»D u schläfst nicht mit ihnen?« Vollkommen entgeistert starre ich ihn an.
»Doch. Wenn sie auf mich zukommen. Ich ergreife niemals die Initiative.«
Ich muss echt aufpassen, dass mir die Kinnlade nicht auf die Füße knallt. Außerdem muss ich ganz ehrlich zugeben, dass mich der Gedanke irgendwie scharf macht.
Nein. Nicht der Gedanke.
Alles. Alles hier. Die gesamte Situation. Eigentlich, seitdem ich in Ashers Auto gestiegen bin.
Zuerst habe ich es nicht registriert, vielleicht auch unbewusst unterdrückt. Aber mit jeder Minute, die ich in Ashers Gegenwart verbracht habe, hat mein Herz immer aufgeregter zu klopfen begonnen, mein Magen ist nur noch ein vibrierendes Knäuel und mein Unterleib zieht sich im Minutentakt auf eine köstliche Art und Weise zusammen.
Ich will , dass Asher mir beim Duschen zusieht.
Aber genauso möchte ich, dass er mich davon überzeugt.
Ich möchte, dass er mich überredet.
Allerdings befürchte ich, dass er es nicht tun wird. Stattdessen steht er mit verschränkten Armen vor mir und scheint darauf zu warten, dass ich irgendetwas sage.
Vielleicht wartet er ja sogar darauf, dass ich ihm eine Anweisung gebe?
»Ähm. Ich weiß gerade nicht, was du von mir erwartest«, spreche ich genau das aus, was mir durch den Kopf schwirrt.
»Ich habe dir gesagt, was ich von dir erwarte, Elliot. Wenn du es nicht tust, kann ich es nicht ändern. Dann werden wir hier so lange stehen bleiben, bis du dich dazu entschieden hast, zu handeln. Was immer das sein wird.«
Angespannt presse ich die Zähne zusammen, bis mein Kiefer rebelliert. Das tue ich häufiger in letzter Zeit. Vor allem nachts. Ich bin kein Zähneknirscher, sondern ich beiße unbewusst meine Zähne zusammen. So sehr, dass ich beinahe jeden Tag an Spannungskopfschmerzen leide. Da hilft auch meine persönliche Aromatherapie nicht mehr. Und Yoga ebenfalls nicht.
Vielleicht sollte ich Asher genau das erzählen, dann würde unter Umständen diese eigenartige elektrisierte Anspannung zwischen uns verschwinden.
Die Luft ist wie aufgeladen. Ich warte förmlich darauf, dass es über unseren Köpfen zu donnern beginnt und die ersten Blitze auf uns niedersausen.
So ein abkühlender Gewitterregen würde uns beiden ganz guttun.
Ja. Es ist wie dieser Moment zwischen Donner und Blitz. Ein Moment, in dem meine Haare wie wild anfangen zu knistern und sich leicht aufstellen.
Mein Blick schweift zu dem Ledersofa und dem Flachbildfernseher. Möglicherweise könnten wir es uns einfach gemütlich machen? Ich könnte ihm anbieten, auf der Couch zu schlafen, wenn er schon unbedingt darauf bestehen muss, dass ich die gesamte Nacht hier verbringe. Aus irgendeinem Grund will ich gar nicht erst in Betracht ziehen, dort oben auf der Empore zu übernachten. Wo ein Bett ist, da ist auch … genug Platz für zwei.
Nein. Das möchte ich nicht.
Automatisch frage ich mich, ob Kenny wohl inzwischen meine Nachrichten bekommen hat und auf dem Weg hierher ist. Er würde es niemals zulassen, dass … na ja. Er würde das hier nicht zulassen. Was immer das hier gerade ist.
Glaube ich zumindest. Vermutlich würde er mich sogar zurechtweisen, dass ich mich nicht so anstellen soll – erst recht, seitdem Asher behauptet hat, er würde nur mit den Kundinnen schlafen, wenn sie auf ihn zukommen.
Nichtsdestotrotz ändert es nichts daran, dass ich Ashers Forderung nicht nachkommen werde. Das ist schlicht und ergreifend gegen meine Prinzipien und zusätzlich würde es mich in meinem Stolz kränken.
Denke ich.
Ja. Ich werde Asher jetzt anbieten, auf der Couch zu übernachten. Ich bin mir sogar fast sicher, dass er damit einverstanden ist.
»Okay.«
Ashers Augenbrauen schießen nach oben. »Das ging aber schnell.«
Mir rutscht sprichwörtlich das Herz in die Hose. Ja, ich kann richtig spüren, wie ein eigenartiges Prickeln durch meine Eingeweide rauscht.
