Elliot

A lles klar.

Erstes Problem: Wie findet man einen seriösen Escortservice, wenn man überhaupt keine Ahnung von diesem Metier hat und eigentlich auch niemanden kennt, der einem da weiterhelfen kann? Vor allem, was die männlichen Escorts betrifft.

Nächstes Problem: Valentinstag ist in zwei Tagen und ich schätze, selbst wenn ich eine anständige Escort-Agentur finde, werden die guten Jungs schon längst ausgebucht sein.

Hilfe! Ich brauche Hilfe. Und vor allem bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als jemanden in mein Lügengespinst einzuweihen.

»Hallo? «, höre ich am anderen Ende der Leitung.

»Kenny, ich bin’s.«

»Elliot! Mensch, du lebst? Wie geht es dir? «

»Haha! Nur weil ich gestern nicht mit dir feiern gegangen bin, heißt es noch lange nicht, dass ich keinen Kontakt mehr zu dir will – oder dass ich vorhatte, mich umzubringen.« Kopfschüttelnd verdrehe ich die Augen. Kenny ist in jeder Lebenslage theatralisch. Sogar wenn er mir vorwirft, theatralisch zu sein.

»Ich meine ja nur. Mein Körper hat sich gerade an den literweisen Tequilakonsum gewöhnt, dem du mich ständig aussetzt, und auch daran, dass er an den Wochenenden nicht vor sechs Uhr morgens ins Bett kommt – und jetzt kommst du daher und redest dir ein, dass du doch lieber auf dem Sofa liegen und Eis in dich hineinschaufeln willst! Mensch, Elly, die Trennung von Jasper ist … «

»Ich brauche deine Hilfe«, fahre ich einfach dazwischen, bevor mein bester Freund sich womöglich noch weiter in Rage redet. Ich wette, vergangene Nacht hat er sich bei jedem, der bereit war, ihm ein Ohr zu leihen, über mich aufgeregt.

»Sooo? « Ich kann förmlich vor mir sehen, wie er neugierig die Luft anhält und das Ohr wechselt. »Muss ich dafür den Raum verlassen? Ich liege nämlich gerade so gut. « Im Hintergrund höre ich ein leises männliches Lachen. Okay, Kenny ist sich auf jeden Fall treu geblieben und hat jemanden abgeschleppt.

Eine Sekunde lang muss ich überlegen. Mein Anliegen ist schon etwas peinlich. Seufzend rutsche ich von der Couch auf den flauschigen Flokati, stütze einen Ellenbogen auf dem Couchtisch ab und raufe mir mit der freien Hand die Haare. »Habe ich Zuhörer, oder was?«

»Natürlich. Ich stelle dich immer auf Lautsprecher, nachdem ich erzählt habe, wessen Tochter du bist. «

»Kenny. Meine Mutter war vor fünfzehn Jahren eine Stilikone. Heute ist sie keine mehr. Und ich bin erst recht keine.«

»Na und? Sie ist trotzdem eine Legende. Ich sage den Typen ja ständig, dass du ganz anders bist, aber … «

»Es ist privat , Kenny. Also bitte, stell mich nicht mehr auf Lautsprecher.« Wenngleich ich ihm dafür definitiv noch den Kopf waschen muss, huscht ein Schmunzeln über mein Gesicht. Kenny ist so furchtbar stolz darauf, dass er sich meinen besten Freund seit Kindertagen nennt. Obwohl ich nun wirklich nichts geleistet habe, außer mit ihm durch dick und dünn zu gehen.

»Ach, Elly. Was denkst du eigentlich von mir? Selbstredend stelle ich dich nie auf Lautsprecher, wenn du anrufst. «

»Genau das denke ich von dir, mein Lieber.«

»Na, okay. Du hast mich. Also. Was kann ich für dich tun, meine Liebe? «

»Erst einmal den Lautsprecher ausstellen.«

»Habe ich doch längst. «

»Kenny.«

»Ja, okay. Ich stelle den Lautsprecher ab und werde mich aus dem furchtbar gemütlichen Bett begeben, ins Badezimmer gehen, die Tür hinter mir verschließen und mich auf den eisigkalten Toilettendeckel setzen. « Und schon ist er wieder theatralisch. Im Hintergrund höre ich, wie die männliche Stimme mit einem protestierenden Unterton auf sich aufmerksam macht.

»Ich werde dich nur eine Sekunde weglegen, damit ich mir etwas überziehen kann. «

Angespannt rolle ich mit den Augen und sage nichts mehr. Ist eh die Frage, ob er mich gehört hätte, weil er gerade mit dem Typen, mit dem er offensichtlich das Bett geteilt hat, einige liebevolle Worte austauscht und wahrscheinlich auch ein paar Küsse. Kenny, der alte Herzensbrecher.

