12
I ch wusste nicht, was die beiden besprochen hatten, doch so verschreckt wie das Schneewittchen aussah, hatte die Teufelin wohl mal wieder ganze Arbeit geleistet.
Verdammte Scheiße! Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen!
»Meinen Geldbeutel. Ich muss meinen Ausweis wegen meiner Bewährung immer bei mir haben, wie du sicher weißt. Hast du ihn in deinem Saustall irgendwo gesehen?«, brummte ich ihr schlechtgelaunt entgegen.
Ich war heute Morgen so überstürzt gegangen, dass ich meinen Geldbeutel glatt vergessen hatte. Gut, dass mich die Bullen nicht aufgehalten hatten, das hätte sonst nur Ärger mit meiner Bewährungshelferin gegeben.
Mist, mit ihr sollte ich mich demnächst auch noch mal treffen!
Die Teufelin blickte mir mit ihrer typischen Unschuldsmiene entgegen, die ich ihr schon seit 10 Jahren nicht mehr abkaufte.
»Ich habe ihn nicht gesehen. Sollen wir ihn schnell gemeinsam suchen?«, schlug sie ehrenhaft, wie sie nun mal sowas von nicht war, vor.
Leider musste ich ihre Hilfe annehmen, denn ich brauchte meinen Geldbeutel. Außerdem wollte ich mein verschrecktes Mädchen, so schnell es ging, hier rausschaffen. Also musste ich wohl oder übel in den sauren – oder in Evs Fall eher in den vergifteten – Apfel beißen und mir von ihr ‚helfen‘ lassen.
Ich wollte gerade mein Mädchen um Entschuldigung bitten, dass sie so lange auf mich warten musste, doch sie kam mir zuvor.
»Schon okay, geht nur. Ich warte hier auf dich.« Als ich ihr noch einmal einen prüfenden Blick zuwarf, weil sie auf mich irgendwie verstört wirkte, lächelte und nickte sie mir aufmunternd zu.
Evy hatte sich schon breit grinsend in Bewegung gesetzt, daher nickte ich dem Schneewittchen noch einmal zu, dann ging ich höchst widerwillig zurück in mein Zimmer. Es kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn ich mit Ev allein war.
Ich ließ die Tür mit Absicht offen, doch Ev schloss sie natürlich demonstrativ. Ich schüttelte über ihr offensichtliches Vorhaben den Kopf, dann verschränkte ich zur Abwehr meine Arme vor der Brust und schenkte ihr einen abschätzigen Blick.
»Ev, lass jetzt endlich deine Spielchen und gib mir meinen Geldbeutel! Ich weiß, dass du ihn hast.«
»Vielleicht trage ich ihn ja an mir. Du kannst mich gern durchsuchen, wenn du das möchtest«, hauchte sie verführerisch und kam langsam auf mich zu. Als sie bei mir angekommen war und provokativ mit einem Finger meine Tätowierungen an meinen Armen nachfuhr, hob ich missbilligend eine Braue.
»Ev, ich sagte, lass endlich deine Spielchen! Sie nerven mich allmählich und du willst doch nicht, dass ich bei dir meine Beherrschung verliere, oder?!« Evy hielt schlagartig inne, hörte auf, meine Tätowierungen nachzufahren, und blickte mit erhobener Augenbraue zu mir auf.
»Sollte das gerade eine Drohung sein, mein Hübscher?« Ich zuckte teilnahmslos mit den Achseln, während sich auf meine Lippen ein kleines Lächeln legte, da ich die Teufelin langsam in die Ecke drängte und mir dieses gefährliche Spiel leider mehr Spaß machte, als es eigentlich dürfte.
Fuck! Ich darf nicht mehr zu diesem Mann werden!
»Du drohst mir? Jetzt? Während deine Kleine eine Tür weiter auf dich wartet? Ich glaube, du hast vergessen, zu was ich fähig bin, oder wie gern ich mit solchen Dingern wie ihr gespielt habe. Wir beide gespielt haben. Komm schon, Blake, sie passt nicht zu dir. Das habe ich ihr gerade auch ziemlich deutlich gemacht.« Ich verspannte mich bei ihren Worten.
