A
ls der Flieger auf dem Boden von San Francisco aufkommt, quäle ich mich langsam aus meinem unangenehmen Schlaf.
Jedes Mal, seit Faith mich in dem Zimmer in New Orleans verlassen hat, sehe ich sie, sobald ich die Augen schließe. Jedes Mal höre ich ihre Worte – Ich verschwinde jetzt, Nevio. Und wir werden uns niemals wiedersehen
–, und jedes Mal denke ich, wütender zu werden. Nicht, weil eine Frau mich einfach hat sitzen lassen. Nicht, weil ich ein liebeskranker Trottel wäre … Es ist, weil … Fuck! Ich weiß es nicht.
Ich weiß nicht mal, was ich Maddox gleich erzählen soll, denn über seine Cousine habe ich nicht das Geringste herausgefunden. Wie sollte ich auch, mit nichts mehr als dem bloßen Namen der Großmutter? Alice … Wie viele davon wird es in New Orleans geben? Und den Namen Barese zu erwähnen … so blöd bin ich sicher nicht. Selbst wenn der Enforcer
tausende von Kilometern von New Orleans entfernt ist.
Als ich das Flughafengebäude betrete, frage ich mich, was Maddox bisher erreicht hat. In den letzten sechs Monaten haben wir ausschließlich miteinander telefoniert und uns nicht wie all die Jahre zuvor persönlich unterhalten können. Ich war
mir damals nicht sicher, ob es wirklich eine gute Idee ist, dass er seinen Wurzeln hinterherjagt. Verdammt dunklen Wurzeln. Fast so dunkel wie Faith …
»Alter!«, höre ich seitlich von mir plötzlich seine vertraute Stimme, und als ich mich ihm zuwende, sehe ich neben ihm eine kleine Blonde mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht.
»Maddox!« Wir fallen uns in die Arme und ich bin froh, dass es meinem Kumpel offenbar besser geht, als ich angenommen hatte. »Dir geht’s gut, wie ich sehe.«
»Ich möchte dir Brooke vorstellen.« Er tritt zurück und legt seinen Arm um die hübsche junge Frau, die mich an irgendwen erinnert. Ich komme nur nicht darauf, an wen.
»Hey«, sagt sie mit fester, klarer Stimme, die im Gegensatz zu ihrer zierlichen Gestalt steht, und hält mir ihre Hand entgegen.
»Hey, wie geht’s? Ich bin Nevio.«
»Schon viel von dir gehört«, bemerkt sie und grinst.
An wen erinnert sie mich bloß? Ich habe nicht den blassesten Schimmer, dabei liegt es mir auf der Zunge. »Und ihr seid … zusammen?«
»Sind wir«, antwortet Maddox und zieht sie noch etwas fester an sich. »Komm, wir haben noch etwa dreißig Minuten Fahrt vor uns.«
Ich folge den beiden, während Maddox fragt, ob in der Heimat alles okay ist, und ich frage mich, wie ernst das mit dieser Brooke ist. Maddox war nie ein Kind von Traurigkeit und gefühlt hatte er alle vierzehn Tage eine neue Frau an seiner Seite. Ich muss allerdings auch neidlos zugeben, dass der Scheißkerl verdammt gut aussieht und die Damen einfach auf ihn fliegen. Und das schon, solange ich denken kann.
»Hattest du einen langen Flug?«, will Brooke von mir wissen, während wir auf dem Parkplatz auf einen dunklen Van zusteuern.
»Zehn Stunden Flugzeit, wenn ich nur die Tour von Dublin
bis hierher rechne. Von New Orleans bis Dublin waren es aber vorher auch elf Stunden. Vielleicht wäre ich besser direkt von New Orleans zu euch geflogen.«
»Jetzt jammer nicht rum und steig ein«, sagt Maddox lachend und setzt sich hinters Steuer, während Brooke Anstalten macht, sich nach hinten zu setzen.
»Willst du nicht nach vorn?«, frage ich.
»Ihr habt euch bestimmt eine Menge zu erzählen und wir zwei quatschen schließlich seit drei Tagen unentwegt.«
»Lady«, knurrt Maddox, als ich neben ihm einsteige. »Wenn du nicht willst, dass ich dir den Hintern versohle …«
»Vielleicht habe ich es genau darauf angelegt«, erwidert sie scharf, lacht allerdings dabei.
»Jetzt erzähl schon, wie geht es dir?« Maddox biegt vom Parkplatz und fädelt sich in den fließenden Verkehr ein.
