Lara schreckte jäh aus dem Schlaf auf. Ihr Kopf schmerzte, und sie hatte einen sauren Geschmack im Mund.
Ohne sich zu bewegen, öffnete sie die Augen und sah sich in dem Schlafzimmer um, so gut es ging. Sie entdeckte ein offenes Fenster, durch das eine feuchte Brise hereinwehte. Der Wind war erfüllt von dem Geruch von Blumen und Pflanzen, für die sie keine Namen kannte, da sie ihr Leben umringt von Sand verbracht hatte. Die Aussicht zeigte einen blühenden Garten, das Licht war trüb und silbrig, als würde es durch dichte Wolken dringen. Das einzige Geräusch war das schwache Plätschern von Regen.
Und das Summen einer Frau.
Sie entspannte die Hand, die sich sofort zur Faust geballt hatte, um direkt angreifen zu können, und drehte langsam den Kopf.
Eine außerordentlich bemerkenswerte Frau, vielleicht fünf Jahre älter als Lara und mit langem, lockigem dunklen Haar stand in der Mitte des Raums. Sie trug eines von Laras Gewändern. Eines von Marylyns Gewändern, begriff sie, und ein Stich durchzuckte sie.
Als Lara sah, wie die Frau den Kopf schief legte, wusste sie sofort, dass diese ihre Bewegung gehört hatte, aber sie machte weiter, als sei nichts gewesen, und schob den zu kurzen, seidenen Rock von einer Seite zur anderen, ohne ihr Summen zu unterbrechen.
Lara sagte nichts, sondern betrachtete die aus Fruchtholz geschnitzten Möbel, die auf Hochglanz poliert waren, und die Vasen mit leuchtenden Blumen, die auf jeder Oberfläche standen. Der Boden bestand aus winzigen Holzstücken, die in kunstvollen Mustern ausgelegt waren. Die Wände waren weiß gestrichen und geschmückt mit Kunstwerken, die vor Farbe nur so sprühten. Eine Tür führte zu etwas, bei dem es sich allem Anschein nach um einen Baderaum handelte, und eine weitere, die geschlossen war, führte, so nahm Lara an, in einen Flur. Als sie sich davon überzeugt hatte, dass sie ihre Umgebung ausreichend zur Kenntnis genommen hatte, fragte Lara: »Wo bin ich?«
»Oh, du bist wach!«, sagte die Frau mit geheuchelter Überraschung. »Du befindest dich im Haus des Königs auf der Insel Mittwacht.«
»Ich verstehe.« Wenn Mittwacht, wie der Name vermuten ließ, in der Mitte von Ithicana lag, war sie länger bewusstlos gewesen, als sie erwartet hatte. Sie hatten sie betäubt, was bedeutete, dass sie ihr nicht vertrauten. Was keine Überraschung war. »Wie bin ich hierhergekommen?«
»Du bist übers Meer in Mittwacht eingetroffen.«
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Du hast nicht direkt geschlafen. Du warst nur einfach nicht … zugegen.« Die Frau hob entschuldigend die Schultern. »Verzeih uns. Es liegt im Wesen eines jeden Ithicaners, verschlossen zu sein, und wir müssen uns immer noch damit arrangieren, eine Fremde in unserer Mitte zu haben.«
»In der Tat, so scheint es«, murmelte Lara und bemerkte, dass die Frau ihre Frage nicht beantwortet hatte, obwohl sie genau wusste, womit und warum man sie betäubt hatte. Es hatte Konsequenzen – häufig von der fatalen Sorte –, einen Menschen über Tage hinweg bewusstlos zu halten. Es war sicherer, sie unter Drogen zu setzen, um ihre Erinnerung auszulöschen.
Aber die Methode war nicht unfehlbar. Vor allem wenn die Person, die man betäubte, in der Vergangenheit der Droge bereits ausgesetzt gewesen war. Schon jetzt waberten Schatten von Erinnerungen am Rande von Laras Bewusstsein. Erinnerungen daran, aus eigener Kraft gegangen zu sein. In schlecht passenden Schuhen und über eine harte Oberfläche. Sie war auf der Brücke gewesen, und an irgendeinem Punkt dort hatten sie sie verlassen.