Was hat sie dem Schneewittchen erzählt?
Doch ich wollte ihr die Genugtuung über meine Unsicherheit nicht geben, daher blieb ich äußerlich cool und begann noch etwas breiter zu lächeln, während ich die Verschränkung meiner Arme löste.
»So sehr habe ich dich also schon in die Ecke gedrängt, dass du solche billigen Tricks anwenden musst? Dein Ernst?« Ich schnalzte mit der Zunge, ehe ich weitersprach.
»Du enttäuschst mich, Teufelin! So macht das Spiel mit dir hier keinen Spaß mehr. Da musst du dir wohl ein neues Opfer suchen, denn ich bin hiermit raus. Und jetzt gib mir meinen Geldbeutel, Ev. Mach dich am Ende nicht noch lächerlich, weil du nicht verlieren kannst.« Ich konnte mir diesen Spott nicht verkneifen.
Eigentlich erwartete ich jetzt einen divenmäßigen Aufstand, doch nichts. Nein, Ev lächelte mir sogar siegessicher entgegen. Ich schluckte unmerklich, denn dieses Lächeln kannte ich nur allzu gut von ihr und früher hatte ich es geliebt. Denn es bedeutete ein neues krankes Spiel, mit viel Spaß und vor allem viel heißem und dreckigem Sex.
Doch das war nun vorbei. Ich wollte nicht mehr nur zum Spaß am Spiel mit Evy irgendwelche Leute bescheißen, quälen oder was ihr nicht sonst noch alles Krankes eingefallen war.
Ich wollte endlich ein guter Mensch werden. Wollte all diese Scheiße hinter mir lassen und mit all dem abschließen, damit ich mit dem Schneewittchen ein sauberes und ruhiges Leben führen konnte. Und in diesem hatte die Teufelin definitiv nichts zu suchen.
»Oh, mein Hübscher, es ist wirklich süß und mehr als naiv von dir, zu denken, du hättest mich schon in die Ecke gedrängt. Ich fange gerade erst an, mit dir und vor allem mit deiner süßen Kleinen zu spielen. Und ich weiß jetzt schon, dass dies mein Lieblingsspiel werden wird. Und weißt du auch warum? … Weil wir dieses Mal um etwas anderes spielen. Nicht aus Langeweile, nicht aus Freude oder wegen unseres heißen Sex. Nun spielen wir um etwas, das dir wichtig ist. Du denkst, du hättest mich durchschaut? Hast du nicht und wirst du nicht. Nicht mit dieser Ausgabe von dir.« Kaum hatte sie ihren Satz beendet, wandte sie sich breit grinsend von mir ab und ging mit schwingenden Hüften zu einem Landschaftsbild, das in meinem Zimmer an der Wand hing.
Ich blickte ihr noch immer fassungslos, sie so unterschätzt zu haben, hinterher, wie sie das Bild leicht anhob und mein Geldbeutel plötzlich nach unten direkt in ihre Hand fiel. Sie wandte sich erneut zu mir um und kam wieder auf mich zu.
»Bitte. Und viel Spaß mit deiner Kleinen.« Evy drückte den Geldbeutel an meine Brust, dann wollte sie sich erneut von mir abwenden, doch meine Hand schnellte nach vorn und hielt sie an ihrem Handgelenk davon ab, zu gehen.
Ihr Blick fiel erst auf meine Hand und dann in mein Gesicht. Völlig unbeeindruckt und schon fast gelangweilt blickte die Teufelin mir entgegen.
Scheiße, ich hatte bereits verloren, bevor das Spiel überhaupt richtig begonnen hatte, nur weil ich sie völlig unterschätzt hatte. Ich war einfach schon zu lange aus dem Spiel!
»Wie lauten die Spielregeln, Ev?«, fragte ich sie daher. Mir blieb nichts mehr anderes übrig, als wenigstens zum Teil mitzuspielen. Ein triumphierendes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, ehe sie mir ihren Arm entzog und rückwärtslaufend Richtung Tür ging. Ich folgte ihr langsam.
