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Bei der Vorabanhörung der Anträge besprachen Boady und Dovey die genauen Details der kommenden Verhandlung. Sie legten fest, welche Fotos vom Tatort und von der Autopsie zugelassen werden sollten und welche übermäßig abträglich waren oder bei den Geschworenen unfaire, unwillkürliche Reaktionen hervorrufen könnten. Sie klärten außerdem die Vorgehensweise für die Auswahl der Geschworenen, wie weit die Vorvernehmung der ausgewählten Geschworenen gehen durfte sowie grundsätzliche Fragen zu einigen der Beweisstücke, die der Staat vorlegen würde. Die letzte Frage, über die sie sprachen, war die Rüge, die das staatliche Gremium für berufliche Verantwortung Ben Pruitt erteilt hatte, denn diese Rüge war dazu angetan, die Behauptung, dass Ben Pruitt schon einmal unehrlich einem Gericht gegenüber gewesen war, mit offiziellem Stempel zu untermauern. Daher wollte Boady diese Rüge um jeden Preis aus dem Prozess heraushalten.
»Euer Ehren«, begann Dovey, »Mr. Pruitt hat bei einem früheren Strafprozess ein Dokument vorgelegt, eine schriftliche Verwarnung, die angeblich von Detective Ruperts Vorgesetztem, Commander Walker, unterzeichnet wurde. Dieses Schriftstück behauptete, Detective Rupert wäre wegen Fälschung von Beweisen verwarnt worden. Später wurde zweifelsfrei erwiesen, dass das Schriftstück eine Fälschung war. Darf ich zum Richtertisch treten?«
»Sie dürfen«, erwiderte Richter Ransom.
Dovey brachte die schriftliche Rüge zur Bank, ließ es sich abzeichnen und der Liste der Beweismittel hinzufügen.
»Mr. Pruitt wurde daraufhin vom Gremium für berufliche Verantwortung formell dafür gerügt, dass er die Täuschung des Gerichts zugelassen hatte. Der Staat bittet um Erlaubnis, diese Dokumente in der Verhandlung als Beweismittel zuzulassen, um das Verhältnis der beiden Männer, Pruitt und Rupert, in der Vergangenheit zu beleuchten und um zu zeigen, in welchem Ausmaß der Angeklagte bereit ist, Kniffe und Tricks anzuwenden, um seine Fälle zu gewinnen.«
Dovey setzte sich wieder.
»Euer Ehren.« Nun erhob sich Boady. »Der Staat will Mr. Pruitts Rüge nur zu einem einzigen Zweck einbringen. Er zielt darauf, den Charakter des Angeklagten in den Augen der Geschworenen zu
verunglimpfen. Wie das ehrenwerte Gericht weiß, ist diese Art von Leumundsbeweis unzulässig. Die Rüge stellt die Fakten des damaligen Falles verzerrt dar. Das gefälschte Dokument wurde Mr. Pruitt von seinem Ermittler zugespielt. Wir glauben, dass der Mann vom Klienten Mr. Pruitts dafür bezahlt wurde. Mr. Pruitt wusste nicht, dass es eine Fälschung war, bis die Ethikkommission die Sache untersuchte. Euer Ehren, der Staat ist sich durchaus bewusst, dass solche Beweismittel nicht zugelassen sind, weil es sich um unangemessene Leumundsbeweise handelt.«
Richter Ransom nickte langsam, während er das fragliche Schriftstück durchlas. »Würden Sie zustimmen, Professor Sanden …«
»Euer Ehren«, unterbrach Dovey ihn, »ich erhebe Einspruch dagegen, dass das Gericht Mr. Sanden als ›Professor Sanden‹ anspricht. Das erhöht sein Ansehen in den Augen der Geschworenen auf unangemessene Weise.«
»Da stimme ich Ihnen zu, Mr. Dovey, aber da die Geschworenen bisher noch nicht anwesend sind, werde ich Ihren Einwand notieren.«
Richter Ransom wandte sich wieder Boady zu. »Professor Sanden, lehren Sie auch zu Beweismitteln?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Und in Ihren Bestrebungen, das Beweisrecht zu lehren, haben Sie Ihren Studierenden da auch die Zulässigkeit von Glaubwürdigkeitsbeweisen erklärt, sollte ein Angeklagter in den Zeugenstand gerufen werden, um auszusagen?«
»Das habe ich, Euer Ehren.«
»Dann nehme ich an, dass Sie Ihren Studierenden beigebracht haben, dass ein Beweis für Unaufrichtigkeit, insbesondere wenn diese Unaufrichtigkeit vor Gericht zutage tritt, zulässig ist, weil es um die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Zeugen geht?«
Boady wusste, dass dies das Ergebnis der Argumentation sein würde, aber nun musste er auch den letzten Schritt gehen. »Ja, Euer Ehren, aber nur, wenn die betreffende Person in den Zeugenstand tritt.«
»Ganz genau«, bestätigte Richter Ransom mit einem Lächeln. »Wenn Mr. Pruitt als Zeuge zu seiner eigenen Verteidigung aussagt, werde ich Mr. Dovey erlauben, seine Rüge als Beweismittel vorzubringen. Ihnen bleibt es natürlich unbenommen, die genaueren Umstände der Rüge zu erläutern, wenn Sie denken, dass das den Eindruck abschwächt. Aber das Schriftstück wird zugelassen, wenn Mr. Pruitt in den Zeugenstand tritt.«
Nun hatte er den Salat. Wenn Ben aussagte, würden alle von der Rüge erfahren. Dovey konnte argumentieren, dass Ben Pruitt schon früher ein Gericht belogen hatte. Arglistige Täuschung betrieben hatte, um einen Fall für einen Klienten zu gewinnen. Wie viel weiter würde ein Mann gehen, wenn er seine eigene Haut retten musste? Was sollte ihn davon abhalten, es wieder zu versuchen oder noch weit mehr zu tun?
Aber musste Ben unbedingt selbst aussagen? Die Anklage würde die Aufnahme der Befragung Ben Pruitts durch Max Rupert abspielen. Darin beharrte Ben felsenfest auf seiner Unschuld und flehte Max geradezu leidenschaftlich an, den Mörder seiner Frau zu finden. Und er gab bereits die Einzelheiten seines Alibis an.
Andererseits wusste Boady, dass die Geschworenen einen Angeklagten sagen hören wollten, dass er es nicht getan hatte. Sie brauchten das. Sie wollten ihm in die Augen sehen und diese Worte aus seinem eigenen Mund hören. Dabei spielte das ›Recht zu schweigen‹ keine Rolle.