M adigan konnte sich selbst stöhnen hören – ein grimmiges, unnatürliches Geräusch, das sie eigentlich hätte beunruhigen müssen. Wie aus weiter Ferne hörte sie ihren Herzschlag rhythmisch ticken und das Rasseln, wenn sich ihre Lungen mit Luft füllten und langsam entleerten. Mit fest zusammengekniffenen Augen versuchte sie zu verstehen, was zum Teufel hier vor sich ging. Das schien auch nötig zu sein, denn ihr Körper schien sich für den Tag – oder die Nacht, was auch immer es war – abgemeldet zu haben.
Sie trank gerne. Das war kein Geheimnis, aber es war schon eine Weile her, dass sie so viel getrunken hatte. Eigentlich waren seit der Zeit, in der sie trank, um zu vergessen, viele Monate vergangen. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, was sie hatte vergessen wollen. So lange war das schon her.
Vorsichtig öffnete sie ein Auge und blickte finster an die Decke. Das Licht war zu hell, sodass es sich anfühlte, als würde man ihr mit Zahnstochern in die Augäpfel stechen. Trotzdem war es ein guter Beweis dafür, dass die Sonne bereits aufgegangen war und Sal hatte ihr gesagt, dass er die Logistik für einen weiteren Ausflug in den Zoo besprechen wollte, um das zu sammeln, was er für seine Dissertation brauchte. Die Tatsache, dass er sie nicht geweckt hatte, um die Dinge in Gang zu bringen, war entweder ein Beweis dafür, wie geduldig er war oder wie viel er in der Nacht zuvor getrunken hatte.
Um ehrlich zu sein, war der ganze Abend ein wenig verschwommen. Schließlich hatten sie Connie als Fahrerin bestimmt und die KI den Hammerhead steuern lassen, mit dem sie nach Hause gefahren waren. Nachdem sie Anja mit blauem Zeug versorgt hatten, um sicherzustellen, dass sie am nächsten Tag wieder fit war, hatten sie, Sal, Courtney, Amanda und Beverly die Party weiter gefeiert. Sie hatten einen Vorrat an erstklassigem Alkohol in ihrer kleinen Basis, den sie nun aufgebraucht hatten.
Madigan stöhnte wieder leise auf und fand den Mut, sich umzusehen. Sie war noch angezogen, was bedeutete, dass sie und Sal bis spät in die Nacht keinen betrunkenen Blödsinn gemacht hatten. Noch wichtiger war, dass sie auf der Couch lag, was bedeutete, dass die Betten nicht mehr erreicht worden waren. Beverly kuschelte sich an Amanda, die über den Rand des Sofas sabberte. Courtney lag auf der Couch gegenüber von Madigan und schnarchte wie eine Kettensäge.
Es ergab Sinn, dass Sal nicht unter ihnen war, beschloss sie und fand schließlich den Mut, sich von der Couch hochzustemmen. Bei den Veränderungen, die Madie seinem Körper geschenkt hatte, wäre er der Einzige gewesen, der in sein Zimmer hätte gehen können, als sie fertig waren.
»Sieh mal, was die Katze angeschleppt hat«, ertönte eine ärgerlich fröhliche Stimme aus der Küche. »Das sagen die Amerikaner doch, oder? Sie tun es in Filmen, aber ich habe noch nie jemanden gehört, der diesen Satz im wirklichen Leben benutzt.«
Sie warf Anja einen finsteren Blick zu, die fröhlich in der Küche herumhantierte. Vielleicht sollte sie es bereuen, dass sie der Frau am Vorabend eine Kostprobe von Madie gegeben hatte. Das Elend liebte Gesellschaft und hasste es, in der Gegenwart von fröhlichen Menschen zu sein. So funktionierte die Welt in diesen Tagen. Sie war sich nicht einmal sicher, ob Anja wusste, was man ihr gegeben hatte, aber die Frau sah aus, als hätte sie den ganzen Monat über keinen Drink angerührt. Tatsächlich sah sie so gut aus wie seit ihrer Ankunft in der Heavy Metal-Basis nicht mehr.
Die Magie des blauen Zeugs, dachte sie und schüttelte mürrisch den Kopf. Warum hatte sie nichts davon genommen? Das war eine Frage, die sie sich schon ein paar Mal gestellt hatte. Sal hatte es ihr angeboten, aber sie wollte so etwas nicht riskieren.
In diesem Moment fühlte es sich wie eine dumme Entscheidung an.
»Wie zum Teufel kann sie so fröhlich sein?«, beschwerte sich Amanda, ihre Stimme war ein raues Knurren, während sie sich den Mund abwischte.