»Das sagte ich doch schon.«
Ich unterbrach sie mit einem strengen Kopfschütteln.
»Nein, Ev, wir wissen beide, dass das erst der Anfang ist. Ich will wissen, worauf das hier hinausläuft? Was hast du vor? Und was ist der finale Gewinn?!« Nun war sie es, die den Kopf schüttelte und einmal tadelnd mit der Zunge schnalzte.
»Oh, mein Hübscher, hast du etwa schon alles aus unseren gemeinsamen Spielen vergessen? Herauszufinden, worum es hierbei geht, ist doch schon der halbe Spaß, findest du nicht?« Sie war so weit zurückgegangen, dass sie sich nun mit dem Rücken an der Tür anlehnte und auf mich wartete.
»Ja, sehr witzig. Siehst du, wie sehr ich mich amüsiere?«, spottete ich bitter.
Evy hob beide Hände, als ich bei ihr angekommen war, um mein Gesicht mit ihnen zu umschließen, doch ich fing sie in der Luft ab und drückte sie etwas kräftiger als nötig nach oben gegen die Tür. Ich trat dicht an sie heran, presste sie mit meinem Körper gegen das dunkle Holz und hielt gewaltsam ihre Hände über ihrem Kopf fest.
Wir lieferten uns ein kleines Blickduell.
»Sag mir, was du wirklich von mir willst, Ev«, raunte ich mit dunkler Stimme zu ihr nach unten, nur um dann mein Knie zwischen ihre Beine zu schieben. Wie zu erwarten, zeigte es keine Wirkung auf sie. Evy war zu abgebrüht und zu geübt mit solchen Situationen. Ich konnte sie mit nichts mehr schocken oder einschüchtern. Sie kannte mich anders als ich sie, in- und auswendig. Ich war für Ev ein offenes Buch, sie für mich jedoch eines mit sieben Siegeln.
»Du weißt es noch immer nicht?«, hauchte sie sexy zu mir nach oben. Ich schüttelte leicht den Kopf und hielt ihrem verführerischen Blick stand. Gleich hatte ich sie, ich musste nur noch einen Augenblick durchhalten.
»Küss mich!«, forderte sie rau. Ich verzog meine Brauen.
Was soll das denn jetzt?!
Ihr siegessicheres Lächeln brachte mich dazu, ihre Handgelenke noch etwas kräftiger zu umschließen. Ihr entwich ein leises Keuchen.
»Ev, sag mir endlich, warum du nach all den Jahren wieder aufgetaucht bist!«
Ein trotziger Ausdruck schlich sich auf ihr Gesicht. Ihr passte es nicht, dass ich meine körperliche Überlegenheit gegen sie einsetzte. Bisher hatte ich das auch noch nie getan, doch hier ging es schließlich nicht mehr nur um mich. Die Teufelin hatte mein Mädchen mit in ihr krankes Spiel gezogen und wenn sie unfair spielte, konnte ich das auch.
Ev öffnete den Mund, um mir zu antworten, da klopfte es plötzlich an der Tür.
»Blake?«, ertönte die unsichere Stimme meines Mädchens von außen. Ich brummte missmutig auf. Sie kam wirklich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Teufelin hingegen begann breit zu lächeln.
»Wie es scheint, ist unser nettes Frage- und Antwortspiel hiermit vorbei. Zu schade, wo ich doch gerade so gern mit dir plaudern wollte«, flüsterte sie gespielt enttäuscht zu mir nach oben.
Noch einmal knurrte ich leise auf, dann ließ ich von ihr ab und öffnete mit einem schnellen Ruck die Tür. Ich stieß sie damit rücksichtslos beiseite und beachtete auch ihre Reaktion darauf nicht mehr.
Ich trat nach draußen, wo das Schneewittchen schon auf uns wartete. Sie musterte mich mit nervöser Miene und wartete auf eine Erklärung von mir. Ich versuchte mich zwanghaft zu beruhigen, um ihr kein Indiz auf mich und die Teufelin zu geben.
