D as Frühstück war fertig und Madigan starrte ihren Teller genauso an wie die anderen Frauen. Der Abwasch musste erledigt werden und wer den Zeitplan auf dem Gelände kannte, wusste, dass Amanda an diesem Tag zuständig war. Natürlich hätte sie schon längst im französischen Sektor sein müssen und niemand von ihnen hatte daran gedacht, einen anderen Plan zu entwerfen. Dieses notwendige Übel hatten sie bis jetzt einfach alle vergessen.
Und das war natürlich der unangenehme Teil. Bat man jemanden, der eigentlich nicht mehr Teil des Teams war, seine alten Aufgaben zu übernehmen?
Sie würde Sal bitten müssen, das zu entscheiden. Er war immer gut mit solchen häuslichen Streitigkeiten. Die Leute wussten, dass sie quasi allergisch darauf reagierte, ihren Beitrag an der Haushaltsfront zu leisten. Wenn er die Entscheidung treffen würde, wäre es nicht ihre Schuld, so oder so. Sie könnte sich darüber beschweren, wenn er beschloss, dass sie sich darum kümmern musste oder sie wäre unschuldig, wenn er sich für jemand anderen entscheiden würde. Noch besser wäre es, er würde es selbst tun und alle wären glücklich.
Wo zum Teufel war er überhaupt?
»Hey, Connie«, rief Madigan und stand ein wenig zu schnell auf. Sie stöhnte, als ihr das Blut in die Beine sackte und der Kopf wehtat.
»Was kann ich für dich tun, heißer Feger?«, fragte die KI mit ihrem üblichen Mangel an Taktgefühl. Madigan brauchte nicht in Richtung des Tisches zu schauen, um zu wissen, dass Amanda mit den Augen gerollt hatte.
»Könntest du den Alarm in Sals Zimmer aktivieren?«, fragte sie, während sie ihre Teller in die Spüle stellte. »Wir brauchen ihn für ein logistisches Problem hier in der Küche.«
»Ich könnte natürlich den Alarm auslösen, aber das Ergebnis dürfte nicht so sein, wie du es dir wünschst«, antwortete die KI.
»Warum zum Teufel ist das so?«, fragte sie gereizt. Sie war wirklich nicht in der Stimmung, sich mit der Frechheit der Schlampe auseinanderzusetzen.
»Weil er nicht in seinem Zimmer ist«, antwortete Connie ganz sachlich.
»Warum zum Teufel hast du das nicht gleich gesagt?«, schnauzte Madigan und schnitt eine Grimasse, als Amanda leise kicherte. Die Waffenschmiedin hielt inne und versteckte sich hinter Bev, um Madigans giftigem Blick zu entgehen.
»Du hast nicht gefragt und ich dachte nicht, dass es eine wichtige Information ist.« Connie klang beleidigt.
»Scheiße, kannst du ihn finden?« Sie rollte mit den Augen und weigerte sich immer noch, selbst mit dem Abwasch anzufangen.
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
Sie musste sich jetzt zurückhalten, die KI im Server anzugreifen oder Anja darum zu bitten, es zu tun. »Warum … verdammt noch mal … nicht?«, sagte sie langsam, nachdem sie ihre Zähne wieder zusammengebissen hatte.
»Weil er nicht in der Einrichtung ist«, antwortete Connie und ihr Tonfall spiegelte immer noch Verärgerung über diese Art der Befragung wider.
»Warte, was?«, fragte Amanda und sah von Bev weg.
»Wo hast du ihn abgesetzt?«, fragte Madigan.
»Er war nicht im Fahrzeug, als ich euch nach Hause gefahren habe.«
»Oh ja, ich erinnere mich, dass ich euch gefragt habe, wo Sal ist«, sagte Courtney, als sie schnell aufstand. »Ihr sagtet, er sei im Hammerhead eingeschlafen und dann habt ihr angefangen zu trinken. Danach ist alles …verschwommen.«
»Moment, wann hat ihn jemand das letzte Mal in der Bar gesehen?« Madigan schaute jeden von ihnen an und ein kleiner Anflug von Unbehagen manifestierte sich in einem Stirnrunzeln.
