6. KAPITEL

Es war später Nachmittag, als Cristina sich in Gabriels Apartment einfand.

„Wo warst du?“, empfing Gabriel sie besorgt und aufgebracht, noch bevor sie die Tür wieder geschlossen hatte. „Schlimm genug, dass du gestern nur diese nichtssagende Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen hast, aber musstest du heute auch noch unbedingt den ganzen Tag untertauchen?“

Da sie den ganzen Tag damit zugebracht hatte, bei Banken und Finanzgesellschaften in Rio vorzusprechen, brachte sie nicht mehr als ein kleinlautes „Entschuldige“ heraus.

„Das ist alles? ‚Entschuldige‘? Cristina, ich bin vor Sorge halb umgekommen! Als ich bei Scott-Lee anrief, hatte ich irgendeine kühle Engländerin am Apparat, die behauptete, noch nie von einer Cristina Marques gehört zu haben.“

Die hilfsbereite Kinsella, dachte Cristina ironisch. „Ich war da“, sagte sie und erklärte die Verwirrung der Namen.

Gabriel schob die Hände in die Hosentaschen. „Ich dachte schon, er hätte dich entführt“, sagte er brummig. „Ich sah schon vor mir, wie er dich in einen Sack steckt, dich in den Kofferraum packt und an einen dunklen Ort verschleppt, um sich mit dir zu vergnügen.“

„Das wäre doch so ganz und gar unenglisch, Gabriel“, spöttelte sie, obwohl sich Luis bestimmt mit ihr vergnügt hätte.

„Er sieht nicht wie ein Engländer aus, er spricht nur so.“

Er liebt in Englisch, dachte sie und wandte hastig den Blick ab, bevor Gabriel ihr in die Augen sehen konnte.

Zu spät. „Du siehst aus wie der wandelnde Tod, querida.“

So fühle ich mich auch, dachte sie. „Ich muss unter die Dusche.“ Damit ging sie in Richtung des zum Zimmer gehörenden Bads.

Gabriel folgte ihr. „Willst du mir nicht sagen, warum du so miserabel aussiehst?“

Eigentlich nicht. Sie blieb vor der Kommode stehen und kramte in der Schublade nach Unterwäsche. „Ich war bei mehreren Banken.“ Sie ging zum Schrank, um ihre Garderobe durchzusehen. Zwei Kleider davon waren geeignet, um zu Anlässen wie der Gala getragen zu werden, beide schwarz. Vaasco hatte ihr nichts anderes als Schwarz zu tragen erlaubt.

„War Scott-Lees Angebot nicht gut genug?“

Ihr schmerzten schon die Schultern von dem Bemühen, sich gerade und so normal wie möglich zu halten. „Es war nicht das Passende.“

„Er wollte deinen Körper“, mutmaßte Gabriel sofort. „Und da du die Nacht bei ihm verbracht hast, gehe ich wohl recht in der Annahme, dass er ihn auch bekommen hat.“

Cristina lachte nur gezwungen auf.

„Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich dumm genug warst, ihm seine Belohnung zu überlassen, bevor er dir das Geld gegeben hat“, sagte Gabriel.

Seine Worte erinnerten sie so stark an die Bemerkung über die Straßendirne, dass Cristina sich verärgert zu ihm herumdrehte. „Sprich nicht so mit mir, Gabriel!“

Aber auch er war wütend. „Hat er dich mit Versprechungen verführt, sich genommen, was er wollte, und dich dann vor die Tür gesetzt?“

Nein, ich habe mich davongestohlen, dachte Cristina. „Können wir die Strafpredigt bitte verschieben, bis ich geduscht habe?“

„Natürlich!“ Gabriel marschierte zum Zimmer hinaus.

Cristina ließ sich erschöpft auf die Bettkante sinken und erlebte in Gedanken noch einmal, wie sie Luis verlassen hatte.

Während er sich anzog für sein Geschäftstreffen, hatte sie scheinbar zufrieden im Bett gelegen und ihm zugesehen. Sie hatte sogar gelächelt, als er sie zum Abschied küsste, lange genug, dass er sich nur mit bedauernder Miene von ihr losmachte. Sobald die Suitentür hinter ihm ins Schloss gefallen war, war Cristina aufgesprungen und ins Bad geeilt.