Oh Gott. Ich habe mich … keine Ahnung … Habe ich mich verplappert? Wie nennt man es, wenn man etwas ganz anderes sagt, als man eigentlich im Begriff war zu sagen, weil man … mit den Gedanken schon viel weiter war?! Ja, ich habe sozusagen für Asher geantwortet, da in meiner Vorstellung bereits alles geregelt war!
»Ääähm! Nein, ich meine … Oh, verdammt!« Ich klatsche mir die Hände vors Gesicht, weil mein Kopf mit einem Mal total leer gefegt ist. Es ist, als würde mein Verstand auf einmal komplett gegen mich spielen. Normalerweise ist doch mein Verstand derjenige, der gegen alles, was Spaß machen könnte, etwas einzuwenden hat!
Aber jetzt hat er sich einfach verabschiedet.
»Ja?«, höre ich Ashers durchaus amüsierten Bariton direkt vor mir.
Diese Tatsache wäre für gewöhnlich gar nicht so schlimm, weil er ja schon die ganze Zeit vor mir steht. Nur hört es sich gerade so an, als würde er unmittelbar vor mir stehen. Weitaus weniger als eine Armlänge. So, dass wir uns nicht berühren, es aber täten, wenn Asher sich nur einen Deut bewegen würde.
Augenblicklich nehme ich die Hände vom Gesicht und weiche instinktiv einen Schritt vor ihm zurück. Er geht tatsächlich auf Tuchfühlung, beugt sich zu mir hinunter, als würde er mich küssen wollen. »Ich dachte, du … guckst nur«, murre ich prompt. Zwar erscheint mir mein Kopf nach wie vor beängstigend leer, aber mein Mundwerk funktioniert wenigstens noch.
»Tue ich auch. Habe ich dich berührt? Nein.«
»Doch. Vor ein paar Minuten hast du meine Hand gehalten. Du lügst mich also an. Willst mir was vormachen. Damit ich einknicke.« Kritisch beäuge ich ihn und weiche den nächsten Schritt zurück. »Wenn du bloß ein Spanner wärst, würdest du dich anders verhalten. Dann wärst du eher der Typ ›Ich halte mindestens dreißig Meter Abstand und verstecke mich hinter Gegenständen und in den Schatten ‹.«
Er schenkt mir ein weiteres Stirnrunzeln und lässt seinen Mundwinkel zucken. Der Rest seiner Gesichtszüge bleibt allerdings hart, fast schon zornig. Die Belustigung, die ich eben in seinem Tonfall vernommen habe, hat nicht seine Miene erklommen.
»Wieso sollte ich das tun? Du weißt doch, wer ich bin und was ich mit dir vorhabe. Ich sehe da ehrlich gesagt keinen Grund, mich vor dir zu verstecken.« Er macht den Schritt, den ich eben vor ihm zurückgewichen bin, erneut auf mich zu.
»Ah ja.« Unruhig schaue ich zum Ledersofa, gehe einige Schritte seitwärts und greife nach der Lehne.
Gerade will ich das Möbelstück umrunden, um etwas zwischen mir und Asher zu wissen, da packt er meinen Arm – so unnachgiebig, dass mir ein keuchender Laut entflieht. »Was machst du da? Hast du plötzlich Angst vor mir?«
Sofort entziehe ich mich ihm und fixiere seine hellen Augen. »Ich fühle mich schon die ganze Zeit nicht sehr wohl, falls es dir noch gar nicht aufgefallen ist. Ich kann mich nur wiederholen: Ich bin die Falsche für diese … Session.«
»Session?« Asher gibt ein humorloses Lachen von sich und senkt den Kopf, sodass seine Miene wieder von Schatten umwölkt wird. »Wieso sollte das hier eine Session sein?«
Ich zucke mit den Achseln und weiche kontinuierlich vor ihm zurück, bis ich zwischen Sitzfläche und dem gläsernen Couchtisch stehe, auf dem einzig und allein eine Fernbedienung liegt, mehr nicht.
»Sag es mir, Elliot: Stellst du dir so eine Session mit jemandem wie mir vor?« Irgendwie komme ich mir in Ashers Gegenwart immer dämlicher vor. Ja, ich habe regelrecht das Gefühl, dass er mich ständig für blöd erklärt, weil ich absolut keine Ahnung habe, was er eigentlich von mir will.
