4.
»Computer!«, rief Irons laut, aber es erfolgte wieder einmal keine Antwort.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Joanne. »Es sind fast sechzehn Stunden jetzt. Dieser Selbsttest kann doch nicht so lange dauern.«
»Vielleicht ist es schon wieder der nächste Selbsttest«, überlegte Finni, der gerade vor dem geöffneten Kühlschrank stand und eine Bierdose herausholte.
»Oder die Multitaskingfähigkeiten des außerirdischen Computers sind prinzipiell begrenzt. Vielleicht hat das auch wieder mit der Psyche der Erbauer zu tun«, vermutete Owl.
»Hört sich nicht sehr logisch an«, sagte Irons trocken. »Ein Computer muss für seine Nutzer ansprechbar sein. Vielleicht werden wir den Grund noch erfahren. Leutnant Green?«
Der Ingenieur hantierte noch etwas an seinem Handheld und blickte dann auf. »Sir?«
»Was macht unsere Kommunikation?«
Der Ingenieur lächelte. »Wir werden es in wenigen Augenblicken wissen.« Er trat zu Irons und reichte ihm das Handheld. Jeff stand neben dem Major und sah, dass der Ingenieur den portablen Computer um eine kleine Antenne erweitert hatte, die im vorderen Port eingestöpselt war.
»Wie funktioniert es?«, fragte Irons und nahm dem Ingenieur das Gerät aus der Hand.
»Die Antenne muss direkt an der Wand anliegen.«
»Auf welchem Prinzip basiert es?«, fragte Jeff und hielt das für eine intelligente Frage.
Green wandte den Kopf und blickte Jeff an wie ein Kind, das eine Frage gestellt hatte und die Antwort sowieso nicht verstehen würde. »Der Computer fängt die akustischen Signale unserer Sprache auf und die Antenne induziert diese Signale mit Hilfe von Wirbelströmen in die Wand.«
»Aha«, sagte Jeff.
Was sind Wirbelströme?
»Das Gegenstück empfängt die Spannungsimpulse und wandelt sie wieder in Sprache um«, ergänzte Green.
»Wenn Sie das sagen«, meinte Irons. »Auf jeden Fall gute Arbeit, Leutnant Green. Befestigen Sie eines der Handhelds hier an der Wand, sodass es immer auf Empfang bleibt.«
»Geben Sie mir Ihres und ich befestige auch eine Antenne daran«, sagte Green und griff impulsiv an den Gürtel des Majors.
Blitzschnell packte Irons die Hand des Ingenieurs und drehte sie mit einer Hebelbewegung hinter dessen Rücken. Green verzog unter Schmerzen das Gesicht. »Wagen Sie es nie wieder, an meinen Ausrüstungsgürtel zu greifen«, erklärte Irons mit eisiger Stimme. Er ließ die Hand des Ingenieurs los, der nach vorn taumelte und mit der Brust gegen die Wand stieß. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich die Hand. »Scheiße, tut das weh!«, jammerte er.
Jeff blickte Irons wortlos an. Er hielt die Reaktion für übertrieben. Es war ungewohnt, dass der Major gegenüber seinen eigenen Leuten Gewalt anwendete. Irons erwiderte kurz seinen Blick und griff eines der Ersatzhandhelds aus dem Ausrüstungsschlitten, den Shorty aus der Nische in die Mitte des Raumes getragen hatte. »Nehmen Sie das hier und befestigen Sie ihn an der Wand.« Er zeigte auf eine Stelle neben der Eingangstür. Dann ging er zu der Kommode, die ein Stück weiter in Richtung der Küchenzeile stand und rückte sie mit beiden Händen an die Stelle, auf die er gezeigt hatte. »Das wird unser Kommandostand sein. Joanne?«
»Ja, Sir?«
»Sie setzen sich dort hin. Hier haben Sie meine Skizze, die ich gestern von dem Weg hierher angefertigt habe. Überprüfen Sie damit die automatische Wegverfolgung des Handhelds und fügen Sie die Daten an, die die Teams über Funk übermitteln.«
»Es ist kein Funk.«
»Bitte, Leutnant Green?«
Der Ingenieur schüttelte die schmerzende Hand und trat an die Kommode. Er nahm das Handheld und befestigte es mit einer Klemme so, dass die gerade angesteckte Antenne an der Wand anlag. »Ich sagte, es ist kein Funk. Wir tauschen keine Funksignale aus, sondern Impulse durch das Metall der Wände.«
Irons winkte ab. »Lassen Sie die Spitzfindigkeiten! Wir müssen sowieso erst mal herausfinden, ob die Dinger funktionieren. Leutnant Castles?«
»Sir?«
»Beginnen Sie nun die Erkundung. Gehen Sie den Weg von gestern zurück bis zur letzten Gabelung. Dort biegen Sie rechts ab. Sehen Sie zu, dass Sie zunächst Bereiche kartographieren, die in der Nähe der Unterkunft liegen. An jeder Kreuzung halten Sie an und geben per Funk Meldung.«
»Ja, Sir.«
»Ich sagte doch, es ist kein ...«, begann Green, aber der frostige Blick von Irons ließ ihn verstummen.