Wahrscheinlich musste es so sein, dass sie wenig später, als sie im Foyer aus dem Aufzug stieg, Kinsella Lane in die Arme lief.

„Schlampe!“, zischte die Blondine giftig und schockierte damit den korrekt angezogenen jungen Mann, der neben ihr wartete, um in den Lift einzusteigen. Als Cristina kommentarlos weitergehen wollte, hielt Kinsella sie am Handgelenk zurück.

„Bilde dir bloß nicht ein, ich würde ihn dir überlassen. Ich war es, die er in der Nacht geliebt hat, bevor du in sein Bett fielst. Und ich werde es sein, die mit ihm zurück nach London fliegt.“

Schon seltsam, wie sehr die Wahrheit verletzen kann, dachte Cristina jetzt. Ja, Luis würde tatsächlich mit Kinsella nach London zurückkehren …

Cristina erblickte ihren Koffer auf dem Schrankboden, zog ihn impulsiv hervor und warf ihn aufs Bett. Sie wollte nicht daran denken, was sie tun würde, wenn Luis nach London zurückkehrte. Sie wollte an gar nichts denken, nur daran, dass sie ihren Koffer packen und den ersten Flug nach Sao Paulo nehmen würde, und zum Teufel mit …

Die Tür ging auf, Gabriel stand dort, groß und schlank und unglaublich attraktiv, selbst jetzt, mit diesem reuigen Ausdruck auf dem Gesicht. „Ich wollte dich nicht beleidigen“, sagte er entschuldigend.

„Das weiß ich.“ Sie wusste es wirklich. Gabriel und sie waren schon zu lange Freunde, als dass sie ihm etwas hätte nachtragen können.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“

„Sim.“ Auch das verstand sie.

„Ich hatte Angst, du würdest auf jedes Angebot eingehen, nur um Alagoas daran zu hindern, das Land zu verschandeln.“

„Soll ich dir was sagen, Gabriel?“ Sie ließ die Schultern hängen. „Das hatte ich auch befürchtet.“

„Aber es war unannehmbar?“

Ja, unannehmbar. Luis hatte, ohne es zu wissen, ihre Preisgrenze erreicht. „Ich kehre nach Hause zurück“, sagte sie leise.

„Das dachte ich mir, minha amiga, da ich sehe, wie du deinen Koffer packst“, zog er sie auf. Und wurde gleich darauf wieder ernst. „Was wirst du jetzt tun?“

Die Antwort war erschreckend einfach. „Ich weiß es nicht.“

Gabriel hatte auch keine Idee, wie sein Schweigen bewies. „Geh duschen“, meinte er schließlich. „Ich werde inzwischen zusehen, dass ich dir einen Flug reservieren kann.“

Die Dusche half ein wenig, ihre Stimmung zu heben, vor allem, da sie es sich verbot, an irgendetwas zu denken. Sie föhnte ihr Haar nur kurz und ließ es an der Luft trocknen, zog Jeans und ein weißes T-Shirt an und legte leichtes Make-up auf. Danach blieb ihr nichts mehr zu tun, als den Koffer zu Ende zu packen.

Sie stellte ihn an die Wohnungstür und folgte dem Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, der aus der Küche drang. Die Tür zu öffnen war einfach, das Bild zu verarbeiten, das sich ihr bot, keineswegs.

Cristinas Herz setzte einen Schlag lang aus. Sie konnte nichts anderes tun als auf die beiden Männer starren, die dort in der Küche Kaffee zusammen tranken, als seien sie die besten Freunde. Beide trugen Anzüge, hatten die Jacketts offen über den weißen Hemden hängen, die Krawatten gelockert und hielten Kaffeebecher in der Hand. Aber nur einer von ihnen hatte die Macht, sie so regungslos verharren zu lassen.

„Luis …“ Sein Name war nur ein Flüstern.

„Nennt sie Sie immer Luis?“, fragte Gabriel neugierig.

„Es ist Cristinas Vorrecht.“ Antons Augen wirkten wie grüner Granit, als er seinen Blick über Cristinas lässige Erscheinung gleiten ließ.

„Was machst du hier?“, fragte sie verstört.

