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S imon

Aus einer Nacht wurden zwei ... dann drei. Und selbst das war noch nicht genug. Ich wollte Tophers Zeit ... und alles von ihm – sein morgendlich zerzaustes lockiges Haar, seinen warmen Körper, seine verschlafenen Küsse und das schielende Gesicht, das er machte, bevor er seine Brille aufsetzte. Ich wollte ihm Kaffee und Frühstück machen und nicken, wenn er mir die Hausaufgaben und die Lektüre für meine Kurse vorlas. Ich wollte neben ihm sitzen, mit dem Computer vor uns auf dem Couchtisch, und den Vorlesungen und Online-Chatgruppen zuhören, während wir heimliche Küsse austauschten. Ich wollte ihn sagen hören, dass es keine gute Idee sei, Sex auf dem Sofa zu haben, und ich wollte den Moment in seinen Augen erkennen, wenn er seine Meinung änderte. Ja, ich wollte seine Regeln und ich wollte, dass wir sie gemeinsam brachen.

Es war zu einfach zu behaupten, dass es bei meiner Anziehung nur um Sex ging. Klar, Sex war einfach und machte Spaß. Aber jemanden zu finden, der alle Punkte auf einer Liste erfüllte, die ich mit keiner Seele je teilen wollte, war irgendwie unglaublich.

Topher war brillant, sonderbar und freundlich. Seine Liebenswürdigkeit berührte mich mehr als seine Genialität oder seine gelegentliche Exzentrik. Ich war mit einem umhangtragenden Superhirn als Bruder aufgewachsen, verdammt noch mal. Und ich wusste, dass ich selbst ein paar Macken hatte. Aber seine gütige Art wurde durch unerschütterliche Geduld ausgeglichen. Für einen Kerl, der Materie, Energie und Raumfahrttechnik studierte, hätte ein Grundkurs in Geisteswissenschaften doch verdammt langweilig sein müssen.

Nicht für Topher.

„Das Zeitalter der Renaissance ist so faszinierend. Du hast so ein Glück, dass du das alles lernst“, schwärmte er und kritzelte in Windeseile Notizen, während der Professor auf dem Bildschirm sprach.

Ich nickte zustimmend, denn ehrlich gesagt mochte ich meine Kurse. Differenzialrechnung war zwar immer noch ätzend, aber mir gefielen die anderen Fächer – vor allem die Geisteswissenschaften. „Wenn der Humanismus besagt, dass der Mensch das Maß aller Dinge ist ... glaubst du dann, dass diese Strömung ein Vorläufer der heutigen Zeit ist, in der das Individuum seine persönlichen Interessen über das Allgemeinwohl stellt? Oder sagt das eher etwas über unseren Wunsch aus, uns an der Umwelt messen zu wollen?“

Tophers weitaufgerissene Augen wirbelten so schnell zu mir herum, dass er einem Schleudertrauma nur knapp entging. „Äh ... nun, vielleicht. Es ist eine Sache der Perspektive und des induktiven Denkens und ...“

Ich legte den Kopf schief, strich mit dem Daumen über sein stoppeliges Kinn und genoss das unmittelbare Aufblitzen des Verlangens in seinem glühenden Blick.

Ich hatte meinen sonst so peniblen Liebhaber überredet, sich an diesem Morgen nicht zu rasieren, weil ich den rauen Bart an meinen Eiern spüren wollte, als er mir einen blies. Topher hatte nicht gezögert. Er hatte das Rasiermesser auf den Marmortisch im Bad abgelegt, war auf die Knie gesunken und hatte sich sofort an die Arbeit gemacht. Ich verwuselte ihm derweil die Haare und heizte ihn mit pornografischen Worten an – erst lobte ich ihn, dann erzählte ich ihm all die schmutzigen Dinge, die ich mit ihm machen wollte.

Und jetzt saß er neben mir, trug mein Footballtrikot und sonst nichts, sah wild aus und leicht ungepflegt. Wie personifizierter Sex. Verdammt, ich wollte ihn schon wieder. Wie war das nur möglich?

Wir hatten in den letzten drei Tagen praktisch in jedem Zimmer dieses Hauses und in jeder erdenklichen Stellung gefickt, aber dieses Feuer zwischen uns brannte heißer denn je. Die Intensität machte mir fast Angst.

