EPILOG

„W ir lieben die Dinge, die wir lieben, für das, was sie sind“ – Robert Frost

Topher

Die Schulglocke läutete in der Ferne und konkurrierte mit einer Autoalarmanlage, einer Sirene und dem stetigen Auftreten von Laufschuhen auf dem Boden. Doch ich überhörte den Lärm mit geübter Leichtigkeit, während ich in einer schattigen Ecke auf der Tribüne, gegenüber der Laufbahn der Highschool, die Daten auf meinem Laptop analysierte. Die Messung der Geschwindigkeitsveränderung schien fehlerhaft zu sein. Ich starrte auf die Gleichung und hoffte, das fehlende Glied noch entschlüsseln zu können, bevor meine Zeit ablief ...

„Hey, heißer Typ. Studierst du immer noch Beowulf ?“

Ich schmunzelte über den alten Witz, als ich Simons schelmischem Blick begegnete. „Heute nicht. Ich bin zum Kalibrieren der Geschwindigkeit übergegangen.“

Er verzog das Gesicht, nahm ein Handtuch aus der Sporttasche zu meinen Füßen, zog es sich über den Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Babe, kannst du mir ein frisches T-Shirt geben?“

Ich griff in die Tasche und reichte ihm das T-Shirt und eine Flasche Wasser. „Trink das. Vielleicht ist es nicht genug. Du hast eine Menge Flüssigkeit verloren. Wenn du nicht ausreichend hydriert bist, kann dein Körper keine Höchstleistungen vollbringen.“

Simon kicherte wie ein kleines Kind. „Keine Sorge, Baby, mein Körper wird in Bestform sein ... sobald wir zu Hause sind. Und nachdem ich geduscht habe. Ich stinke.“

Seine sonnengebräunte Haut glänzte und seine Muskeln spannten sich an, als er sich das frische T-Shirt über den Kopf zog. Ich bewunderte schamlos seine anmutigen Bewegungen und seine mühelose Athletik und freute mich, dass ich das Recht hatte, ihn nach Herzenslust anzustarren. Simon Murphy, auch bekannt als der schönste Kerl auf Erden, gehörte mir. Ganz mir. Er war mein fester Freund, mein Liebhaber, mein bester Kumpel und in zwei kurzen Wochen auch mein Mitbewohner.

Simon hatte im letzten Herbst ein renovierungsbedürftiges Haus mit drei Schlafzimmern in der Nähe von Old Town gekauft. Es handelte sich um kleines Häuschen im Mid-Century-Stil mit guter Bausubstanz, aber alles andere war in einem schlechten Zustand. Die Fußböden waren durchgebogen, die Isolierung war schwach oder in einigen Bereichen gar nicht vorhanden, die Strom- und Wasserleitungen mussten erneuert werden und die Küche und das Bad waren ... schrecklich. Ehrlich gesagt hatte ich das Potenzial nicht erkannt, aber Simon hatte eine Vision gehabt.

Jetzt gehörte dieses Haus uns und er wollte es nach unseren Vorstellungen umbauen. Ein eigenes Arbeitszimmer für jeden von uns, ein riesiges Schlafzimmer, ein begehbarer Kleiderschrank, eine offene Küche, ein Kräuter- und Gemüsegarten und im Vorgarten Bäume, die ich aussuchen durfte. Wir befanden uns mittlerweile in der Endphase des Umbaus und ich musste zugeben, dass das Ergebnis großartig werden würde.

Wir hatten die letzten sechs Monate damit verbracht, die Nächte im Haus des jeweils anderen zu verbringen. In Malibu hatten wir unsere Privatsphäre, aber unser Leben spielte sich in Pasadena ab. Unsere Familien, unsere Freunde, mein Job, die Uni. Pasadena war unser Zuhause.

Simon hatte beschlossen, seinen Abschluss zu machen, wechselte sein Hauptfach aber zu Wirtschaft. Er wusste noch nicht, was er damit machen wollte, aber er hatte schließlich noch ein paar Jahre Zeit, um sich zu entscheiden, und dazu eine lukrative Nebenbeschäftigung als Immobilienmakler. Ach ja, und er hatte einen Job als Assistenztrainer für Leichtathletik an seiner alten Highschool angenommen.

Ich war etwas überrascht gewesen, aber als er anfing, über seine Lebensziele nachzudenken, stand das Laufen ganz oben auf seiner Liste. Football natürlich auch, aber er war nicht bereit, für einen Trainerjob zu pendeln. Er wollte hierbleiben und an seiner alten Schule ein queeres Vorbild für Teenager sein. Das war seine Art, die LGBTQ-Community zu unterstützen und etwas zurückzugeben.

