7. KAPITEL

Luis saß am Konferenztisch und versuchte sich auf die Berichte zu konzentrieren, die man ihm vorlas. Seine beiden Manager bedachten ihn mit befremdeten Blicken, weil sie immer wieder auf seine Aufforderung hin etwas wiederholen mussten. Er konnte es ihnen nicht verübeln. Er fühlte sich ja auch merkwürdig. Unkonzentriert und abgelenkt, sich auf höchst unerwünschte Art bewusst, dass sich Cristina jenseits dieser Tür befand.

Das Telefon neben ihm begann zu klingeln. Da Kinsella nicht im Vorzimmer war, weil er sie zur Bank geschickt hatte, um einige Dokumente abzuholen, nahm er selbst den Hörer auf.

„Scott-Lee“, meldete er sich energisch.

„Endlich!“ Maximilians Stimme ertönte erleichtert am anderen Ende. „Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erreichen. Wo, zum Teufel, treibst du dich herum?“

Anton verspannte sich. Sein Onkel war ganz offensichtlich aufgeregt, und so winkte Anton seine beiden Manager aus dem Raum, um ein privates Gespräch führen zu können. „Was ist los, Max? Ist etwas mit Mutter passiert?“

„So könnte man es nennen, allerdings“, lautete die trockene Antwort. „Sie ist auf dem Weg nach Rio. Eigentlich müsste die Maschine gerade jetzt landen.“

„Sie kommt hierher? Wieso?“

„Um diese verrückte Heirat, die du planst, aufzuhalten. Weshalb wohl sonst!“

Die Heirat? „Wie hat sie so schnell davon erfahren können?“, fragte er seinen Onkel verdutzt.

„Normalerweise käme ich ja nie auf den Gedanken, mich in die Pläne deiner Mutter einzumischen, Anton. Ich bewundere und liebe diese Frau wie eine Schwester. Und ich will auch nicht zusehen müssen, wie du dich an eine geldgierige Witwe verschwendest, aber …“

„Achte auf deine Wortwahl, Max“, warnte Anton.

„Ist diese Frau nicht die Witwe von Vaasco Ordoniz?“

Anton antwortete nicht darauf. Etwas anderes, etwas viel Verwirrenderes war ihm aufgefallen. „Du kennst Vaasco Ordoniz.“ Er hatte es aus Maxens Ton herausgehört.

„Da mische ich mich erst recht nicht ein“, wehrte Max sofort ab. „Soll deine Mutter dich aufklären.“

Seine Mutter kannte Cristinas verstorbenen Ehemann?

„Aber eines will ich dir trotzdem sagen“, fuhr Max fort. „Da stinkt etwas ganz gewaltig in deinem Team. Und sosehr ich Maria auch verehre, ich weigere mich, tatenlos mit ansehen zu müssen, wie du von einer emporgekletterten kleinen Sekretärin hintergangen wirst, die eigentlich von dir dafür bezahlt wird, dass sie ihren Mund hält, und nicht, um bei deiner Mutter anzurufen, um deine Geheimnisse bis ins letzte Detail zu verraten. Ich meine, wie kann ein Mann ein Privatleben führen, wenn …“

„Wovon redest du überhaupt, Max?“, unterbrach Anton gereizt die unverständliche Tirade.

Für einen Augenblick blieb es still am anderen Ende, dann fuhr Max in sachlichem Ton fort: „Kinsella Lane rief gestern deine Mutter an, um Maria darüber zu informieren, dass du vorhast, die Ordoniz-Witwe zu heiraten. Und deine Mutter reagierte prompt wie die sprichwörtliche hysterische Glucke und hat sich einen Platz für den nächsten Flieger nach Rio gebucht.“

Anton fluchte laut.

„Maria wird die Suite unter dir bewohnen, das hat ebenfalls die hilfsbereite Miss Lane veranlasst.“

Kinsella hatte all das hinter seinem Rücken arrangiert? Anton war fassungslos.