Ich massierte abwesend sein Ohrläppchen. „Was hast du gerade gesagt?“

„Ach, du meine Güte. Ich habe keine Ahnung“, murmelte er und strich sich mit den Fingern durch die Haare. „Ähm, Humanismus? Du bist doch am Lernen.“

„Ein wenig. Ich habe einen tollen Tutor.“

„Mmm. Mich?“

Ich nickte, beugte mich vor und schob meine Zunge in seinen Mund, als er ihn öffnete. Der Kuss verlief ohne Eile. Ein langsamer, süßer Tanz mit leisen Seufzern und zärtlichen Liebkosungen. Nach ein paar Minuten legte ich seinen Notizblock auf den Couchtisch und schob den Computer zur Seite.

„Ist es normal, sich so zu fühlen? In der einen Sekunde geht es mir gut und in der nächsten muss ich dich berühren.“

„Mmm. Ich bin ein bisschen wund.“ Er setzte sich auf und strich mit den Zähnen über seine Unterlippe. „Denkst du manchmal darüber nach ...“

„Beende deinen Gedanken“, drängte ich.

„Denkst du, du würdest jemals, ähm ... du weißt schon.“

„In den Arsch gefickt werden wollen?“

Topher schnaubte. „Na ja, würdest du?“

„Von dir, ja. Ich meine ... nicht heute, aber irgendwann, ja. Ich würde es tun. Willst du das denn? Ich hätte nicht gedacht, dass du gerne oben liegst.“

„Tue ich auch nicht. Aber ich finde, dass man kommunizieren muss. Wenn man etwas will, muss man darum bitten.“

„Ist notiert. Ich werde dich um deinen Schwanz bitten, sobald ich dazu bereit bin. Abgemacht?“ Ich lachte über sein Augenrollen, dann stand ich auf und streckte meine Hand aus. „In der Zwischenzeit bitte ich dich draußen um deine Anwesenheit. Lass uns Wein trinken und den Sonnenuntergang betrachten. Was hältst du davon?“

„Gern.“ Topher sprang auf, zog sich mein Trikot über den Kopf und schlenderte splitterfasernackt in Richtung Schlafzimmer. „Ich treffe dich dann draußen.“

„Ziehst du dir etwa Klamotten an? Das musst du nicht“, rief ich.

Er drehte sich in der Tür um und schenkte mir ein freches Lächeln. Ich starrte ihm mit einem dummen Grinsen hinterher, bis er in meinem Zimmer verschwand, und fragte mich, warum das hier so einfach war.

Ich schnappte mir eine Flasche Wein und zwei Gläser und ging nach draußen, um auf der Terrasse auf ihn zu warten.

Was war das nur für ein Leben. Ein perfekter Nachmittag im späten September ... blauer Himmel, weiße Wolken, Sand und Meer. Ich schenkte jedem von uns ein Glas Pinot Grigio ein, reichte Topher eines, als er sich zu mir gesellte, und erhob meines zum Toast.

„Prost.“

Er stieß mit meinem Glas an und blickte auf das Meer hinaus. „Es ist wunderschön. Wie lange wohnst du schon hier?“

„Drei Jahre. Das Haus besitze ich schon seit vier Jahren, aber ich musste erst mal umfangreiche Renovierungsarbeiten machen, bevor ich einziehen konnte. Die meisten der ursprünglichen Häuser in der Gegend wurden abgerissen, um Platz für riesige Anwesen zu schaffen. Aber ich hatte nicht das Geld zum Abreißen, also habe ich es zunächst renoviert, und siehe da, auf einmal hat sich der Wert des Hauses verdoppelt. Ich wollte nicht gleich wieder umziehen, doch ich wollte herausfinden, ob ich in diesem Geschäft gut bin – erst Renovieren, dann höherpreisig verkaufen. Ich habe ein kleines Haus in Costa Mesa gekauft, eine Eigentumswohnung in West Hollywood und einen Bungalow in Pasadena. Ich habe sie alle renoviert, verkauft und eine Menge Geld verdient. Und ich arbeite derzeit noch an ein paar weiteren Projekten. Es macht richtig Spaß.“

„Kümmerst du dich selbst um die Renovierungen?“

„Dazu hatte ich nie die Zeit. Ich war immer auf dem Feld oder unterwegs. Football kam an erster Stelle.“ Ich zuckte mit den Schultern und nippte an meinem Wein.