Nun vernehme ich, wie eine Tür ins Schloss fällt und danach ein Rascheln. »Okay. Hier, ich beweise dir, dass ich im Bad bin. « Er betätigt die Klospülung und ich ziehe, wie vermutlich von ihm beabsichtigt, eine Grimasse.

»Bist du zu Hause?«, frage ich und merke, wie ein Teil von mir, der prüde Teil nämlich, versucht, dem mir nun drohenden Gespräch aus dem Weg zu gehen. »Ich könnte vorbeikommen.«

»Nein, bin ich nicht. Ich will dich auch gar nicht sehen. Ich will wieder … zurück ins Bett, wenn du verstehst, was ich meine. Und jetzt rück gefälligst raus mit der Sprache! «

»Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt, weil ich keine Lust habe, meine Privatsachen mit deinem One-Night-Stand zu teilen.«

Unverzüglich kann ich vor meinem geistigen Auge sehen, wie Kenny beleidigt die Lippen schürzt. »Vielleicht ist er ja gar kein One-Night-Stand für mich. Vielleicht habe ich mich ja in ihn verliebt? «

»Na klar. Wie heißt er?«

»Ähm. Äh. Joel. «

»Interessant. Der Typ hat zufällig den gleichen Vornamen wie der Sohn, den du irgendwann einmal haben wirst, ja?« Schon als wir Kinder waren, hat Kenny mir ständig damit in den Ohren gelegen, dass sein erstgeborener Sohn definitiv den Vornamen seines viel zu früh verstorbenen Grandpas bekommt.

»Deswegen mag ich ihn ja so gern. «

Zum wiederholten Mal rolle ich mit den Augen. »Okay. Und dann steigst du gleich mit dem ins Bett? Das ist ja eine ganz neue Seite an dir. Normalerweise wartest du doch damit, bis du dir wirklich sicher bist, dass der Typ es auch ernst meint.« Meine Stimme trieft vor Ironie.

»Nun ja. Er ist echt heiß. « Anscheinend kann er heute nicht fließend ironisch, weil er viel zu abgelenkt ist. Darüber hinaus hat er die letzten Worte mit gesenkter Stimme von sich gegeben. Ich vermute, dass die Wände zum Schlafzimmer des Typen nicht besonders lärmdämmend sind. »Übrigens fange ich langsam an, mir den Arsch abzufrieren. Also entweder sagst du mir jetzt, was du wieder einmal verkackt hast, oder ich lege auf. «

»Wieder einmal?!«

»Okay. Ciao. «

»Warte!«

Gerade befürchte ich, dass er tatsächlich aufgelegt hat, doch dann höre ich sein entnervtes Stöhnen. »Also? «

»Ich brauche einen Callboy.«

»Was?! «

»Für den Valentinstag.«

»Was?! «

»Nicht so laut. Bitte.«

»Sag mal, spinnst du?! «

»Wieso das denn jetzt?« Langsam werde ich sauer. Kenny gibt mir bereits das gesamte Telefonat über das Gefühl, nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Damit mag er zwar recht haben, aber, wie ihm bekannt sein dürfte, ist er selbst nicht ganz bei Trost – ist er nie gewesen. Deshalb halten wir ja auch schon seit so vielen Jahren wie Pech und Schwefel zusammen. Eigentlich.

»Meinst du, nur weil ich schwul bin, kann ich dir so ohne Weiteres einen Callboy besorgen? Hast du sie noch alle? « Er hat keinen Deut die Stimme gesenkt. Arsch. Joel hat sicher jedes Wort verstanden.

»Hä? Nein! Ich wollte doch nur …« Hektisch fahre ich mir mit der freien Hand durchs Haar und stecke mir aus einer nervigen Angewohnheit heraus eine der goldbraunen Strähnen zwischen die Lippen.

»Kaust du wieder auf deinen Haaren herum? «

Ertappt spucke ich die Strähne aus. »Ich kaue nicht …!« Sofort unterbreche ich mich und hole daraufhin einmal tief Luft, um endlich den Mut zu finden, den ich gerade echt brauche, um dieses Gespräch halbwegs gesittet hinter mich zu bringen. »Du bist der einzige Mensch, mit dem ich darüber sprechen kann, ohne gleich verurteilt zu werden.«

»Natürlich verurteile ich dich. Wie kommst du auf den Scheiß?! « Sein Ton ist noch immer schneidend, allerdings längst nicht mehr so laut. »Aber ich wäre trotzdem sauer gewesen, wenn du damit nicht zu mir gekommen wärst. « Endlich ist seine Stimme um einiges weicher geworden.

»Weiß ich doch.« Aus irgendeinem Grund wollen mir plötzlich die Tränen in die Augen steigen, weswegen ich nun hastig die Lippen zusammenpresse.

