Kapitel 6

S al mochte es nicht, so früh wach zu sein. Er war kein Morgenmensch und obwohl die ganze Welt es zu hassen schien, zu dieser unchristlichen Zeit wach zu sein, bestanden die Menschen darauf, ihre Uhren auf die schlimmstmöglichen Zeiten einzustellen. Vielleicht war das so, damit alle zusammen unglücklich waren.

Er nippte an dem Kaffeebecher in seiner Hand und war überrascht, dass er schon fast leer war. Verdammt noch mal, das war schon sein zweiter an diesem Morgen. Courtney wollte, dass er und Madigan in das, was sie in Philadelphia mit Pegasus vorhatte, einbezogen wurden und er war daran interessiert, die Leute im Auge zu behalten, die versucht hatten, sie zu töten und jetzt für Courtney arbeiteten. Zumindest nominell, denn die Macht zu haben, bedeutete nicht immer, sie auch zu behalten.

Man konnte ihn verrückt nennen, aber er traute diesen Leuten nicht damit, dass sie es nicht noch einmal versuchen würden, egal, wie ihre berufliche Beziehung zu Heavy Metal war.

»Ich muss heute noch eine Telefonkonferenz mit dem Vorstand abhalten«, erklärte Courtney Madigan, deren Augen genauso trübe waren wie seine. »Sie haben Anderson in letzter Zeit das Leben schwer gemacht und ich habe zwar nicht erwartet, dass er sich links und rechts Freunde macht, aber ich hatte gehofft, dass er das alles mit etwas mehr Taktgefühl regeln würde.«

»Taktgefühl wie …du das gezeigt hast?«, fragte Sal und beugte sich vor. »Wenn ich mich recht erinnere, hast du einen verdammten Kuhkopf auf einem Bett liegen lassen – oder habe ich das nicht richtig verstanden?«

»Ich war sauer«, antwortete sie mit einem nachlässigen Achselzucken. »Sie hat versucht, mich im Haus meines Vaters umzubringen und wie es aussieht, hat sie meinen Vater auch getötet. Ihr eine Warnung zu geben, die direkt aus ›Der Pate ‹, s tammt, fühlte sich zu diesem Zeitpunkt gut an.«

»War es im Nachhinein betrachtet immer noch der richtige Schritt?«, fragte Madigan, wie immer des Teufels Advokat. »Wenn man bedenkt, dass die Situation so eskaliert ist, dass wir sie in den Zoo locken mussten, damit die Tiere dort sie erledigen konnten?«

Courtney schaute jeden von ihnen kurz an, bevor sie antwortete. »Ich stehe zu meinen Taten. Ich musste meine Ansprüche geltend machen und diese Leute wissen lassen, dass ich mich von ihnen nicht so herumschubsen lasse.«

»Wenn ich mir anhöre, was in Philadelphia passiert ist, würde ich sagen, dass deine Beschwerden über Andersons Taktgefühl ein wenig heuchlerisch sind.« Er grinste. »Heuchlerisch ist das richtige Wort, ja?«

Madigan nickte und Courtney kicherte verlegen.

»Nun, ich muss den Jungs und Mädels in den Eckbüros noch erklären, was er dort macht, also bete ich, dass ich eine passende Tarngeschichte habe, wenn ich den Anruf tätigen muss.« Sie seufzte und nippte an ihrem Kaffee. »Was habt ihr beide denn heute Morgen vor?«

Er sah die andere Frau an, die den Kopf schüttelte. Unbeirrt zuckte er mit den Schultern und grinste.

»Du lässt es im Vergleich zu dem, was du vorhast, so unwichtig klingen«, sagte er und blickte finster auf seine leere Kaffeetasse. »Aber wir haben eigentlich eine Party geplant – eine Feier, um Amanda mit schönen Erinnerungen zu verabschieden. Sie zieht aus, um einen Job auf der französischen Basis anzunehmen und wir wollen sichergehen, dass sie weiß, dass ihre Beiträge zu Heavy Metal sehr geschätzt wurden.«

Courtney hob die Augenbrauen. »Das klingt nach Spaß. Was habt ihr euch denn so vorgestellt?«

»Außer reichlich Alkohol?«, fragte Madigan. »Nicht viel. Was für eine Art von Party schmeißt man für ein lesbisches Genie-Schrägstrich-Mechanikerin?«

»Eine mit all ihren Freunden?«, schlug sie vor. »Das heißt, wir brauchen Zeit, um alle einzuladen. Wann reist sie ab?«

»Heute, im Laufe des Tages«, antwortete Sal.

