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Lara

Aren ließ ihren Arm los, sobald sie eintraten, und die Intimität, die es noch Momente zuvor zwischen ihnen gegeben hatte, war verschwunden. An ihrer Stelle war nun etwas ganz anderes.

In diesem Raum waren sie nicht Mann und Frau. Nicht König und Königin von Ithicana. Hier war Aren der Kommandant von Mittwacht, und sie war seine Stellvertreterin. Lara ahmte instinktiv die Haltung seiner durchgedrückten Schultern und seine ernste Miene nach und ging unmittelbar hinter ihm her zu der erhöhten Replik von Mittwacht, der Insel, die einen Teil des riesigen Modells von Ithicana ausmachte. Dieses Modell war die einzige existierende vollständige Landkarte von Ithicana.

Niemand durfte diesen Raum betreten, außer Wachkommandanten und ihren Stellvertretern. Nicht einmal Diener durften hier sauber machen, und die Ratsmitglieder kümmerten sich mit typischer, ithicanischer Tüchtigkeit selbst um diese Belange. Dass Lara, eine Maridrinerin, nun in diesem Raum stand, war ein nie da gewesenes Ereignis, eine Tatsache, die deutlich wurde, als sich alle Köpfe in ihre Richtung drehten, die Augen der Anwesenden vor Schreck geweitet.

»Wo ist Jor?«, durchschnitt Ahnnas Stimme das Schweigen. Sie stand neben der Replik von Südwacht und hatte die Hand besitzergreifend auf die große Insel gelegt.

»Unten.« Arens Antwort war schroff – eher aus Nervosität als aus Ärger, vermutete Lara. Er hatte gewusst, dass ihre Anwesenheit hinterfragt werden würde.

»Kommandant, vielleicht könnten wir darüber sprechen, ob die Anwesenheit Ihrer Majestät angemessen ist«, sagte Mara. Was wenig überraschend war. Die Frau hatte kein Geheimnis aus ihrer Abneigung gegen Lara gemacht und sprach kaum ein Wort mit ihr, wann immer sie in Eranahl war.

Aren richtete einen kühlen Blick auf die Kommandantin von Nordwacht. »Wir wählen unsere Stellvertreter selbst. Unsere Entscheidungen werden nicht in Zweifel gezogen.« Er deutete mit dem Kinn auf Aster, den Mara nach seiner Entlassung aus dem Kommando von Kestark als ihren Stellvertreter ausgesucht hatte. »Es sei denn, Ihr möchtet dieses Protokoll ändern?«

Mara hob defensiv die Hände. »Ich dachte nur, Ihr hättet vielleicht lieber jemanden mit Erfahrung als Euren Stellvertreter, Kommandant. Emra« – sie deutete auf die junge Kommandantin von Kestark – »hat jemanden höheren Alters ausgewählt als Ausgleich für ihre Jugend.«

Emra hatte ihre Mutter zu ihrer Stellvertreterin ernannt – eine schlachterprobte Kriegerin, die Lara ausgesprochen gern hatte –, und besagte Frau verdrehte bloß die Augen, als ihre Tochter antwortete: »Ich habe jemanden ausgewählt, dem ich vertrauen kann.«

Ein kleiner Lichtstrahl der Solidarität, aber was Lara an Erleichterung über die Worte der jungen Frau empfand, löste sich in nichts auf, als Ahnna fragte: »Seit wann vertraust du Jor nicht mehr?«

Aren wechselte von einem Fuß auf den anderen, und sein Bein streifte ihren Rock. Lara wusste, dass es ihm wehtat, nicht die Unterstützung seiner Schwester zu haben. Nach dem, was sie von Taryn, Jor und dem Rest der Garde erfahren hatte, hatten die Zwillinge einander nahegestanden und einander Rückendeckung gegeben, bis Ahnna nach Südwacht gezogen war. In eben diesem Ratssaal war Ahnnas Stimme damals ausschlaggebend gewesen, was Arens Heirat mit Lara betraf, aber nach dem Gesichtsausdruck der Prinzessin zu urteilen, bereute sie diese Entscheidung zutiefst.