„Du benutzt die Vergangenheitsform“, bemerkte Topher scharfsinnig.

„Hm. Vielleicht bereite ich mich schon mal mental darauf vor. Mein Agent hat mich seit meiner Reise nach Denver letzte Woche nicht angerufen. Das ist typisch Ryan“, seufzte ich. „Nächste Woche haben wir schon Oktober. Du wirst wieder in die Uni gehen und ... ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll. Ich hätte lieber eine Rückmeldung ... auch wenn es nicht das ist, was ich ursprünglich hören wollte.“

„Was willst du denn jetzt hören?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich fühle mich wie festgefroren. Mein Plan ist, erst mal abzuwarten und so viel Zeit wie möglich mit diesem sexy Genie zu verbringen, das ich kenne, das Schwänze liebt und einen geheimen Footballfetisch hat. Wer hätte das gedacht? Kumpel, du hast übrigens Sperma auf meinem Trikot.“

Topher schnaubte ungläubig. „Das geht auch auf dein Konto, und mein Fetisch ist kein großes Geheimnis.“

Ich musste leise lachen, als seine Wangen rot wurden. „Es ist das Trikot, oder?“

„Nein. Na ja ... irgendwie schon. Ich denke, es macht mich an. Aber ich hoffe, du weißt, dass es mir egal ist, ob du Football spielst. Wenn es gefährlich für dich ist, hoffe ich sogar, dass du nicht wieder spielst“, platzte er heraus.

„Das sagt meine Familie auch“, gab ich seufzend zu. „Sie machen sich Sorgen um meinen Verstand ... und mein Gehirn.“

„Wie geht es deinem Gehirn?“

Ich zog meine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie mir auf die Nase. „Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten: Gut und beschissen, beides stimmt.“

Seine Augen wurden schmal vor Sorge. „Inwiefern beschissen?“

Ich starrte auf den Horizont und fuhr fort: „Meine Gedanken sind manchmal benebelt und gelegentlich habe ich noch Kopfschmerzen. Aber viele Leute haben schließlich Kopfschmerzen.“

Topher zog die Augenbrauen zusammen. „Kopfschmerzen können ein Zeichen dafür sein, dass du dich noch nicht vollständig erholt hast, Simon. Deine Nervenbahnen bekommen nicht den Sauerstoff, den sie brauchen. Der einzige Weg zur Heilung ist, dein Gehirn auszuruhen.“

„Ich kenne die Statistiken, Christopher. Ich weiß das alles. Was mir mehr Sorgen macht, sind die Fragen über das Danach. Die Uni gefällt mir definitiv besser als früher, aber ich bin keine einundzwanzig mehr. Wenn ich einen Abschluss mache, sollte ich ihn auch besser nutzen.“ Er drehte den Stiel des Weinglases zwischen seinen Fingern.

„Lass uns etwas versuchen. Beantworte mir folgende Frage mit den ersten Worten, die dir in den Sinn kommen. Bereit?“

„Bereit.“

„Was – außer Football – macht dich glücklich?“

„Du.“

Er warf mir ein kurzes, strahlendes Grinsen zu und errötete dann. „Ich meine es ernst.“

„Ich auch.“ Ich beugte mich vor, um sein Haar zu zerzausen, dann massierte ich seinen Nacken, weil ich einen Vorwand brauchte, ihn zu berühren.

„Danke“, schnurrte er lächelnd. „Und? Was machst du sonst noch gerne?“

„Laufen.“

„Vielleicht kannst du Karriere im Laufen und im Verkauf von Häusern machen.“

Ich fixierte nachdenklich den weiten Horizont. „Vielleicht. Ich weiß nicht wie, aber wir werden sehen. Was außer wissenschaftlichen Dingen macht dich denn glücklich?“

„Ich weiß es nicht.“

„Piep! Keine akzeptable Antwort. Versuche es noch einmal.“

„Meine Freunde, meine Familie.“

„Gut gerettet. Wenn du irgendwo auf der Welt leben könnten, wo wäre das?“, fragte ich.

