T opher
„Und, wie geht es unserem akademischen Assistenten?“
Ich lehnte mich an den Küchentisch und sah George über den Rand meiner Tasse hinweg an, während er sich einen Kaffee einschenkte. Sein nun tiefschwarzes Haar stand im starken Kontrast zu seinem frischen weißen Oxford-Hemd und den Jeans. Ich war versucht, ihn wegen seines neuen, lässigen Berufslooks aufzuziehen. Das war so ... nicht George. Offenbar hatte sein Vorgesetzter seine rosa Locken nicht gutgeheißen und ihn gebeten, sie zu etwas „Normalerem“ zu färben.
Es brachte nichts, ihn darauf hinzuweisen, dass er seine Haarfarbe zu dieser Jahreszeit normalerweise ohnehin zu schwarz änderte. George war nicht glücklich gewesen. Und die Tatsache, dass er mit seinem Praktikum ziemlich abgelenkt war, kam mir gelegen. Aber, ehrlich gesagt, hatte ich in den letzten Wochen nicht viel von ihm gesehen.
War ich ihm aus dem Weg gegangen? Nun ja. Vielleicht ein bisschen.
Aber ich konnte ihm schlecht sagen, dass ich bei jeder Gelegenheit nackt und horizontal mit seinem Bruder im Bett landete. Er würde mich vielleicht hassen oder denken, ich hätte Simon verdorben. Es war eine heikle Situation. George war ziemlich aufgeschlossen, aber er nahm an, dass sein Bruder heterosexuell war. Und irgendwie hatte er die seltsame Vorstellung, dass ich mich nebenbei noch mit Jake traf. An einem Nachmittag letzte Woche, nachdem Simon das Haus verlassen hatte, sah ich wohl ein bisschen sexverwüstet aus. Simon verfehlte George nur knapp, als dieser früher nach Hause kam. Es war keiner von Simons Uni-Tagen, aber wir hatten uns gedacht, dass wir den anderen sagen könnten, dass wir für einen Test lernten, falls es dazu kommen würde.
Wir wurden zwar nicht in flagranti ertappt, aber meine zerknitterten Bettlaken erzählten ihre eigene Geschichte. Und als George in mein Zimmer trat, um mich zu begrüßen, schlussfolgerte er, dass ich mich wieder mit Jake traf. Ich log ihn nicht an. Er schimpfte mit mir und sagte, dass er hoffte, Simon würde mich ausreichend ablenken. Ich erwiderte nur, dass Simon freitags keinen Unterricht hatte und bum ... ich hatte ein Alibi.
Nicht falsch verstehen, ich hatte nicht vorsätzlich gelogen. Ich hatte nur nicht die Wahrheit erzählt. Ich konnte es nicht ... aus so vielen offensichtlichen Gründen. Doch für einen Mann, der harte, klare Fakten mochte, ärgerten mich selbst Unterlassungslügen. Das Einzige, was mich vor dem totalen Ausbruch der Panik bewahrte, war das Wissen, dass meine „Vereinbarung“ mit Simon nur vorübergehend war. Es war bereits Mitte September und meine eigenen Kurse würden Ende des Monats beginnen. Und wenn mein Vorstellungsgespräch morgen gut verlief, hatte ich vielleicht schon bald einen Fuß in der Tür des NASA-Labs. Mein letztes Jahr an der Uni würde wieder ganz nach Plan verlaufen.
Ich war nicht annähernd so aufgeregt deswegen, wie ich es hätte sein sollen, aber das brauchte George nicht zu wissen. Und er brauchte erst recht nicht zu wissen, dass ich hoffnungslos in seinen Bruder verknallt war. Es war besser, wenn er davon ausging, dass Jake wieder im Spiel war. Dabei sah ich zwar immer noch aus wie ein Idiot, aber wenigstens war Jake nicht mit ihm verwandt.
Und jetzt starrte er mich an. Was hatte er noch mal gefragt? Ach ja.
„Mir geht es gut“, antwortete ich und nippte an meinem Kaffee.
„Wann ist dein Vorstellungsgespräch?“, fragte George im Plauderton.