Mir passte es nicht, das Schneewittchen so anlügen und täuschen zu müssen, doch es ging nicht anders. Ich redete mir ein, sie damit nur beschützen zu wollen.
»Entschuldige, Kleines, die Prinzessin hier meinte, mir keine große Hilfe bei der Suche sein zu müssen.« Ich schenkte Ev einen strengen Seitenblick, da diese sich gerade neben mich gestellt hatte. Sie schaute natürlich mit ihrer Unschuldsmiene drein und zuckte zur Krönung ihres Schauspiels auch noch entschuldigend mit den Achseln.
Das Schneewittchen sah kurz zwischen uns beiden hin und her, ehe sie zu sprechen begann.
»Hast du denn nun deinen Geldbeutel? Können wir dann gehen?«
Schnell nickte ich, ging an ihr vorbei und schulterte meine Reisetasche, die ich vorhin vor der Tür abgestellt hatte.
Ich trat wieder an sie heran und legte eine Hand an ihren unteren Rücken, um ihr zu bedeuten, dass wir nun endlich von hier verschwinden konnten.
»Na dann, euch eine schöne Zeit. Freya, es hat mich gefreut, dich kennenzulernen. Und dich, mein Hübscher, sehe ich ja in ein paar Tagen wieder.« Evy zwinkerte mir doch tatsächlich rotzfrech vor ihr zu. Ich schäumte innerlich vor Wut.
Dieses Miststück!
Mein Mädchen nickte ihr nur leicht zu, dann blickte sie mich flehend an. Ich kam ihrer stummen Bitte gerne nach und führte sie mit leichtem Druck an ihrem Rücken zur Wohnungstür.
Froh darüber, dass nicht auch noch Ryan zu einer unpassenden Abschiedsrede kam, verließen wir das Loft.
Der Penner!
Hatte er mir doch vorhin wirklich den Spruch geknallt, ich sollte mich zwischen den beiden entscheiden. Doch es gab hier nichts zu entscheiden! Ich liebte Freya und wollte mit ihr zusammen sein und sicher nicht mit der Teufelin! Ja, ich hatte sie gefickt, doch das war nur ein Ausrutscher gewesen, mehr nicht!
»Was war das da gerade?«, fragte mich das Schneewittchen im Treppenhaus angekommen.
»Was meinst du?«, stellte ich ihr ruhig die Gegenfrage. Plötzlich blieb sie auf dem Treppenabsatz stehen und hielt mich an meinem Arm davon ab, weiterzugehen.
Ihr Blick wandelte sich, sie sah mich beinah flehend an. Ich hasste es, wenn sie mich so ansah. Wenn ich den Schmerz und die große Unsicherheit darin sah. Ich wollte sie nicht verletzen und noch weniger wollte ich sie, wie dieser Bastard es getan hatte, verunsichern oder gar kleinhalten. Ich wollte ihr Sicherheit und Geborgenheit schenken. Doch gerade konnte ich weder das eine noch das andere.
Scheiße!
»Blake, ich will von dir wissen, was da zwischen euch ist?«, fragte sie mich nun entschlossen, doch ihr Blick blieb derselbe.
FUCK!
Innerlich zerriss es mich, mein Puls beschleunigte sich, doch äußerlich versuchte ich ihr mit sanfter Miene entgegenzublicken.
»Nichts ist dort zwischen uns«, log ich sie souverän und ohne zu zögern an.
Ich fasste ihr zärtlich unter ihr Kinn und fuhr dort ihre Konturen nach, während ich ihr tief in die Augen blickte.
Ich war so ein verdammter Mistkerl! Doch ich konnte ihr noch nicht die Wahrheit sagen. Erst musste ich herausfinden, was für ein krankes Spiel Ev mal wieder spielte und wie weit sie das Schneewittchen dort schon mit hineingezogen hatte.
»Wirklich nicht? Und wieso nennt sie dich dann so und sieht dich so an?«, hakte sie unsicher nach. Ihr Blick wurde allmählich sanfter, sie glaubte mir viel zu schnell.