»Wir hatten schon früh ein vertrauliches Gespräch«, sagte Amanda. »Danach erinnere ich mich nicht mehr an viel von ihm, aber er trinkt nicht viel, oder?«
»Verdammt noch mal, ich hasse diesen Kater-Scheiß«, murmelte Madigan. »Zum Glück haben wir jemanden, der ein Experte darin ist, verirrte Wissenschaftler aufzuspüren. Anja!«
Sie wartete nicht auf eine Antwort. Die Hackerin hatte sich schon vor einiger Zeit in den Serverraum zurückgezogen, sodass es leicht war, sie zu finden. Sie sprach gerade mit jemandem, unterbrach aber die Verbindung, als Madigan hereinkam.
»Was ist los?« Anja schaute etwas nervös auf die Schar von Frauen, die plötzlich in ihren Arbeitsbereich eingedrungen war.
»Wir brauchen dich, um Sal aufzuspüren«, sagte Madigan entschlossen. »Es scheint, als wäre er nicht zu uns gestoßen, als wir nach Hause fuhren, also musst du herausfinden, in welchem Müllcontainer er seinen Rausch ausschläft, damit ich ihm in den Arsch treten kann.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Das Kichern des Mädchens klang fast gezwungen.
»Wir stören doch nicht bei irgendetwas, oder?«, fragte Madigan, aber die Russin schüttelte den Kopf.
»Er ist auf keiner der Kameras zu sehen«, stellte Anja fest.
»In der Bar gab es doch Kameras, oder?«, fragte Courtney und schaute ihre Kameraden zur Bestätigung an. »Vielleicht können wir sehen, wohin er von dort aus gegangen ist und ihn auf diese Weise verfolgen.«
Die Hackerin nickte und rief das Filmmaterial verdächtig schnell auf. Courtney fragte sich, ob die Frau überprüft hatte, ob irgendetwas Peinliches auf der Kamera festgehalten worden war und ob sie alle belastenden Beweise gelöscht hatte. Sie sichteten die Daten und ihr IT-Guru ließ die Kameras nach Gesichtern durchsuchen, bis sie schließlich einen Hinweis auf Sal fand.
»Dort habe ich ihn das letzte Mal gesehen«, sagte Amanda und sie sahen zu, wie er der Frau zuwinkte und wehmütig lächelte, bevor er sich der Bar zuwandte und ein weiteres Bier bestellte, nachdem er den Rest des Biers, das er in der Hand hielt, ausgetrunken hatte. Der Barkeeper schenkte ihm ein weiteres ein und Sal sagte etwas zu vier Männern, die dicht neben ihm lungerten. Sie schienen ihn zu ignorieren, aber ein paar Sekunden später ließ er sich gegen den Tresen sinken und die Gruppe kam auf ihn zu, während einer dem Barkeeper ein paar Scheine gab.
Einen Moment lang herrschte ungläubiges Schweigen, als sie zusahen, wie er aus der Bar geschleppt wurde und alle vier Männer halfen, ihn zu tragen.
»Wer sind diese Scheißkerle?«, fragte Madigan mit einer Stimme, die alle anderen im Raum inzwischen kannten. Es war ihre ›Jemand wird sterben‹-Stimme.
»Ich würde mich auch gerne lange mit dem Barkeeper unterhalten«, erklärte Courtney entrüstet.
»Diese vier sind … Söldner«, sagte Anja, als sie die Entführer kurz überprüfte. »Sie sind erst vor Kurzem angekommen, haben ein paar Ausflüge in den Zoo gemacht und ein Opfer zu beklagen. Außerdem sieht es so aus, als hätten sie sich für einen weiteren Ausflug angemeldet – für fünf Leute.«
»Sie nehmen Sal mit in den Zoo?«, fragte Madigan ungläubig. »Was zum Teufel denken die sich dabei?«
»Wenn er bei Bewusstsein ist und eine Art Rüstung trägt, haben die vier ihr eigenes Todesurteil unterschrieben«, sagte Courtney süffisant. »Wenn sie es zurückschaffen, bringe ich sie trotzdem um, also bleibt alles beim Alten.«
»Da musst du dich hinten anstellen«, erwiderte ihre Freundin und verließ den Raum.
* * *
Sal hatte keine Ahnung, wie die vier Söldner so lange überlebt hatten. Sie schienen ein gewisses technisches Wissen darüber zu haben, womit sie es zu tun hatten, aber ihre Instinkte waren völlig falsch. Sie bewegten sich in Richtung Deckung, anstatt im Freien zu bleiben und wenn sie auf freiem Feld waren, schwärmten sie aus, als ob sie unter Beschuss stünden und ein schwierigeres Ziel bieten wollten.
