrei aus, als er in sie eindrang.

Angewidert wandte Kinsella sich ab und verließ die Suite genauso leise, wie sie hereingekommen war, stieg über die überall verstreuten Kleidungstücke, machte sich auch nicht die Mühe, die Tür zu schließen.

Sobald sie in der Sicherheit ihres eigenen Büros war, öffnete sie den Safe und nahm den Aktenordner heraus, den Anton nach seinem Treffen mit einem gewissen Sanchiz dort hineingelegt hatte.

Zehn Minuten später legte sie ihn wieder zurück, griff zum Telefon und wählte eine Nummer in London.

„Mrs Scott-Lee? Ich denke, es wird Sie interessieren, dass Ihr Sohn eine Brasilianerin heiraten will. Eine Frau namens Cristina Ordoniz. Sie ist verwitwet.“

Lange blieb es still am anderen Ende, dann: „Sagten Sie Ordoniz? Sind Sie sicher?“

„Ja.“

„Wie alt ist sie?“

„Jung, ungefähr im gleichen Alter wie ich. Wie ich verstanden habe, war ihr Mann schon ziemlich alt, als sie ihn heiratete – des Geldes wegen. Sicherlich nicht die Frau, die Sie sich für Ihren Sohn wünschen, meine ich.“

Antons Mutter sagte nichts dazu, sondern erklärte nach einer längeren Pause: „Ich werde den nächsten Flug nach Rio nehmen. Danke für Ihre Hilfe in dieser Sache, Miss Lane …“

In London stand Maria Ferreira Scott-Lee in ihrem Ankleidezimmer, in der Hand ein kleines Päckchen von Estes & Kompagnons, ihres Zeichens Rechtsanwälte mit Sitz in Rio de Janeiro. Das Päckchen war an dem Tag angekommen, als ihr Sohn nach Brasilien geflogen war. Es enthielt ein Schmuckkästchen und einen Brief. Im Schmuckkästchen steckte ein mit Diamanten besetzter, exquisiter Smaragdring, der Brief war von Enrique, handgeschrieben und sehr persönlich. Der letzte Absatz war eine eindeutige Mahnung.

Mische Dich nicht in Dinge ein, die Du nicht verstehst, Maria. Unser Sohn wird Vaasco Ordoniz’ Witwe heiraten, und Du wirst vergessen, dass Du diesen Namen jemals gehört hast, wenn Dir die Liebe Deines Sohnes etwas bedeutet.

Doch sie konnte Vaasco Ordoniz nicht vergessen. Konnte nicht vergessen, dass Anton Vaascos Sohn geworden wäre, wäre Enrique nicht aufgetaucht.

Das Leben spielt einem manchmal seltsame Streiche, dachte sie und ließ sich seufzend auf den Schemel vor der Spiegelkommode sinken. Enrique war der attraktivste Mann, der ihr jemals begegnet war. Ihn auf Vaascos Ranch zu treffen hatte ihr Leben ruiniert. Verlobt mit Vaasco, verliebt in ihn, war sie trotzdem Enriques Charme erlegen und in seinem Bett gelandet. Als sie herausfand, dass sie schwanger von Enrique war, hatte sie es Vaasco beichten müssen.

Es war nur verständlich, dass er sie aus seinem Haus hinausgeworfen hatte.

„Zurück in die Gosse, wo du hingehörst“, hatte er sie angeschrien.

Sebastian war ihr zu Hilfe geeilt. Der liebe, gute Sebastian, der in Brasilien gewesen war, um Pferde von Vaasco zu kaufen. Er hatte sie mit sich nach England genommen, eine schwangere, zu Tode beschämte Frau mit gebrochenem Herzen.

Der Kreis schließt sich, dachte sie jetzt. Der Name Ordoniz suchte sie erneut heim. Wer war diese Frau? Woher hatte Enrique sie gekannt? Warum hatte er Anton zu dieser Frau geschickt? Was für ein Spiel wurde hier getrieben?