Scheiße Schneewittchen, wieso machst du es mir Dämon so verdammt leicht, dich unschuldigen Engel zu belügen?!
Noch immer tänzelten meine Finger spielerisch über ihre weiche Haut, während ich zu sprechen begann.
»Wir haben früher viel Zeit miteinander verbracht. Sie kennt es eben nicht anders, als mich so anzusprechen und anzusehen. Gib ihr Zeit, um zu verstehen, dass nun du mein Mädchen bist, okay?«
Fuck, es fällt mir viel zu leicht, sie so dermaßen zu belügen! Warum verdammt noch mal fühle ich jetzt nichts?
Evy, diese Hexe, hatte schon wieder viel zu sehr auf mich abgefärbt. Gestern noch hatte es mich beinahe umgebracht, das Schneewittchen anzulügen, heute war es schon das Normalste der Welt.
Fuck, nein! Du wirst nicht mehr zu diesem Mann, zu diesem Monster von früher!
So viel Macht durfte die Teufelin nie wieder über mich bekommen.
Doch das war leichter gesagt als getan, denn auch, wenn ich mich mit allen Mitteln gegen sie wehrte, so schaffte sie es dennoch in meinen Kopf. Ev kontrollierte mich noch immer, auch wenn ich der Meinung gewesen war, dem wäre nicht so. So bewiesen meine dreiste Lüge und die Tatsache, dass es mich kaum störte, das Gegenteil.
Das Schneewittchen schien einen Moment überlegt zu haben, doch dann nickte sie schließlich leicht.
»In Ordnung. Ich werde ihr die Zeit geben. Können wir jetzt gehen?« Ich drückte ihr als Antwort einen kleinen Kuss auf ihren Mundwinkel, dann gingen wir Händchenhalten nach unten bis zu meinem Auto.
»Was sagen wir eigentlich deinem Vater?«, fragte ich sie, nachdem ich den Wagen aus der Parklücke manövriert hatte.
»Ich weiß nicht. Ich dachte, du hättest eine gute Idee.« Sie grinste mir niedlich entgegen. Belustigt schnaubend schüttelte ich den Kopf.
»Danke, Kleines«, spottete ich. Die restliche Fahrt hörten wir einfach Radio und jagten unseren eigenen Gedanken hinterher.
Bei ihrem Haus angekommen schlug ich ihr vor, dass es vielleicht besser wäre, ich würde allein mit ihrem Vater sprechen.
Nach kurzem Zögern willigte sie ein.
Also ging sie, nachdem wir ihr Haus betreten hatten, nach oben und ich machte mich auf den Weg zu seinem Büro.
Immerhin arbeitete er, seitdem er von ihrer Schwangerschaft wusste, fast nur noch von zu Hause aus. Wieso wusste jedoch keiner so genau.
Ich klopfte und wartete darauf, dass er mich hereinbat. Erst dann trat ich ein. Ihr Vater blickte nicht gleich von seinem Laptop auf, dachte wohl, ich wäre sie. Erst als ich mich räusperte, sah er erschrocken auf.
»Sir …« Ein tadelnder Blick, da ich ihn mal wieder mit Sir angesprochen hatte. Doch wie sollte ich ihn auch jemals anders nennen? Den Mann, der mich für 8 Jahre hinter Gittern gebracht hatte?
»Ich müsste etwas mit dir besprechen. Hättest du kurz Zeit?«
Nein, es ist einfach komisch, ihn zu duzen.
»Was gibt es, mein Junge?« Er nickte mit dem Kopf auf den Stuhl seinem Schreibtisch gegenüber.
Dankbar nahm ich Platz, dann blickte ich ihm wieder entgegen. Ich wusste nicht so ganz, wie ich ihn genau fragen sollte. Ich konnte ihm ja schlecht die Wahrheit sagen, doch ihn anzulügen, war beinah unmöglich. Dieser Mann erkannte eine Lüge besser als jeder Lügendetektor.
Na dann, Bühne frei!