Madigan wollte nicht darüber nachdenken, wen sie aus der Madie-Schleife heraushalten sollte. Stattdessen zuckte sie nur mit den Schultern, stieß sich von der Couch ab und stolperte langsam in Richtung Küche, angezogen von dem verlockenden Geruch von Kaffee und Speck, der aus dem Raum drang. Anja grinste, schob ihr einen Becher und einen Teller zu, die bereits mit Kaffee beziehungsweise Speck gefüllt waren und Madigan bedankte sich mit einem Grunzen. Sie atmete tief durch und nahm erst einmal einen Schluck vom Kaffee.
»Ihr Mädels habt immer noch getrunken, als ich aufgestanden bin, also kann ich mir vorstellen, dass sich dein Kopf beschissen anfühlt«, sagte die Hackerin mit offenem Amüsement.
»Ja, was du nicht sagst«, brummte Madigan, schüttelte den Kopf und bereute es sofort. »Nur … nicht so laut. Bitte. Um Himmels willen.«
Anja schmunzelte und ließ sich gegenüber von ihr nieder. »Tut mir leid. Du musst deinen Alkoholkonsum wirklich in den Griff bekommen.«
Sie schüttelte den Kopf und war entschlossen, dieses Gespräch nicht zu führen. »Du hast nicht zufällig mitbekommen, um wie viel Uhr Sal aufgehört hat zu trinken, oder? Ich versuche, die Zahlen in meinem Kopf zu ordnen.«
Die Russin schüttelte den Kopf. »Er war noch nicht da, als ich aufgestanden bin. Tut mir leid.«
»Nein, das muss dir nicht leidtun. Ich bin nur neugierig, das ist alles. Der Typ hat eine verdammt hohe Alkoholtoleranz und ich wollte sehen, ob wir ein paar solide Infos dazu bekommen können.«
Sie warf einen Blick auf die anderen Frauen, die so aussahen, als würden sie gerade ihre provisorischen Betten verlassen. »Habt ihr gesehen, wann Sal ins Bett gegangen ist?«
Amanda zeigte ihr den Mittelfinger, sicherlich wegen der Lautstärke der Frage, aber die allgemeine Antwort war negativ. Das war bedauerlich. Sie würde ihre Infos ein anderes Mal einholen müssen. Das war auch ärgerlich, denn normalerweise fiel es ihr schwer, Sal zum Trinken zu bewegen. Aber eines Tages würde sie es schaffen, so viel schwor sie sich.
»Ihr Schlampen müsst rüberkommen und Kaffee trinken, sonst trinke ich ihn ganz alleine«, schnauzte sie. Die Frauen beschwerten sich mit leisem Murmeln und stöhnten und sie grinste. Sie mussten lernen, hartes Trinken wie ein Champion zu ertragen.
* * *
Sal grummelte einen Protest, als er sich auf seinem Bett umdrehte. Er war nicht ganz verkatert, aber die Trockenheit in seinem Mund und die lästigen Schmerzen überall sagten ihm, dass er kurz vor dem Kater war und etwas Wasser brauchte. Jetzt.
Er hatte schon wieder vergessen, seinen Wecker zu stellen – blödes Ding – und er hatte wahrscheinlich verschlafen. Natürlich würden die Leute sagen dass er nach der Nacht, die er verbracht hatte, das Recht hatte auszuschlafen, weil er als Wissenschaftler entführt worden war. Aber er war derjenige, der beschlossen hatte die Schlummertaste zu drücken, wenn es ihm gefiel. Er war derjenige, der diese Entscheidung getroffen hatte.
Moment.
Er blinzelte mit den Augen und nahm sich einen Moment Zeit, um seine Umgebung zu inspizieren. Von draußen strömte das vertraute Sonnenlicht herein, aber seine Umgebung war ihm überhaupt nicht vertraut. Es war ein Fertighaus, aber es sah eher aus wie eine Lagerhalle mit ein paar abgetrennten Bereichen für Büros oder so etwas Ähnlichem. In dem riesigen Innenraum waren Regale aufgestellt, aber sie waren alle leer.
Sein Blick wurde von den leeren Bereichen des Raumes weggelenkt, um die Orte zu untersuchen, die nicht leer waren – genauer gesagt, den Bereich, in dem er sich befand und mit wem er ihn teilte.
Etwas erschrocken konzentrierte er sich auf den Lauf der Waffe, die gerade auf ihn gerichtet war. Er war nicht besonders groß, aber er bezweifelte, dass das eine Rolle spielen würde. Die Kugel würde trotzdem seinen Schädel durchschlagen und sein Leben beenden.