„Pasadena“, antwortete er ohne Umschweife. „In einem dieser coolen Häuschen an einer baumbesäumten Straße in Old Town. Aber vorzugsweise bitte keine Jacarandas. Das sind schöne Zierbäume, aber sie machen so viel Arbeit.“

Ich stand auf, stellte mein Glas auf die flache Kante des Geländers ab und gestikulierte in Richtung Wasser. „Was ist mit dem Strand?“

„Nein, danke.“

„Warum nicht?“ Als er mit den Schultern zuckte, gab ich ihm ein Zeichen, ebenfalls aufzustehen, und legte meinen Arm um seine Taille. „Sieh dir mal diesen Ort an. Wenn die Leute an Südkalifornien denken, stellen sie sich genau das vor: Sonne, Sand, Surfen. Willst du etwa sagen, du würdest hier nicht leben wollen?“

„Gott, nein. Es handelt sich um einen wunderschönen Ort, den man besuchen kann ... wenn man Sand und große Wellen und schädliche UV-Strahlung mag.“

„Ernsthaft?“

Topher nickte heftig. „Ja. UV-Strahlen sind schädlich für Haut und Augen. Und nicht nur für Menschen. Wusstest du, dass Elefanten sich mit Schlamm einhüllen, um sich vor der Sonne zu schützen?“

„Nein, wusste ich nicht.“

„Es ist wahr. Die Sonne ist wirklich mächtig. Sie ist verantwortlich für neunundneunzig Prozent der Masse in unserem Sonnensystem. Deshalb ist sie gravitativ auch so dominierend.“

„Was du nicht sagst.“

Er biss sich auf die Lippe und nickte, bevor er einen kräftigen Schluck trank. „Und Sand ist einfach ... eklig.“

„Eklig?“

„Ja, er kommt überall hin und klebt an allem. Ich habe mir deine Socken geliehen, damit ich nicht barfuß in deinem Haus herumlaufen muss, weil ... Sand eben.“

„Und was ist mit dem Meer?“

„Es ist sehr groß.“

„Das stimmt.“

Er jaulte auf, als ich ihn in die Seite kniff, und schmolz dann in meine Umarmung. „Und ich bin kein Wassermensch.“

„Warst du als Kind nie am Strand?“

„Doch. Meine Großeltern haben mich ein paarmal mitgenommen, als ich klein war. Wir saßen unter einem Sonnenschirm und haben gelesen. Das konnte ich auch zu Hause machen. Aber für sie war es etwas Besonderes. Sie sind immer nach Zuma gefahren und haben lange Spaziergänge gemacht und Muscheln gesammelt, während ich gelesen habe. Meine Großmutter hat noch einige aus dieser Zeit. Einfache Muscheln, auf deren Innenseite die Daten stehen.“

„Das ist cool.“

„Ja, ihr würde es hier gefallen.“

„Dir aber nicht“, scherzte ich.

„Ich mag es. Aber ich liebe es nicht.“

„Du liebst Bäume und den Weltraum und Menschen und Orte, die sich wie ein Zuhause anfühlen.“ Ich knabberte spielerisch an seinem Ohr. „Was noch?“

Er legte seinen Kopf an meine Brust, antwortete aber nicht sofort. Er musste mein rasendes Herz hören. Er musste wissen, dass sie mir auf der Zunge lagen, die Worte: „Mich. Wähle mich.“

Und das, Freunde, war verrücktes Gerede. Topher liebte mich nicht. Er mochte mich. Vielleicht hatte er sogar Mitleid mit mir. Ich war ein abgewrackter Athlet, der auf eine letzte Chance hoffte, sich zu beweisen. Außerdem war Liebe ein verdammt großes Wort. So groß wie der Ozean oder vielleicht das Weltall. Es war noch zu früh, um eine solche Erklärung abzugeben. Oder etwa nicht? Ich wusste es nicht.

Was ich hingegen wusste, war, dass er sich wie etwas Echtes anfühlte. Wie jemand Besonderes. Jemand, den ich in meinem Leben brauchte. Also hielt ich den Atem an und hoffte, Worte zu hören, die ich nicht verdiente. Worte, vor denen ich zu viel Angst hatte, sie selbst auszusprechen.

Er blickte zu mir auf und lächelte. „Ich liebe das. Ich liebe es, mit dir hier zu sein.“

Okay, das war gut. Es war das perfekte Gefühl. Es war keine Liebe. Es war die Liebe eines Augenblicks. Und das war etwas anderes ... und viel weniger beängstigend. Ich konnte diesen Moment lieben, diese Zeit mit ihm schätzen und irgendwie einen Weg finden, loszulassen, wenn die Zeit gekommen war.