„Ich habe den ganzen Tag versucht, bei dir anzurufen, um dich zu warnen. Hat deine Sekretärin dir von der Ankunft deiner Mutter erzählt? Ich wette, das hat sie nicht. Ich erkenne ein berechnendes Weib auf tausend Meilen Entfernung, und die da ist gefährlich. Tu dir selbst einen großen Gefallen, und wirf sie hinaus. Sie ist ein Sicherheitsrisiko.“

Irgendwann legte Anton schließlich auf und fluchte unter angehaltenem Atem. In seinem Kopf überschlugen sich die Informationen, die sein Onkel ihm gerade mitgeteilt hatte. Kinsella hatte vertrauliche Informationen weitergegeben, und ausgerechnet an seine Mutter! Wie war sie darangekommen? Niemand wusste von seinen Plänen, Cristina zu heiraten. Wann und wo hatte Kinsella die Möglichkeit gehabt?

Es sei denn … Anton dachte an die Unterlagen von seinem Privatdetektiv, die im Safe lagen. Kinsella benahm sich die ganze Zeit so irritierend, seit sie in Rio angekommen waren, und Cristina hatte ihm vorgeworfen, eine Affäre mit Kinsella zu haben. Er hatte ihre Bemerkungen als unwichtig abgetan. Dabei sollte ein vernünftiger Mann nie die Instinkte einer Frau unterschätzen, wenn es sich um mögliche Rivalinnen handelte.

Hatte seine anscheinend gar nicht so private Sekretärin in Dingen herumgeschnüffelt, die sie nichts angingen? Hatte sie herausgefunden, was sie über Cristina wissen wollte, und dann seine Mutter angerufen?

Seine Mutter.

Die nächste Krise, die zu bewältigen war. Anton griff nach dem Telefon und erkundigte sich bei der Rezeption nach der erwarteten Ankunftszeit von Maria Ferreira Scott-Lee. Die stillen Flüche wurden immer blumiger, während er der freundlichen Empfangsdame lauschte.

Danach stand Anton auf, blieb minutenlang regungslos stehen und versuchte grimmig eine Prioritätenliste in seinem Kopf aufzustellen. Nachdem er Ordnung in seinen Gedanken geschaffen hatte, war er kalt und emotionslos wie Eis.

Cristina war die Erste, die Zeuge davon wurde.

Anton stürmte in das Schlafzimmer, direkt auf sie zu, dort, wo sie am Fenster stand und hinausstarrte, griff ihre Hand und zog sie hinter sich her, zur Suite hinaus.

„Was soll das?“, verlangte sie zu wissen, als er sie zum Aufzug schob und bis in die Ecke drängte.

„Warum hast du ihn geheiratet?“

Cristina blinzelte verwirrt, überrumpelt von seiner Frage. Doch dann wurde ihr Blick undurchdringlich. „Ich sagte dir bereits, dass ich darüber nicht reden werde.“

„Warum nicht?“

Mit zusammengepressten Lippen und vor der Brust verschränkten Armen betrachtete sie stumm ihre Schuhspitzen.

„Er war reich, als du ihn heiratetest.“ Anton ließ nicht locker. „Er begann erst zu spielen, nachdem du in sein Leben getreten warst. Vielleicht, weil du praktischerweise darauf verzichtet hast, ihm einen Sohn zu schenken?“

Cristina wurde blass, sagte aber immer noch kein Wort.

Anton trat noch näher an sie heran. „War der Erhalt deiner perfekten Figur es wirklich wert? Du bist als verarmte Witwe geendet, die bettelnd zurück zu ihrem hartherzigen Vater nach Hause kriechen musste. Hat er es auch gegen dich gehalten, dass du ihm keinen männlichen Enkel hinterlassen hast, dem er Santa Rosa vererben konnte? Oder war das das eigentliche Ziel? Sicherzustellen, dass du nie einen Sohn bekommst, damit du dein geliebtes Santa Rosa allein für dich behältst?“

Als sie immer noch stur schwieg, fuhr er erbarmungslos fort: „Nun, dann lass dir eines gesagt sein: Du wirst mein Kind gebären. Sohn oder Tochter, ich mache da keinen Unterschied. Und dieses Kind wird Santa Rosa erben! Ich werde mit Freuden zusehen, wie du das Einzige aufgeben musst, das dir wirklich etwas bedeutet!“

Mit diesen Worten küsste er sie, hart, brutal, machte seinen Kuss zum Brandzeichen seines Hasses. Tränen glitzerten in ihren Augen, als er den Kopf hob, und er betrachtete sie mit einem Blick, als würde er sie liebend gern erwürgen. Doch die Lifttüren glitten auf, und so nahm er nur ihre Hand und zog sie hinter sich her.