»Lara ist meine Gemahlin. Sie ist die Königin. Ich vertraue ihr, und sie ist meine Stellvertreterin.« Lara hielt den Atem an, als Aren den Blick über die Anwesenden gleiten ließ. »Jeder, der ein Problem damit hat, kann jetzt gehen.«

Mara schnaubte, aber alle anderen hielten den Mund. »Lasst uns anfangen, ja? Ich will vor Einbruch der Nacht auf dem Wasser sein.«

Es nahm viel Zeit in Anspruch, als Mara vortrug, was sich im Laufe der Sturmsaison getan hatte. Was die Spione von Nordwacht über Harendells und Amarids Absichten erfahren hatten. Wo ihre Armeen und ihre Marine standen. Die Anzahl von Schiffen, die gebaut oder zerstört worden waren. Lara lauschte aufmerksam. Ihr entging nicht die Ironie an der Sache, dass jeder Herrscher auf der Welt dafür gemordet hätte, einen Spion an ihrer Stelle zu haben.

»Amarid ersetzt die Schiffe, die es im vergangenen Jahr bei Plünderungen verloren hat«, berichtete Mara. »Aber wir haben ihre Fortschritte beobachtet, und kein einziges Schiff wird zu Beginn der Kriegstide fertig sein, das verschafft uns vielleicht eine gewisse Atempause.«

»Es ersetzt alle Schiffe?«, hakte Aren nach. »Mit welchen finanziellen Mitteln? Amarid ist fast bankrott.«

Ein Bankrott, der – wie Lara wusste – von Ithicana besiegelt wurde, da es Amarid die Einnahmen genommen hatte, die das Königreich normalerweise für den Transport von Stahl über die Stürmische See bekam. Von allen Königreichen im Norden wie im Süden hatte Amarid den höchsten Preis für Laras Heirat mit Aren gezahlt.

»Bar aus der Staatskasse, soweit wir das ermitteln konnten«, antwortete Aster. »Nicht auf Kredit. Niemand wird Amarid etwas leihen.« Der ältere Mann hob die Papiere in seiner Hand höher. »Es ist ein Gerücht im Umlauf, dass die Schiffe mit Edelsteinen finanziert wurden, aber das kommt mir unwahrscheinlich vor.«

Edelsteine. Das Wort brachte eine Saite in Lara zum Klingen, es war irgendwie wichtig, obwohl ihr nicht einfiel, warum. »Mit welcher Art von Edelsteinen?«

Alle Augenpaare im Raum richteten sich auf sie, bevor sie auf Aren landeten. Er biss mit offenkundigem Ärger die Zähne zusammen. »Beantwortet die Frage.«

»Mit Rubinen«, sagte Aster. »Aber Amarid besitzt keine Lagerstätten und baut keine Edelsteine ab, daher ist es wahrscheinlich nicht mehr als ein Gerücht.«

Laras Finger wanderten zu den Messern, die sie im Gürtel stecken hatte, und sie strich gedankenversunken über die dunkelroten, in den Griff eingelassenen Steine

»Ich habe kein Interesse an Gerüchten«, sagte Aren. »Mich interessieren Fakten. Findet heraus, wie Amarid für die Schiffe bezahlt. Wenn sie mit jemandem gemeinsame Sache machen, will ich wissen, wer das ist. Und was sie für Absichten haben.« Er bedeutete Mara mit einer Handbewegung, fortzufahren, aber Laras Gedanken kreisten weiter um die Schiffe. Um die Idee, dass jemand außerhalb von Amarid Interesse daran haben könnte, weitere Angriffe auf Ithicana zu finanzieren.

»… ein deutlicher Anstieg von Amarids Import gewisser maridrinischer Waren.« Maras Worte erregten wieder Laras Aufmerksamkeit.

»Welche Art von Waren?«

Maras Gesichtsausdruck war gelangweilt. »Größtenteils handelt es sich um billigen Wein.«

»Warum sollte Amarid, das die besten Weine produziert und überall auf der Welt für seine Weingüter bekannt ist, maridrinischen Wein importieren?«

»Offensichtlich haben einige Amarider eine Vorliebe für trübes Spülwasser«, blaffte Mara. »Fahren wir fort.«

»Kommandantin, nicht in diesem Ton.« Arens Stimme war kalt.

Die ältere Frau warf lediglich entnervt die Hände hoch. »Ich nehme an, die Maridriner verkaufen, was sie können, um zu kaufen, was sie brauchen – ich habe nur darüber berichtet, weil es ungewöhnlich war, und es könnte ein Markt sein, den wir in Zukunft ausbeuten können.«

»Es war keine große Ladung«, unterbrach Ahnna die andere Frau. »Unsere Zölle hätten die Hälfte des Profits aufgefressen, weil es so billiges Zeug war. Ich habe eine Kiste davon ergattert und sie den Vorräten für Mittwacht hinzugefügt.«

Lara dröhnte der Puls in den Ohren, als sie die Flaschen maridrinischen Weins aus den Vorräten des sicheren Hauses vor ihrem inneren Auge sah, zusammen mit dem Rubin des Schmugglers, den sie darin gefunden hatten. Ein Rubin, der in ihrem Schmuckkästchen in Mittwacht lag. Welch bessere Art gäbe es, Edelsteine zu schmuggeln, als in billigem Wein, den die Ithicaner wohl kaum anrühren würden, den sich nicht einmal zur Kenntnis genommen hätten, wenn Ahnna sich keinen Streich erlaubt hätte? Ob Aren die Verbindung ebenfalls sah, konnte Lara nicht erkennen – er hielt seine Reaktionen zu genau unter Kontrolle.