„Morgen Nachmittag.“
„Cool.“
„Ich weiß allerdings nicht, ob ich eine Chance habe. Jeder will an der Marsexpedition teilnehmen. Auch wenn es nur durch die Instrumente des Labors ist. Sag es ihnen nicht, aber ich würde auch umsonst für sie arbeiten.“
George gluckste. „Zum Glück bieten sie dir Geld an. Aber vielleicht nicht so viel, wie Simon dir zahlt. Wie geht es ihm so?“
„Er tut sich schwer mit Differenzialrechnung, aber ansonsten macht er gute Fortschritte, denke ich“, antwortete ich hastig, verschluckte die Hälfte meines Kaffees dabei und schüttete den Rest in die Spüle. Ich spülte meine Tasse akribisch, in der Hoffnung, dadurch etwas mehr Zeit zu gewinnen, bevor ich George wieder gegenübertreten musste. Mit etwas Glück bekam er gleich einen wichtigen Anruf oder merkte plötzlich, dass er spät dran war.
„Das ist gut. Er hat bislang kein Wort über die Uni verloren, aber mein Vater hat mir erzählt, dass Simons Agent vielleicht ein Zuhause für ihn bei den Broncos gefunden hat. Ich habe keine Ahnung, was dieser Satz bedeutet, aber ich nehme an, dass er sich darüber freut, denn laut meinen Eltern ist Simon in letzter Zeit ziemlich gut drauf.“
„Oh. Die Broncos?“
„Ich glaube, das ist ein Footballteam. Ich weiß, das klingt schrecklich, aber ich will nicht, dass er wieder spielt. Seine letzte Gehirnerschütterung war grausam. Sie waren kurz davor, ihn in ein Koma zu versetzen, als er endlich wieder zu sich kam. Er konnte nicht mehr geradeaus sehen und sein Kurzzeitgedächtnis hat reichlich darunter gelitten. Er wusste weder, wo er war, noch etwas über das Spiel, das er gespielt hatte. Und jedes Mal, wenn die diensthabende Krankenschwester zur Tür hereinkam, musste sie ihm neu vorgestellt werden. Fast hätte man meinen können, dass er flirtet ... nicht besonders gut. Aber er war danach tagelang nicht mehr er selbst.“ George tippte sich an die Schläfe. „Jedenfalls nicht in seinem Kopf. Körperlich dauerte es Monate. Warum das alles also noch einmal durchmachen?“
„Er liebt das Spiel“, sagte ich sanft.
„Ja, aber es muss andere Wege geben, das Spiel zu lieben. Wege, bei denen er nicht immer wieder im Krankenhaus landet.“ George legte den Kopf schief. „Du hast jetzt ein paar Wochen mit ihm verbracht. Redet er oft über Football?“
„Nein. Nicht wirklich.“
Was stimmte. Wir verbrachten die meiste Zeit damit, während der Vorlesung zu knutschen und uns danach gegenseitig einen zu blasen. Oder davor, oder in der Pause, oder ... ja, manchmal schlossen wir den Computer, zogen uns aus und rammelten wie die Karnickel. Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Wäsche zu waschen. Ich hatte sogar angefangen, eine Ladung Wäsche zu meinen Eltern zu bringen, damit meine Mitbewohner meinen übermäßigen Verbrauch nicht hinterfragten.
Es war auch eine gute Ausrede, um meine Großmutter zu besuchen, die die einzige Person war, die von Simon und mir wusste. Von mir aus redete ich nicht über ihn, aber ich wehrte mich auch nicht, wenn sie die Karten zückte und eine Million Fragen über meinen Schwarm stellte. War er groß, gut aussehend, lustig, charmant? Ja, ja, ja, und ja. Ich erzählte nicht viel, aber es war schön, zumindest etwas mit jemandem teilen zu können.
Aber jetzt wurde mir klar, dass – wenn es bei unserem Zusammensein nur um Sex und seine Ausbildung ging – ich nicht alles mitbekam über ... Simon. Theoretisch gesehen war eine emotionale Distanz durchaus sinnvoll. Ich konnte es mir nicht erlauben, eine Bindung zu ihm aufzubauen. Aber ich war neugierig. Und ich machte mir Sorgen. Ich wollte genauso wenig, dass er verletzt wurde.