Sie richtete den Blick wieder auf die Frau und fragte: »Warum hast du mein Kleid an?«
»Du hast eine ganze Truhe voll davon. Ich habe die Sachen für dich aufgehängt, und ich dachte, ich probiere eines an, um zu sehen, ob es mir gefällt.«
Lara zog eine Braue hoch. »Und gefällt es dir?«
»O ja.« Die Fremde streckte den Rücken durch und lächelte ihr Spiegelbild an. »Total unpraktisch, aber nichtsdestoweniger reizvoll. Ich könnte ein oder zwei davon in meinem eigenen Kleiderschrank gebrauchen.« Sie hob eine Hand und schob sich die Träger des Kleides von den Schultern, um es an sich herunterrutschen zu lassen, bis es sich auf dem Boden zu ihren Füßen wie eine Pfütze ausbreitete.
Darunter war sie splitternackt, ihr Körper bestand aus wohldefinierten Muskeln, und ihre Brüste waren klein und keck.
»Übrigens, ein wunderschönes Kleid hast du zu deiner Hochzeit getragen.« Sie zog sich eine kurzärmlige Bluse über den Kopf, ehe sie in eine bequeme Hose schlüpfte. Auf dem Boden stand ein Paar Armschienen, und die Frau schnallte die Schienen um, als hätte sie das schon tausendmal gemacht. »Ich würde dich bitten, es mir für meine eigene Rolle im Fünfzehn-Jahre-Vertrag auszuborgen, aber ich fürchte, es hat bei deiner Reise ein wenig gelitten.«
Lara blinzelte, als es ihr plötzlich dämmerte. »Du bist die ithicanische Prinzessin?«
»Unter anderem.« Die Frau grinste. »Aber ich will nicht all unsere Geheimnisse verraten. Das würde mein Bruder mir nie verzeihen.«
»Dein Bruder?«
»Dein Gemahl.« Die Frau – die Prinzessin – griff nach einem Bogen und einem Köcher und ging durch den Raum. »Ich bin Ahnna.« Sie beugte sich vor, um Lara auf die Wange zu küssen. »Und ich freue mich sehr darauf, dich kennenzulernen, Schwester.«
Es klopfte an der Tür, und ein Diener trat mit einem Teller voll klein geschnittener Früchte ein und stellte ihn auf den Tisch, bevor er verkündete, dass das Abendessen zur siebten Stunde serviert werden würde.
»Ich lasse dich dann mal allein«, sagte Ahnna. »Um dir die Gelegenheit zu geben, dich einzurichten. Ich bin mir sicher, dass es ein ziemlicher Schock war, hier aufzuwachen.«
Nach Jahren von Serins aggressivem Unterricht würde eine Menge mehr dazu gehören, als in einem Federbett aufzuwachen, um Lara zu schockieren, aber sie ließ ein schwaches Beben in ihre Stimme einfließen, als sie antwortete: »Der König … Ist er … Wird er …«
Ahnna hob die Schultern. »Aren ist nicht gerade berechenbar in seinem Kommen und Gehen, befürchte ich. Besser, du machst es dir bequem, statt darauf zu warten, dass er nach Hause kommt. Nimm ein Bad. Iss etwas Obst. Trink ein Glas. Oder zehn.«
Eine Welle der Enttäuschung brandete in Lara auf, aber sie schenkte Ahnna ein Lächeln, bevor sie ihr folgte, die Tür schloss und den Riegel vorlegte. Einen langen Moment starrte sie einfach nur auf das Metallstück. Sie war überrascht darüber, dass die Ithicaner ihr Privatsphäre gewährten, doch schließlich schob sie den Gedanken beiseite. Alles, was sie über sie wusste, beruhte mehr auf Spekulationen als auf Tatsachen. Besser, sie näherte sich ihren neuen Lebensumständen, als wüsste sie überhaupt nichts.
Nachdem sie das Gewand angezogen hatte, das Ahnna fallen gelassen hatte, legte sie ihre Messer an, die sie zu ihrer Überraschung oben auf ihrem Koffer gefunden hatte. Dann wanderte sie durch den Raum und suchte nach Anzeichen dafür, dass sie ausspioniert wurde, aber weder in den Wänden noch in der Decke waren Löcher, und es gab auch keine Risse in den Bodendielen. Lara griff nach dem Tablett mit Früchten und ging in den Raum, den sie für das Badezimmer gehalten hatte, nur um festzustellen, dass nichts darin war, das einer Badewanne ähnelte, obwohl die hölzernen Regale beladen waren mit weichen Handtüchern, Peelings, Seifen und einer ganzen Sammlung von Bürsten und Kämmen. Doch auf der anderen Seite des Raums entdeckte sie eine weitere Tür.