Castles nickte Shorty zu und öffnete die Tür zum Korridor. Der Mechaniker trug eine Taschenlampe, einen Rucksack mit leichter Ausrüstung und etwas Proviant. Irons schloss die Tür hinter ihnen.
»Gleich werden wir sehen, ob Ihre Idee etwas taugt«, wandte sich Irons an Green. Der schwieg nur und blickte auf das Handheld auf der Kommode.
Es vergingen nur wenige Sekunden, bis Castles’ verrauschte, aber gut verständliche Stimme aus dem Lautsprecher des Handhelds ertönte. »Hier ist Leutnant Castles. Verstehen Sie mich?«
»Green hier. Laut und deutlich. Hörst du mich auch?«
»Ebenfalls klar. Deine Konstruktion scheint zu funktionieren.«
»Ja, scheint so.«
»Wir sind jetzt an der Kreuzung und biegen rechts ab. Der Gang liegt im Dunkeln. Die Funzel erleuchtet nur die ersten paar Dutzend Meter. Ist schon irgendwie unheimlich.«
Irons machte einen Schritt vorwärts. »Zeichnen Sie den Weg mit dem Handheld auf, aber geben Sie uns laufend Informationen per Funk, sodass wir Ihren Weg nachvollziehen können.«
»Verstanden, gehen jetzt los.«
Jeff blickte über Joannes Schulter. Mit einem Finger zeichnete sie Linien auf die Oberfläche des Handhelds. Da fiel Jeff etwas ein. Er wandte sich an Green. »Sag ihm, dass er auch Änderungen im Vektor der Schwerkraft melden soll, sonst laufen wir Gefahr, die Skizze falsch zu zeichnen.«
Green schüttelte den Kopf. »Er würde uns jetzt nicht hören. Er muss das Gerät an die Wand halten, damit wir kommunizieren können. Er muss sich erst wieder melden. Dann wissen wir, dass er auf Empfang ist.«
Es dauerte nicht lange. »Castles. Hört ihr uns?«
»Immer noch laut und deutlich.«
»Wir sind jetzt an der nächsten Biegung. Haben genau sechsundzwanzig Meter zurückgelegt. Hier ist eine Kreuzung mit insgesamt vier Abzweigungen im rechten Winkel. Wir gehen nach rechts.«
»Verstanden. Eine Sache noch: Wir wollen, dass ihr Änderungen im Gravitationsvektor meldet, verstanden?«
»Verstanden.«
Jeff nickte und beobachtete Joanne, wie sie weitere Linien malte. Schon nach wenigen Sekunden meldete sich Castles wieder und beschrieb den Weg und die nächste Gabelung. Joanne trug die Daten in den mobilen Computer ein.
Jeff spürte eine Hand um seinen Arm. Irons zog ihn in den hinteren Teil des Raumes. Offenbar wollte er Joanne nicht stören. »Sie brechen jetzt auch auf.«
Jeff nickte.
»Sie gehen zu derselben Kreuzung, an der Castles abgebogen ist, nur biegen Sie dort nach links ab. Suchen Sie vor allem nach Räumen oder Hallen. Es kann hier nicht nur Korridore geben.«
»Ja, Sir«, sagte Jeff. Hoffentlich gab es irgendwo noch Gegenstände oder sonstige Hinterlassenschaften der ehemaligen Bewohner zu finden. Irgendwas, das ihm Aufschluss über die Geschichte und Kultur der außerirdischen Zivilisation vermittelte. Jeff gab Mac ein Zeichen und der stämmige Elektriker warf sich den vor ihm auf dem Boden liegenden Rucksack um. Dann griff er nach der Taschenlampe und schaltete sie testweise an und wieder aus.
Jeff ging zu Green. Der Ingenieur hatte eine der Antennen an den Port des Computers gesteckt und hielt ihm das Gerät entgegen. Gerade als Jeff danach greifen wollte, zog Green die Hand wieder zurück. »Nicht vergessen, immer an die Wand halten, wenn du mit mir reden willst.« Green grinste ihn hämisch an.
Jeff verzog das Gesicht und nahm das Gerät an sich. Eigentlich hätte er darauf reagieren müssen, aber es war ihm zuwider, auf solch einen Schwachsinn überhaupt einzugehen.
Jeff ging zur Tür und signalisierte Mac, ihm zu folgen. Der Elektriker schmunzelte. Er musste die Szene mitangesehen haben und fand sie wohl ganz nach seinem Geschmack.