»Nun, das wird nicht funktionieren. Vielleicht wäre es besser, dort etwas zu veranstalten – etwas Großes und Großartiges. Sie geht doch zum französischen Stützpunkt, der ein paar Autostunden von hier entfernt ist, oder? Wir könnten dorthin fahren, ein paar Tage lang feiern und ihren neuen Job mit Stil begehen.«

»Ich würde vorschlagen, Connie nicht zu dieser Feier einzuladen«, sagte er mit einem zustimmenden Nicken. »In der Zwischenzeit werden auch Anja und dein Assistent – wie hieß er noch mal? – anwesend sein. Abgesehen davon kenne ich keinen ihrer anderen Freunde. Ich nehme an, sie hat noch ein paar Freunde aus der US-Basis, also könnten wir uns umhören, ob einer von ihnen kommen kann.«

»Lass Anja daran arbeiten«, schlug Courtney vor. »Sie sollte in der Lage sein, Amandas Internetverkehr zu verfolgen und herauszufinden, ob sie noch mit ihren Freunden dort in Kontakt steht. Das ist doch immer ein guter Weg, um eine Gästeliste zu bekommen, oder?«

»Wenn Anja irgendwo auftaucht, wo es nicht um eine IT-Messe geht, braucht sie ein massives Makeover und zwar sofort«, sagte Madigan hastig. »Versteh mich nicht falsch, ich mag den Stil des Mädchens wie kein anderer, aber dieser ganze russische Hacker-Chic ist so was von letztes Jahrzehnt oder so.«

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu.

»Was?«, fragte sie und zuckte mit den Schultern. »Nur weil ich dir auf fünfzehn Arten die Knochen brechen kann, heißt das nicht, dass ich dabei nicht fabelhaft aussehen kann. Das Mädchen braucht ein Makeover.«

»Einverstanden.« Courtney grinste und die beiden Frauen sprangen auf und gingen zum Serverraum, wo beide Anja vermuteten. Da die Frau dort mehr Zeit verbrachte als in ihrem Quartier, hielt er das für eine sinnige Annahme und folgte den beiden.

Natürlich war die russische Hackerin dort, die meisten Lichter waren gedimmt und sie sprach in ihr Headset.

»Ruh dich gut aus, Jer«, sagte sie. »Morgen ist ein langer Tag.«

Das Gespräch war offenbar beendet, als das Mädchen ihr Headset abnahm und sich zu dem Trio umdrehte, das ihr Gebiet betreten hatte.

»Was ist hier los, Leute?«, fragte sie und sah ihre Besucher misstrauisch an.

»Die Damen scheinen zu denken, dass du vor Amandas Abschiedsparty noch eine kleine Auffrischung brauchst«, sagte Sal und kämpfte mit einem Grinsen.

»Das wird mir nicht gefallen, oder?«, fragte sie.

»Nein, wahrscheinlich nicht«, antwortete er so ehrlich wie möglich.

»Habe ich da ein Mitspracherecht?« Anja richtete ihre Frage an die beiden Frauen, die sich auf sie stürzten.

»Nö.« Courtney lächelte böse und zerrte die Hackerin von ihrem Sitz und vom beruhigenden Licht ihrer Bildschirme weg. »Aber ich denke, das Ergebnis wird dir gefallen.«

»Rette mich«, flüsterte die Russin Sal zu, als sie an ihm vorbeiging.

»Wenn du glaubst, dass ich mich zwischen dich und die beiden Frauen stelle, die wollen, dass du vorzeigbar aussiehst, bist du verrückt.«

* * *

Wenn es eine Sache gab, auf die die Simulation sie nicht richtig vorbereitet hatte, dann war es die Hitze. Die Sonne in der Sahara war fast unerträglich und die Baumkronen über ihnen trugen wenig dazu bei, sie zu mildern. Alles, was das Laub zu tun schien, war, die Hitze auf dem Boden einzuschließen, was dafür sorgte, dass die Temperaturen nicht nur weit über dem lagen, was er als angenehm empfunden hätte, sondern es auch schwül und stickig war.