„Ich bin immer dafür, dass jemand seine Träume verfolgt. Ich wünschte nur, seine wären nicht so gefährlich. Ich mache mir weniger Sorgen um Astronauten, die an ein Raumschiff gekettet sind, das sich meilenweit über der Thermosphäre befindet, verdammt noch mal“, schnaubte George. „Apropos, ich habe eine interessante Abhandlung über Newtonsche Mechanik und die Auswirkungen der Sonnenstrahlung auf ...“
Ich nickte, als Zeichen, dass ich ihm zuhörte ... halb. Denn klar, alle Aspekte der Newtonschen Mechanik waren unglaublich faszinierend. Aber vielleicht nicht ganz so faszinierend wie Simon. Und offenbar gab es noch einiges, das ich über ihn lernen musste.
Klopf. Klopf.
Ich runzelte die Stirn, während ich auf meine Uhr sah. Simon sollte erst in einer Stunde hier sein, und oh Gott ... alle waren zu Hause. Holden duschte gerade, Asher war in seinem Zimmer und George, sein Bruder, war genau hier ... neben mir. Ich hörte, wie die Haustür aufging, dann Tommys sanfte Stimme, gefolgt von Simons freundlichem „Guten Morgen.“
„Hört sich an, als wäre dein Schüler zu früh dran“, bemerkte George, als Simon in der Tür erschien.
„Sieh dich an, Bruder. Offensichtlich haben sie dich dazu gebracht, dein Cape gegen einen Anzug auszutauschen“, stichelte Simon und hielt seinem Bruder die Hand für einen High Five hin.
George zeigte ihm den Mittelfinger und nickte. „Fürs Erste. Und bei dir ist heute Frühstart angesagt?“
„Ich war zufällig in der Gegend und brauche Hilfe bei, äh ... einer Aufgabe“, antwortete Simon verlegen.
George hob misstrauisch die Stirn. „Verstehe. Viel Spaß euch. Ich kümmere mich derzeit um den Weltraumkram. Bis später, Jungs.“
Ich wartete, bis George gegangen war, bevor ich einen Blick auf Simon warf. Sein schelmisches Grinsen war ansteckend.
„Zu früh, was?“
„Ein wenig. Alle sind hier.“
Er stand neben mir an der Küchentheke, so nah, dass seine Armhaare meine kitzelten. „Ist das ein schlechter Zeitpunkt, um dir zu sagen, dass ich letzte Nacht von dir geträumt habe?“
„Hast du?“, hauchte ich.
„Wir waren auf einer Insel, wie Hawaii oder irgendwas anderes Tropisches. Keine Sorge, du warst im Schatten und hattest überall Sonnencreme. Ich konnte sie auf deiner Haut schmecken, als ich deinen Hals abgeleckt habe.“
„Du musst etwas Seltsames gegessen haben.“
Er lachte auf. „Vielleicht, aber dein Schwanz schmeckte so ...“
„Simon“, warnte ich.
„Sorry.“ Er machte eine Show daraus, seinen Gehänge zurechtzurücken, bevor er seine Hand an sein Ohr legte. „Klingt, als würden sie alle noch eine Weile brauchen. Lass uns frühstücken gehen.“
„Nein, ich kann nicht. Ich muss nach meiner Großmutter sehen. Tut mir leid. Ich kann dich nicht ...“
„Ich komme mit.“
„Oh, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
Simon runzelte die Stirn. „Warum nicht? Glaubst du, sie wird mich nicht mögen?“
Ich schnaubte. „Nein, sie wird dich zu sehr mögen.“
Ich behielt recht.
Meine Großmutter liebte Simon. Und ich war mir ziemlich sicher, dass er ebenso vernarrt in sie war. Meine Großmutter bestand darauf, auf der Terrasse Kaffee zu servieren. Sie zündete sich eine Zigarette an, trank einen Schluck Scotch und wollte einfach alles über ihn erfahren.
„Wo bist du aufgewachsen? Wie viele Geschwister hast du? Wer ist dein bester Freund? Was ist deine Lieblingsfarbe?“
„Pasadena, ich habe zwei Brüder, Ben und George, und zwei beste Freunde, Kenny und Aiden, und ... blau. Was ist mit Ihnen?“, fragte er und stützte sein Knie unter dem Terrassentisch gegen meines.