Ich nahm ihn in die Arme und schloss die Augen, genoss die salzige Luft und die Meeresbrise, während ich jedes Detail dieses Moments in mir aufnahm. Seinen Körper, das Gefühl seiner Haut, der Klang seiner Stimme, sein Geruch.

„Ich auch, Baby. Ich auch.“

Doch als Topher sich mit einem zufriedenen Brummen an meine Brust schmiegte, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten war.

* * *

Vielleicht war das keine große Überraschung, aber in den Wochen nach seiner spontanen Übernachtung bei mir fand ich viele Ausreden, um in Pasadena zu sein. Der September ging in den Oktober über, Topher begann sein Studium und bewarb sich für ein paar berufsbezogene Praktika. Und ich? Wartete auf den Anruf meines Agenten.

Aber keine Sorge, ich tat auch andere Dinge. Ich traf mich mit alten Kumpels, half meiner Mom beim Tragen von Sachen in ihr Klassenzimmer, schaute mit meinem Dad viel Football an und lernte die ganze verdammte Zeit. Allein. Sogar die Online-Kurse besuchte ich allein. Denn ich wollte einfach keine kostbare Zeit mehr damit verschwenden, über akademische Dinge nachzudenken, wenn ich mit Topher zusammen war. Diese Zeit war mir heilig.

Falls sich meine Eltern darüber wunderten, dass ich plötzlich ständig bei ihnen auftauchte, erwähnten sie nichts. Aber weil ich ein Idiot war, lieferte ich ihnen trotzdem irgendwelche Ausreden. Ich erzählte ihnen, dass ich geschäftlich in der Stadt zu tun hatte oder dass ich lieber auf der Laufbahn meiner alten Highschool lief als am Strand. Natürlich war mein einziges Geschäft Topher, aber der zweite Punkt war nicht gelogen.

Das vertraute Geräusch meiner Turnschuhe auf dem ausgetretenen Boden und der Geruch von frischgemähtem Gras waren wie Balsam für meine Seele. Ich kannte dieses Feld wie meine Westentasche. Während ich die Strecke lief, fielen mir alte Liedtexte ein, die mich an einfachere Zeiten erinnerten. Als meine größte Sorge noch darin bestand, was Mom zum Abendessen kochte. Ich liebte sogar das Läuten der Schulglocke. Ich wusste nicht, ob das nur ein Symptom meiner andauernden Lebenskrise war – oder ein Zeichen.

Wie auch immer, der Nostalgiefaktor war groß. Ich liebte es, mit meinen Kumpels abzuhängen, die ich schon seit der Grundschule kannte, und ich war dankbar für den Anschein eines sozialen Lebens. Selbst wenn es nur darum ging, ein Bier zu trinken und mir beim Billardspielen den Arsch aufreißen zu lassen.

„Warum zum Teufel bin ich eigentlich hier?“, brummte ich und stützte mich auf meinen Queue, während ich zusah, wie mein Freund Aiden eine Kugel nach der anderen versenkte.

„Weil du uns vermisst hast“, stichelte Kenny und trat an den Tisch, als Aiden endlich danebenschoss. Er bot Aiden einen High Five an und kicherte wie ein Kind, als dieser ihm stattdessen den Mittelfinger zeigte.

Ich lachte über ihre Scherze. Ja, vielleicht hatte er recht.

Ich schaute mich in unserer Lieblingskneipe um, die mit einem Sammelsurium von Postern klassischer Rockgötter, Sporthelden und Neonschildern dekoriert war. Eine Jukebox, die seit 1988 nicht mehr funktionierte, und ein Zigarettenautomat, der jetzt Kartoffelchips verkaufte, flankierten die getäfelten Rückwände in der Nähe der Toiletten und des einsamen Billardtisches.

Hatte ich diesen Ort vermisst? Ehrlich gesagt, ja. Aber das sollte ich nicht zugeben. Ich sollte Witze reißen ... ihm sagen, dass er wahrscheinlich high war. Und wie ich Kenny kannte, war das sogar durchaus möglich.

„Ja, das muss es sein.“

„Das süße Leben in Malibu mit den Mali-Babes muss doch schön sein“, kommentierte Aiden, während er nach seinem Bier auf dem Stehtisch hinter uns griff.