Die Frau sei jung, hatte Kinsella Lane gesagt. Vaasco war ein sehr vermögender Mann gewesen. Was war das für ein Mensch, der einen alten Mann um des Geldes wegen heiratete? Doch nur ein habgieriger Glücksritter. Wollte diese Person sich jetzt auch Antons Geld einverleiben?

Maria betrachtete den Ring und las erneut Enriques Worte.

Dies ist für Dich, Maria, in tiefster Dankbarkeit für den Sohn, den Du mir geschenkt hast, und mit ehrlichem Bedauern für das Leben, um das ich Dich durch meine Schuld gebracht habe. Unser Sohn bedeutet mir viel. Er hat das Recht, es zu wissen, so wie er auch das Recht auf seinen Anteil am Erbe hat. Vaasco hat sich im Laufe der Jahre verändert. Eines Tages wirst Du mir vielleicht sogar dankbar sein, dass ich Dich vor ihm bewahrt habe. Denk daran, wenn Du seine Witwe triffst. Sie ist anders, als Du denkst, sie verdient Dein Mitgefühl und Verständnis.

„Ich habe für niemanden Verständnis, der meinen Sohn verletzen will“, sagte sie leise vor sich hin.

Marias Sohn war alles andere als verletzt. Er schlief den tiefen Schlaf der Befriedigung.

Cristina lag neben ihm und betrachtete ihn. Sah ihn einfach nur an, so wie sie es früher getan hatte. Im Schlaf machte er sich immer auf dem Bett breit, ließ ihr gerade mal ein Viertel, auf dem sie sich zusammenrollen konnte. Es machte ihr nichts aus. Wenn er aufwachte, würde ihr Viertel auch zu seinem Viertel werden, und die Laken auf den restlichen drei Vierteln wurden kalt.

Doch sie hatte nicht vor, so lange zu warten. Sie hatte ihren Abschied schon viel zu lange hinausgezögert.

Sie blickte auf sein Gesicht. Im Schlaf waren seine Züge völlig entspannt, die Haare lagen ihm wirr auf der Stirn. Ihr Luis. Er war schön. Leidenschaftlich, unersättlich. Ihr Magen zog sich zusammen. Wie hatte sie sechs lange Jahre ohne ihn aushalten können? Wie sollte sie die kommenden langen Jahre ohne ihn leben?

Irgendwann in den Ruhepausen zwischen der Leidenschaft waren sie aufgestanden, hatten ihre Kleidung eingesammelt und die Türen geschlossen. Cristina mit hochrotem Gesicht, Luis mit einem Grinsen, als ihnen klar wurde, dass jeder durch die offenen Türen hätte hereinkommen können.

„Meine Leute werden sich hüten, in meine Privatsphäre einzudringen“, hatte er mit arroganter Selbstverständlichkeit verlauten lassen.

Dennoch, sie waren … laut gewesen. Cristina errötete bei der Erinnerung an die Lustschreie und das Stöhnen und die leisen Flüche, die Luis ausgestoßen hatte, wenn er sich nicht mehr länger beherrschen konnte und sich der Lust ergeben musste.

Nein, er war kein stiller Liebhaber, dieser kühle Engländer, den sie so sehr liebte. Cristina lächelte. Der Drang, ihm zärtlich das Haar aus der Stirn zu streichen, war fast übermächtig.

Aber es war Zeit für sie zu gehen.

Bleib noch ein Weilchen, drängte eine kleine Stimme in ihr. Lass dich überraschen, was der Tag für dich bereithält. Und die nächste Nacht. Geh erst morgen.

Nein. Sie sollte jetzt gehen … solange sie noch konnte.

In diesem Moment öffneten sich die Lider mit den dunklen Wimpern, und der Blick grüner Augen richtete sich auf sie. Es war, als könne Luis ihre Gedanken lesen. Mit zärtlichen Fingern strich er ihr sanft über die Wange.

„Du bist noch hier“, sagte er leise. „Mir träumte, du hättest mich verlassen.“

„Nein“, flüsterte sie.

Morgen, dachte Cristina. Ich gehe morgen. „Küss mich, Luis“, bat sie flehend.