Im Foyer herrschte reger Betrieb, überall waren Menschen, die eincheckten, auscheckten, ihrer Wege gingen. Cristina schluckte die Tränen und wusste, dass sie dem Mann an ihrer Seite niemals die Worte würde verzeihen können, die er gerade gesagt hatte.

Sich selbst würde sie nie verzeihen, dass sie ihm Grund gegeben hatte, diese Worte auszusprechen.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie mit zittriger Stimme.

„Einkaufen.“

Einkaufen … Sekundenlang wollte ihr Verstand nicht begreifen. Luis hatte sie gerade seelisch fertiggemacht, und nun zog er sie zu der Einkaufszone mit den eleganten Geschäften, als sei das völlig normal? Cristina biss die Zähne zusammen und schwieg beharrlich.

Anton wünschte derweil, er könnte seine Worte zurücknehmen. Aber er war wütend – über so viele Dinge. Einmischung und Manipulation, daraus schien sein ganzes Leben zu bestehen. Ramirez, seine Mutter, Kinsella …

Maxens unmissverständliche Andeutung, dass Maria Vaasco Ordoniz gekannt habe, ließ ihm keine Ruhe. Noch eine Sache, die scheinbar alle wussten, nur er nicht. Wenn er auch nur einen Funken Verstand besaß, würde er diese ganze Geschichte abschreiben, nach England zurückfliegen und …

In diesem Moment passierte es. Wieder einmal. Als hätte Ramirez seine wütenden Gedanken gehört und etwas unternommen.

Der Mann stand vor dem Schaufenster des Juweliers. Er war groß, hatte dunkle Haare, die Hände in die Hosentaschen geschoben, eine so vertraute Haltung angenommen, dass Anton mit rasendem Puls wie vom Donner gerührt stehen blieb.

War es möglich …? Was, wenn ja? Das Bedürfnis, zu diesem Mann zu gehen und ihn zu fragen, ob er einen Enrique Ramirez kenne, wurde beinahe übermächtig.

„Luis?“, fragte Cristina leise.

Er hörte sie nicht, konnte ja nicht einmal seine eigenen Gedanken richtig wahrnehmen. Der Mann drehte sich um, als hätte er den Blick auf seinem Rücken gespürt. Im gleichen Moment wusste Anton mit Gewissheit, dass er vor einem Fremden stand. Keine grünen Augen, kein Grübchen im Kinn, nicht die geringste Ähnlichkeit. Er war zutiefst enttäuscht.

„Luis, du brichst mir die Finger.“

Er sah auf die Frau neben sich. Sah ihr ins Gesicht und lockerte seinen Griff. Seine Halbbrüder. Sein Verstand klärte sich. Das war der Hauptgrund für alles, was er hier tat.

Ganz gleich, welche Schritte er unternehmen musste, ganz gleich, welche Mittel er einsetzen musste … Geld, Erpressung, Verführung, Drohungen … Diese Frau da mit den dunklen, jetzt fragend dreinblickenden Augen würde seine Frau werden und die Mutter seines Kindes. Um diese beiden Ziele zu erreichen, würde er alles und jeden, der ihn daran hindern wollte, aus dem Weg räumen.

Damit zog er sie entschlossen in den ersten Laden.

Eine Stunde später standen sie zusammen im Schlafzimmer, umgeben von Einkaufstüten mit Designernamen, in denen die Designergarderobe lag, die Anton ausgesucht hatte, weil Cristina sich geweigert hatte, es zu tun.