Oh, Mann. Er hatte es so gewollt.
„Nun, ich wurde in Toledo, Ohio, geboren, aber als ich zehn Jahre alt war, zog meine Familie nach Pasadena. Wir wohnten in der Nähe des Rose Bowl Boulevards, in einem wunderschönen Haus mit einer umlaufenden Veranda und einem Baum, der einen großen Gummireifen hielt. Ich hatte eine Schwester, Janet, die leider vor zwei Jahren verstorben ist. Sie war älter als ich und so verdammt herrisch. Ich konnte sie nicht ausstehen, als wir Kinder waren, aber sie wuchs mir ans Herz, wie die Stacheln eines Stachelschweins.“
Ich kicherte. „Was soll das denn bedeuten?“
„Sie war stachelig, aber auch wunderbar und ungestüm.“ Meine Großmutter lächelte wehmütig. Ich dachte, sie würde zu einer alten Kindheitsgeschichte übergehen, aber sie schüttelte sich aus ihrer Träumerei und kniff die Augen zusammen. „Was wollte ich sagen?“
„Ihre Lieblingsfarbe?“, fragte Simon.
„Rot. Je knalliger, desto besser. Bonbonrote Äpfel, bonbonroter Lippenstift, bonbonrote Bonbons“, sagte sie und lachte rasselnd.
„Und wer ist Ihr bester Freund?“
Ihr Lächeln verblasste ein wenig, dann kehrte es mit Nachdruck zurück. „Sein Name ist Arthur. Er ist ein Jahr älter als ich. Wir lernten uns kennen, als seine Familie auf die andere Straßenseite zog. Ich war vierzehn, er fünfzehn. Es dauerte ein ganzes Jahr und es brauchte kurze Röcke und schamloses Flirten, bis ich endlich seine Aufmerksamkeit hatte.“
„Großmutter ...“
„Ich habe ihn meinen Schlüpfer sehen lassen.“
Ich stöhnte. „Sie meint es nicht so, wie es klingt.“
„Doch, natürlich“, bestätigte sie und lächelte schelmisch. „Ich war schrecklich verknallt. Er hatte einen wunderbaren Sinn für Humor und eine umwerfende Art. Er war wahnsinnig gut aussehend ... so wie du. Ich kann verstehen, warum Christopher in dich verknallt ist. Du bist ein Traummann.“
Simon grinste. „Danke schön.“
„Gern geschehen. Aber zurück zu mir. Und Arthur ... wir haben geheiratet, als ich zwanzig war. Das ist nach heutigen Maßstäben ziemlich jung, aber wenn man es weiß, weiß man es eben.“
„Wie ist er so?“
„Er ist sanftmütig und freundlich. Er ist zurückhaltend – nicht der Typ, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ein bisschen wie Christopher ... ruhig, aber bemerkenswert.“
Meine Wangen erwärmten sich bei diesem Kompliment. Ich lächelte meiner Großmutter zu und drehte mich dann zu Simon, bereit, das Thema zu wechseln. Doch der bewundernde Blick in seinen Augen hielt mich davon ab. Fast hätte ich über meine Schulter geblickt, um zu sehen, ob noch jemand oder etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregt hatte, aber nur wir waren hier. Und sein Blick ruhte auf mir.
Simon griff unter dem Tisch nach meiner Hand und drückte sie. „Er ist bemerkenswert.“
Die Augen meiner Großmutter funkelten vergnügt. „In der Tat. Also, wer ist bereit, sich beim Kartenspiel den Arsch aufreißen zu lassen?“
„Ich bin dabei“, stimmte Simon zu. „Was spielen wir?“
„Gin Rommé?“, schlug ich vor.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als Simon damit prahlte, dass er in diesem Spiel ein Experte sei und meine Großmutter ihn daraufhin warnte, dass sie keine Gnade kannte. Das spielerische Geplänkel zwischen meinen beiden Lieblingsmenschen – einem alten und einem neuen – machte mich lächerlich glücklich. Ich brachte es nicht übers Herz, Simon daran zu erinnern, dass der Unterricht in zwanzig Minuten begann. Hier zu sein und in diesem Moment zu bleiben, erschien mir viel wichtiger.
