Kapitel 5

A lso, was ist los, Amanda?«, fragte Sal, als sich das Schweigen endlos hinzuziehen drohte. Sie war in sein Zimmer gekommen, um mit ihm über etwas Persönliches zu sprechen und schien den Mut dafür zu suchen. Das war auch gut so. Er verstand, dass man über manche Dinge erst einmal nachdenken musste, bevor man sie ansprach. Bei all seinen Problemen mit sozialen Ängsten verstand er das besser als die meisten anderen.

Gleichzeitig hatte er aber auch Dinge zu tun, Orte zu besuchen und Menschen zu sehen. Obwohl er davon ausging, dass das, was sie ihm sagen wollte, wichtig genug war, um dieses Zögern zu rechtfertigen, wurde seine Geduld langsam knapp. Er fragte sich, ob es irgendetwas gab, das er sagen oder tun konnte, um die Dinge ein wenig zu beschleunigen.

Natürlich fühlte es sich asozial an, so zu denken. Es war ja nicht so, dass das, woran er arbeitete, zeitkritisch war oder so.

»Stimmt, tut mir leid. Ich überlege gerade, wie ich es richtig sagen soll«, fing Amanda schließlich mit einem Nicken an, hielt aber ihren Blick gesenkt. »Ich denke, ich werde es einfach aussprechen. Wusstest du, dass ich mich mit dieser Frau getroffen habe, Doktor Beverly Chance? Sie arbeitet in der Forschungsabteilung eines der Zoo-Unternehmen und kümmert sich um alles, was zurückgeschickt wird.«

»Das wusste ich gar nicht«, antwortete Sal mit einem leichten Schulterzucken. »Ich kenne natürlich Doktor Chance und ich weiß, dass du die Mädchen den Jungs vorziehst. Das ist kein Urteil, das weißt du. Ich bin sehr für LGBTQ. Alle anderen Buchstaben auch. Ich bin total … ähm, einverstanden?«

»Du kannst jetzt aufhören.« Sie gluckste.

Er seufzte. »Danke. Ich bin es offensichtlich nicht gewohnt, dass man persönliche Dinge mit mir teilt. Worüber … äh, haben wir noch mal gesprochen?«

»Nun, Bev hat einen Job in der französischen Basis angeboten bekommen und sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr dorthin ziehen möchte«, erklärt die Waffenmeisterin. »Ich habe bereits mit den Verantwortlichen der Basis dort telefoniert und sie sagten, dass sie dringend jemanden mit Erfahrung brauchen, der ihre mechanischen Abteilungen koordiniert. Sie sind mehr als bereit, viel Geld für meine Arbeit zu zahlen und …« Sie sah ihn mit einem fast verzweifelten Blick an. »Weißt du, ich rede hier die ganze Zeit und du hörst nur zu, also solltest du vielleicht etwas sagen.«

Er bemerkte, dass sein Gesicht ausdruckslos geworden war und er bemühte sich, sich von seiner scheinbaren Benommenheit zu erholen. »Oh, Entschuldigung. Ich bin, äh … ein wenig … Ja, ich glaube, betäubt ist das richtige Wort. Nun … das ist scheiße. Für uns natürlich, aber ich könnte mich nicht mehr für dich freuen. Sowohl für den Job als auch dafür, dass du so deinem Herzen gefolgt bist. Das ist fantastisch. War es Connie? Ist sie der Grund, warum du gehst? Ich werde diese verdammte KI töten.«

Amanda kicherte. »Ich bin genauso hin- und hergerissen wie du, aber ich glaube, es ist die richtige Entscheidung. Obwohl Connie eine totale Schlampe ist, glaube ich, dass ich die dumme Kuh vermissen werde. Bitte töte sie nicht.«

»Nun, die Türen hier stehen dir immer offen«, sagte er nach einer kurzen Pause, während er seine Gedanken sammelte. »In der Zwischenzeit – und das hat nichts mit dir zu tun – kennst du vielleicht jemanden, der ähnliche Qualifikationen hat wie du und nichts dagegen hätte, auf das Gelände zu ziehen? Es hat natürlich nichts damit zu tun. Ich versuche, zu expandieren. Oder so.«

Ihr Lachen erhellte ihre Züge auf ansprechende Weise. »Du willst, dass ich jemanden für die Stelle finde, die ich frei mache, ganz unabhängig von meinem Weggang? Interessant. Nun, für den Fall, dass du noch nicht nach einem Nachfolger für mich gesucht hast, habe ich ein paar Namen, die du dir ansehen solltest. Außerdem habe ich vorhin mit Anja darüber gesprochen und sie meinte, dass es vielleicht noch Platz für ein bisschen – wie soll ich sagen – mehr Wurst in diesem Östrogensalat gibt, wenn du verstehst, was ich meine.«