»Darf ich fortfahren?«, verlangte Mara, und als Aren nickte, gab sie einen schnellen Bericht über die Verteidigungsmaßnahmen von Nordwacht, dann reichte sie das Wort an den nächsten Kommandanten weiter.

Die Inseln sowohl nördlich als auch südlich von Mittwacht hatten während der vergangenen Kriegstide am meisten unter den Angriffen gelitten, und ein großer Teil des Gespräches drehte sich um Spekulationen, ob es in diesem Jahr genauso werden würde. Lara hörte nur mit einem Ohr zu, denn sie wurde den Gedanken nicht los, dass irgendjemand in Maridrina die amaridischen Schiffe finanzierte.

Die Bestandsaufnahme handelte immer weitere Inseln ab, von Nord nach Süd, Sitzungspausen gab es nur, wenn jemand sich erleichtern musste, und sobald die Person wieder im Raum war, wurde die Besprechung fortgesetzt. Es blieb keine Zeit. Lara konnte es spüren: das anschwellende Summen von Adrenalin, das normalerweise einem Sturm voranging, aber diesmal flüsterte es von Krieg. Aren ergriff für Mittwacht das Wort, wobei er kaum die Notizen beachtete, die Lara ihm reichte.

»Die Insel Mittwacht selbst ist nur ein einziges Mal angegriffen worden. In der Übergangszeit und offensichtlich durch einen unerfahrenen Kapitän, der direkt in die Schusslinie unserer Schiffsbrecher gesegelt ist. Es war, als hätte der Kapitän förmlich darum gebettelt, dass wir sein Schiff versenken. Trotzdem hatten wir kaum eine Atempause, denn die anderen Inseln unter unserer Wache wurden wiederholt angegriffen.«

Sie wandten sich den Einzelheiten zu, aber Lara verfolgte das Gespräch kaum noch, denn ihre Haut war eiskalt geworden. Der Schlüssel zum Plan ihres Vaters waren Laras Beobachtungen von Ithicanas militärischen Taktiken von innen heraus, und ihre Ausbildung ermöglichte es ihr, diese Taktiken zu verstehen und einen Weg zu finden, wie man sie sich zunutze machen konnte. Während der Kriegstide hatte sie geglaubt, jede Gelegenheit, bei der sie die Ithicaner in Aktion beobachten konnte, sei Glück gewesen, aber was, wenn das nicht der Fall war? Was, wenn Absicht dahintersteckte? Was, wenn die Person, die den Wiederaufbau dieser Schiffe finanzierte, es so angeordnet hatte?

Was, wenn es sich bei dieser Person um ihren Vater handelte?

»Einzig bei dem amaridischen Angriff auf Serrith haben wir erhebliche Verluste zu verzeichnen gehabt …«

Serrith. Unwillkürlich drängte sich die Erinnerung an den Angriff in Laras Bewusstsein. Daran, dass die amaridischen Seeleute sie erkannt hatten. Aber statt anzugreifen, hatten die Amarider sich zurückgezogen, bis ihnen klar geworden war, dass es entweder Laras Leben oder ihr eigenes war. Das ergab nicht den geringsten Sinn, da Lara und der Bündnisvertrag, für den sie stand, der Grund aller Nöte Amarids war.

»Ihr seid an der Reihe, Emra«, sagte Aren. »Wie steht es um Kestark?«

Das Blatt in den Händen der jungen Frau zitterte, aber ihre Stimme war klar und fest, als sie den Zustand der Wache beschrieb, die während der letzten Kriegstide schwere Verluste erlitten hatte. Als sie das Ende ihrer Notizen erreichte, hielt sie inne, bevor sie hinzufügte: »Vor zwei Tagen ist ein amaridisches Handelsschiff durch Kestark gefahren.«

»Haltet Euch an die wichtigen Einzelheiten, Mädchen«, ermahnte Aster sie, und Lara musste den Drang bezähmen, ihm das Glas Wasser in ihrer Hand an den Kopf zu werfen. »Wir haben keine Zeit, über jedes Handelsschiff zu diskutieren, das der Wind während der Sturmsaison in unsere Gewässer getrieben hat.«

Emras Augen blitzten vor Ärger auf, aber sie schloss aus gewohnheitsmäßigem Respekt gegenüber dem älteren Mann den Mund.