* * *
Nach ein paar Runden Gin Rommé und einem verpassten Kurs bestand ich darauf, dass wir für den nächsten zurück nach Hause fuhren.
„Wir haben zwanzig Minuten.“ Ich tippte auf meine Uhr, als Simon vom Bordstein wegfuhr. „Das sollte uns genug Zeit geben, um ... warte. Wo willst du hin? Du fährst in die falsche Richtung.“
„Ja, ich weiß. Wir hauen ab.“
Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ich weiß nicht, was das bedeutet.“
Simon gluckste. „Das bedeutet, dass wir heute keine Uni haben. Ich schwänze.“
„Ich kann dich das nicht tun lassen. Das ist unverantwortlich und ... schlecht. Bieg hier bitte rechts ab.“
„Kann ich nicht“, säuselte er. „Entspann dich, Christopher. Ich muss nicht wissen, wie ich meine Träume psychoanalysieren kann. Ich brauche Essen. Und du musst doch auch hungrig sein. Du hast nichts von dem Kuchen deiner Großmutter angerührt. Der war übrigens lecker. Sie ist echt cool. Hat sie wirklich schon um zehn Uhr morgens Scotch getrunken?“
Ich wischte mir die feuchten Handflächen an den Knien ab und starrte hilflos aus dem Fenster, während wir durch den Verkehr rasten. „Ja, sie ist großartig und schrecklich zugleich, und wenn du an der Green Street rechts abbiegst und dann noch einmal rechts, schaffen wir es noch rechtzeitig.“
„Christopher, Essen. Wir können entweder zu diesem Burgerladen am See oder bei meinen Eltern vorbeischauen und den Kühlschrank plündern. Mom meinte, sie hätte gestern Abend Spaghetti gekocht.“
Ich leckte mir nervös über die Lippen. „Oh, Gott.“
„Glaub mir, ihre Pasta ist einfach legendär. Was klingt besser für dich? Burger oder ...“ Er bremste an einer roten Ampel scharf ab und sah mich von der Seite an. „Hey, nicht hyperventilieren, Christopher. Gib mir deine Hand.“
„Ich kann nicht. Sie zittert. Einen Kurs zu verpassen ist schlimm, zwei zu verpassen ist ...“ Ich rieb mir die Schultern, um die wachsende Anspannung zu lindern. „Ich fühle mich nicht wohl dabei.“
„Das kann ich sehen.“ Er strich mir zärtlich über die Kieferpartie und neigte mein Kinn zu sich. „Atme tief ein. So ist es gut. Hör zu, ich schicke meinen Professoren eine Entschuldigung, falls du dich dann besser fühlst. Und ich erwähne auch nicht, dass ich mit deiner Großmutter Scotch getrunken habe.“
„Du hast nichts getrunken.“ Ich murmelte etwas über schlechte Einflüsse vor mich hin.
Simon gluckste. Ich spürte die Wärme seines Lächelns, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte, seine Hand in meine gleiten ließ und seine Finger mit meinen verschränkte.
„Sie hat einen großartigen Einfluss. Und ehrlich gesagt, brauchte ich jemanden, der mich an meine mentale Gesundheit erinnert. Manchmal braucht man ein paar Stunden Auszeit von den Routinen, um wieder den Durchblick zu haben. Glaub mir, du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du die Spaghetti meiner Mutter essen und einfach eine Weile mit mir abhängen würdest. Du darfst mir auch von schwarzen Löchern im Weltall und anderen Mythen erzählen.“
„Schwarze Löcher sind kein Mythos“, versicherte ich ihm hochmütig und drehte mich zu ihm. „Sie haben die stärkste Gravitationsmasse, die der Mensch kennt. Nichts kann ihnen entkommen. Keine Teilchen, kein Licht, nichts. Und nur zu deiner Information: Es gibt vier Arten von Schwarzen Löchern und man findet sie überall im Universum.“
„Was du nicht sagst.“ Er drückte liebevoll meine Finger und ermutigte mich, weiterzusprechen.