Für einen Mann, der sich gerade erst geoutet hatte, hatte er in kurzer Zeit schon einen weiten Weg zurückgelegt. Als sein Rücktritt offiziell verkündet wurde, schenkte die Sportwelt ihm keine große Aufmerksamkeit. Er war kein allzu bekannter Name im Geschäft und es war nicht ungewöhnlich, dass sich ein Spieler in seiner Position nach einer Verletzung zurückzog. Das änderte sich jedoch, als er seine Geschichte in einem LGBTQ-Magazin teilte.

Dieser „Coming-out“-Artikel ging viral. Um die Feiertage herum war sein Name einen Monat lang überall im Internet. Doch es machte ihm überhaupt nichts aus.

Damals sagte er: „Weißt du, es ist nur eine Geschichte, Christopher. Für mich ist sie etwas Besonderes, weil ich auf diese Weise den wichtigsten Menschen in meinem Leben kennengelernt habe. Wenn meine Geschichte jemandem hilft, der sein Talent, seinen Platz oder seinen Wert infrage stellt, dann erzähle ich sie gern. Meine Familie und Freunde lieben mich. Zum Teufel, deine Eltern und Großeltern lieben mich auch. Aber solange du mich liebst ... bin ich glücklich.“

In dieser Hinsicht hatte er nichts zu befürchten. Simon hatte meine Eltern mühelos für sich gewonnen – mit seinem üblichen Charme und seiner Bereitschaft, sich Details über Wissenschaft anzuhören. Und mein Großvater war leichter zu knacken als meine Großmutter. Er liebte es, zu lachen, und genoss wahrscheinlich die Anwesenheit eines weiteren Menschen, der endlich etwas von Sport verstand. Sie waren schnell Freunde geworden.

Als mein Großvater aus der Reha entlassen wurde, hatte Simon außerdem nicht gezögert, meinen Großeltern beim Umzug in eine betreute Wohnung zu helfen. Und natürlich besuchten wir sie oft, um eine oder zwei Runden Gin Rommé zu spielen. Jedes Mal, wenn wir zu ihnen fuhren, nahm Simon meine Hand und sagte etwas Romantisches wie: „Ich möchte, dass wir so sind wie sie, wenn wir alt sind.“

Ja, ich war Hals über Kopf in Simon verliebt. Und sehr dankbar für das Leben, das wir uns gerade aufbauten. In zwei Monaten würde ich meinen Abschluss machen. Das Praktikum, das ich letzten Herbst am Lab der NASA absolviert hatte, sollte sich diesen Sommer zu meinem Traumjob verwandeln. Wahrscheinlich würde ich dann viel mehr zu tun haben, also hatte ich beschlossen, meinen Freund beim Laufen zu beobachten, während ich ein Buch las oder meine Hausaufgaben erledigte. Es war kaum zu glauben, aber ... das Leben war schön.

„Warum läuten die Glocken hier so spät? Es ist fünf Uhr. Hier ist doch niemand mehr“, bemerkte ich und registrierte das sexy Hüpfen seines Adamsapfels, während er das Wasser leertrank.

Simon zuckte mit den Schultern. „Es ist ein Rätsel. Das war schon immer so. Muss wohl ein Geist darin leben.“

Ich legte den Kopf an seine Schulter. „Dein Name ist Gordon, der Geisterjäger, und dein Text lautet ...“

„Ich will deinen Schwanz lutschen?“, bot er an und legte seinen Mund auf meinen.

„Ha! Ja, genau.“ Ich grinste an seinen Lippen und atmete ihn ein.

„Du bist ziemlich verdorben, nicht wahr?“

„Bin ich das?“ Ich klimperte überrascht mit den Wimpern.

Simons leises Lachen vibrierte in mir, während er mir den Nacken kraulte. „Ja. Aber ändere dich bloß nicht. Können wir los?“

Ich verstaute meinen Laptop in seiner Tasche und nahm seine Hand. Als wir den Rasen erreichten, ließ er sie nicht los. Er hielt sie sogar noch fester, während er uns zum Parkplatz führte und das Gespräch auf das Abendessen lenkte. Wollte ich etwas zum Mitnehmen bestellen, bei seinen Eltern essen oder in den Supermarkt gehen? Ich glaubte, sogar noch weitere Möglichkeiten zu hören, Ich würde gleich darauf antworten oder ihn wählen lassen.

In diesem Augenblick wollte ich mir diesen Moment einprägen. Ein gewöhnlicher Wochentag im Frühling, an dem ich mit dem Mann, den ich liebte, Händchen hielt, das Abendessen plante, unsere Freizeit plante, eine Zukunft plante. Gute Dinge passierten, wenn man die Regeln ignorierte und seinem Herzen folgte.