Alles, was mit Amarid zu tun hatte, war jetzt wichtig, und Lara wollte Emra bitten, den Vorfall genauer auszuführen, aber Aren kam ihr zuvor. »Warum habt Ihr das Schiff erwähnt?«

»Ich war auf der Insel Aela, um den Vorposten zu inspizieren, Kommandant. Uns ist aufgefallen, dass das Schiff an der Ostseite vor Anker gegangen war, auf der dem Wind abgewandten Seite, und die Mannschaft hat sehr deutlich demonstriert, dass sie Reparaturen vornahmen.«

»Und?«

»Und mir ist aufgefallen, dass das Schiff hoch im Wasser lag. Was mir seltsam erschien, da es von Norden kam. Also sind wir an Bord gegangen, um herauszufinden, was Sache war.«

»Ihr seid an Bord eines amaridischen Schiffes gegangen?«

»Wir sind friedlich an Bord gegangen. Der Frachtraum war leer, und als ich danach gefragt habe, in welcher Angelegenheit sie unterwegs seien, hat mir der Kapitän gesagt, sie würden eine wohlhabende Adlige transportieren.«

»Was für eine aufregende Geschichte das ist«, sagte Aster trocken, aber Aren bedeutete ihm mit einer Handbewegung, zu schweigen. Sie kam genau zum richtigen Zeitpunkt, da Lara bereits über verschiedene Methoden nachdachte, das Getränk des Mannes zu vergiften, um ihn dazu zu bringen, den Mund zu halten. »Habt Ihr die Frau gesehen?«

»Ja, Kommandant. Eine sehr schöne Frau mit goldenem Haar. Sie hatte eine Kammerzofe bei sich, zusammen mit einigen militärisch anmutenden Begleitern als Eskorte.«

»Habt Ihr mit ihnen gesprochen?«

Emra schüttelte den Kopf. »Nein, aber mir ist aufgefallen, dass das Kleid der Adligen vom gleichen Stil war wie die, die Ihre Majestät manchmal trägt.«

»Sie war Maridrinerin?«

Emra hob die Schultern, und ihre Wangen röteten sich. »Ich habe nicht genug Erfahrung, um das zu erkennen. Ihre Majestät ist die einzige Maridrinerin, die mir je begegnet ist.«

»Vielleicht hättet Ihr Euch mit Eurer Mutter beraten sollen, Kommandantin«, warf Mara ein. »Sie hat schließlich in dem Krieg gegen Maridrina gekämpft und weiß daher genau, wie sie aussehen und wie sie klingen. So oder so, es spielt kaum eine Rolle. Maridriner, die sich keinen Transport über die Brücke leisten können, riskieren häufig die Überfahrt auf amaridischen Schiffen. Sie sind billig.«

»Und ich hätte mir auch nicht viel dabei gedacht, Kommandant«, antwortete Emra, »allerdings sind wir auf unserem Weg nach Eranahl durch den Wachbereich von Mittwacht gekommen, und dort haben wir das gleiche Schiff bemerkt. Und ein Handelsschiff wie dieses hätte es nicht in weniger als zwei Tagen nach Maridrina und zurück nach Mittwacht geschafft.«

Lara bekam eine Gänsehaut, als würde sie beobachtet, obwohl es keine Fenster im Raum gab. Ihr Vater benutzte keine Frauen für den Kampf oder als Spione, mit der einzigen Ausnahme von Lara und ihren Schwestern. Und sie hatte für die Freiheit ihrer Schwestern mit Blut bezahlt.

»Ist noch jemand anderem das Gleiche aufgefallen?«, fragte Aren.

Köpfe wurden geschüttelt, aber der Kommandant der Garnison nördlich von Mittwacht sagte: »Unsere Späher haben ein amaridisches Handelsschiff ausgemacht, das auf dem Weg nach Südosten war, vorbei an den Inseln Serrith und Gamire, aber es schien, als würde es einem Sturm davonsegeln, der sich im Westen geformt hatte.«

»Gibt es etwas, das wir wissen sollten?«, fragte Mara.