Er brummte gelegentlich, um mich wissen zu lassen, dass er zuhörte, aber er wandte seinen Blick nicht von der Straße ab und ließ auch meine Hand nicht los. Ich redete, denn harte Fakten hatten mich schon immer beruhigt. Aber dieses Mal war er es. Der Klang seiner Stimme, das Gefühl seiner starken Hand in meiner. Und es hatte etwas Ermutigendes, zu wissen, dass er dasselbe für mich empfand. Als ob er das wissenschaftliche Rauschen im Hintergrund brauchte, um seine eigenen Zweifel und Sorgen zu übertönen. Zwischen uns herrschte ein seltsames Gleichgewicht, das ich nicht ganz verstand. Ich wusste nur, dass jeder von uns etwas hatte, das der andere brauchte. Und für den Moment reichte das.
Wir aßen aufgewärmte Spaghetti am runden Holztisch in der Küche seiner Eltern und plauderten über Freunde aus der Nachbarschaft, Grundschullehrer, an die wir uns erinnerten, und Wettbewerbe, die wir als Kinder gewonnen hatten.
„Ab der vierten Klasse war ich im Mathe-Team. Wir haben ein paar Jahre hintereinander die Landesmeisterschaft gewonnen“, erzählte ich.
„Verdammt. Ich habe mal einen Buchstabierwettbewerb gewonnen. Zählt das?“
Ich grinste. „Was war das Gewinnerwort?“
„Nonchalant. Ich werde nie vergessen, wie man es buchstabiert, aber ich weiß immer noch nicht, was es bedeutet“, brummte er.
„Eine beiläufige Unbekümmertheit. Gleichgültigkeit.“
Seine Augen funkelten schalkhaft. „Ah, meine Nonchalance verärgert dich.“
Ich schob meinen Teller weg und verschränkte die Arme. „Nicht so sehr, wie mich Zuspätkommen ärgert. Ich bekomme ein schreckliches Gefühl im Magen, wenn die Uhr die Minuten heruntertickt und ich nicht mal in der Nähe von dem Ort bin, an dem ich eigentlich sein sollte.“
„Und wo sollst du jetzt sein? Wer sollst du sein? Wer darf das entscheiden? Wenn du immer die Regeln anderer Leute befolgst, verpasst du dein Leben.“ Er sammelte unsere Teller ein und brachte sie zur Spüle.
Ich spürte, dass er eher Selbstgespräche führte, als dass er Weisheiten vermittelte. Ich nickte entschieden und half ihm, die Spülmaschine einzuräumen und den Tresen zu wischen, bevor ich mich in der großen Familienküche umsah. Die vielen Pfannen, die über dem professionellen Herd hingen, zeigten, dass der Raum gut genutzt wurde.
„Ich mag dieses Haus. Ich war schon eine Weile nicht mehr hier. Deine Mutter hat uns vor ein paar Monaten zum Essen eingeladen. Sie hat Jakobsmuscheln und Steak gemacht.“
„Sie ist eine großartige Köchin“, antwortete er liebevoll.
Ich grinste. „Du hast mir erzählt, dass sie tolle Guacamole gekocht hat, als ich dich das erste Mal getroffen habe.“
„Habe ich? Und du hast wahrscheinlich geantwortet, dass Guacamole nicht gekocht, sondern ...“
„Zusammengesetzt wird“, sagten wir unisono.
Wir lachten über unser Timing und starrten uns dann lange an, bis Simon seine Hand ausstreckte und mir andeutete, ihm zu folgen.
Simon
Ich führte Topher nach oben in mein Schlafzimmer, ließ mich auf die Matratze fallen und zog ihn mit mir. Doch er befreite sich aus meinem Griff und stand auf.