Sal grinste. »Ich … ja, das ist ein gutes Argument. Aber solange ich die beste Person für den Job finde, kann sie von mir aus auch einen bleistiftgroßen Schwanz haben.«

»Ich bin die beste Person für den Job«, betonte sie. »Ich versuche nur, den Zweitbesten für dich zu finden, verstanden? Aber so wie du es beschreibst, klingt es so, als ob sich alle wirklich gut gebauten und ausgezeichneten Mechaniker nicht bewerben müssten.«

»Natürlich«, scherzte er. »Außerdem bezweifle ich, dass du einen gut bestückten Hengst findest, der einen Schraubenschlüssel richtig drehen kann.«

»Nun, ich kann dir sagen, dass ich die Hosen der Männer und Frauen, die ich für den Job für geeignet halte, nicht überprüfen werde.« Sie grinste. »Wie auch immer, ich werde dir Bescheid geben. Ich spreche mit den Leuten und melde mich dann bei dir, okay?«

»Ich weiß das zu schätzen. Tut mir leid, wenn ich komisch war oder so.«

»Keine Sorge, ich bin es gewohnt, seltsame Dinge von dir zu erwarten«, antwortete Amanda, während sie schnell aufstand und ihm die Schulter drückte. »Auf die beste Art und Weise, natürlich. Es war großartig, mit und für dich zu arbeiten, Sal.«

»Das gilt auch für dich.« Er stand auf und lachte, als sie ihn in eine Umarmung zog.

»Cuidate , Jacobs«, flüsterte sie ihm ins Ohr und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Wange, bevor sie zur Tür hinausging und ihn von dieser Zuneigungsbekundung angenehm überrascht zurückließ.

Er wusste, dass er Amanda vermissen würde. Er bezweifelte zwar, dass sie so kurzfristig jemanden finden würden, der so gut mit Maschinen umgehen konnte wie sie, aber er hatte sie während ihrer Zeit bei ihnen auch als Freundin betrachtet. Sie würden jemanden brauchen, so viel war klar und wenn jemand einen guten Ersatz finden konnte, dann sie, oder?

Und trotz ihrer Sticheleien machte es ihm nichts aus, einen weiteren Mann bei Heavy Metal zu haben. Technisch gesehen arbeiteten sie jetzt auch mit Anderson auf ihrer Seite, auch wenn er nicht direkt zu Heavy Metal gehörte. Das wäre kein Problem.

Allerdings hoffte er, dass Amandas Empfehlung nicht in Form eines bulligen Mannes vom Typ Dwayne ›The Rock‹ Johnson kam. Er würde sich natürlich nicht darüber beschweren und wenn der Kandidat qualifiziert war, würde es keine Probleme geben. Aber er war wenigstens ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass sein Ego einen Schlag bekommen würde. Während seiner Zeit im Zoo hatte er zwar an Muskelmasse zugelegt, aber es gab immer noch nagende Unsicherheiten, die er an sich selbst nicht mochte.

Wie auch immer. Er würde es überwinden. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass er stärker war, als er es je für möglich gehalten hatte. Wenn Probleme auftauchten, wusste er, wie er sie bewältigen konnte – oder er würde lernen, was er tun musste.

Er kicherte und ließ sich in seinen Sitz fallen, während er sich eine mentale Notiz machte, Madigan oder Courtney anzurufen, um sie um Hilfe zu bitten. Sie mussten eine Abschiedsparty für Amanda planen, bevor sie abreiste und ein freier Tag schien der richtige Zeitpunkt zu sein. Madigans Vorschlag würde natürlich Unmengen von Alkohol beinhalten, während Courtney etwas Klassischeres vorschlagen würde. Wie immer mussten sie einen Kompromiss finden, um ihre Waffenmeisterin mit einem Knall zu verabschieden – hoffentlich im übertragenen Sinne.

* * *

Smythe stieg als Erster aus dem Flugzeug und hielt auf der Treppe inne, um die Gegend um sie herum zu betrachten. Er war noch nie in Nordafrika gewesen. Der Nahe Osten kam dem am nächsten und aus irgendeinem Grund hatte er sich vorgestellt, dass alle Wüsten der Welt gleich aussehen würden. Damit lag er ärgerlicherweise falsch.