„Ich folge dem Pfad deiner Sturheit.“ Anton zog eine Augenbraue hoch. „Hast du wirklich geglaubt, ich käme dir nicht nach?“

„Cristina war schon immer sehr starrsinnig“, trug Gabriel im Konversationston bei. „Und sie hasst es, zugeben zu müssen, wenn sie im Unrecht ist.“

Cristina riss den Blick von dem einen Mann los und richtete ihn auf den anderen. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu erkennen, was sich hier abgespielt hatte – während sie unter der Dusche stand, hatten die beiden Männer sich unterhalten. Gabriel war jetzt informiert, dass das Rettungspaket nicht nur stand, sondern auch noch mit einem ehrenhaften Heiratsantrag verknüpft war. Die Traumlösung überhaupt. Nicht nur würde sie das Geld bekommen, um Santa Rosa vor den gierigen Landentwicklern zu bewahren, sie hätte sich auch noch einen umwerfend aussehenden, stinkreichen Ehemann geangelt, um ihre armselige verlorene Seele zu retten!

Cristina atmete tief durch und hob das Kinn. „Ich verstehe schon. Eine gemeinsame Tasse Kaffee reicht aus, um euch von zwei sich im Ring gegenüberstehenden Preisboxern zu Verbündeten zu machen. Ihr müsst mir vergeben, aber ich habe nicht vor, mich anzubiedern.“

Damit drehte sie sich um und ging hinaus. Ergriff die Flucht, war die ehrlichere Bezeichnung. Luis hier vorzufinden hatte ihr einen Schock versetzt, sie hatte Angst vor dem, was es bedeuten könnte. Sie hatte auch den unterdrückten Ärger in seinen Augen gesehen, hatte die Warnung in seiner leisen Stimme gehört. Und während sie auf ihren Koffer in der Diele zuhastete, war ihr völlig klar, dass sie wie ein Feigling panikartig davonrannte.

Eine Hand packte den Koffergriff, bevor sie es konnte. Ein Arm legte sich um ihre Hüfte und sagte ihr mehr als tausend Worte.

„Schon fertig gepackt?“, fragte Luis leichthin. „Schön. Dann können wir ja gleich gehen.“

„Ich komme nicht mit dir.“ Sie hielt sich steif wie ein Brett in seinem Arm.

„Oh doch“, entgegnete er unnachgiebig. „Wir haben eine Abmachung.“

„Ich habe es mir anders überlegt.“

„Vor oder nach dem Sex?“

„Vorher“, behauptete sie. „Den Sex habe ich mitgenommen, weil er gratis war.“

„Nichts ist umsonst auf dieser Welt, querida“, spottete Anton beißend. „Also, bedank dich nett bei Gabriel für alles, und dann setz dich in Bewegung, sonst werde ich dich mir über die Schulter werfen und hinaustragen.“

Cristina versuchte sich aus seinem Griff freizumachen, erreichte damit aber nur, dass sein Arm sie noch fester an seine Seite zog. Sie nahm seinen Duft wahr, sah das Aufblitzen in den grünen Augen und hörte, wie ihr Koffer auf dem Boden abgestellt wurde. Dann fühlte sie seine so frei gewordene Hand an ihrem Nacken und konnte gerade noch „Nicht“ hauchen, bevor er seinen Mund grob auf ihre Lippen presste.

Es war als Bestrafung gedacht, als Warnung, als Drohung. Und doch schmolz sie dahin, begann erregt zu zittern und fiel schlaff gegen ihn, während er sie festhielt und sich freundlich über ihren Kopf hinweg von Gabriel verabschiedete, als hätte dieser Kuss ihn nicht im Geringsten aufgewühlt.

Dass Gabriel Zeuge dieses Kusses geworden war, war eine zusätzliche Erniedrigung. Und als sie ihn sagen hörte: „Tja, dann kann ich das Kleingedruckte ja beruhigt Ihnen überlassen“, da hatte sie das Gefühl, den einzigen Freund auf der Welt verloren zu haben.

Anton nahm ihren Koffer auf und schob sie zur Tür hinaus. Sie wehrte sich nicht mehr. Der Lift brachte sie nach unten. Beide schwiegen. Ein schwarzer Mercedes mit Chauffeur wartete auf sie. Kaum saßen sie in den weichen Lederpolstern, fuhr der Wagen an. Cristina blickte starr aus dem Fenster, Anton geradeaus. Er war wütend, sie war wütend.

„Ich nehme an, du hast Gabriel weisgemacht, ich sei die Liebe deines Lebens?“, fragte sie gepresst.