„Wir werden hier keinen Sex haben, Simon.“
„Sex? So etwas würde mir nie einfallen“, log ich. „Aber ich habe ein Kondom und Gleitgel dabei und ich weiß genau, dass in den nächsten Stunden niemand zu Hause sein wird. Das nur so am Rande.“
Er verdrehte die Augen und ging zu dem Bücherregal, das mit Trophäen bestückt war. „Wow. Du hast so viele Preise.“
„Ja. Mom bewahrt sie alle auf.“ Ich sprang vom Bett und ging zu einem anderen Regal mit größeren Trophäen. „Das hier sind die wichtigen. Die kleineren sind irgendwelche glorifizierten Teilnahmepreise, aber diese hier stehen für persönliche Leistungen im Team.“
„Die meisten sind vom Football“, bemerkte er und fuhr mit dem Finger über die Plakette, die an der Unterseite einer Auszeichnung befestigt war. „Du vermisst es, nicht wahr?“
„Ja, tue ich.“
„George hat mir erzählt, dass du deinen Anruf bekommen hast.“
Ich zuckte mit den Schultern, während ich mich auf das Bettende setzte. „Ja und nein. Sie wollen, dass ich nach Denver fliege, um mit dem Management zu sprechen.“
„Herzlichen Glückwunsch.“
„Keine große Sache. Es ist nur ein Treffen und vielleicht eine Beurteilung. Ich vertraue meinem Agenten nicht besonders, also erwarte ich nicht viel von seinem Anruf. Aber ich habe heute Morgen eine Nachricht erhalten und ... sie wollen mich noch dieses Wochenende in Denver.“
„Oh. Das ist toll.“
„Wir werden sehen. Ich habe keine großen Hoffnungen. Deshalb fange ich langsam an, ernsthaft über meinen Plan B nachzudenken.“
Topher setzte sich neben mich. „Ich auch. Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch, aber insgeheim hoffe ich, dass ich das Praktikum nicht bekomme, weil ich unbedingt den Job will, bei dem es Probleme mit der Finanzierung gab. Aber es wäre dumm, eine gute Gelegenheit unberücksichtigt zu lassen, also zwinge ich mich hinzugehen.“
„Das ist eine interessante Betrachtungsweise. Unberücksichtigte Gelegenheit“, wiederholte ich und legte meinen Arm um seine Schultern. Ich strich ihm die widerspenstigen Locken aus der Stirn und küsste seine Nase, dann den Mundwinkel. „Scheiße, ich mag dich. Ich mag die Art, wie du denkst. Ich verstehe es nicht immer, aber das würde ich gern.“
Er lächelte. „Danke.“
Ich wackelte spielerisch mit den Augenbrauen. „Willst du mitkommen?“
Es war nur als Scherz gemeint. Aber in der Sekunde, in der die Worte meinen Mund verließen, wusste ich, dass ich es ihm ermöglichen würde, sollte er ja sagen.
„Nach Denver? Nein, das kann ich nicht. Das musst du allein machen.“
Allein. Richtig.
Die Sache mit dem Alleinsein war die ... Ich hätte es vielleicht mehr gemocht, wenn ich nicht so eine schreckliche Gesellschaft gewesen wäre. Ich brachte mich selbst nicht zum Lachen, ich weckte keine Neugierde und war nicht der intellektuelle Typ – das machte alles Topher. Ich hatte genug Selbstvertrauen, aber konnte ich wirklich behaupten, dass ich mich mochte? Wenn ich mit Topher zusammen war, schon. Seine Liebe für Fakten und Wissenschaft war von einer angeborenen Weisheit begleitet, die mehr mit der Größe seines Herzens als mit seinem Gehirn zu tun hatte. Ich hätte den ganzen verdammten Tag mit ihm und seiner Großmutter zusammensitzen können. Nicht nur, weil sie zum Brüllen war. Ich war genauso fasziniert von ihm – von seiner Großzügigkeit und Geduld. Er war so ... gut. Und er brachte mich dazu, besser sein zu wollen.
Ich wusste nicht, wie ich ihm das sagen sollte, ohne dass wir beide ausflippten. Also zeigte ich es ihm. Ich zog ihn zur Seite und rollte mich auf ihn, schob meine Hände unter sein Hemd und meine Zunge in seinen Mund. Lange, gemächliche Küsse verwandelten sich in leidenschaftliche. Wir hatten es nicht eilig. Wir ließen uns Zeit. Ich fuhr mit meinen Fingern die Sommersprossen auf seinem Bauch nach, dann mit meiner Zunge. Berühren, lecken, wiederholen. Berühren, lecken, wiederholen ... seine Bauchmuskeln, seine Brustwarzen, seinen Bauchnabel.
