17
Am Montag legten Niki und Max ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse im Büro von Frank Dovey vor, einem Assistenten der Staatsanwaltschaft von Hennepin County, zuständig für die Abteilung Erwachsenenstrafrecht. Frank hatte sie einbestellt, und als sie ankamen, wurden sie in den Konferenzraum geführt, wo der Duft nach frischem Kaffee aus einer weißen Kaffeekanne aufstieg, umgeben von vier Kaffeetassen auf einem Tablett. Sie hatten kaum Platz genommen, als Dovey auch schon den Raum betrat. Er schob das Kaffeetablett vor Niki und setzte sich hin. »Ich dachte, wir könnten einen Kaffee trinken, während ihr mich auf den jetzigen Stand bringt.«
Dovey, ein breit gebauter Mann, dessen militärischer Bürstenschnitt und immer deutlicher werdende Hängebacken Max an einen dicken Klecks Keksteig erinnerten, setzte sich ihm gegenüber und trommelte mit den Daumen auf der Tischplatte herum. Max warf Niki einen Blick zu. Sie wirkte verloren hinter dem Tablett mit dem Kaffee. Max schob das Tablett weiter beiseite, damit es sie nicht länger ausgrenzte, und ließ es am anderen Ende des Tisches stehen.
»Kein Kaffee für Sie beide? Macht nichts. Ich dachte bloß, na ja.« Dovey redete wie ein Mann, der jede Woche Kokain im Wert von 1000 Dollar durch die Nase zieht, aber das war nur ein Tick seinerseits. Der Mann lief so lange auf Hochgeschwindigkeit, bis er den Gerichtssaal betrat. Dort vermochte Dovey durchaus, sein schnelles Mundwerk zu beherrschen, wenn die Situation es erforderte. Vor den Geschworenen wurde aus dem Stepptanz im Handumdrehen ein langsamer Walzer.
»Der Fall Pruitt ist mir übertragen worden«, erklärte Dovey. »Also, was haben Sie bisher?«
Max nickte Niki zu, die ihre Ermittlungsakte aufklappte und begann, den Fall zusammenzufassen.
»Das Opfer ist Jennavieve Pruitt. Angehörige der feinen Gesellschaft, engagierte Philanthropin, Tochter von Emerson Adler.«
»Ich bin Emerson Adler einmal begegnet«, sagte Dovey. »Bei einer Spendenveranstaltung für den Obersten Richter Patten. Alle Bonzen gaben sich dort ein Stelldichein.«
Niki und Max wechselten einen Blick, dann fuhr sie fort. »Sie leitete eine Reihe von Stiftungen, aber ihr Hauptaugenmerk lag auf der Gruppe, die sich um den Erhalt von Sumpfgebieten kümmert. Sie war mit dem Strafverteidiger Ben Pruitt verheiratet und die beiden haben eine Tochter namens Emma.«
Max übernahm, indem er seine Akte öffnete und den vorläufigen Autopsiebericht hervorzog. »Am Freitagmorgen fand ein Jogger Mrs. Pruitts nackte Leiche auf einem Parkplatz hinter einer Buchhandlung in Kenwood, eingewickelt in eine Tagesdecke, die vom Bett der Tochter stammte. Ein abgelegener Ort. Niemand hat einen Wagen hinein- oder hinausfahren sehen. Die Pathologin sagt, der Todeszeitpunkt liegt zwischen elf und eins in der vorhergehenden Nacht. Sie wurde durch einen Stich in den Hals mit einem zweischneidigen Messer getötet. Wir haben einen Schaukasten für ein Messer in Pruitts Haus, in dem das entsprechende Messer fehlt, und die Abmessungen passen zu unserer Mordwaffe.«
Niki zog die Bilder hervor, die sie im Haus gemacht hatten, und übernahm wieder. »Wir glauben, dass sie geduscht hat und sich bettfertig machte. Als sie aus dem Badezimmer kam, wurde sie angegriffen. Es gibt kaum Anzeichen für einen Kampf. Es scheint, als hätte der Angreifer sie überrascht, erstochen und vielleicht auf dem Bett festgehalten, während sie verblutete.«
»Keine Verletzungen, die auf Gegenwehr schließen lassen«, fügte Max hinzu. »Nichts unter ihren Fingernägeln.«
Dovey betrachtete die Bilder und hielt bei den Aufnahmen der nackten Leiche auf dem Parkplatz inne. »Gewaltsames Eindringen ins Haus?«
»Nein.«
»Sie durchleuchten den Ehemann, hoffe ich«, sagte Dovey.
»Wir glauben, er könnte es gewesen sein, allerdings hat er so etwas wie ein Alibi«, erklärte Max.
»Ein Alibi?«
»Er gibt an, er sei auf einer Anwaltstagung gewesen. Wir haben einen bestätigten Flug nach Chicago am Donnerstag, und er ist am Freitag hierher zurückgeflogen, nachdem ich ihn angerufen hatte. Er klang überrascht, aber er könnte auch einfach ein guter Schauspieler sein.«
»Telefondaten?«
»Wir haben einen Anruf. Er hat um 17:27 Uhr am Donnerstag Mrs. Pruitt auf dem Handy angerufen«, erklärte Niki. »Sie ging nicht ran. Dann haben wir eine SMS von Mr. Pruitts Handy an ihres. Wir haben bereits um die Daten der Mobilfunkmasten ersucht.«
Dovey rieb sich mit einer Hand über die borstige Kopfhaut. »Und der Mann hat also ein Alibi?«
»Nicht unbedingt.« Max lächelte. »Wir haben eine Nachbarin, die schwört, dass sie Ben Pruitt gegen Mitternacht gesehen hat. Er sei in einem roten Auto vorgefahren, habe an der Ecke geparkt und sei zum Haus gegangen.«
Dovey sackte auf seinem Stuhl zurück und gestattete sich ein breites Grinsen. »Wollen Sie mich hochnehmen? Ist sie glaubwürdig?«
»Absolut«, bestätigte Max.