„Ich habe ihm gesagt, was er hören musste, damit er dich mit mir gehen ließ.“

„Lügen.“

Anton lachte hart auf. „Du bist wegen eines kleinen Kusses in meine Arme gesunken. Du kannst dem armen Kerl nicht verübeln, wenn er glaubt, was er mit eigenen Augen sieht. Und da wir beide gut im Lügen sind, brauchst du gar nicht so moralisch zu tun.“

„Gabriel …“

„Ist kein Narr“, fiel er ihr ins Wort. „Er weiß, es ist wesentlich angenehmer, in mir einen Freund als einen Gegner zu haben. Lass ihn in dem Glauben, du seist mitgekommen, weil es das ist, was du willst. Für ihn ist es besser so.“

Sie wandte ihm das Gesicht zu. „Besitzt du in letzter Zeit so viel Macht?“

Er gab sich nicht einmal die Mühe, sie anzusehen. „Ja.“

Cristina erschauerte. Sie hatte Angst vor dem Mann, zu dem er geworden war. „Lass Gabriel in Ruhe“, flüsterte sie.

„Wenn du auch nur ein Quäntchen Vernunft besäßest, querida, würdest du dir eher Sorgen über deine eigene Lage machen.“

Jetzt drehte er sich zu ihr um. Zum ersten Mal, seit sie Gabriels Wohnung verlassen hatten, sah er sie an. „Ich weiß wirklich nicht, woher du die Stirn nimmst, dir einzubilden, du könntest ein zweites Mal deine Spielchen mit mir treiben und damit durchkommen.“

Seine kalte Wut machte ihr wirklich Angst. „Ich treibe keine Spielchen. Ich brauchte nur …“

„Den Sex“, schnitt er ihr das Wort ab. „Warum auch nicht, wenn Luis so gut darin ist, nicht wahr?“

„Es war nicht nur Sex“, protestierte sie leise.

Sein verächtlicher Blick ließ sie frösteln, am liebsten hätte sie sich in irgendein Loch verkrochen. Sie wusste, in gewisser Hinsicht hatte sie seine Wut verdient. Die Art und Weise, wie sie sich davongestohlen hatte, war die Handlungsweise eines Feiglings. Aber …

„Du hast mich mit dem Rücken an die Wand gedrängt, Luis!“, beschuldigte sie ihn. „Du hast mir keine Zeit zum Nachdenken gelassen! Ich bin gegangen, weil ich Zeit brauchte, um mir dein Angebot zu überlegen.“

„Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, querida, aber weder hast du Zeit zum Überlegen noch eine Wahl.“

Etwas landete auf ihrem Schoß. Cristina starrte lange auf die Aktenmappe, bevor sie sie aufnahm und mit steifen Fingern durchblätterte. Ein Kloß saß ihr in der Kehle, nachdem sie die Vertragspapiere durchgesehen hatte.

„Wann hast du sie aufgekauft?“, fragte sie erstickt.

„Noch bevor ich einen Fuß auf brasilianischen Boden gesetzt hatte. Wie du sehen kannst, bin ich es, der dich besitzt, Cristina, nicht Banken oder Kreditfirmen. Ich habe die Macht, zu entscheiden, was mit deinem geliebten Santa Rosa passiert. Sollte es mir also gefallen, deine Hypotheken aufzukündigen und an das Alagoas-Konsortium zu verkaufen, dann werde ich es tun, sei versichert – und zwar bei deinem nächsten Versuch, mich stehen zu lassen.“

Ein Schauder durchlief Cristina. Luis hatte sie völlig in der Hand. Praktisch gehörte ihm Santa Rosa. Er hatte die endlos lange Liste von Hypotheken und Krediten aufgekauft, mit einer Summe, deren Höhe, schwarz auf weiß hier in diesem Aktenordner festgehalten, ihr Übelkeit verursachte.

Sie waren bei seinem Hotel angekommen. Anton stieg aus, kam um den Wagen herum und nahm Cristinas Hand, um sie aus dem Fond zu ziehen.

Sie ließ es ohne Protest geschehen, und unsinnigerweise ärgerte ihn genau das maßlos. Er wollte sie nicht geschlagen und besiegt sehen. Er wollte, dass sie kämpfte. Wenn sie kämpfte, konnte er zurückkämpfen.

