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Bevor er an diesem Abend nach Hause fuhr, ging Max beim Kriminallabor vorbei, um mit Bug Thomas zu sprechen, der ihm mitteilte, dass er keine weiteren Spuren auf dem Schlüssel gefunden hatte, abgesehen von einem Überrest Wundbenzin, was lediglich bewies, dass sowohl Schlüssel als auch Ring gründlich gesäubert worden waren, bevor der Absender sie in den Umschlag gesteckt hatte. Der Umschlag selbst war mit Wasser statt Spucke zugeklebt worden, also gab es auch keine DNA-Spuren.
Zu Hause angekommen klappte Max seine Aktentasche auf. Darin waren die Akte seiner Frau, der Schlüssel, der Brief und ein Stapel CDs von den Mautstellen in Illinois. Er legte die erste CD in seinen Laptop ein und wartete darauf, dass sich die selbstextrahierende Datei öffnete. Währenddessen betrachtete er den Schlüssel und den daran befestigten Ring, untersuchte beides zum hundertsten Mal in der Hoffnung, dass ihm irgendetwas daran auffallen würde. Aber da war nichts.
Als die Aufnahmen der Überwachungskameras geladen waren, begann er mit der Sichtung. Er sah den Autos zu, die durch die erste der sieben Durchfahrtspuren der Mautstelle 19 rollten, die sich kurz vor Chicago befand. Der Gedanke an die Menge von Videomaterial, die er durchsehen musste, machte seine Lider augenblicklich schwerer.
Max machte es sich bequem. Fahrzeug um Fahrzeug rollte vorbei, und bei jedem roten Viertürer stoppte er die Aufnahme und betrachtete das Bild genauer. Gab es nur einen Fahrer? War es ein Mann? Wenn der Wagen beide Kriterien erfüllte, vergrößerte er den Bildausschnitt, um den Fahrer besser zu erkennen und das Nummernschild zu notieren. Nach einer halben Stunde hatte er lediglich eine Nummer notiert und war ziemlich sicher, dass es sich bei dem Mann auf dem Fahrersitz nicht um Ben Pruitt handelte.
Das waren nun seine Hausaufgaben für die kommenden Abende, und zwar so lange, bis er alle 28 CDs durchgesehen oder Ben Pruitt und dessen geheimnisvollen roten Wagen entdeckt hatte.
Er hielt den Schlüssel mit dem Ring in der Hand, während er die Überwachungsvideos anschaute. Nur fünf Minuten von hier entfernt gibt es eine Lagerhalle mit Mietlagerräumen,
sagte er sich. War es möglich, dass sein Schlüssel dort ins Schloss der Tür mit der Nummer
49 passte? Extrem unwahrscheinlich. Aber möglich wäre es. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Schlüssel dort passte, war im Grunde nicht höher oder niedriger als bei jeder anderen Lagerhalle im Bundesstaat. Und sie war nur fünf Minuten weit weg. Er könnte rasch hinfahren, nur um seine Neugier zu befriedigen.
Max blinzelte und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm. Er hatte die Schlange der Fahrzeuge angestarrt, die die Mautstelle durchfuhr, aber er hatte nicht wirklich aufgepasst. Er hielt das Video an und spulte zur letzten Stelle zurück, an die er sich bewusst erinnerte. Dann schlug er sich ein paarmal leicht auf beide Wangen und ließ das Video weiterlaufen.
Für das hier wurde er nicht bezahlt. Er hatte seinen Achtstundentag bereits abgeleistet. Die Tränensäcke unter seinen Augen kniffen und zerrten an seinen Lidern, bettelten um ein wenig Schlaf. Aber er wusste, dass er keinen Schlaf finden würde. Nicht wenn er nicht irgendetwas tat, um seine innere Unruhe zu befrieden. Nur eine kleine Geste. Ein erster Schritt in einer Untersuchung, die er seit nunmehr vier Jahren durchführen wollte.
Er fuhr seinen Computer herunter und steckte den Schlüssel in die Hosentasche. Er würde zur nächstgelegenen Lagerhalle fahren und dort probieren, ob der Schlüssel passte. Wenn das nicht der Fall war, würde er zurückkommen und hoffen, etwas Schlaf zu finden. Er konnte jeden Abend mindestens eine Adresse abhaken, vielleicht auch mehrere, wenn sie nah beieinanderlagen. Er wusste, dass das Ganze ein aussichtsloses Unterfangen sein mochte, aber es könnte ihm zumindest dabei helfen, seine Schuldgefühle so weit zum Schweigen zu bringen, dass er schlafen konnte.