Wahrscheinlich hätten sie ihm den Arsch aufgerissen, wenn sie in einer städtischen Umgebung und in einem Feuergefecht gewesen wären, aber dies war sein kleines Stück vom Paradies. Wenn sie überleben wollten, mussten sie ihre Ärsche in Form bringen.
»Bleibt zusammen, verdammt«, schnauzte er durch die Kommandoeinheit, als sie sich wieder voneinander lösten, sobald die Gruppen von Angreifern zurückwichen. Die Tiere schienen respektvoller zu reagieren, wenn sie auf Gruppen von Menschen trafen und es war viel einfacher, die Schusslinien zu koordinieren, wenn sie Schulter an Schulter standen.
Die vier schienen bereit zu sein, aus ihren Fehlern zu lernen und gehorchten bereitwillig, als er sie wieder anschrie.
Das war eigentlich egal, dachte er, denn keiner von ihnen hielt sich an das Protokoll, das er sich inzwischen eingeprägt hatte – immer in den Bäumen nachsehen, wenn die Tiere Anzeichen eines Rückzugs zeigten. Panther neigten dazu, leichte Beute zu machen, da sie beobachtet hatten, dass sich die Menschen in diesem Moment entspannten. Es war beunruhigend, dass sie die Menschen auf so unheimliche Weise lesen konnten.
Sal schaute nach oben und tatsächlich, ein paar Panther hatten bereits begonnen, sich heimlich durch die Äste zu bewegen. Er schaltete den nächstgelegenen aus und verfolgte den zweiten, der zum Angriff auf Campbell ansetzte, während der Mann sein Gewehr nachlud. Ein paar seiner Kugeln erwischten die Flanke des Tieres und drehten es so, dass es auf der Schulter des Söldners landete. Sal zog seine Seitenwaffe und drückte ein paar Mal ab. Die Bestie fiel zu Boden und die mit Gift gefüllten Reißzähne glitzerten im schwachen Licht.
»Gern geschehen, verdammt.« Er lachte bitter und schüttelte den Kopf, als Campbell sich umdrehte und ihn ansah. Auf seinem Gesicht war keine Dankbarkeit zu sehen, aber die Überraschung war Genugtuung genug für Sal, um seinen Blick zu lösen und die Umgebung abzusuchen.
»Lasst uns weitergehen«, rief er und deutete an, dass sie ihren Kurs nach Westen ändern sollten. Sie hatten ihm immer noch nicht gesagt, wonach sie suchten, aber es schien etwas Bestimmtes zu sein. Er führte sie auch immer tiefer in den Zoo und sie schienen etwas ängstlicher zu werden, je weiter sie in den Dschungel vordrangen.
»Wir gehen in die falsche Richtung«, sagte Dutch und rief eine Karte auf seinem HUD auf.
»Wenn Sie sich nicht wieder kopfüber in diese Kreaturen stürzen wollen, schlage ich vor, dass wir ihnen ausweichen«, antwortete er leichthin. »Die Heuschrecken greifen nur an, wenn sie von anderen Monstern begleitet werden, nicht wenn sie allein sind. Der einzige Grund, warum sie uns ohne ihre Freunde angreifen würden, wäre, wenn wir uns in der Nähe eines ihrer Nester befinden. Es sei denn, Sie sind deswegen hier?«
Erneut erhielt er keine Antwort. Er wusste, dass er seine Fragen etwas subtiler stellen musste – oder vielleicht einfach darauf warten sollte, dass sie etwas über die bisher geheime Mission sagten. Letzteres erschien ihm wenig aussichtsreich, denn bisher hatten sie weder aus Versehen noch aus anderen Gründen versucht, darüber zu sprechen.
Während sie liefen, dachte er über seine Möglichkeiten nach. Auf dem Hauptkonto von Heavy Metal wurde eine reservierte Transaktion vorgenommen, die Madigan inzwischen markiert haben müsste, um ihr einen Hinweis darauf zu geben, wo sie waren. Er vertraute darauf, dass diese Männer ihn nicht umbrachten, solange sie im Zoo waren, aber das könnte sich ändern, sobald sie wieder draußen waren – vor allem, wenn sie das, wonach sie suchten, tatsächlich fanden.
Die Tatsache, dass sie einen Spezialisten für diesen Job brauchten, bedeutete, dass sie ihm irgendwann davon erzählen mussten. Er würde die Details lieber früher als später erfahren. So konnte er entscheiden, ob er diesen Dummköpfen einfach in den Rücken schießen und einen Weg finden wollte, um auf eigene Faust zu verschwinden oder nicht.