Dovey setzte sich wieder gerade hin und lehnte sich ein Stück weit nach vorn. »Und wie ist er dann hierher zurückgekommen?«
»Daran arbeiten wir noch«, schränkte Max ein. »Er muss sich in Chicago einen Wagen beschafft haben. Ich bezweifle, dass er einen gemietet hat, weil das immer leicht nachvollziehbare Spuren hinterlässt, aber wir überprüfen das.«
»Es ist möglich, dass er einen Wagen gestohlen hat«, fügte Niki hinzu, »aber das erscheint uns unnötig riskant.«
»Was denken Sie, Max?«
Max sah zu Niki hinüber, dann blickte er Dovey wieder an. »Ich glaube, Niki hat eine Theorie dazu.«
Niki wartete, bis Dovey ihr zunickte, bevor sie fortfuhr. »Es ist gut möglich, dass er sich einfach in Chicago ein Auto gekauft hat, indem er auf eine Anzeige geantwortet und dem Verkäufer einen Packen Scheine in die Hand gedrückt hat. Dann konnte er direkt losfahren. Pruitt fährt also abends hierher, ermordet seine Frau und fährt sofort wieder nach Chicago zurück, sodass er rechtzeitig am nächsten Morgen bei der Konferenz auftaucht.«
»Haben wir irgendwelche Beweise, die das untermauern können?«
»Keinen einzigen«, gab Max zu.
»Wie kommen wir an Beweise?«
Max verschränkte die Finger und hob sie an die Lippen, während er nachdachte. »Wir müssen nach Chicago fahren. Ich werde seine Schritte nachverfolgen. Ich kann die Aufnahmen der Überwachungskameras vom Hotel bekommen, vielleicht auch auf den Schlüsselkarten gespeicherte Informationen, wann er jeweils sein Zimmer betreten hat. Vielleicht erinnert sich jemand von den Hotelangestellten an ihn. Ich werde mit dem Wagen hinfahren, und auch wieder zurück. Vielleicht gibt es auch unterwegs Überwachungskameras.«
»Mautstellen«, platzte Niki dazwischen. »Auf der I-90 gibt es eine ganze Reihe von Zahlstellen. Die müssen doch mit Kameras ausgestattet sein.«
Dovey nickte zustimmend. »Wenn die Videoaufnahmen haben, kann ich die vom Verkehrsministerium gerichtlich anfordern lassen. Beschaffen Sie mir ein Zeitfenster für jede Mautstelle, dann besorge ich Ihnen die Aufnahmen.«
Max überlegte laut: »Wenn wir ihn beim Durchfahren einer Mautstelle auf dem Rückweg von Chicago hierher erwischen, haben wir einen eindeutigen Beweis für Vorsatz.«
Ein schmales Lächeln erhellte Doveys Gesicht. Er sprach ebenfalls, als dächte er lediglich laut nach. »Und bei vorsätzlichem Mord können wir mit lebenslänglich Gefängnis rechnen, also werden wir eine Grand Jury brauchen. Ich werde mich darum kümmern. Wenn ich die Anklage führen darf, wird das als größter Mordfall der letzten Jahre durch die Medien gehen: Emerson Adlers Tochter, ermordet von ihrem eigenen Ehemann, einem erfolgreichen Anwalt. Verdammt, das wird landesweit in den Nachrichten sein.«
Max konnte beinahe sehen, wie der Geifer aus Doveys Mundwinkel zu tröpfeln begann. »Wir haben noch keinen Bericht der Labortechniker, und es dürfte noch eine ganze Weile dauern, bis die Forensik die Festplatten gesichtet hat. Sollen wir uns wirklich schon jetzt um die Bestellung einer großen Geschworenenrunde bemühen?«
»Ich kümmere mich lieber gleich darum«, insistierte Dovey. »Das Eisen ist heiß und ich will keine Verzögerung riskieren.«
Max hatte das Zucken in Doveys Lächeln sehr wohl bemerkt. Es sagte ihm, dass hinter dessen Eifer, die Mühlen des Gesetzes schneller mahlen zu lassen, noch etwas anderes steckte. Fälle, in denen es um große Namen ging, waren immer auch den Strömungen politischer Manöver ausgesetzt. Dovey hielt einen Sack Gold in den Händen und musste rasch handeln, damit er ihm nicht am Ende entglitt. »Sie beschaffen mir die Beweise dafür, dass und wie er hierher zurückgekehrt ist«, befahl Dovey. »Mehr brauche ich gar nicht. Nun ja, Beweise und ein Motiv. Haben wir da schon etwas?«
Max zuckte die Achseln. »Wir befragen heute Mrs. Pruitts Schwester. Bisher wissen wir noch kaum etwas über die Ehe der Pruitts. Wir hoffen, dass sie uns dazu etwas sagen kann.«
»Wie viele rote Viertürer können um diese Zeit auf der I-90 unterwegs gewesen sein?«, fragte Niki dazwischen.
Dovey blickte erneut nur Max an, so als wäre Niki gar nicht anwesend. »Ich bin noch nie einem verheirateten Paar begegnet, das nicht ausreichend Probleme gehabt hätte, dass mindestens eines davon erklären würde, wieso einer den anderen umbringen wollte«, stellte er fest. »Und ich wette, die Pruitts hatten eine Menge Probleme. Wenn Sie mir ein Motiv beschaffen, dann habe ich ganz sicher genug, um eine Grand Jury zu bestellen.«