»Ich wollte fragen, ob es dir recht wäre, wenn ich eine Zeit lang hierbleiben würde, um einfach ein Auge auf Freya haben zu können. Du könntest wieder normal arbeiten gehen, denn sind wir doch mal ehrlich, wir wissen beide, dass du es dir in deiner Position als Polizeichef eigentlich nicht leisten kannst, so viel von zu Hause aus zu machen.« Innerlich angespannt, äußerlich jedoch cool, wartete ich auf seine Antwort.
Der Vater meines Mädchens legte nachdenklich den Kopf leicht schief und schien ernsthaft über meine Worte nachzudenken. Das war schon mal ein gutes Zeichen.
»Warum?«, fragte er mich dann doch zu meiner Überraschung.
Verdammt, er ist gut!
Ich blickte ihm gespielt fragend entgegen, doch er quittierte es mit einem strengen Zungenschnalzen.
Fuck! Und jetzt?
»Sir?« Ich konnte einfach nicht aus meiner Haut. Ich konnte ihn nicht bei seinem Vornamen nennen, auch wenn er es mir angeboten hatte. Unsere Vergangenheit zerrte zu sehr an mir, um ihn fröhlich duzen zu können.
»Ach, komm, Junge, bitte beleidige nicht meinen Verstand und sag mir, warum du wirklich für ein paar Tage bei uns untertauchen willst. Was hast du wieder angestellt?«
Fuck, was?
Dieses Gespräch ging ja in eine noch schlechtere Richtung, als gedacht. Daher schüttelte ich leicht den Kopf und setzte mich aufrecht hin. Ich musste ihm klarmachen, dass er völlig auf dem Holzweg war.
»Nein, Sir, Sie verstehen mich falsch! Ich stecke in keinen Schwierigkeiten.« Zumindest nicht in solchen, wie du denkst, alter Mann, dachte ich bitter und setzte mein Schauspiel weiter fort, denn die Wahrheit konnte ich ihm niemals sagen. Für meinen Betrug an seiner Tochter würde er mich sogar schneller erschießen, als wenn ich wieder in irgendeiner illegalen Scheiße stecken würde. Ich war seinem kleinen Engel fremdgegangen und sollte sie jemals davon erfahren, würde es sie zerstören.
»So? Und warum will ich dir das nicht glauben?«, fragte er mich trocken und stützte seine beiden Arme links und rechts auf den Lehnen seines imposanten Stuhls ab. Die Hände vor der Brust gefaltet blickte er mir ernst entgegen und wartete auf meine Geschichte.
Dann bringen wir das ganze Mal zu Ende.
»Weil es in Ihrer Natur liegt, Menschen wie mir zu misstrauen, deshalb, Sir. Sie glauben bei Männern wie mir immer gleich an eine List oder einen Verrat. Ich weiß nicht, was ich noch groß sagen soll außer, dass Sie mir vertrauen sollen, Sir.« Seine Augen kniff er zu engen Schlitzen zusammen.
Scheiße, er glaubt mir kein Wort!
Ich schluckte unmerklich, mein Mund war plötzlich wie ausgetrocknet. Aber war es verwunderlich? Schließlich belog ich hier gerade den Polizeichef von New York. Einen der härtesten und mächtigsten Männer, die ich kannte. Würde ich auffliegen, könnte das böse ins Auge gehen.
»Und wie lange gedenkst du, in meinem Haus zu bleiben?«, fragte er mich schon fast gelangweilt. Selbst etwas überrascht darüber, dass mein Plan aufgegangen war, stutzte ich einen kurzen Moment, ehe ich ihm antwortete.
»So lange Sie mich lassen, Sir. Ich möchte bei Ihrer Tochter und unserem Sohn sein. Und da ich weiß, sie würden Ihre Tochter niemals zu mir lassen, komme ich eben zu ihr.« Ich zuckte am Ende leicht mit den Schultern. Ich hatte all meine Karten und Asse gespielt, nun musste ich auf sein Urteil warten.
Nach einem weiteren Moment der beklemmenden Stille zwischen uns, in der er mich mit seinem intensiven Blick durchbohrte, löste er plötzlich die Verschränkung seiner Hände und begann mit ruhiger Stimme zu sprechen.