»Grundsätzlich gut, aber was diese eine Sache betrifft, da muss ich dich enttäuschen.«
»Du kannst offen reden.«
Ich kann offen reden? Dann scheint es wohl doch etwas Ernsteres zu sein, wenn ich von seiner Ursprungsfamilie vor dieser Fremden sprechen kann. »Bist du dir da sicher?«, frage ich daher lieber noch einmal nach. Denn die Lady des Black Widow-Kartells, muss nach Maddox’ Informationen, keine gesellige Dame sein. Ich weiß nicht, ob man Fremde noch mit in diese Sache hineinziehen sollte.
»Dreh dich zu Brooke um«, sagt er in diesem Moment.
Ich mache, was er verlangt, verstehe aber nicht wirklich wozu. »Und jetzt?«, will ich wissen und sehe ihre Augen schelmisch aufblitzen.
»Wozu hatte ich dich nach New Orleans geschickt?«, fragt er.
»Um etwas über deine Cousine herauszufinden«, antworte ich sarkastisch, weil ich immer noch nicht weiß, was die Nummer soll.
»Du weißt ja, dass ich hier an der Westküste auch noch eine Cousine habe.«
»Und eine unangenehme Großmutter«, füge ich warnend hinzu.
»Die Großmutter lebt nicht mehr«, antwortet Maddox.
»Die Cousine allerdings schon«, sagt Brooke und ihr Grinsen wird immer breiter.
»Du?«
»Ich«, bestätigt sie und mein Kumpel lacht laut.
In den letzten zwanzig Minuten war die Musik im Wagen so laut, dass wir uns nicht weiter unterhalten haben. Ich war aber auch froh darum, denn, wenn ich ehrlich bin, bin ich ziemlich im Arsch. Die scheiß Fliegerei, die Gedanken an Faith … Irgendwie habe ich dabei meine Ex Anna völlig hinter mir gelassen, weil ich ständig an die seltsame, heiße Frau aus New Orleans denken muss. Was mich jedoch auf den letzten Kilometern am meisten beunruhigt hat, war der Gedanke daran, wohin die beiden mich jetzt bringen. Bei unserem Telefonat, bevor ich auf den Trip nach New Orleans gegangen bin, war der letzte Stand, dass Maddox sich bei seiner Großmutter, der Lady B. des Black Widow-Kartells, einschleichen will. Gut, das hat er wohl geschafft. Dass er aber jetzt mit seiner Cousine … Irgendwie ist das ziemlicher crazy Shit! Und wirklich Bock habe ich jetzt nicht darauf in eine Höhle voller Drogendealer, Waffenhändler und was weiß ich, was es da noch gibt, zu kommen. Mir reicht schon der Scheiß, den ich zu Hause mitbekomme, und mein Alter ist einfach nur geldgeil und nicht ansatzweise so tief in illegale Geschäfte verstrickt wie eine Black Widow-Lady. Als wir allerdings ein Schild mit dem Namen North Beach
passieren und es so aussieht, als seien hier die Bürgersteige bereits hochgeklappt,
bin ich mir sicher, dass wir nicht zum Hauptquartier des Kartells fahren. »Was wollen wir hier?«, frage ich, als Maddox die Musik abstellt und in eine offenstehende Garage fährt.
»Hier wohnt Brooke«, sagt er und stellt den Wagen ab.
»Ich dachte … wenn eure Großmutter nicht mehr lebt … bist dann nicht zwangsläufig du die neue Lady?«
»Das bin ich«, bestätigt mir Brooke jetzt mit einem ernsten Gesicht und wir verlassen die Garage. »Hier verbringe ich meine Tage, als Brooke. Nur in der Nacht bin ich in Santa Rosa und somit die Lady.«
»Das geht?«, frage ich lachend, während wir auf eine Kirche zuhalten. Ich meine … Ist sie wirklich eine Frau mit zwei Gesichtern?
»Bei Heiligen klappt sowas«, bemerkt Maddox und zieht Brooke wieder an sich.
Alter, sie scheint ihm echt den Kopf verdreht zu haben. So besitzergreifend kenne ich meinen Freund nicht. Als bei diesem Anblick wieder Faiths Bild vor meinem inneren Auge erscheint, sperre ich es eiligst fort.
»Das Leben als Lady ist nicht gerade angenehm«, bemerkt Brooke und betritt ein Rasenstück vor einem kleinen weißen Haus, gegenüber der Kirche. »Erst heute Nachmittag ist einer meiner besten Männer aus dem Fluss gezogen worden.« Sie schließt auf und Maddox und ich treten hinter ihr ein.
»Nichts für ungut, aber in dem Gewerbe, in dem du unterwegs bist, ist das sicher nichts neues für dich.« Und während Brooke gar nicht darauf reagiert und den Schlüssel auf einem Tisch ablegt, ist es mein Kumpel, der mir einen warnenden Blick zuwirft. Was verlangt er? Ich meine, für mich ist es nicht alltäglich von aus dem Fluss gezogenen Leichen zu hören, die einer Mafia-Gruppierung angehören.