»Weiß ich doch nicht!«, schießt es aus mir heraus, während ich zur Betonung der Worte auf die Armlehne schlage. »Ich verstehe nicht, was das Ganze hier soll. Ich raste gleich noch aus! Mir wurde gesagt, dass ich einen stinknormalen – aber schlecht gelaunten – Callboy zugeteilt bekomme, der mit mir einen Kaffee trinken geht, damit meine Mutter endlich von ihrer Schnapsidee ablässt, mir einen ihrer steinalten, geistesgestörten Clubkameraden vorzustellen. Sie sollte einfach nur denken, dass ich jemanden kennengelernt habe, der mich am Valentinstag ausführt. Und … ja. Und morgen wollte ich mir einen Job suchen, damit ich endlich von ihr loskomme. Damit ich lerne, auf eigenen Beinen zu stehen. Und was machst du? Du entführst mich auf diese … diese … Ranch, sagst, ich komme erst morgen früh wieder nach Hause, du beißt mich und dann … ja, dann behauptest du auf einmal, dass du mich gar nicht anfassen wirst, sondern mir nur beim Duschen zusehen willst. Geht’s denn? Entweder beißt du oder du hältst Abstand und bespannst mich! «
Geduldig – und mit verschränkten Armen – hat Asher sich meinen Ausbruch angehört. Selbst nachdem ich ihm die letzten Worte regelrecht entgegengespien habe und meine Stimme bereits zu brechen drohte, da ich mit den Nerven echt am Ende bin, verharrt er einen Atemzug lang.
Er schweigt. Offenbar will er abwarten, ob ich noch weitere Unterstellungen für ihn bereithalte, die ich ihm an den Hals werfen möchte.
»Bist du fertig?«, erkundigt er sich zu allem Überfluss.
»Nein, bin ich nicht!«, motze ich ungehalten. »Was soll das alles?!«
»Ich habe dir doch gesagt, was es soll. Ich spule lediglich meinen Part ab. Du hast mich angeheuert und ich mache das, wofür ich bezahlt werde.«
»Ist das so? Ich habe den Eindruck, dass du eben nicht das tust, wofür du bezahlt wirst. Ich kann mich nur wiederholen: Du hast mich überwältigt und gebissen und zehn Minuten später behauptest du, du würdest deine Kundinnen nicht anfassen.«
»Das gehörte zu der Entführungssequenz.« Sein Mundwinkel zuckt erneut, aber das ist noch immer die einzige amüsierte Regung, die ich erkennen kann.
»Ach so, wir unterhalten uns jetzt in Sequenzen?«
»Möchtest du wieder über Sessions sprechen?«
»Hör auf, um den heißen Brei herumzureden. Was hat das mit den Sequenzen zu bedeuten?«
»Ich arbeite in drei Sequenzen: mich informieren, entführen, bedienen.«
»Bedienen nennst du das?« Ich gebe ein geringschätziges Schnauben von mir. »Und informieren? Stalking heißt das.«
»Wenn du meinst.«
»Du hast mich also seit der Auftragsanfrage ausspioniert?«
»Ja, ich habe mich über dich informiert. Richtig. Aber ich finde, das ist vollkommen legitim, da ich ja auch wissen wollte, mit wem ich es zu tun habe.«
»Ich bezweifle gerade, dass die Art und Weise, wie du vorgegangen bist, legitim war. Oder zumindest nicht nach meinem Verständnis von legitim.«
»Das mag schon sein.« Wieder macht er einen Schritt auf mich zu.
Folgendermaßen bewegen wir uns also ab sofort durch den Wohnraum. Die ganze verdammte Nacht, wie es aussieht: Er macht einen Schritt auf mich zu und ich weiche mindestens zwei Schritte zurück. Das wird wohl niemals aufhören.
Längst habe ich Sofa und Couchtisch hinter mir gelassen und tappe ziellos im freien Raum umher, ohne etwas zu finden, an dem ich mich abstützen kann. Etwas, das mir zumindest vorgaukelt, ein wenig Rückhalt für mich übrigzuhaben.
Als ich mir hektisch über die Schulter blicke, erkenne ich, dass ich mich nicht auf eine Wand zubewege, sondern zielsicher auf eine Tür zusteuere, von der ich befürchte, dass es sich um die Badezimmertür handelt.
Irgendwie habe ich im Gefühl, dass Asher mich bewusst dorthin lotst. Nicht, um mich zu zwingen, sondern eventuell sogar, um mir die Entscheidung zu erleichtern.
Eben hatte ich mir erhofft, dass er mich überredet. Vielleicht ist es tatsächlich seine Art, das zu tun?
Doch mein Stolz schießt noch immer quer. Asher und ich befinden uns jeweils auf einer Position, die eigentlich nicht zu einer Einigung einlädt: Sprich, wenn ich jetzt einknicke, mache ich mich unglaubwürdig. Ich sollte durchaus meinen Standpunkt vor ihm vertreten.