Er wollte den Kampf, weil das die Spannung für eine andere Art von Kampf aufbaute. Sie steckte ihm wieder im Blut. Wie ein Fieber. Das erotische Fieber, das einen Namen hatte: Cristina Marques.

Er zog sie hinter sich her ins Hotelfoyer. Den grüßenden Blick des Mannes an der Rezeption mied er. Er wollte sich nicht nett unterhalten müssen, keine Höflichkeiten austauschen, mit niemandem. Er steuerte direkt auf die Aufzüge zu, fluchte unter angehaltenem Atem, als sie sich die Aufzugskabine mit einem jungen Paar teilen mussten, das offensichtlich frisch verliebt war. Die beiden lachten und scherzten und küssten sich, den ganzen Weg hinauf bis zu dem Stockwerk unter seinem. Cristina stand stocksteif neben ihm und blickte starr auf die Anzeigentafel, er sah unentwegt zu Boden.

Sobald sie seine Suite erreicht hatten, entzog Cristina ihm ihre Hand und ging weg von ihm. Anton brachte ihren Koffer in sein Schlafzimmer. Als er zurückkam, stand sie mitten im Wohnraum. Er ging auf den Barschrank zu.

„Warum?“

Er gab nicht vor, ihre Frage nicht zu verstehen. „Sieh es als Vergeltung für die Sache vor sechs Jahren an. Du schuldest mir sechs Jahre. Sechs Jahre, in denen ich nichts glauben konnte, was eine andere Frau zu mir sagte. Sechs Jahre, in denen ich meinen eigenen Instinkten nicht vertrauen konnte, ganz gleich, was sie mir zuflüsterten.“

„Das ist nie meine Absicht gewesen.“

Er drehte sich zu ihr um. „Was war dann deine Absicht?“

Das, was sie auch erreicht hatte. Ihn dazu zu bringen, sie genug zu hassen, um sie zu verlassen.

Doch er war zurückgekommen, hart, verbittert, und er hasste sie immer noch für das, was sie ihm angetan hatte. „Also geht es nur um Rache“, sagte sie leise.

Einen Drink in der Hand, zuckte Anton gleichgültig die Schultern. „Und ich muss ein Problem lösen, indem ich heirate und ein Kind zeuge.“

Seine Worte verletzten sie tief. „Dann hast du die falsche Frau ausgewählt.“ Sie musste tief durchatmen, bevor sie fortfahren konnte: „Denn ich kann dir dieses Kind nicht geben, Luis. Ich kann keine Kinder …“

Er setzte das Glas so hart ab, dass sie zusammenzuckte. Als er sie bei den Schultern packte, stieß sie einen kleinen Schrei aus. „Du lügst jedes Mal, wenn du diesen hübschen roten Mund aufmachst!“, sagte er grimmig. „Vor sechs Jahren hast du gelogen, als du behauptetest, mich zu lieben. Und dann hast du mit einem kalten Lächeln zugesehen, wie ich mich wand, als du mir reinen Wein einschenktest.“

„Nein!“, rief sie klagend aus. „So war das nicht! Ich …“

„Doch, genau so war es!“

Meu Dues. Cristina schloss die Augen. Er hatte recht, so war es gewesen. „Wenn du mir nur zuhören wolltest. Ich kann dir erklären …“

Mit einem leichten Stoß ließ er sie los. „Ich will deine Erklärungen nicht. Es interessiert mich nicht mehr. Du schuldest mir etwas, und ich treibe die Schulden jetzt ein. Zu meinen Bedingungen.“ Er nahm sein Glas wieder auf.

„Die ich nicht erfüllen kann.“

Er drehte sich zu ihr um. „Du als meine Frau, als meine Bettgespielin und die Mutter meines Kindes. Als Gegenleistung erhältst du dein geliebtes Santa Rosa, schuldenfrei. In meinen Augen ein fairer Deal.“

„Oder eine Wahl, die keine ist.“

„Soll heißen?“

Ihr war eiskalt, sie schlang die Arme um sich. „Ich werde dich heiraten.“

Sekundenlang blieb es still. „Sag das noch mal. Und zwar so, dass es unmissverständlich ist. Das ist deine letzte Chance, Cristina. Sag es laut und deutlich, damit wir beide es hören.“

„Du wirst es bereuen“, flüsterte sie.