„Zieh das Rote an“, befahl er. „Du hast anderthalb Stunden Zeit.“

Damit verließ er den Raum und zog die Tür hinter sich zu. Cristina ließ sich wie betäubt auf die Bettkante sinken und den Blick über die unzähligen Tüten gleiten. Selbst in diesem düsteren Gefühlszustand von Wut, Hass und völliger Fassungslosigkeit gab es einen kleinen Teil in ihr, der sich am liebsten mit einem lauten Jubelschrei darauf gestürzt hätte.

Nina Ricci, Valentino, Armani, Chanel, Gucci, Prada, Jimmy Choo, alle Namen waren vertreten. In einer kurzen, atemberaubenden Stunde hatte Luis sie durch ein wahres Märchenland von Edelboutiquen geschleift, ohne je ihre Hand loszulassen. Er hatte begutachtet, verworfen und gewählt, um dann einer ehrfürchtig wartenden Verkäuferin ein weiteres Teil nahezu gleichgültig zu überreichen. Wann immer Cristina keinen Kommentar auf seine Frage, was ihr gefalle oder nicht, abgab, hatte er ihre beiden verschränkten Hände dazu benutzt, ihr Kinn leicht anzuheben, und sie voll auf die Lippen geküsst.

Er hatte seinen Charme spielen lassen, hatte gelächelt und gescherzt. Sämtliche Verkäuferinnen in allen Boutiquen waren schier dahingeschmolzen für den Mann, der ungerührt die Rechnung bezahlte – während Cristina wie ein verwöhnter Trotzkopf gewirkt haben musste, mit der erstarrten Miene, die sie trug.

Aber diese Verkäuferinnen wussten ja auch nicht, was hinter dem Charme steckte, den Luis nur zur Schau so großzügig verteilte. Sie hatten diese lachenden grünen Augen noch nie vor Rage blitzen sehen, sie konnten nicht ahnen, dass seine Küsse nur kalte Verachtung ausdrückten.

Cristina erkannte sehr schnell, dass Luis nach Plan vorging: Sei nett zu der Zukünftigen in der Öffentlichkeit, hinter geschlossenen Türen behandle sie wie den letzten Dreck.

Und der große Plan wurde seiner Mutter per Telefon mitgeteilt, während Cristina immer noch wie erschlagen auf dem Bett saß.

Ja, natürlich sei er überrascht über ihre Anwesenheit hier in Rio. Der Empfang habe es ihm mitgeteilt, wer sonst. Nein, leider habe er keine Zeit für eine gemeinsame Tasse Tee, aber ein Abendessen wäre nett. Ob es in Ordnung sei, dass man sich in der Hotelbar treffe? Er habe noch etwas Geschäftliches zu erledigen.

Kinsella war von der Bank zurück und bot ihr übliches makelloses Erscheinungsbild in dem cremeweißen, eng anliegenden Rollkragenpullover mit dazu passendem engem, figurbetonendem Rock. Anton beobachtete unter halb gesenkten Wimpern hervor, wie sie sich durch den Konferenzsaal bewegte und die liegen gebliebenen Zeugnisse des Arbeitstages wegräumte. Geschickt und tüchtig, wie sie war, gab es nichts, das nicht an seinem Platz lag. Niemand würde vermuten können, welche Gefahr hinter dieser kühlen Fassade lauerte.

„Begleiten Sie mich heute Abend zum Dinner“, begann er und sah, wie sie unwillkürlich nach Luft schnappte, bevor sie ihm mit einem kalkuliert freundlich gehaltenen Lächeln das Gesicht zuwandte.

„Ich …“ Sie zögerte wirkungsvoll.

„Meine Mutter ist soeben aus England angekommen. Ich dachte mir, ihr erstes Dinner hier sollte etwas Besonderes sein.“

„Und Mrs Ordoniz?“

Anton verbesserte den Namen gar nicht erst. „Denken wir im Moment doch nicht an sie“, sagte er mit samtener Stimme, und Kinsella errötete leicht.

Er hatte immer gewusst, dass er sie herumkriegen konnte, alle, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Aber er hatte diese Gabe noch nie auf so zynische Weise eingesetzt.