Ich grunzte, während ich meine Freunde beobachtete. „Ja, so in etwa.“

Ich hatte in der Highschool mit Kenny und Aiden Football gespielt. Sie waren beide groß – weit über einen Meter achtzig, mit breiten Schultern und kräftiger Statur. Kenny war muskulös, hatte kurzes schwarzes Haar, olivfarbene Haut und jede Menge Tatoos. Er ähnelte einem Profisportler mehr als ich, aber er hatte nach der Uni seine Knieschützer und seinen Helm gegen einen Anzug getauscht, Aiden war dafür Mechaniker in der Werkstatt seines Onkels geworden.

Aiden war buchstäblich ein Bär von einem Mann. Er hatte dunkelblondes Haar, einen leichten Bierbauch und trug mit Vorliebe T-Shirts von allen Universitäten des Landes. Und er war total in meinen Bruder vernarrt. Jeden Moment würde er nach George fragen.

„Übernachtest du bei deinen Eltern?“

„Ja“, antwortete ich.

„Was ist mit deinem Bruder? Wie geht’s George, dem Grufti-Genie?“

Da war es. Wahrscheinlich waren meine Freunde von der Grufti-Genialität meines Bruders fasziniert, der sich nicht darum kümmerte, was andere Leute über ihn dachten. Sie waren an Sportler und „echte Männer“ gewöhnt, nicht an Intelligenzbestien mit Haltung.

„Ihm geht’s gut. Aber ich kann nicht bei ihm wohnen. Er hat ziemlich viele Mitbewohner und ich will ihnen keine Umstände machen.“

„Das ist doch Schwachsinn“, fauchte Kenny, bevor er seinen nächsten Versuch startete. „Du treibst dich hier rum, weil du jemanden kennengelernt hast.“

„Wie kommst du darauf?“, bluffte ich.

„Du hast diesen dämlichen ‚ich habe regelmäßig Sex‘-Blick drauf, den wir alle anstreben. Du musst nicht lügen. Ich kenne diesen Blick genau“, bemerkte Kenny. „Wer ist sie?“

„Hm?“

Aiden musterte mich. „Er hat recht. Du siehst noch dümmer aus als sonst.“

Ich griff nach meinem Bier und erhob es zu einem Scheintoast. „Verpisst euch.“

„Wusste ich’s doch. Jemand, den wir kennen?“

Ich hätte auf verschiedene Weisen darauf reagieren können. Ich hätte ihnen sagen können, dass sie danebenlagen oder das Thema wechseln können. Aber das tat ich nicht. Zu lügen, fühlte sich wie eine Menge Arbeit an, und dazu fehlte mir einfach die Kraft.

Also lächelte ich und schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Willst du uns nicht mal vorstellen?“

Ich überlegte kurz, dann neigte ich den Kopf. „Vielleicht werde ich das.“

Sie verhöhnten mich gutmütig mit Buhrufen und Pfiffen, die so laut waren, dass sich die ganze Bar nach uns umdrehte.

Hey, diese Unterhaltung kam niemals an die Definition eines „Coming-outs“ heran, aber es fühlte sich gut an, nicht zu leugnen, dass ich jemand Besonderen in meinem Leben hatte. Jemand Wichtiges, der mich dazu inspirierte, nicht aufzugeben. Jemand, der an mich glaubte.

Ja, mein Leben lag gerade immer noch auf Eis und meine Zukunft war, wie Topher sagen würde, nebulös. Aber irgendwann in den letzten Wochen hatte ich mich von Dingen gelöst, die ich nicht kontrollieren konnte, und war in der Gegenwart geblieben. Es machte keinen Sinn, sich über einen Anruf zu sorgen, der vielleicht nie käme. Das Leben war gut so, wie es war.

Aber das war das Komische am Leben. Gerade wenn man dachte, man hätte es durchschaut, änderten sich die Wegweiser.

Oder das Telefon klingelte endlich.

Ich zog mein Handy aus der Tasche und starrte kurz auf den Namen des Anrufers, bevor ich abnahm.

„Hi, Ryan. Wie läuft’s?”

„Fan-fucking-tastisch! Pack deine Sachen, Murphy. Du musst deinen Arsch am Montag nach Denver kriegen. Die Broncos wollen dich. Glückwunsch!“

Oh .

Wow .