Lara drückte das solide Holz auf, und dahinter lag ein schräg abfallender Garten mit so prächtigen, üppigen Grünpflanzen, wie sie sie noch nie gesehen hatte. Die Mauern des Gebäudes wurden verborgen durch Kletterranken, die mit leuchtenden Blumen in Rosa, Purpur und Orange beladen waren, und zwei Bäume mit riesigen, gespaltenen Blättern wanden sich dem Himmel entgegen. Auf ihren Ästen saßen mehrere bunte Vögel. Ein Pfad aus quadratisch geschnittenen Steinen, die von winzigen weißen Kieseln eingerahmt wurden, schlängelte sich durch den Garten, aber was ihr den Atem raubte, war der Bach, der durch das Zentrum von allem floss.
Das Gebäude war, wie sie begriff, als sie in den Garten trat, beinahe wie eine Brücke über einen kleinen Wasserfall konstruiert. Das Wasser strömte über Felsbrocken in einen Teich, der durch einen Kanal in einen weiteren Teich floss und dann noch in einen dritten, bevor es auf der entgegengesetzten Seite des Hauses unter dem Gemäuer verschwand, und dort, was auch immer jenseits lag, weiterfloss.
Am Fuße des Wasserfalls, neben dem Teich, bemerkte Lara gewölbte, steinerne Bänke unter dem Wasser. Das war also der Ort, an dem man baden sollte. Dampf erhob sich schwach von der Wasseroberfläche, und als sie schnell einen Zeh hineintauchte, wurde ihre Haut rosig von der Wärme. Es gab nur einen einzigen weiteren Zugang zum Garten, eine Tür gegenüber derjenigen, die in ihre Gemächer führte.
Nachdem Lara den Bach über eine kleine Brücke überquert hatte, ging sie zu der Tür und drückte lautlos die Klinke herunter. Abgeschlossen. Die Räume dahinter hatten ebenfalls ein Fenster, das ein Spiegelbild ihres eigenen war, aber es war verschlossen, und die Vorhänge waren zugezogen.
Als sie den Kopf himmelwärts reckte, war nichts anderes zu sehen als wirbelnde Wolken, und eine schnelle Überprüfung der Ranken an den Mauern offenbarte, dass sie stark genug waren, um Laras Gewicht zu tragen, sollte sie sich dafür entscheiden, an ihnen hochzuklettern. Ungezählte Fluchtmöglichkeiten, was bedeutete, dass dieses Haus nicht als Gefängnis gedacht war.
Eine Stimme erregte ihre Aufmerksamkeit.
»Dann ist sie also wach?«
Aren.
»Sie ist vor ungefähr einer halben Stunde aufgewacht.«
»Und?«
Lara eilte den Pfad neben der Quelle entlang und ließ sich auf die Knie nieder, wo das Wasser unter dem Gebäude hindurchfloss.
»Sie war gefasster, als ich erwartet hatte. Vor allem wollte sie wissen, warum ich eins ihrer Kleider trug. Ich schätze, wir haben alle unsere Prioritäten.«
Schweigen. Dann: »Warum hast du eins ihrer Kleider getragen?«
»Weil sie hübsch sind und ich mich gelangweilt habe.«
Der König schnaubte, und Lara kroch einige Meter weiter unter das Gebäude, bis sie die Beine der beiden sehen konnte. Er hielt einen Bogen locker in einer Hand und schwang ihn hin und her. Am liebsten wäre sie näher herangekrochen, hätte versucht, sein Gesicht zu sehen, aber sie konnte es nicht riskieren, entdeckt zu werden.
»Hat sie irgendetwas von Bedeutung gesagt?«
»Ich hatte schon aufregendere Gespräche mit deiner Katze. Eure gemeinsamen Abendessen sind dazu bestimmt, lebhafte Angelegenheiten zu werden.«
»Schockierend.« Der König trat gegen einen Stein, der in den Bach klatschte. Wasser spritzte Lara ins Gesicht. »Meine kostbarste Tochter, dass ich nicht lache. Ich wette, er hat Stiefel, die kostbarer für ihn sind als dieses Mädchen.«
Ich würde diese Wette annehmen, du selbstgerechter Bastard, dachte Lara.