Die Entwickler hatten das in der Simulation einfach nicht nachgebildet. Die Anzüge sollten zwar dazu beitragen, die Hitzeeinwirkung auf die Träger zu verringern, aber sie konnten die Hitze nicht abstellen. Der Schweiß rann unaufhörlich an seinem Körper herunter. Es war eine Art Wassersammelvorrichtung an den Anzügen angebracht – so wie in Dune – um sicherzustellen, dass all das zusätzliche Wasser nicht verschwendet wurde. Die Idee war etwas eklig, aber in dieser Situation konnte man es sich nicht leisten, wählerisch zu sein, wenn es um die Herkunft des Wassers ging.

Allerdings hatten sie ohnehin nicht viel Zeit, sich auf die Temperaturen zu konzentrieren. Es gab dringendere Probleme, mit denen sie sich befassen mussten, allen voran die große Auswahl an Monstern, die sie tot sehen wollten. Ob es daran lag, dass sie sich ernähren wollten oder sie es einfach nicht mochten, wenn Menschen in ihr Territorium eindrangen, wusste Smythe nicht genau. Er war sich aber sicher, dass die Art und Weise, wie diese Tiere kämpften, in der Simulation auch nicht richtig dargestellt worden war.

Die Bewegungen und Aktionen ihrer Gegner waren ziemlich genau erfasst worden. Das Team wusste, was es zu erwarten hatte, aber die Art und Weise, wie sich diese Kreaturen zusammenschlossen und gemeinsam kämpften, als ob sie irgendwie koordiniert wären, war ein völlig unerwartetes Phänomen. Ehrlich gesagt bezweifelte er, dass sie es geglaubt oder ernst genommen hätten, wenn sie es nicht in natura selbst erlebten.

Und es gab hier viel zu viel Natur.

Smythe trat neben Dutch und nahm sein Sturmgewehr in die eine und sein Messer in die andere Hand. Die Panther zogen sich langsam in die Bäume zurück, von wo aus sie die Eindringlinge anfauchten. Er ignorierte sie so gut es ging und hielt seine Augen auf die Kreaturen gerichtet, die sich immer noch bedrohlich um sie scharten. Nach ein paar Augenblicken, in denen die Fünfergruppe ihr Feuer auf ihre Angreifer konzentrierte, zeigten auch diese Anzeichen, sich zurückzuziehen.

Eine der Heuschrecken, der jetzt der Schwanz fehlte, zuckte vor ihm herum. Zu jeder anderen Zeit hätte er etwas Mitleid mit dem armen Tier gehabt. Doch in diesem Fall hatte der Stress der Situation begonnen, in seinen Körper zu sickern, was zu einem interessanten Mangel an moralischer Zerrissenheit führte. Er ließ sich auf ein Knie fallen, hielt sein Gewehr immer noch bereit – man konnte nicht vorsichtig genug sein – und stieß seine Klinge ein paar Mal in den Panzer der Kreatur, um sicherzugehen, dass sie tot war, bevor er sich aufrichtete.

Ein paar Minuten später wurde ihm klar, dass die Simulationen nicht berücksichtigt hatten, wie lange es dauerte, bis die Waffen nachgeladen waren. Vielleicht schoss aber auch einfach so viel mehr Adrenalin durch seinen Körper, dass er den Eindruck hatte, sein Gewehr reagiere nur langsam. Das war zwar ärgerlich, aber unter den gegebenen Umständen vielleicht auch besser so. Es fiel ihm unglaublich schwer, dem Wunsch zu widerstehen, alles abzuknallen, was ihm in die Quere kam. Das war keine gute Idee, wenn sie Munition sparen mussten.

Er warf einen Blick auf den Rest des Teams, als sie ihren Marsch fortsetzten, immer noch darauf konzentriert, ihre Verteidigungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Laurent hatte sich bewundernswert dafür geschlagen, dass er nur eine Seitenwaffe und ein Kampfmesser trug. Sie konnten sich zwar nicht darauf verlassen, dass er die Flanken deckte, aber hilflos war der Mann sicherlich nicht.