„Ein Dinner wäre sehr nett … danke“, sagte Kinsella jetzt.

Sie glaubte, den Mann endlich an der Angel zu haben.

Sie glaubte, in seiner Mutter eine Verbündete zu haben.

Sie glaubte, sie sei auf dem besten Wege, in den erlauchten Kreis seiner Familie vorzudringen, Mutter und Sohn zu versöhnen und für sich das gewünschte Happy End zu erleben.

Maxens Anruf hatte ihm die Augen geöffnet, und jetzt sah Anton alles so klar und deutlich, dass es ihn schauderte.

Kein Zweifel – rot. Anders ist das Kleid nicht zu beschreiben, dachte Cristina und strich vor dem Spiegel über den seidigen Stoff. Geschaffen dazu, jede einzelne Kurve zu betonen und den Blick auf die langen Beine zu lenken. Die Tatsache, dass sie keines der Teile anprobiert hatte und dieses Kleid trotzdem wie für sie gemacht saß, sagte viel aus über Luis’ Augenmaß. Die langen Ärmel schmiegten sich wie eine zweite Haut um ihre Arme, bis unter die Achseln, ließen die Schultern frei. Die Korsage ließ ein dezentes Dekolleté sehen, provozierte mehr, als es offen zu zeigen. Sexy, dachte Cristina jetzt, die Fantasie anregend. Sie trug die falschen Diamanten ihrer Mutter und hatte sich das Haar aufgesteckt, schon allein deshalb, weil Anton sie lieber mit offenen Haaren sah. Allerdings hatte sie Zugeständnisse gemacht und einige Strähnen locker gelassen, die sich jetzt um Hals und Schultern ringelten. Ihr Make-up war auffällig – das Kleid verlangte danach: dunkle Augenlider, schwarze, dick aufgetragene Mascara, ein roter Mund, in der gleichen Farbe wie das Kleid.

Und weil es über sechs Jahre her war und sie nicht widerstehen konnte, stellte sie sich in aufreizend provozierender Pose hin und warf ihrem Spiegelbild mit aufgeworfenen Schmolllippen eine Kusshand zu.

„Ah, das ist die Frau, die ich als Cristina Marques kenne.“

Beim Klang der männlichen Stimme wirbelte Cristina erschrocken und so hastig herum, dass sie in den hochhackigen Schuhen fast das Gleichgewicht verloren hätte. Eine leichte Röte überzog ihre Wangen. Verlegenheit, weil Luis sie bei ihrem kindischen Spiel vor dem Spiegel ertappt hatte.

In schwarzem Abendanzug und blütenweißem Hemd verkörperte er lässige Eleganz, gepaart mit erotisierender Männlichkeit.

„Ich hatte schon befürchtet, sie sei auf immer verschwunden“, fuhr er träge fort. „Aber sie ist wieder da, schön und exotisch aufgeputzt in ihrem neuen Federkleid. Sexy und sich dessen bewusst.“

Worte, scharf hervorgebracht, die zeigten, in welcher Stimmung er war – immer noch wütend. Cristina hob herausfordernd das Kinn. „Selbst viuva de Ordoniz macht es Spaß, sich zu bestimmten Anlässen zurechtzumachen“, sagte sie trotzig.

Seine bis dahin entspannten Züge verhärteten sich. „Du hast behauptet, du hättest diesen Namen nie benutzt. Fang jetzt nicht damit an.“

Er stieß sich vom Türrahmen ab und kam mit der Geschmeidigkeit eines Panthers durch den Raum auf sie zu. Einen Schritt vor ihr blieb er stehen, überwältigte sie mit seiner Größe und seiner männlichen Präsenz, ließ ihren Puls rasen und ihre Knie weich werden, auch wenn sie sich verzweifelt dagegen wehrte.

Mit einem Finger schnippte er gegen den Diamanthänger in ihren Ohren, fuhr mit der Fingerspitze weiter unter die Halskette. „Diamanten?“, fragte er.

