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Max betrat sein Schlafzimmer, zog sich die Krawatte aus dem Hemdkragen und hängte sie über eine Stange in seinem Kleiderschrank. Er hasste es, Krawatten zu tragen, und tat es nur, wenn der Anlass es erforderte, wie zu Hochzeiten, Beerdigungen und wenn er vor einer Geschworenenrunde aussagen musste.
Die Grand Jury hatte ihm diesmal nur wenige Fragen gestellt.
Es war das dritte Mal in diesem Fall, und er hatte auch nur wenige zusätzliche Informationen für sie, denn sein letztes Erscheinen war gerade einmal zwei Wochen her.
Nun wussten sie von Kagens Annahme, dass die Ehe der Pruitts auf der Kippe gestanden hatte. Sie wussten über den Ehevertrag Bescheid, der Ben Pruitt im Regen stehen ließe, sollte Jennavieve sich je scheiden lassen wollen. Sie wussten, dass Ben ein Motiv hatte, seine Frau zu ermorden, obwohl das Motiv kein Aspekt des Verbrechens war, den man in einer Verhandlung unbedingt beweisen musste.
Die Grand Jury hatte Malena Gwins Zeugenaussage gehört.
Ben Pruitt war ungefähr zum Todeszeitpunkt seiner Frau in einem roten Viertürer aufgetaucht. Keiner der Geschworenen dachte daran, nach den Videoaufzeichnungen der Mautstellen zu fragen, die immer noch nicht eingetroffen waren.
Nach diesem dritten Auftritt vor der Grand Jury sagte Dovey ihm, dass er die Geschworenen bitten werde, sich auf der Basis dessen, was sie bisher gehört und gesehen hatten, zu beraten.
»Wir haben die Aufnahmen der Mautstellen noch nicht«, gab Max zu bedenken. »Und die Auswertung der Computer haben wir auch noch nicht.«
»Max, haben Sie Zweifel? Ist es das, was ich aus Ihren Worten heraushöre?« Doveys Tonfall war höhnisch und selbstgefällig. Er erinnerte Max an einen Grundschüler, der jeden Moment seinen Ball nimmt und damit wegrennt. »Wenn Sie denken, dass es jemand anderes als Ben Pruitt getan hat, dann klären Sie mich bitte unbedingt auf.«
»Ben Pruitt hat seine Frau umgebracht«, erwiderte Max. »Aber wenn wir zu übereilt vorgehen …«
»Wollen Sie mir vorschreiben, wie ich meinen Job machen soll, Detective?«
»Nein, aber dieser Kerl muss bezahlen. Es reicht nicht, dass wir die Anklage durchbringen. Wir brauchen eine Verurteilung. Pruitt ist gerissen. Unterschätzen Sie ihn nicht.«
»Ich bin lange genug in diesem Geschäft, um zu wissen, dass das Ziel eine Verurteilung ist. Vertrauen Sie mir, Max. Ich bekomme die Anklage und dann erwirke ich die Verurteilung. Ben Pruitt wird bezahlen.«
Max rieb sich die müden Augen und schüttelte den Kopf. »Es ist Ihre Show, Frank.«
Danach war Max nach Hause gefahren und hatte den guten Anzug gegen eine Jeans und ein weniger formelles Sakko ausgetauscht. Es war noch nicht einmal zwölf und auf dem Schreibtisch im Rathaus wartete noch eine Menge Arbeit auf ihn. Er warf ein Würstchen in einen Topf mit Wasser und schaltete den Herd an.
Er würde erst eine Kleinigkeit zu Mittag essen und dann ins Büro zurückfahren.
Während das Wasser langsam heiß wurde, ging er auf seine Veranda hinaus und holte die Post herein. Auf dem Rückweg in die Küche ging er die Umschläge durch und warf dann die Rechnungen auf einen Haufen auf der Ablagefläche und die Werbung auf einen anderen Haufen. Als er damit fertig war, hielt er immer noch einen großen, weißen Umschlag in der Hand. Sein Name und seine Adresse waren mit einem Laserdrucker aufgedruckt. Kein Absender. Der Stempel verriet ihm, dass der Brief von einem Postamt in Minneapolis kam. In der Mitte des Umschlags zeichnete sich etwas durch das Papier ab, beulte es aus. Max tastete den Klumpen ab, der in etwa die Größe einer Patrone besaß. Daneben befand sich noch etwas Rundes, Flaches, wie eine Dollarmünze, aber nicht ganz so schwer.
Er riss den Umschlag auf und ließ den Inhalt auf die Arbeitsfläche gleiten. Es war keine Patrone. Es war ein Schlüssel, kurz und rund, wie man ihn für ein Fahrradschloss oder einen Lagerverschlag brauchte. Der Schlüssel hing an einem Schlüsselring, auf dem sich ein gummierter, blauer Kreis mit der aufgedruckten Zahl 49 befand. Max betrachtete den Schlüssel einen Moment lang und legte ihn dann beiseite.
Im Umschlag befand sich außerdem ein Brief. Er zog das Blatt Papier heraus und faltete es auf. Der Brief enthielt nur drei kurze, getippte Sätze, aber die Worte, die da standen, verbrannten seine Finger, als stünde das Papier selbst in Flammen. Er ließ den Brief fallen und
machte einen Schritt zurück. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Hände und Finger zitterten plötzlich unkontrolliert.
Der Brief lag aufgefaltet auf der Arbeitsfläche, wie er ihn fallen gelassen hatte. Etwas in ihm weigerte sich zu glauben, was er da gerade gelesen hatte. Er wollte ihn erneut in die Hand nehmen, hielt dann aber inne. Eventuell waren Fingerabdrücke oder DNA-Spuren auf dem Papier. Er trat wieder näher heran und las den Brief noch einmal, ohne ihn anzufassen.
Der Tod Ihrer Frau war kein Unfall. Sie wurde ermordet. Hier ist der Beweis.