»Ihr Jungs scheint euch mit diesen Anzügen auszukennen«, sagte der Wissenschaftler und lud scharf seine Waffe nach. »Und mit dem Zoo auch. Nicht schlecht für Neulinge. Sogar für Veteranen dieses Dschungels wäre das nicht schlecht.«

Smythe nickte und nahm das als höchstes Lob an. Er hatte Laurents Akten am Abend zuvor gelesen. Er hatte ein wenig recherchieren müssen, aber was er herausgefunden hatte, war beeindruckend. Der Mann war eigentlich gebürtiger Algerier, aber nachdem er einige Jahre bei der französischen Fremdenlegion verbracht hatte, war er an die Universität von Paris gegangen, um sein Studium in Biologie und Physik abzuschließen und zwei Doktortitel zu erwerben, bevor er sich freiwillig für den Zoo meldete. Das machte ihn zu einem der wenigen Freiwilligen, wie Smythe herausgefunden hatte. Die meisten anderen waren versetzt, gezwungen oder anderweitig überredet worden, wie man hörte.

Der Mann war durch und durch knallhart und erst in seinen Vierzigern. Andy fragte sich, warum er nicht selbst einen Kampfanzug trug. Er wusste einiges über die Fremdenlegion und hatte auch erfahren, dass sie eine der ersten offiziellen Streitkräfte war, die sich an der Eindämmung der Zootiere beteiligte, kurz nachdem die Amerikaner ihre Truppen ins Land geschickt hatten. Die Soldaten waren zäh und beeindruckend, was man den Franzosen normalerweise nicht zutrauen würde.

Er schämte sich nicht für dieses Klischee. Die Briten und die Franzosen hatten eine tausendjährige Rivalität und diese würde auch so schnell nicht verschwinden.

»Es ist die eine Sache, in der Simulation zu sein«, antwortete Dutch düster und schüttelte den Kopf, während er Monsterblut von seiner Rüstung wischte. »Aber es ist eine ganz andere Sache, auf ihre Ärsche zu schießen, während sie kreischen und heulen und dich tatsächlich angreifen.«

Er hielt inne und zog seine Seitenwaffe, um ein paar Schüsse auf einen der Panther abzugeben, den sie bereits zu Beginn des Gefechts ausgeschaltet hatten.

»Tu das nicht«, schnauzte Smythe. »Wir müssen Munition sparen. Wir wissen nicht, mit wie vielen Angriffen wir es zu tun haben werden und ich denke, wir sind uns einig, dass wir mit echten Kugeln in unseren Waffen besser gegen sie bestehen können.«

»Er hat noch gezuckt«, protestierte der Mann abwehrend.

»Nein, das hat er nicht«, antwortete er und schüttelte den Kopf. »Reiß dich zusammen. Wir haben das hier in der Tasche. Bleib konzentriert und hör auf, Munition zu verschwenden, okay?«

Dutch nickte, sah aber ein wenig verärgert aus. Der Mann war der ranghöchste Offizier und galt de facto als Anführer ihrer kleinen Gruppe, obwohl sie nicht mehr beim Militär waren, aber im Moment zeigte er schlechtes Benehmen. Normalerweise war er cooler als diese seltsame, unbekannte Person, die sein Teamkamerad nicht ganz erkannte. Trotzdem vertraute er ihm und wenn er erst einmal seine Probleme überwunden hatte, würde er in der Lage sein, sie zu führen. Andy würde ihn nicht untergraben, aber sein Freund vertraute ihm und den anderen Teammitgliedern dahin gehend, dass sie ihn bei jedem Blödsinn, den er anstellte, zur Rede stellen würden.

Er nickte Smythe noch einmal zu, diesmal etwas weniger angespannt und dieser nickte zurück. Sie waren alle ein wenig erschüttert von der Realität des Zoos um sie herum und jeder musste sich erst einmal beruhigen. Dutch klopfte seinem Freund im Vorbeigehen leicht auf die Schulter, um sowohl den Tadel als auch das Gefühl dahinter zu bestätigen.

»Also gut Jungs, gebt mir ein Update über den Status eurer Waffen und Munition. Wir brechen in dreißig Sekunden auf«, befahl Dutch dem Team. »Ich will nicht sehen, was mit uns passiert, wenn wir abwarten, was der Zoo zu bieten hat, anstatt vorbereitet zu sein.«

Sie führten einen kurzen Waffencheck durch und schickten die Ergebnisse an sein HUD, bevor sie weiter marschierten.