Er sah den Mann an, der die Waffe in der Hand hielt und runzelte die Stirn. Es war derselbe große Rothaarige, der geholfen hatte, ihn aus der Bar zu ziehen, als er unter Drogen gesetzt worden war.
»Nun«, brummte Sal und brachte sich vorsichtig in eine sitzende Position, langsam und gemessen, um den Mann zu ermutigen, nicht auf ihn zu schießen. »Das ist eine unerwartete Entwicklung.«
»Es ist nichts Persönliches, Jacobs«, sagte sein Entführer leise und machte ein entschuldigendes Gesicht. »Es tut mir leid, aber Sie sind die beste Chance, die wir haben.«
Sal starrte ihn eine Weile an, während sein Gehirn versuchte, diese fast widersprüchliche Antwort zu verarbeiten. »Ich … verstehe das nicht.«
»Erlauben Sie uns, das zu erklären.« Ein anderer Mann kam auf sie zu, als ein Gabelstapler näher tuckerte. »Wir haben einen Auftrag im Zoo zu erledigen und brauchen dafür einen Spezialisten. Der uns zugewiesen wurde, hat es nicht geschafft, also haben wir beschlossen, den Besten zu holen und das sind Sie.«
»Ich nehme nicht an, dass Sie mir sagen wollen, warum Sie in den Zoo müssen?«, fragte er ruhig und versuchte, ihre Mienen zu lesen. »Oder warum Sie einen Spezialisten brauchen? Und wie lange gehen Sie überhaupt schon in den Zoo?«
»Wir …« Der zweite Mann schaute den Rotschopf und die beiden anderen an, die sich nun zu ihnen gesellten. »Nun, wir waren erst ein paar Mal im Zoo, aber wir sind ausreichend auf das Abenteuer vorbereitet.«
»Ist das so?«, fragte er und musterte jeden von ihnen. »Stimmt das? Ist das der Grund, warum Ihre Spezialisten es nicht in die Auswahl geschafft haben – was, wie ich annehme, der britische Söldnercode dafür ist, dass ihre Ärsche getötet wurden, weil ihr Arschlöcher nicht in der Lage wart, sie am Leben zu erhalten?«
»Das ist … ein bisschen hart«, brummte einer der Männer und schaute seine Teamkollegen an.
»Oh, das tut mir leid. Ich wollte nicht so hart zu meinen verdammten Entführern sein«, antwortete Sal bissig und stieß sich auf die Beine. Es beruhigte ihn ein wenig, dass sie nicht wirklich die Absicht hatten, ihn zu erschießen. »Wissenschaftler-Entführer? Forscher-na-... Wissen Sie was? Das spielt keine Rolle. Ist das das neue Guedes-Modell? Vier-fünf-zwei?«
Die vier Männer schauten etwas erschrocken, als er sich der Kiste näherte, die vom Gabelstapler angehoben wurde.
»Ja, das ist es«, bestätigte der scheinbare Anführer, schaute aber seine Männer an, als ob er sich vergewissern wollte, dass es die beste Idee war, sich mit ihrer Geisel einzulassen. »Woher … woher wissen Sie das?«
»Ich habe bei der Entwicklung mitgeholfen«, antwortete er und fuhr mit den Fingern über die technischen Daten, um sie schnell zu lesen. »Hauptsächlich bei den Simulationstests, aber sie sagten, sie würden mir Bescheid geben, wenn es zu kaufen ist. Ihr Jungs habt ihn früh bekommen, was mir sagt, dass ihr gute Beziehungen habt. Ist der Anzug für mich?«
Er hatte die Angewohnheit, so schnell zu sprechen, dass andere nicht zu Wort kommen konnten, wenn er nervös war. Er war definitiv nervös. Gleichzeitig war er aber auch sehr neugierig, wie sich dieses neue Baby schlagen würde. Es war einer seiner Lieblingsanzüge, weshalb er eine lange, lange Liste von Empfehlungen eingereicht hatte, um ihn zu einem der besten Hybridanzüge zu machen, die sie je hergestellt hatten. So wie es aussah, hatten sie viele dieser Vorschläge in das fertige Produkt einfließen lassen.