»Also, Elliot. Wie kommst du auf so eine bescheuerte Idee? Und vor allem, wie blauäugig bist du eigentlich? Wie willst du jetzt noch eine vernünftige Agentur finden, die Kapazitäten frei hat? Valentinstag ist in zwei Tagen, Süße. Den musst du wohl oder übel allein verbringen. Es sei denn, du hast es wirklich so nötig. Dann fahren wir zur Elm Street und du suchst dir einen der zugedröhnten Stricher aus. «

»Das werde ich auch tun, wenn du mir nicht helfen kannst.«

»Sag mal …! Was ist überhaupt in dich gefahren? Oder wer? Bist du das, Tante Susan? «

Im Nu überkommt mich ein leises Kichern. Wahrscheinlich haben Kennys übernatürliche Empathiesinne wieder einmal Alarm geschlagen und er hat durch das Handy hindurch gespürt, dass ich kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Indem er mich nun zum Lachen gebracht hat, fühlt sich das ganze Thema glücklicherweise nur noch halb so dramatisch an. Das Schlimmste habe ich ja auch schon hinter mir.

»Ach, es ist nur wegen meiner Mutter.«

Erneut gibt Kenny ein entnervtes Stöhnen von sich. »Ich habe zwar keine Ahnung, was deine Mom mit einem Callboy zu tun hat, aber ich frage mich echt, wieso ich da nicht vorher drauf gekommen bin. Es ist immer wegen deiner Mutter. «

Ich blinzele verblüfft. »Na ja. Also Mom hat nicht mit meinem Verlobten …«

Kenny gibt ein lautes Zischen von sich. »Ruhe jetzt! Elly, Süße. Ich liebe dich über alles, doch verschone mich mit der Geschichte. Ich kann sie nicht mehr hören. Deine Schwester ist ein Miststück, ja. Das wussten wir bereits, bevor sie sich deinen Zukünftigen gekrallt hat. Und glaube mir: Wenn Jasper so dumm ist, mit der Frau ins Bett zu steigen und sie zu guter Letzt auch noch zu schwängern … da kannst du ja nur froh sein, dass du ihn los bist. « Er macht eine Pause, um auf theatralische Weise nach Luft zu ringen. »Genau diese Worte habe ich dir jetzt schon zum hundertzwanzigsten Mal gesagt. Ich werde sie demnächst auf meine Mailbox sprechen. Und ich werde sie mir auf die Stirn tätowieren lassen. Nein. Besser auf deine Stirn. Oder auf deinen Handrücken, damit du die Worte siehst, bevor du nach dem Telefon greifst, um mich anzurufen und vollzuheulen. «

»Entschuldige«, murmele ich kleinlaut.

»Nein, mir tut es leid. « Er seufzt leise. »Hör mal. Ich weiß, Jasper hat dir das Herz gebrochen. Aber es wird Zeit, dass du darüber hinwegkommst. « Auf einmal vernehme ich ein gedämpftes Klatschen – so als habe er sich gerade an die Stirn gefasst, weil ihn die absolute Erkenntnis überrannt hat. »Ach! Deswegen der Callboy! «

»Ja. Nein! Oh Gott.« Jetzt fasse ich mir ebenfalls an die Stirn und stehe im selben Moment auf.

»Ja, was denn jetzt? «, fragt Kenny, nachdem ich sekundenlang keinen Ton mehr herausbekomme.

»Ich brauche keinen Sex. Ich will nur …«

Meine Worte werden durch Kennys lautes Auflachen erstickt. »Du brauchst keinen Sex? Verdammt, Elly! Wenn du etwas dringend nötig hast, dann das! «

»Nein! Jetzt hör mir doch mal zu!« Erneut raufe ich mir die Haare und realisiere im gleichen Moment, dass meine Beine mich wie ferngesteuert ins Badezimmer tragen – wohl eher in meine Dusche. Ich greife nach einer der gefühlt fünfunddreißig angebrochenen Shampoopackungen, öffne sie und atme den fruchtigen Duft ein, der mir entgegenströmt. Meine eigene abgedrehte Interpretation von Aromatherapie.

»Ich höre dir doch zu. Allerdings kommst du seit Ewigkeiten nicht auf den Punkt und mir ist echt kalt. Ich gehe jetzt zurück ins Bett. Ist mir egal, wenn du nicht willst, dass Joel etwas hört. « Als er den Namen seines One-Night-Stands ausspricht, senkt er die Stimme um mehrere Nuancen. Der entscheidende Beweis, dass er tatsächlich nicht weiß, wie der Typ heißt. »Sag mal, schnüffelst du schon wieder? « Ich höre, wie die Badezimmertür bei ihm ins Schloss fällt.