Ich griff nach seinem Gürtel und bewegte mich langsam, für den Fall, dass er seine Meinung änderte. Aber das tat er nicht. Er ließ zu, dass ich ihn auszog, ihn lutschte, ihn anbetete. Er leckte sich über die Lippen, als ich mich ebenfalls auszog und noch einmal das Schloss meiner alten Schlafzimmertür überprüfte, bevor ich das Kondom und die kleine Gleitgelpackung aus meinem Portemonnaie holte. Mein Körper brummte vor Verlangen, aber ich behielt einen kühlen Kopf, als er seine Beine öffnete und vor kaum kontrolliertem Begehren zitterte, während ich mich in ihn hineinschob.
Wir fanden sofort einen Rhythmus ... sanft und stetig. Seine Beine legten sich um meine Taille und sein Schwanz war zwischen unseren Körpern eingeklemmt. Ich schloss meine Faust um ihn und streichelte seinen Schaft, während ich mich bewegte. Ein gefühlvolles Schaukeln und Reiben, das mit jedem Stoß an Hitze und Schwung gewann, bis wir uns darin verloren.
Als er kam, hielt ich ihn ganz fest, küsste und streichelte ihn. Dann bot ich ihm Wasser und einen Platz an, an dem er seinen Kopf anlehnen konnte, während er sich erholte. Ich könnte behaupten, dass ich nur aufmerksam war, aber in Wahrheit wollte ich ihm etwas bieten, das nichts mit leiblichem Wohl zu tun hatte. Ich wollte mich selbst anbieten ... als wäre ich eine Option. Jemand, den man langfristig in Betracht ziehen könnte.
* * *
Denver war schön. Nettes Hotel, nette Anlage, nette Ärzte. Es war ... nett.
Die Mannschaft war am Sonntag zu einem Auswärtsspiel in Philadelphia, sodass es in der sonst so belebten Einrichtung relativ ruhig zuging. Ich lächelte mich durch eine Reihe von Sitzungen mit Assistenten der Leute, die große Entscheidungen trafen. Ein Assistent des Running-Back-Trainers, ein Assistent des Kraft- und Konditionstrainers, ein Assistent der Verwaltung. Ich achtete nicht übermäßig darauf, einen guten Eindruck zu hinterlassen. Ich würde mein Bestes geben und dann sehen, was passiert.
Ich war nur ein Ersatzmann und entbehrlich. Das wusste ich. Zumindest ... wurde ich mir dessen langsam bewusst. Aber ich war körperlich gut in Form und am Ende war das alles, was einen Trainer wirklich interessierte.
„Du machst sicher eine Menge Cardio. Sieht so aus, als könntest du stundenlang rennen“, kommentierte der Assistent des Konditionstrainers, der mich über sein Klemmbrett hinweg beobachtete, als ich vom Laufband abstieg. „Das ist gut. Du erfüllst alle Kriterien.“
„Danke.“
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, grunzte und hörte mit halbem Ohr zu, als er davon sprach, wie wichtig es sei, in Form zu bleiben. Ich schlenderte zu der Wand mit den Mannschaftsfotos, es waren hauptsächlich Bilder in Aktion. Ein Quarterback, der sich in seinen Wurf hineinbeugte, ein Ball, der sich in einem beeindruckenden Bogen drehte oder in der Luft über den ausgestreckten Armen eines Receivers hing. Schönheit in Bewegung.
Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte ich beim Anblick dieser Fotos sehnsuchtsvoll auf dem Feld stehen wollen. Heute war ich nicht mehr so besessen von der Idee. Etwas hatte sich verändert, aber ich wusste nicht, was es war. Ich liebte das Spiel immer noch. Das würde ich immer. Aber ich begann mich zu fragen, ob es hier noch einen Platz für mich gab.
Und das nicht nur physisch. Im Gegensatz zu dem, was man über mich glaubte, erfüllte ich nicht alle Kriterien. Ich war nicht mehr die gleiche Person wie vor einem Jahr. Und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich noch weiter so tun wollte, als wäre ich die.