»Erzähl erst mal von dir, von New Orleans. Alles, was ich hier erlebt und gefunden habe«, er zieht Brooke erneut an sich und lässt sich mit ihr aufs Sofa fallen, »kann ich dir später noch
sagen.«
»Vielleicht hat Nevio auch erstmal Hunger oder Durst«, sagt Brooke und steht wieder auf. »Ich habe allerdings nur Wasser und Tee hier … und nichts zu essen«, bemerkt sie mit niedergeschlagenem Gesicht. »Shit, sorry!«
»Kein Problem, ein Glas Wasser reicht vollkommen.« Sie nickt und verschwindet hinter einer weißen Tür, während mein Blick fragend zu Maddox geht.
»Was?«, will er wissen, lehnt sich zurück und grinst verschlagen.
»Deine Cousine?«
»Ist das verboten?« Seine Stimme wirkt leicht gereizt.
»Ich glaube nicht, aber Alter …«
»Unsere Mütter hatten nicht mal denselben Vater, und selbst wenn. Brooke gehört jetzt zu mir und ich werde sie beschützen«, sagt er hart.
»Da würde ich auch niemals etwas dagegen sagen, wenn es das ist, was du willst.« Ich beuge mich etwas vor. »Aber, die Black Widow-Lady … benötigt die wirklich deinen Schutz?«
»Mehr als du denkst«, antwortet er mit einem leisen Knurren in der Stimme und Brooke kommt zurück.
Sie stellt das Glas vor uns auf den Tisch, lächelt wieder ihr Engelslächeln und lässt sich dann zurück auf die Couch in Maddox’ Arm fallen. Ich meine, so, wie ich die beiden jetzt hier sehe … Maddox ist ein harter Kerl geworden. Und sie sieht auch nicht gerade aus, wie man sich ein Kartell Oberhaupt vorstellt. Doch wie könnte sie Hilfe benötigen, wenn sie, was weiß ich wie viele Männer um sich hat, die nur für ihren Schutz verantwortlich sind?
»Hast du Anna getroffen?«, fragt Maddox in meine Gedanken hinein.
»Dazu war keine Zeit, aber, selbst wenn ich die Zeit gehabt hätte, das ist vorbei.« Und in dem Moment, in dem ich es sage, spüre ich es auch zu hundert Prozent. Das mit Anna, das ist vorbei. Weil du nur noch an Faith denkst, Idiot
, sagt mir mein Innerstes.
»Hast du meine Halbschwester finden können?« Brookes Augen sind groß, blau und sehen mich erwartungsvoll an.
»Es tut mir leid. Egal wen ich nach einer zurückgezogenen jungen Frau gefragt habe, ich bekam entweder nur dämliche Antworten oder die Leute haben mich an die nächstbeste Frau verwiesen. Und verrückte Frauen gibt es im French Quarter genug.« Sofort denke ich wieder an Faith.
»Wer sagt, dass meine Schwester verrückt ist?«, zischt Brooke.
Und dann erkenne ich die Lady in ihr. Sie versteckt sie nur unter ihrer engelsgleichen Schale. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie sie eine Legion von Männern befehligt.
»So war das nicht gemeint«, winke ich ab. Ihr Handy klingelt und sie steht schnell auf.
»Das ist Dante. Vielleicht gibt es Neuigkeiten wegen Hemingway.« Sie wirkt aufgeregt und auch Maddox’ Gesicht versteift sich weiter.
»Soll ich mitgehen?«
»Nein, kümmer du dich um unseren Gast.« Sie verschwindet wieder hinter der Tür, genau wie vorhin, und mein Kumpel reibt sich über die Nasenwurzel.
»Dante? Hemingway?«
»Decknamen. Alle im Black Widow haben Decknamen. Ich bin Nin.«
»Nin, ja«, sage ich lachend und denke an die Schriftstellerin Anais Nin.
»Du wirst auch einen brauchen.«
»Wozu?«
»Wir haben noch etwas Arbeit vor uns.«
»Ganz ehrlich, Maddox, sprich mal Klartext. Ich blick nicht mehr durch.«
»Barese will Brooke töten lassen, damit er ihr Kartell
übernehmen kann und er einen Fuß in die Staaten bekommt. Bisher ist es ihm nicht gelungen, aber das heißt nicht, dass er es nicht irgendwann schafft, an sie heranzukommen. Dazu kommt, dass wir immer noch nicht wissen, wo Bareses Tochter, also meine Cousine und Brookes Halbschwester, abgeblieben ist. Deshalb haben wir uns heute Morgen überlegt, noch einmal mit dir zusammen nach New Orleans zu fahren. Du kannst uns zeigen, wo du schon warst. Ausgehend davon, haben wir dann zumindest schon einen Anhaltspunkt. In der Kiste meiner Mutter war ein Foto mit einem Haus in New Orleans.«
»Langsam«, stoppe ich seinen Redefluss. Ich höre nur noch … zusammen noch mal nach New Orleans … und habe sofort wieder Faith vor mir. »Ich kann da nicht mit.«
»Weshalb? Hast du neuerdings einen Job?«
»Arschloch«, erwidere ich. Wir wissen beide, dass ich irgendwann wohl oder übel die Firma meines stinkreichen Vaters übernehmen werde.