Es gab nur wenige Aussichten auf der Erde, die mit der Sahara-Wüste vergleichbar waren, dem größten und ausgedehntesten Stück unbewohnbaren Ödlands auf unserem Planeten. Das riesige Gebiet selbst erstreckte sich so weit das Auge reichte und wurde zu einem endlos wogenden Dünenmeer, das gleichzeitig wunderschön und eintönig war.

Sogar die Atmosphäre fühlte sich anders an. Zum einen war da die Mauer, die so schnell wie möglich hochgezogen worden war. Es war eine technische Meisterleistung, etwas zu bauen, wenn das Fundament nur aus Sand bestand – und das schon seit Tausenden von Jahren. Die Größe und der Umfang des Projekts wurden jedoch von dem zweiten Wahrzeichen am Horizont überschattet.

Die Bauarbeiten hatten dazu geführt, dass der Mauerabschnitt an der Basis selbst eine beträchtliche Höhe erreichte. Auf beiden Seiten war das Niveau viel niedriger und der Abschnitt in der Nähe der Landebahn bot einen weiten Blick auf die dunkle, sich ausbreitende Realität, die abschreckend war. Ein riesiger, ständig wachsender, grüner Fleck wölbte sich über die dreißig Meter hohen Dünen und verwandelte sie in etwas voller Leben und Gefahren. Die Einheimischen nannten es ›Kudzu‹ Smythe konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, warum das so war oder wie die Übersetzung lautete. Aber alle anderen nannten es einfach Zoo, ein passender Name, wenn es überhaupt einen gab.

Die anderen drei Männer aus seinem Team drängten sich neben ihm durch und betrachteten ihr Ziel mit ähnlichen Gesichtsausdrücken. Andy erkannte den Respekt in ihren Augen, aber er sah keine Spur von Angst. Sie sahen der Angst jeden Tag in die Augen und obwohl sie sie spürten, wussten sie sie zu ihrem Vorteil zu nutzen. Sein wichtigstes Ziel für die Dauer ihres Aufenthalts war es, sie am Leben zu erhalten. Er hatte keine Lust, irgendwelche Särge zurück nach England zu transportieren. Zu diesem Zeitpunkt war ihm sogar das Geld egal.

»Kommt schon, Jungs.« Dutch war der erste, der den unheimlichen Zauber des Dschungels abschütteln konnte. »Wir müssen uns einrichten.«

Smythe nickte und folgte dem Mann, als sie aus dem großen Flugzeug stiegen, das sie aus Deutschland hergebracht hatte. Auf dem Weg dorthin waren sie eingewiesen worden. Die Amerikaner hatten den ersten Stützpunkt außerhalb des Zoos eingerichtet und ihn einfach ›Staging Area‹, genannt. Wahrscheinlich hatten sie erwartet, dass jeder sie für zukünftige Operationen nutzen würde, aber sie hatten sich geirrt. Die Russen wollten keine Missionen von einer amerikanischen Basis aus durchführen und hatten ihre eigene auf der Ostseite des Dschungels errichtet. Verschiedene UN-Länder folgten ihrem Beispiel und richteten kleinere, besser zu verteidigende Standorte im Umkreis ein. Ihr Team würde vom französischen Sektor aus arbeiten.

Sie begaben sich auf das offene Rollfeld und richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihr vorübergehendes Zuhause in einiger Entfernung. Der größte Teil des Stützpunktes war bereits aufgebaut, obwohl es für eine Einrichtung dieser Größe erstaunlich wenig Aktivität gab. Er vermutete, dass sie die Zahl der Freiwilligen stark überschätzt hatten. Trotzdem war viel mehr los, als er erwartet hatte.

Ein JLTV löste sich von den Straßen, die sich wie ein Spinnennetz durch die Siedlung zogen und fuhr auf den Asphalt in ihre Richtung. Hoffentlich war das ihr Gefährt. Selbst am späten Nachmittag war die Hitze, die von der viel zu heißen Sonne auf die Stadt brannte, unerträglich – ein Grund mehr, warum niemand dort leben wollte.

Das Fahrzeug war tatsächlich für sie, der Fahrer hielt an und nickte ihnen grüßend zu.

»Guten Tag«, sagte er mit einem Akzent, den Smythe nicht zuordnen konnte. Er klang vage italienisch, aber er war sich nicht sicher, ob der Mann von dort stammte oder ob es etwas ganz anderes war. Er konnte zwar jeden in England, Wales, Schottland und den beiden irischen Inseln im Umkreis von etwa drei Meilen um seinen Heimatort zuordnen, aber außerhalb dieser Gebiete war er nicht sicher.