»Diese Zugeständnisse«, fügte er hinzu, »waren nicht das, was ich von dem Bündnisvertrag wollte, Ahnna. Sie gefallen mir nicht, und ich will die Verfügung nicht unterzeichnen.«
»Aber du musst. Maridrina hat seinen Teil des Abkommens eingehalten. Wenn wir es brechen, wird das Konsequenzen haben, und die erste dieser Konsequenzen wird das Ende des Friedens sein.«
Sie setzten sich beide in Bewegung, dann hörte Lara das Scharren von Stiefeln und das gedämpfte Geräusch von zwei Personen, die eine Treppe hinaufgingen. Ahnnas Stimme war leise, als sie sagte: »Gib dem maridrinischen König, was er will, und er wird umso abhängiger von uns sein. Es könnte sich bezahlt machen.«
Und gerade noch so konnte Lara seine Antwort hören: »Maridrina wird verhungern, bevor es jemals Nutzen aus diesem Vertrag zieht.«
Laras Zorn brannte heiß auf ihren Wangen, und Erinnerungen an die ausgezehrten Kinder, die sie in den Straßen ihres Königreiches gesehen hatte, füllten ihre Augen mit Tränen. Sie richtete sich auf und stürmte den Pfad zu ihren Gemächern zurück, in der festen Absicht, dieses Arschloch von einem König zu finden und ihm ein Messer in seine verdorbenen, ithicanischen Eingeweide zu rammen.
Aber damit würde sie nichts erreichen.
Sie hielt auf dem Pfad inne, schaute in den Himmel empor und atmete mehrmals tief durch, bis sie Ruhe in dem Meer aus Feuer in ihrer Seele fand. So herrlich es wäre, ihren Ehemann auszuweiden, es würde Maridrinas Probleme nicht lösen. Anderenfalls hätte ihr Vater schon vor langer Zeit einen Meuchelmörder ausgesandt, der genau das getan hätte. Es ging nicht darum, einen Mann in die Knie zu zwingen, sondern ein Königreich, und um das zu tun, musste sie einen langen Atem haben. Musste mit ihrem Schlag auf den Zeitpunkt warten, zu dem er am effektivsten sein würde. Musste sich daran erinnern, wofür sie ausgebildet worden war und warum. Musste die Frau sein, die ihr Vater erschaffen hatte, um ihr Heimatland zu retten.
Hinter ihr schlug eine Tür zu, und Lara wirbelte herum, in der Erwartung, dass eine Dienerin gekommen war, um ihr ihre Unterstützung anzubieten.
Sie hätte sich nicht gründlicher irren können.
Der Mann war nackt, bis auf das Handtuch, das er sich um die Taille geschlungen hatte und das verhinderte, dass er sich ihr gänzlich entblößte. Aber was sie sehen konnte, war mehr als genug. Er war hochgewachsen und breitschultrig, sein muskulöser Körper so klar definiert, als sei er aus Stein gemeißelt, seine Arme überzogen von alten Narben, die sich weiß von seiner gebräunten Haut abhoben. Und sein Gesicht … Dunkles Haar umrahmte hohe Wangenknochen und eine kräftige Kieferpartie, die von vollen Lippen gemäßigt wurde. Sein Blick wanderte über sie hinweg, bis ihr die Hitze in die Wangen stieg.
»Natürlich hat sie von allen Räumen, in denen sie dich hätte unterbringen können, genau diesen ausgewählt«, sagte er, und die Vertrautheit seiner Stimme war wie ein Eimer Eiswasser, der über ihrem Kopf ausgegossen wurde, als sie begriff, wer da vor ihr stand. Alles, was sie jetzt sah, war diese bösartige Maske, und alles, was sie hörte, war die Drohung, dass Maridrina verhungern würde.
Laras Hände zuckten zu den Messern an ihrer Taille, aber sie verschleierte die Bewegung, indem sie ihr Kleid an dieser Stelle richtete.
Er ließ sich nicht täuschen. »Wisst Ihr überhaupt, wie man die benutzt?«
Der Gedanke, dass sie diesen arroganten, herablassenden Mann genau an der Stelle töten könnte, an der er stand, tanzte durch ihren Kopf, aber Lara schenkte ihm nur ein süßes Lächeln. »Ich habe bereits einen gehörigen Anteil an Fleisch geschnitten.«
Seine Augen leuchteten interessiert auf. »Also hat die kleine Prinzessin doch ein Rückgrat.« Er deutete auf die Messer und fragte: »Ich meinte, ob Ihr wisst, wie man mit so etwas kämpft?«
Wenn sie die Frage verneinte, bedeutete das, dass sie niemals dabei erwischt werden durfte, wie sie sie benutzte, ohne sich als Lügnerin zu erweisen, also zog Lara stattdessen erheitert eine Braue hoch. »Ich wurde dazu erzogen, Eure Königin zu sein, kein gemeiner Soldat.«
Das Interesse in seinen Augen erlosch. Was nicht sein durfte. Sie sollte ihn verführen und ihn auf diese Weise dazu bringen, ihr zu vertrauen. Aber damit das geschehen konnte, musste er sie wollen. Der Nieselregen hatte die Seide ihres Kleides durchnässt, und sie spürte, dass es an ihren Brüsten klebte. Sie war genau dafür ausgebildet worden. Hatte ungezählte Lektionen über sich ergehen lassen, in denen man sie genau gelehrt hatte, was sie tun musste, um das Interesse eines Mannes zu erregen. Und es zu behalten. Sie drückte den Rücken durch und sagte: »Seid Ihr hier, um Anspruch auf das zu erheben, was Euch zusteht?«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Wenn überhaupt, schien sie ihn nur zu langweilen. »Das Einzige, was mir zusteht, ist ein Bad vor dem Abendessen. Es war eine schweißtreibende Angelegenheit, Euren Hintern von Südwacht hierher zu transportieren. Ihr seid schwerer, als Ihr ausseht.«
Laras Wangen wurden heiß.