»Was ist dann das Problem? Ich würde mich besser fühlen, wenn du dabei wärst«, sagt er.
»Eigentlich wollte ich in diesem Leben nicht mehr ins French Quarter.«
»Und warum noch mal, sagtest du?«
»Da war so eine Kleine. Ziemlich heiß und ziemlich verrückt.«
Jetzt erscheint ein Grinsen auf Maddox’ Gesicht. »Und das war nicht gut?«
»Mehr als gut.« Ich schlucke. Was soll ich sagen? Dass Faith mich nie wiedersehen will und dass sie auch sonst irgendwie … völlig wahnsinnig ist?
»Dann sehe ich keine Probleme. Wobei ich mich echt wundere. Ich meine, bei unserem Telefonat, bevor du nach New Orleans geflogen bist, ging es dir nicht ganz so gut, wegen Anna. Und jetzt … Womit hat die Kleine dich denn
rumbekommen?«, fragt er lachend. »Was waren ihre ersten Worte? Oder hast du sie angequatscht?«
»Ich hab sie in einer Bar getroffen und gefragt, ob sie Probleme hat. Sie meinte, wenn ich ihr behilflich sein kann, dann nicht.« Ich muss selbst grinsen, als ich an unsere ersten beiden Sätze denke. Und dann vergeht mir das Lachen. Warum erinnere ich mich überhaupt an diese zwei beschissenen Sätze?
»Wenn im Club gerade nicht wieder was Neues passiert ist, wollten wir am Wochenende los«, sagt Maddox, als Brooke wieder den Raum betritt. »Ich möchte wirklich, dass du mitkommst.«
»Bei dem Anruf ging es nur um einen Geldtransfer. Hast du schon mit Nevio über New Orleans gesprochen?«, will sie wissen und sieht erst Maddox und dann mich an.
»Hab ich, aber der Kleine hat sich verliebt, wurde abgewiesen und hat jetzt die Hosen voll, zurück nach New Orleans zu gehen.«
»Arschloch«, murre ich, während Brookes Gesicht ernst bleibt.
»Ich würde dich bitten, uns zu begleiten, Nevio. Würdest du das für mich tun?« Ihr Blick ist verdammt eindringlich.
Und wieder erinnert sie mich an jemanden und bevor ich darauf komme, wer es ist, nicke ich schon. Ich meine … Warum nicke ich? Ich bin dieser Frau nichts schuldig. Ich kenne sie nicht einmal. Aber ich kenne Maddox, und Brooke scheint ihm wirklich wichtig zu sein.
»Also, wenn ich demnächst was von dir will, schicke ich Brooke vor«, flachst Maddox, steht auf und zieht sie in seinen Arm, um sie zu küssen.
»Wie ist das jetzt eigentlich genau mit Barese?«, frage ich nach, nachdem die beiden sich wieder voneinander lösen. »Weiß er, dass du die älteste Tochter seiner Frau bist?«
»Maddox denkt nicht, da er sonst sicher schon viel früher
versucht hätte, an mich heranzukommen.«
»Da ist was dran«, bestätige ich. »Barese ist in Irland eine große Nummer«, gebe ich zu bedenken. Sich mit diesem Typen anzulegen, ist nicht ungefährlich.
»Wir sind größer«, wirft Maddox ein und sein Gesicht passt irgendwie zu dem eines frischgebackenen Mafia-Bosses, was mich grinsen lässt. Zeitgleich frage ich mich, ob er genau das jetzt auch ist, als Brookes Partner.
»Ich gehe noch mal rüber zu Pater Stephens und sage ihm, dass ich ein paar Tage mit dir Urlaub mache.«
Die blonde Mafia-Lady drückt sich an meinen Kumpel und seine Hände fahren zu ihrem Hintern. Scheiße. Wenn mir vor ein paar Jahren jemand erzählt hätte, dass Maddox irgendwann ein Oberhaupt des Black Widow-Kartells ist … ich hätte ihn ausgelacht.
Als Brooke uns verlassen hat, klopft Maddox mir auf die Schulter.
»Und jetzt erzähl mir alles von der Kleinen aus dem French Quarter.«