Die Realität zeigte, dass die Chancen nicht groß waren, dass er es allein schaffen würde. Doch je nachdem was sie wollten, war es vielleicht ein kalkuliertes Risiko, das er eingehen musste. Manche Dinge sollte man im Zoo besser nicht tun, aber das konnte er nur entscheiden, wenn er wusste, was auf ihn zukam.
Trotzdem war er dankbar für den Anzug, den sie ihm besorgt hatten. Es dauerte eine Weile, bis er sich an das zusätzliche Gewicht gewöhnt hatte, aber die Hybridmotoren im Rücken machten das mehr als wett, sobald sie ansprangen. Die Reaktionszeiten von Sekundenbruchteilen waren die besten, die er je erlebt hatte – sogar besser als in den Simulationen, die er mit dem Anzug gemacht hatte. Das Unternehmen hatte sich mehr als nur Mühe gegeben, das Beste vom Besten zu liefern.
Natürlich würde dieser Anzug Heavy Metal unter normalen Umständen einen sechsstelligen Betrag kosten, aber selbst seine kurze Erfahrung zeigte, dass der Anzug das wert war. Das Auto-Tracking-System war hochmodern und die farblich abgestimmten Bewegungssensoren und die Nachtsichtfunktion waren ein wahrer Traum. Es war, als ob er mitten am Tag herumlief.
Natürlich war es noch mitten am Tag, aber der Dschungel spiegelte das nicht wider. Ohne seinen neuen Helm wäre alles dunkel, mit kleinen, blauen Punkten, die von dem Saft stammten, der durch die Bäume um sie herum floss.
Sal hob sein Sturmgewehr, steckte es aber erst mal nicht in das Holster auf seiner Schulter.
»Woher wissen Sie, wohin Sie gehen?«, fragte Smythe und trat neben ihn, als sie ihren Marsch fortsetzten.
»Man bekommt ein Gefühl für den Ort, wenn man genug Zeit hier verbracht hat.«
»Sie führen uns also immer tiefer in einen Dschungel, für den man einen mythischen Sinn haben muss, um sich zurechtzufinden.« Er schien sich alles schnell zusammenzureimen. »Das hört sich so an, als ob wir ohne Sie den Weg hier raus nicht finden würden.«
»Nun, so hart wollte ich es nicht ausdrücken.« Er grinste den Mann an, als er sie wieder zum Richtungswechsel anleitete, sobald er der Meinung war, dass sie weit genug vom Heuschreckennest entfernt waren und sicher die Richtung einschlagen konnten, in die Dutch sie geführt hatte. »Aber im Grunde genommen, ja, wären Sie vier am Arsch, wenn ich nicht da wäre, um Ihnen zu helfen.«
»Wir sind hier schon mal rein- und rausgegangen«, sagte er.
»Sicher, aber ich habe die Berichte über die Missionen gelesen. Es waren seichte Fahrten, bei denen die größeren Monster meist nicht auftauchten. Das waren Trainingsfahrten. Jetzt sind wir mittendrin, Kumpel. Ich würde gerne sehen, wie Sie sich von einem dieser T-Rex-ähnlichen Wichser befreien oder vor den riesigen Tausendfüßlern davonlaufen, wenn Sie in eines ihrer Reviere stolpern. Wissen Sie, sie haben sich in letzter Zeit ziemlich ausgebreitet, verbreiten sich, vermehren sich …«
»Ja, ja, ich verstehe schon«, brummte Smythe und rollte mit den Augen. »Die Dinge sind hart. Wir waren schon mal in den Simulationen. Wir können die Viecher töten.«
»Wenn Sie denken, dass die Simulationen die Realität, die Sie bisher im Zoo gesehen haben, vollständig und genau wiedergeben, dann ist das großartig«, sagte Sal. »Was immer Ihnen hilft, nachts zu schlafen.«
Dem Söldner schien diese Antwort nicht zu gefallen und er zog sich zurück, um sich wieder dem Rest seiner Gruppe anzuschließen, was Sal ein warmes Gefühl im Magen bescherte. Abgesehen von dem ganzen Drogenfiasko waren diese Typen gar nicht so übel. Sie wussten, was sie taten und bisher hatten sie nicht versucht, ihn zu töten. Aber ihn unter Drogen zu setzen und zu entführen, war eine ganz andere Sache. Um das auszugleichen, würde eine hochmoderne Rüstung nicht ausreichen.