Ertappt stelle ich die Shampooflasche beiseite. Doch unverzüglich wird mir klar, dass da nichts ist, weswegen ich mich schämen sollte. »Du tust ja gerade so, als würde ich Kleber schnüffeln.«

»Hi «, ist Kennys aufreizende Antwort und im ersten Augenblick bin ich irritiert. Offenbar war der Gruß an Joel gerichtet. »Davon bist du auch gar nicht so weit entfernt, möchte ich meinen. Welcher normale Mensch riecht denn stundenlang an Shampoo, um sich zu beruhigen? Mach mehr Yoga oder geh mal wieder joggen. «

Mit einem hämischen Grinsen öffne ich die nächste Flasche und halte sie dabei extra ans Telefon, damit Kenny den leisen Plopp auch hören kann und somit erfährt, dass seine Meinung hier echt nicht gefragt ist. »Das fehlt mir noch, dass du mir diesbezüglich den Moralapostel machst! Wer von uns beiden ist denn hier der Kettenraucher?«

»Ich bin kein Kettenraucher! Apropos … «

Aus dem Hintergrund vernehme ich ein strenges »Denk nicht einmal daran!« Entweder ist Joel Nichtraucher oder er hat gerade ganz andere Dinge im Sinn, die Kenny betreffen.

Ich räuspere mich gedämpft. Dieses Gespräch hat wohl soeben sein Ablaufdatum überschritten und ich wette, dass ich in den nächsten Sekunden abgewürgt werde, wenn ich nicht bald auf den Punkt komme. »Also. Du weißt ja, wie meine Mom ist. Sie plant ernsthaft, mich mit einem dieser widerwärtigen Methusalems aus dem Cugar Club zu verkuppeln. Einer von denjenigen bestimmt, die schon dreifach geschieden sind.«

»Ja, das klingt … nach deiner Mutter. « Er wirkt bereits leicht abwesend. Joel will womöglich etwas mit ihm anstellen, das mich schlicht und ergreifend nichts angeht.

»Also erwähnte ich …«, kurz halte ich inne und stelle das Shampoo zurück »… ganz beiläufig, dass ich jemanden kennengelernt habe, der mich am Valentinstag ins Grand Café ausführen wird.«

»Ins Grand Café? Wieso denn nicht in eine Nobelbar wie das Heavenly Sins – so wie es sich gehört? Wer lässt sich bitte am Valentinstag ins Grand … « Er gibt ein verhaltenes Stöhnen von sich und versucht prompt, es mit einem lauten Räuspern zu vertuschen. »Ist ja auch egal. Und dafür brauchst du einen Callboy, sag mal? Such dir doch wen auf der Straße oder … wie wäre es, wenn du deiner Mom einfach nicht so einen Scheiß auftischst? Oder … wenn du ihr im Nachhinein sagst, dass da nichts draus geworden … « Wieder stöhnt er auf.

»Boah, Kenny! Jetzt konzentriere dich bitte mal für eine Sekunde, okay? Ich lasse dich ja gleich in Ruhe.« Damit ich nicht völlig die Fassung verliere und ihm womöglich noch Dinge an den Kopf werfe, die ich später bereuen würde, presse ich einen Augenblick lang die Lippen zusammen und atme tief durch. »Du weißt doch, wie Mom bei so etwas ist.«

»Aye. « Ich registriere, wie er ein paar leise Worte in Joels Richtung raunt. »Alles klar, Süße. Ich weiß, dass du unter Zugzwang stehst. Ich höre mich um. Versprochen. Wir kriegen das schon hin. « Joel sagt irgendetwas zu Kenny, das ziemlich nach Escort-Agentur klingt. »Was?! «, ruft Kenny empört aus, aber wohl eher an Joel gewandt.

»Ich brauche niemanden für Sex«, wiederhole ich in diesem Moment, einfach nur, um wieder Kennys Aufmerksamkeit zu erhaschen. »Nur für den Kaffee. Es muss eigentlich auch gar kein Callboy sein. Es reicht, wenn es jemand ist, der sich bereit erklärt, zumindest für diesen Abend meinen schwer verliebten Freund zu spielen und … unter Umständen noch das eine oder andere Mal … an Moms Geburtstag beispielsweise. Und … na ja. Es sollte ihn nicht stören, dass er daraufhin im Cugar Club in aller Munde ist und … was weiß ich, was Mom sich ausdenkt.«

»Jaja «, ist Kennys Antwort, wobei er erneut ziemlich abgelenkt wirkt, sodass ich befürchte, er hat mir gar nicht richtig zugehört. Ich frage mich sogar, ob Joel eventuell gerade genauso auf ihn eingeredet hat, wie ich. »Elly? Hör zu, ich rufe dich nachher noch einmal an, ja? Ich liebe dich, das weißt du. «

»Ist gut.«

Doch Kenny hat längst aufgelegt.