»Nachdem das geklärt wäre, dürft Ihr gern vorgehen, wenn Ihr gewillt seid, das Gleiche zu tun. Da Ihr Euch seit drei Tagen nicht gewaschen habt, braucht Ihr das Bad wahrscheinlich dringender als ich.«
Sie starrte ihn sprachlos an.
»Aber wenn Ihr nur hier seid, um das … Blätterwerk zu bewundern, könntet Ihr mir vielleicht ein Mindestmaß an Privatsphäre gewähren.« Er bedachte sie mit einem trägen Lächeln. »Oder auch nicht. Ich bin nicht schüchtern.«
Das war es, was er erwartete. Dass sie die pflichtschuldige, kleine maridrinische Ehefrau sein und seine Bedürfnisse befriedigen würde, ob sie es wollte oder nicht.
Es war das, was er erwartete, dachte sie, während sie beobachtete, wie er sie beobachtete, aber es war nicht das, was er wollte. Gedanken blitzten einer nach dem anderen durch ihren Kopf. Gedanken an die Kleider, die er getragen hatte, deren Farben dazu bestimmt waren, sich dem Dschungel um sie herum anzupassen. An die Narben, die er offensichtlich im Kampf erworben hatte. An den Bogen, den er in der Hand gehalten hatte, bereit, ihn binnen eines Herzschlages zu benutzen. Dieser Mann ist ein Jäger, befand sie. Und was er will, ist eine Jagd.
Sie war mehr als glücklich, ihm eine solche zu liefern. Vor allem wenn es bedeutete, eine gewisse Unausweichlichkeit hinauszuzögern, die sie verzweifelt zu vermeiden suchte.
»Dann könnt Ihr warten.« Sie lächelte in sich hinein, als Überraschung in seinen Augen aufleuchtete. Sie löste ihren Gürtel, ließ die Waffen am Rand des Teiches fallen und drehte dann dem König den Rücken zu, bevor sie die Träger ihres Kleides abstreifte. Lara schälte sich die feuchte Seide vom Leib und beförderte das Gewand mit einem Tritt zur Seite. Die ganze Zeit über spürte sie seinen Blick auf sich, auch dann noch, als sie in den Teich trat – nur noch von ihrem Haar bedeckt, das ihr über den Rücken fiel und ihre nackte Haut verbarg.
Das Wasser war glühend heiß. Eine Temperatur, an die man sich langsam gewöhnen musste, aber Lara biss die Zähne aufeinander und watete die Treppe hinunter. Sie drehte sich erst um, als das sprudelnde Wasser ihre Brüste bedeckte.
Der König starrte sie an. Sie schenkte ihm ein heiteres Lächeln. »Ich werde Euch wissen lassen, wenn ich fertig bin.«
Er öffnete den Mund, als wolle er widersprechen, dann schüttelte er einmal knapp den Kopf und drehte sich um.
Lara ließ ihn drei Schritte weit kommen, bevor sie rief: »Euer Majestät.«
Der König von Ithicana sah zu ihr zurück, schaffte es jedoch nicht ganz, den erwartungsvollen Ausdruck auf seinem Gesicht zu verbergen.
Lara ließ den Kopf in den Nacken fallen, damit der Wasserfall über ihr Haar strömte. »Lasst mir bitte die Seife da. Ich fürchte, ich habe vergessen, welche mitzunehmen.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Und auch das Handtuch.«
Das Seifenstück landete spritzend neben ihr im Wasser. Lara öffnete gerade rechtzeitig die Augen, um zu beobachten, wie er sich das Handtuch von der Taille zog und es auf einen Stein warf, dann klatschten seine Füße über den Pfad, als er nackt zurück in seine Gemächer stolzierte.
Lara biss sich auf die Innenseiten der Wangen und bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken. Dieser Mann mochte ein Jäger sein. Aber er irrte sich, wenn er glaubte, sie sei Beute.