Sie wollte ihm schon sagen, dass die Steine nicht echt waren, doch der Stolz hielt sie zurück – das, was ihr davon noch übrig geblieben war. „Sie gehörten meiner Mutter“, erklärte sie nur.

„Ah.“ Er zog den Finger zurück, und Cristina fragte sich, ob er ihr wohl die Kette vom Hals gerissen hätte, hätte sie behauptet, der Schmuck sei ein Geschenk von Vaasco.

„Ich will nicht mit dir streiten, Luis“, hörte sie sich selbst heiser flüstern und wünschte im gleichen Augenblick, sie hätte die Worte nicht ausgesprochen.

„Wer streitet denn hier?“ Er schob mit lässiger Geste die Hände in die Hosentaschen.

Ein Seufzer kam über ihre Lippen. „Das, was vor sechs Jahren zwischen uns geschehen ist, war …“

„Vor sechs Jahren“, beendete er den Satz für sie. „Jetzt ist nur noch die Zukunft maßgebend.“

Doch für sie waren Vergangenheit und Zukunft unzertrennlich miteinander verbunden, wie Tag und Nacht. „Du kannst doch nicht …“

„Und ob ich kann. Ich kann alles tun, was mir beliebt, solange ich die Zügel in der Hand halte.“

„Wirst du mich wohl einen Satz zu Ende bringen lassen?“, fuhr sie ihn frustriert an.

„Jetzt nicht.“ Er zog eine Hand aus der Hosentasche. „Gib mir deine linke Hand.“

Sie atmete scharf ein. „Wozu?“

„Gib einfach her.“

Er zog ihre Hand heran. Kühle Finger hielten ihre, sein Daumen strich über ihren Handballen. Sie wusste diese Geste nicht zu deuten, selbst als er über ihren Ringfinger strich, ahnte sie noch immer nichts.

„Nichts zu sehen“, bemerkte er.

„Nein.“ Der Abdruck von Vaascos Ehering war längst verschwunden.

„Gut“, meinte er. „Das passt mir sehr gut …“

Erst jetzt erhaschte sie einen flüchtigen Blick, nur kurz, bevor er ihr den Ring über den Finger streifte. Strahlende Diamanten, die einen tiefroten Rubin umrandeten, gefasst in Gold. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle.

„Gefällt er dir?“

Natürlich gefiel ihr der Ring – er war unglaublich schön! „Aber … Luis …“, brachte sie stockend hervor. „Wir müssen reden, über …“

„Sieh den Ring als Besiegelung für die Anwartschaft meines Besitzerstatus’ an. Der Ehering folgt bald.“

„Bald?“

„Ja, bald“, wiederholte er. „So schnell es sich arrangieren lässt.“ Er neigte den Kopf und küsste sie flüchtig auf den Mund. „Und meinen Namen wirst du benutzen, querida“, versicherte er. „Cristina Scott-Lee … das hört sich sehr englisch an, findest du nicht auch?“

Da waren sie wieder, die Sticheleien. Cristina senkte den Blick und schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen, wenn jedes Wort von ihr doch nur Verachtung in ihm provozierte?

Anton wartete, immer noch ihre Hand haltend, und wünschte, er hätte diese Worte nicht gesagt. Es würde ihm nicht dabei helfen, sein Ziel zu erreichen, wenn er sie dazu brachte, ihn so sehr zu hassen, dass sie ging. Ein weiteres Mal.

Dabei wusste er, warum er sich so benahm, was an ihm nagte. Als er ins Schlafzimmer gekommen war und sie dort vor dem Spiegel gesehen hatte, wie die jüngere Cristina … Sein Herz hatte einen Schlag lang ausgesetzt.

Und warum? Weil er mit Gewissheit erkannt hatte, dass er sie immer noch liebte, dieses schöne, starke, ungezähmte Geschöpf, das da mit seinem Konterfei flirtete. Er wollte sie zurückhaben … Doch sich das Unmögliche zu wünschen würde nichts einbringen. Cristina war die Frau, die sich einem alten Mann hingegeben hatte, und er war der Mann, der Rache wollte.

Er ließ ihre Hand los.

Cristina hob den Blick und sah ihn an. „Luis …“

Nein.