Hilflos weiche ich einen weiteren Schritt zurück und stoße mit meinem Hintern an das helle Holz.
Sofort lässt Asher den restlichen Abstand zwischen uns schmelzen. Er befindet sich nur noch eine Armlänge von mir entfernt und stemmt die Hand direkt neben meinem Kopf in die Tür. »Also, Elliot. Ich sehe ein, dass du mit der Gesamtsituation nicht so ganz einverstanden bist. Besser gesagt, du bist überfordert.«
Er fixiert meinen Blick und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihn anzustarren. Ich bin wie versteinert. Sein Blick hält mich gefangen und mit jedem Atemzug, den wir beide nehmen, wird das Schweigen zwischen uns lauter. Es ist, als würde Asher förmlich darauf warten, dass ich ihm auf seine Unterstellung antworte.
»Korrekt?«, erkundigt er sich in diesem Moment und mir wird klar, dass mein Bauchgefühl den richtigen Riecher hatte.
»Sowohl als auch«, wispere ich. Damit habe ich ihm mehr von mir preisgegeben, als ich eigentlich wollte.
»Happy Valentine’s Day«, raunt er in mein Gesicht. »Ich mache dir einen Vorschlag: Entweder gehst du jetzt duschen, ich sehe dir dabei zu und dann bringe ich dich um Mitternacht nach Hause. Oder das hier geht die ganze Nacht so weiter und ich werde mir überlegen, wann ich dich nach Hause bringe.«
Eigentlich sollte ich empört nach Luft schnappen. Das weiß ich. Aber ich tue es nicht. Weil gerade ein komplett anderes Gefühl durch meine Adern rauscht, das mir ein verhaltenes Keuchen entlockt. Hoffentlich fällt ihm der Unterschied nicht auf.
»Ich könnte auch noch einmal das Safeword aussprechen. Es sei denn, du ignorierst es erneut«, zische ich ihm entgegen.
»Probiere es doch aus.«
Einen Wimpernschlag lang spiele ich tatsächlich mit dem Gedanken. Es liegt in meinem Ermessen, das Ganze hier zu beenden. Ich weiß, dass es ein Test ist. Und ich fürchte, Asher hat mich durchschaut. Er scheint zu wissen, dass es mich reizt, seine Aufforderung zu befolgen. Dass er mich reizt.
»Wusste ich es doch«, flüstert er, beugt sich vor, so nah, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüre. »Du willst es. Und wirf mir bloß nicht vor, dass ich dir keine Wahl lasse.«
Verstört beiße ich mir auf die Unterlippe und registriere im selben Moment, wie Asher mir auf den Mund starrt.
»Nein.« Instinktiv versuche ich, ein paar Zentimeter vor ihm zurückzuweichen, doch da ist nichts außer der Tür in meinem Rücken, die standhaft dagegen hält. »Ich will es nicht. Ich habe es nicht zu wollen. Weil das hier nicht richtig ist.«
»Aber?«, hakt Asher mit dunkler Stimme nach. Ja, seine Stimme ist um einige Nuancen tiefer und rauer geworden. Aus irgendeinem Grund lässt mich diese Tatsache Mut fassen, weil ich ihn offensichtlich nicht kaltzulassen scheine. Mut, weil ich mit meinen Gefühlen nicht allein dastehe.
»Ich … Ich … Du reizt mich.«
Er lehnt sich ein paar Zentimeter zurück. Und endlich scheint die Andeutung von einem Schmunzeln sein Gesicht zu erhellen. »Inwiefern?«
Ich rolle mit den Augen, was sein Schmunzeln wiederum verschwinden lässt. »Jetzt quäle mich doch bitte nicht so.«
»Ich quäle dich nicht. Ich möchte nur wissen … woran ich bin.« Seine Stirn legt sich in Falten, als wäre er derjenige, der die ganze Zeit irgendwelchen perversen Spielchen ausgesetzt ist.
»Ich meine damit, dass du mich auf eine Art und Weise reizt, die in mir den Wunsch aufkommen lässt, es einfach auszuprobieren.« Die Worte verlassen meinen Mund wie die Salve eines Maschinengewehrs. Weil ich befürchtet habe, dass ich mich im nächsten Atemzug nicht mehr traue, sie auszusprechen.
Es ist raus. Asher hat gewonnen.
»Dann geh.« Als ich verwirrt blinzele, ist da wieder diese Andeutung eines Schmunzelns. »Duschen.« Erneut beiße ich mir auf die Unterlippe und sein Blick bleibt wie zuvor daran hängen. »Jetzt.« Seine Stimme ist wie das Donnergrollen eines Sommergewitters und lässt keinen Widerstand mehr zu, fürchte ich.