»Mein Name ist Jean Kontant«, sagte er mit einem Lächeln und schüttelte erst Dutch und dann den anderen die Hand. Jeder Mann stellte sich der Reihe nach vor.

»Ich wurde geschickt, um Ihnen zu zeigen, wo Ihr Team untergebracht ist und um Ihnen zu helfen, sich zurechtzufinden.«

»Ich vermute und … hoffe, dass Sie uns mitnehmen können?«, fragte Smythe und warf einen Blick auf den Rücksitz des JLTV.

»Natürlich.« Kontant gluckste. »Steigen Sie ein und ich bringe Sie dorthin, wo Sie hin müssen.«

»Fantastisch.« Andy grinste, als er seine Tasche auf den Rücksitz warf und hinterherkletterte. Seine Teamkollegen brauchten keine zweite Einladung. Das Fahrzeug beschleunigte und fuhr auf die größtenteils leeren Straßen der Basis. Die kurze Fahrt verlief hauptsächlich schweigend, aber das machte ihm nicht viel aus. Es gab ehrlich gesagt nicht viel zu besprechen. Kontant war eindeutig nicht zu ihrer Unterhaltung hier und trotz seiner freundlichen Art schien er nicht im Geringsten neugierig darauf zu sein, was sie hier taten.

Er setzte sie an einem der gedrungenen Fertighäuser ab. Als er wegfuhr, wurden sie von zwei Männern und einer Frau in Laborkitteln empfangen, die aus einem klimatisierten Raum kamen und sie begrüßten.

»Meine Herren, ich bin so froh, dass Sie es geschafft haben«, sagte einer der Männer. »Ich bin Doktor Morel und das sind meine Assistenten, Doktor Laurent und Martins.«

»Schön, Sie kennenzulernen.« Dutch setzte sich wieder an die Spitze und schüttelte allen die Hand. »Uns wurde gesagt, dass wir morgen früh in den Zoo gehen werden. Gibt es irgendetwas, worauf wir uns vorbereiten müssen?«

»Ich habe gehört, dass Sie vier eine Kampfausbildung für den Zoo erhalten haben, bevor Sie hierher verfrachtet wurden?«, fragte Laurent und sah zufrieden aus, als sie alle zustimmend nickten. »Parfait, das sollte ausreichen – jedenfalls bis zum Briefing vor dem Start. Die meisten technischen Aspekte der Mission werden von mir erledigt und alles, was Sie vier tun müssen, ist, mich für unseren morgigen Testlauf lebendig hinein- und herauszubringen. Nachdem das geklärt ist, schließen wir den Laden für heute Abend und gehen noch etwas essen. Möchten Sie sich uns anschließen?«

»Natürlich.« Dutch schaute die anderen drei Männer an, um sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich daran interessiert waren, mit ihren drei neuen Teamkollegen etwas essen zu gehen.

Ein paar Minuten später saßen sie an einem Tisch in einer kleinen Bar, in der interessanterweise viel mehr los war als im Rest der Basis zusammen. Schmunzelnd begutachtete Smythe das Lokal, während sie Essen und Getränke bestellten. Die Speisekarte bestand hauptsächlich aus Kneipengerichten, was überhaupt kein Problem darstellte. Das Team bestellte frittierte Gerichte, die wahrscheinlich nicht besonders gesund waren, aber so wie sie es sahen, riskierten sie bereits ihr Leben. Was war schon ein hoher Cholesterinspiegel im Vergleich zu den Monstern, gegen die sie am nächsten Tag antreten würden?

Oder auch Leberzirrhose, fügte Andy leise hinzu, als Laurent eine Runde Wodka-Shots für den Tisch bestellte.

»Die Russen haben angefangen, etwas von ihrem Zeug an die anderen Basen zu verkaufen und obwohl ich normalerweise kein großer Wodka-Fan bin, muss ich zugeben, dass ihr Zeug verdammt gut ist«, erklärte der Mann, während er die Schnäpse am Tisch verteilte. »Kommen Sie in ein paar Tagen auf eine weitere Runde Shots zurück, ja Männer?«

»Darauf trinke ich.« Smythe grinste, beugte sich vor und nahm einen Schluck. Verdammt, wenn der Franzose nicht recht damit hatte, dass das Zeug gut war. Er knallte das leere Glas mit einem heiseren Keuchen auf den Tisch, als die Flüssigkeit seine Kehle hinunter brannte.

»Hört, hört«, antworteten die anderen und folgten seinem Beispiel mit echter Begeisterung.