Er wandte sich ab, fort von diesem Blick, der flehte und ihn erweichen wollte. „Wenn du so weit bist, dann lass uns gehen.“

Im Gang warteten sie auf den Lift, der sie nach unten bringen würde. Cristina blickte in einen der hohen Wandspiegel, und ihre Aufmerksamkeit wurde angezogen von dem Bild, das sie dort sah: ein großer dunkler Mann, elegant, beherrscht, im klassischen Look des kühlen, weltgewandten Engländers, gemischt mit der Exotik des heißblütigen Brasilianers.

„Ich wünschte, du wärst nie wieder zurückgekommen“, entfuhr es ihr, bevor sie die Worte aufhalten konnte.

Er sah auf sie herab, folgte mit gerunzelter Stirn ihrem starren Blick. Als er erkannte, was sie betrachtete, war es, als hätte er einen Stromschlag erhalten, so durchzuckte es ihn. Er stellte sich hinter Cristina, umfasste ihre Arme, dort, wo der Stoff ihre Haut freiließ, und drehte sie mit sich herum, sodass sie nun beide frontal im Spiegel zu erkennen waren.

Sie passten zueinander. Hatten immer zueinandergepasst. Er bewegte sich leicht, und sie spürte seine Erregung, schnappte leise nach Luft. Ihre Lippen – rot und voll und einladend. Ihre Augen – dunkel und verhangen. Er strich über den glatten Stoff ihrer Ärmel, hin zu ihren Handgelenken, verschränkte seine Finger mit ihren. Cristina beobachtete ihn atemlos. Erregung breitete sich in ihr aus, als er ihre so verschränkten Hände langsam ihren Körper hinaufgleiten ließ, über ihre Hüften, ihre Taille, zu ihren Brüsten. Unfähig, zu protestieren, hielt Cristina den Atem an, fasziniert von der Szene im Spiegel. Ein lustvolles Prickeln durchlief sie, als ihre eigenen Handflächen auf ihren hart gewordenen Knospen zu liegen kamen.

Anton fragte sich ernsthaft, ob er den Verstand verloren habe. Dass er ihnen dies hier antat, während sie auf dem Weg nach unten waren, um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Und dennoch …

„Sieh dich nur an“, sagte er rau. „Du bist das bezauberndste Wesen, das ich je so nah an mich gepresst gehalten habe.“

„Und du verachtest dich selbst dafür, dass du mich so halten willst.“

Er runzelte die Stirn, zog die schwarzen Augenbrauen zusammen und hielt ihren Blick fest. „Ich mache mir Sorgen. Wenn ich nicht aufpasse, könnte ich dir erneut erliegen, und ich denke, das wäre nicht gut für …“

„Deine Pläne?“

Er lächelte sie im Spiegel an. „Eigentlich wollte ich etwas wirklich Triviales sagen, wie ‚Herz‘“, erwiderte er und spürte, wie ihre Brust sich mit einem tiefen Atemzug hob und senkte. „Aber das wäre unnötig ehrlich. Bleiben wir daher besser bei deiner Erklärung. Für den Moment.“

Der Aufzug kam. Wahrscheinlich war es gut so. Sonst hätte sie ihn noch zurück in die Suite gezerrt.

Im Lift stand Cristina vor Luis, er hatte die Arme von hinten um sie geschlungen, ihrer beider Hände lagen auf ihrem flachen Bauch. Federleicht ließ er die Lippen über ihren Hals, ihren Nacken, hin zu ihrer bloßen Schulter gleiten. Cristina neigte den Kopf ein wenig, um es ihm leichter zu machen, und verlor sich im Genuss der sinnlichen Sehnsucht. Es gab nicht eine Zelle in ihrem Körper, die die Wärme seiner Lippen nicht spürte.

„Luis …“, hauchte sie erregt seinen Namen.

Dieses Bild boten sie dem Empfangskomitee, das vor dem ankommenden Aufzug im Foyer wartete: eine aufregend schöne Frau in Rot, völlig versunken in die Liebkosungen ihres großen dunklen Liebhabers.