»Ich weiß zwar noch immer nicht den wahren Grund, doch da ich meine Tochter bezüglich dir nicht wieder unglücklich machen möchte, stimme ich zu. Aber!«, betonte er streng, da sich auf meine Lippen schon ein kleines Lächeln geschlichen hatte. Ich zwang mich zu einer neutralen Miene und wartete auf seine Bedingung. Und ich war mir sicher, sie auch schon zu kennen. Ich sollte sicherlich in einem anderen Zimmer schlafen, oder etwas Lächerliches in der Art.
Innerlich seufzend wartete ich ungeduldig ab.
»Junge, sei dir bewusst in wessen Haus du hier bist. Verstehst du den Wink, oder muss ich deutlicher werden?«
Ich hob eine Braue, das konnte nur ein Scherz sein? Oder unterstellte er mir hier nicht gerade unterschwellig, ich sollte meine Wichsgriffel bei mir lassen und aus seinem heiligen Hallen nichts mitgehen lassen?
Einmal Sträfling immer Sträfling, war wohl sein Motto! Aber gut, ich ließ ihn lieber in dem Glauben, ich würde sein Haus ausräumen wollen, als dass er weiter herumschnüffelte. Daher nickte ich mit bemüht neutralem Ausdruck.
»Ja, Sir. Danke«, presste ich zum finalen Abschluss meines Schauspiels noch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ein wenig ärgerte mich seine Art, über mich zu denken, schon. Andererseits waren seine Vorurteile sogar noch harmloser als die Wahrheit. Ich konnte es jetzt nicht ändern, also stand ich auf, nickte ihm noch einmal zum Abschied und verließ sein Büro.
Als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lehnte ich mich kurz mit dem Rücken an diese und seufzte einmal leise. Die Augen gequält geschlossen stand ich noch einen Moment lang so dort.
»Es scheint wohl nicht gut gelaufen zu sein?«, erreichte mich die zarte Stimme meines Mädchens. Ich öffnete nicht gleich die Augen, zu sehr war ich noch in meiner Düsternis gefangen, als dass ich sie jetzt ansehen könnte.
»Wie kommst du darauf, Schneewittchen? Du weißt doch, dein Vater liebt mich und meinen unglaublichen Charme«, scherzte ich und erst als ich ein leises Lachen von ihr hörte, öffnete ich wieder meine Augen, um sie anzusehen.
Ich stieß mich von der Tür ab und ging auf sie zu, damit ich sie in die Arme nehmen konnte. Ich brauchte jetzt ihre Nähe.
»Es ist alles gut gelaufen, Kleines«, raunte ich an ihren Scheitel, sowie ich sie endlich in meine Arme geschlossen hatte.
Sie schmiegte sich wie ein schnurrendes Kätzchen an mich und auch ihre Hände fanden an meinen Rücken, um mich ganz fest an sich zu pressen.
»Sicher? Du wirkst so erschöpft«, nuschelte sie an meine Brust.
»Das bin ich, Schneewittchen. Deshalb will ich jetzt einfach nur in deinem Bett liegen, dich festhalten und schlafen.« Sie schien einen Moment über meine Worte nachzudenken und kurz glaubte ich auch, sie würde mich weiter über diesen merkwürdigen Tag ausfragen. Doch dann nickte sie nur, löste sich von mir und nahm mich bei der Hand, damit wir in ihr Zimmer gehen konnten.
Im Gang angekommen schnappte ich mir noch schnell meine Tasche, dann ging ich dankbar mit ihr nach oben.
Ich brauchte nach diesen nervenaufreibenden Tagen wirklich erst einmal etwas Ruhe. Und nur hier – bei ihr – würde ich diese auch wirklich haben. Hier konnte die Teufelin nicht einfach nachts auftauen und mich in Versuchung bringen.
Also ließ ich mich dankbar in Schneewittchens Bett fallen und schlief, kaum, dass sie sich an mich gekuschelt hatte, ein.