„Sag es“, befahl er.

„Na schön!“ In bester Cristina-Manier erhob sie sich, um mit erhobenem Kinn und blitzenden Augen zu kapitulieren. „Ich werde dich hassen, Luis, dafür, dass du mich zwingst, mich wie eine Dirne zu benehmen. Für deine Drohungen und deine Erpressungen und deine Gier nach Rache, die dich mich so behandeln lässt. Aber ich werde dich heiraten“, wiederholte sie wie verlangt laut und deutlich. „Ich verkaufe mich wie eine Straßendirne. Für Santa Rosa. An dem Tag, an dem du feststellst, wie sinnlos deine Rache ist, werde ich vor dir stehen und dir ins Gesicht lachen!“

Luis bewegte sich schnell und ohne Vorwarnung. Cristina war so aufgewühlt, dass sie ihn nicht kommen sah, und noch ehe sie wusste, wie ihr geschah, fand sie sich an ihn gepresst wieder.

„Nein“, protestierte sie schwach.

„Droh mir das Gleiche noch mal in dreißig Sekunden an“, sagte er, bevor er seinen Mund auf ihren presste.

Es dauerte keine zehn Sekunden, um sie in ein nachgiebiges, willenloses Wesen ohne klaren Gedanken zu verwandeln, das sich nur noch an ihn klammern konnte.

Und dann hörte es auf. Sie verstand nicht, warum, und es dauerte, bis sie sich aus der seltsamen Trance fing.

„Ich liebe deine Art zu hassen, querida“, höhnte er. „Es erregt mich ungemein …“

Mit einem Aufschluchzen riss sie sich von ihm los und eilte ins Schlafzimmer.

Anton zuckte leicht zusammen, als die Tür laut ins Schloss fiel. Er stürzte den Rest seines Drinks hinunter, goss sich einen zweiten ein, wollte ihn gerade ebenfalls in einem Schluck trinken, als er sich bewusst wurde, was er tat, und innehielt.

Er hatte sie doch dahin gebracht, wo er sie haben wollte. Warum also fühlte er sich jetzt, als hätte er etwas Unersetzliches verloren?

Während Anton sein Bestes tat, um sich durch Arbeit abzulenken, feilte sich ein eleganter alter Herr mit schlohweißem Haar sorgsam die gepflegten Fingernägel, während er dem Bericht eines unauffällig aussehenden jungen Mannes mit dem unauffällig klingenden Namen José Paranhos lauschte.

Bisher war Senhor Javier Estes sehr zufrieden mit den Informationen, die man ihm zutrug. So, wie es aussah, verlief alles genau nach Plan. Senhor Scott-Lee hatte die Herausforderung angenommen, und diese Herausforderung schien ihn ganz wunderbar in Anspruch zu nehmen. Senhor Estes lächelte sogar ein wenig, als er hörte, dass Cristina die Nacht in Scott-Lees Suite verbracht hatte.

Doch schon beim nächsten Satz erstarb dieses wohlwollende Lächeln. „Wie war das? Wiederholen Sie das bitte.“ Senhor Estes richtete sich auf. „Diese Frau hat Senhorita Marques am Lift abgefangen?“

José nickte. „Senhorita Lane war sehr erbost. Sie behauptete, sie und Senhor Scott-Lee seien ein Paar und hätten die Nacht zuvor noch gemeinsam verbracht. Verständlicherweise war Senhorita Marques sehr aufgeregt.“ Der junge Mann wiederholte Wort für Wort, was sich im Hotelfoyer abgespielt hatte.

Mit gerunzelter Stirn legte Senhor Estes die Nagelfeile weg und nahm einen Füllfederhalter auf, um sich eine Notiz in der Akte zu machen, die aufgeschlagen vor ihm lag. Dass diese Anmerkungen gegen Anton sprachen, zeigte sich darin, dass sie fett unterstrichen wurden.

Obrigado, José. Sie werden die Observation fortsetzen und mich weiterhin auf dem Laufenden halten.“

Mit einem knappen Nicken stand José auf und verließ die Kanzlei. Senhor Estes entnahm dem Aktenordner währenddessen einen versiegelten Umschlag. Ein Umschlag, adressiert an Cristina Marques.

Der Fuchs im Hühnerstall, überlegte Javier Estes nachdenklich, löst unweigerlich Unruhe aus …