»Ja«, antwortete der Anführer schließlich mit einem festen Nicken. »Der Anzug ist für Sie.«
»Okay, ich schließe mich euch Arschlöchern an, aber nicht, weil ich Angst vor euch habe.« Sal öffnete den Koffer und begann, die Teile zusammenzusetzen. »Sondern weil ich den Anzug behalten will, wenn wir fertig sind und weil ich für meine Mühen gut entlohnt werden will. Garantiert Bargeld und einen Anteil an dem Geld, das wir mit diesem Projekt verdienen. Verstanden?«
»Natürlich.« Trotz seines finsteren Blickes nickte der große Mann entschlossen. »Die Umstände, unter denen Sie in unser Team gekommen sind, waren zwar nicht so toll, aber wir möchten Ihnen versichern, dass wir Sie jetzt, wo Sie bei uns sind, gut behandeln werden.«
»Denken Sie dran, Bubba …«, begann Sal zu sagen.
»Es heißt Dutch«, korrigierte der Mann. »Dylan Dutch, zu Ihren Diensten.«
»Sean Campbell.« Der Rothaarige stellte sich steif vor, offensichtlich noch ein wenig vorsichtig.
»Andy Smythe«, sagte der Mann, der den Gabelstapler gefahren hatte.
»Alan Murphy«, fügte der letzte hinzu.
»Nun, ich bin sicher, das Vergnügen ist ganz auf Ihrer Seite«, knurrte er und setzte seine Arbeit am Anzug fort. Er wusste, dass die Männer, die ihn beobachteten, nicht erwartet hatten, dass ein Spezialist für diese Aufgabe geeignet war. »Aber vergessen Sie nicht, dass ich auch eine Waffe dabei habe und keine Sekunde darüber nachdenken werde, bevor ich Ihnen in den Rücken schieße, wenn Sie mich auch nur einmal verarschen wollen. Kapiert?«
»Vollkommen verstanden.« Dutch schaffte es irgendwie, beleidigt auszusehen. »Hier geht es nur ums Geschäft und es gibt keinen Grund für solche Drohungen, Mister Jacobs.«
»Oh, ich glaube, es gibt einen Grund.« Er befestigte das Sturmgewehr am Arm des Anzugs und schnallte es um, bevor er es nur halb scherzhaft auf den Mann vor ihm richtete, um das Visier zu testen. »Worauf wartet ihr Ladies? Ich nehme an, Sie mussten mich entführen, weil Sie unter Zeitdruck stehen. Sonst hätten Sie mich um einen Auftrag gebeten, denn ich betreibe ein Geschäft und wäre daran interessiert gewesen, euch Wichser da rein und rauszubringen, ohne dass Sie sich um Roofies kümmern mussten.«
Dutch nickte. »Der Mann hat recht. Ziehen wir uns um, Jungs und Mädels. In zwanzig Minuten geht es in den verdammten Zoo.«
Sein Team setzte sich in Bewegung und eilte dorthin, wo die anderen Anzüge bereits zusammengebaut worden waren. Dutch lehnte sich näher an Sal, als sie gegangen waren.
»Ich akzeptiere, dass Sie sauer sind über das, was wir getan haben«, sagte er in leisem Ton. »Aber wir müssen den Leuten vertrauen können, mit denen wir in den verdammten Dschungel gehen. Mit solchen Drohungen machen Sie sich keine Freunde.«
»Sie haben mich entführt und jetzt wollen Sie über Vertrauen reden? Das ist mutig.« Er schnaubte, konzentrierte sich aber weiter auf seine Arbeit. »Hören Sie zu, wenn wir erst einmal drin sind, halten wir uns gegenseitig den Rücken frei. Wir werden alle lebend rauskommen, damit ich Ihnen in den Arsch treten kann, sobald ich für meine Arbeit fair bezahlt wurde. Wenn Sie sich konzentrieren, werden wir den Job erledigen und ich werde dafür sorgen, dass Sie das noch bereuen werden. Haben wir uns verstanden?«
Dutch nickte. »In Ordnung.«
Sal schloss seine Vorbereitungen ab, aber er studierte heimlich die Gruppe, mit der er in den Zoo gehen würde. Sie sahen halbwegs kompetent aus, dachte er. Ob das nur ein erster Eindruck war oder nicht, würde sich erst zeigen, wenn sie unter den Bäumen waren.
Dutch dachte wahrscheinlich, dass seine letzte Drohung etwas mit dem Zoo zu tun hatte. So schrecklich der Dschungel auch war, er war nichts im Vergleich zu der Hölle, die über diese Wichser hereinbrechen würde, wenn sein Team herausfand, was passiert war. Sal hoffte nur, dass er mit einer Schüssel Popcorn dabei sein und zusehen konnte.
Bis dahin würde er jedoch herausfinden, was sie dort machten und versuchen, daraus Profit zu schlagen. Ein Geschäft im Zoo zu betreiben, war schließlich nicht billig.