Das Etwas war die Tatsache, dass Laras Vater Jagd auf sie machte. Lara wusste es, und nach der Anspannung zu urteilen, die Aren umgab, hegte er den gleichen Verdacht. Aber keiner von ihnen konnte das laut aussprechen, ohne dass jemand die Frage stellte, warum Silas solches Interesse daran hatte, seine unberechenbare Tochter aufzuspüren.

Aren schüttelte den Kopf. »Fahrt fort.«

Jetzt war Ahnna mit Südwacht an der Reihe.

Die Prinzessin rieb sich das Kinn, dann streckte sie die Hand aus, um die Replik der Insel zu berühren, die sie so erbittert bewachte. »Sämtliche Verteidigungsanlagen von Südwacht sind in bester Ordnung. Alles, was während der Sturmsaison beschädigt wurde, konnte wir in den Pausen reparieren.« Ahnna schaute auf das Blatt Papier in ihrer Hand hinab und listete die Zahlen von stationierten Soldaten, Waffen und Vorräten auf.

»Ihr alle wisst«, sagte sie und legte die Papiere beiseite, »dass Valcotta es geschafft hat, eine partielle Blockade von Maridrinas Zugang zu Südwacht zu errichten, trotz des Tributs, den es seine Flotte gekostet hat. Wir hatten erwartet, bei unserem Profit Einbußen zu erleiden, aber die valcottanische Kaiserin ist zu schlau, um uns einen Grund zur Klage zu liefern. In jeder Sturmpause hatten wir zehn valcottanische Handelsschiffe an der Kaje, und sie haben uns alles abgekauft, häufig zu Spitzenpreisen. Wenn es den maridrinischen Schiffen doch gelang, uns anzulaufen, gab es nur wenig, was sie kaufen konnten. Obwohl man König Silas zugutehalten muss, dass er den Auftrag gegeben hat, hauptsächlich Nahrungsmittel einzukaufen, statt seines geliebten Stahls und seiner Waffen.«

»Ist noch alles in Südwacht?«, frage Aren.

»Wir haben ein ganzes Lagerhaus voller Waffen«, antwortete Ahnna. »Wenn das so weitergeht, werden sie alle verrostet sein, bis er sie zu Gesicht bekommt. Und doch treffen immer weitere ein.«

»Seine Käufer nehmen allen Stahl und alle Waffen, den die Harendeller in Nordwacht anbieten«, berichtete Mara. »Und die valcottanischen Käufer wissen das.«

Ahnna nickte. »Aber er wagt es nicht, seine Mittel zu benutzen, um mehr Waffen abzurufen. Nicht während sein Volk auf den Straßen rebelliert. Die Menschen hungern. Und sie sind verzweifelt. Und sie geben Ithicana die Schuld an alledem.«

Laras Herz schien stehen zu bleiben, als ihr eine plötzliche Erkenntnis kam. Sie war eine Närrin gewesen, sich vorzustellen, es wäre vorbei. Sie hatte mit wahnhafter Hoffnung daran geglaubt, ihr Vater würde ohne Ergebnisse ihrer Spionagemission keine Möglichkeit haben, Ithicanas Verteidigung zu infiltrieren.

Ihr Vater hatte fünfzehn Jahre gewartet, hatte ein Vermögen investiert und das Leben von zwanzig seiner Töchter geopfert, um die Brücke zu erobern. Er hatte gelogen und manipuliert und gemordet, um all das zu vertuschen. Es war ausgeschlossen, dass er jemals aufgeben würde.

Ganz gleich, was es Maridrina kostete.

Sie musste allein mit Aren sprechen. Musste ihn warnen, dass Ithicana in genauso großer Gefahr war wie eh und je. Sie musste es tun, bevor dieses Treffen endete, damit die Männer und Frauen, die Ithicanas Gestade schützten, auf einen Kampf vorbereitet waren, wenn sie auf ihre Posten zurückkehrten.

Aber sie konnte ihn schlecht darum bitten, unter vier Augen zu sprechen, ohne dass alle fragen würden, was sie und Aren vor dem Rat geheim hielten.

Lara griff nach Arens Stapel mit Notizen und fächerte sich heftig genug Luft zu, um die Aufmerksamkeit einiger Ratsmitglieder auf sich zu ziehen. Dann griff sie nach ihrem Wasserglas und ließ es absichtlich auf den Boden fallen, wo das Glas zersplitterte.

Aren unterbrach seine Diskussion mit Mara und drehte sich zu ihr um.

»Entschuldigung«, murmelte sie.

Seine Augen wurden schmal, als Lara taumelte. »Es ist so heiß hier drin.«

»Geht es dir gut?«

»Ich glaube, ich muss mich setzen«, sagte sie und fiel dann seitwärts in seine Arme.