Sie traten nach draußen in den Korridor. Es war stockdunkel. Mac schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete den Gang entlang. Die Lampe war eigentlich recht hell, aber das dunkle Metall der Wände schluckte den größten Teil des Lichts. Sehr weit konnten sie nicht schauen. Mac marschierte los.
»Warte«, sagte Jeff. »Das ist die falsche Richtung. Wir gehen zurück in Richtung der Außenschleuse und an der nächsten Abbiegung biegen wir nach links ab.«
Wortlos wandte Mac sich um und ging an Jeff vorbei in die andere Richtung. Jeff folgte ihm in wenigen Schritten Abstand.
Was war das?
Ruckhaft drehte Jeff sich um. Aber er sah nur Dunkelheit.
»Was ist?« Mac war ebenfalls stehengeblieben und leuchtete zurück in den Gang. Lange Sekunden standen sie dort und lauschten, aber da war nichts.
»Was ist denn?«, fragte Mac erneut.
»Ich dachte, ich hätte Schritte hinter uns gehört.« Jeff seufzte. »War wahrscheinlich nur das Echo unserer eigenen.«
Diese Dunkelheit! Diese Stille!
Jeff wurde das Gefühl nicht los, dass dort irgendetwas in der Finsternis lauerte und sie beobachtete.
»Vielleicht treibt ja ein Poltergeist auf diesem Schiff sein Unwesen«, sagte Mac amüsiert.
Oder noch etwas viel Schlimmeres.
Jeff schwieg.
Nach wenigen Schritten erreichten sie die erste Kreuzung. Mac leuchtete in die abzweigenden Gänge hinein, die sich auf den ersten Blick nicht unterschieden. Jeff hielt das Handheld mit der Antenne an die Wand. »Hier Austin«, sagte er. »Versteht ihr mich?«
Die Antwort kam sofort. »Ja, laut und deutlich.« Ein leichtes Rauschen überlagerte die Stimme seiner Kollegin, aber nichtsdestotrotz war sie klar zu verstehen.
»Wir sind jetzt an der ersten Kreuzung und biegen nach links ab.«
»Verstanden.«
Mac ging mit der Taschenlampe voraus. Links und rechts von ihnen waren nur die glatten Wände des Korridors. Türen gab es hier nicht. In der Tat hatten sie auch auf dem Hinweg von der Schleuse nur sehr wenige Türen gesehen. Aber hinter den Wänden musste doch irgendetwas sein. Jeff blieb stehen und schlug mit der Faust gegen das graue Material. Das dumpfe Pochen hörte sich nicht gerade nach einem Leerraum an, aber vielleicht war diese Wand auch nur zu massiv.
»Alles klar?«, fragte Mac.
Jeff nickte und sie setzten ihren Weg langsam fort. Die nächste Abbiegung kam schon nach zwölf Metern. Ein Gang führte in einem spitzen Winkel nach rechts, ein anderer nach links, wobei dieser Weg leicht nach unten bog. Wenn sie Antworten finden wollten, dann wahrscheinlich tiefer in dem riesigen Schiff.
»Da lang«, sagte Jeff und zeigte nach unten. Mac leuchtete in den Gang hinein. Türen oder eine weitere Abbiegung waren nicht zu erkennen.
»Sicher?«
Jeff nickte und meldete ihre Position an Joanne. Er überprüfte auch die eigenständige Wegverfolgung des Handhelds. Eine Linie führte um eine Ecke wieder zum Quartier zurück. Selbst wenn sein eigenes Handheld ausfiel, konnten sie Macs benutzen, der den Weg ebenfalls aufzeichnete. Die Beschleunigungssensoren in den Geräten arbeiteten mit ausreichender Genauigkeit.
Mac ging, die Taschenlampe in der Hand, wieder voran. Sie hatten einige Meter zurückgelegt, da meinte Jeff, einen kalten Luftzug am Nacken zu spüren. Hastig drehte er sich um und starrte in die Dunkelheit. Er hatte wieder dieses eigenartige Gefühl, beobachtet zu werden. Er bekam eine Gänsehaut und spürte die unsichtbaren Blicke förmlich.
»Mac!«, flüsterte er.
»Was denn?«, fragte sein Kamerad mürrisch.
»Licht!«
Endlich drehte Mac sich um und leuchtete den hinter ihnen liegenden Gang aus. Aber der war leer. In einiger Entfernung konnte Jeff noch im schwächer werdenden Schein der Taschenlampe die Abbiegung erkennen.
Er schüttelte den Kopf. Er hätte schwören können, dass hinter ihm ...
»Alles in Ordnung?«, fragte Mac amüsiert. Der Elektriker stand hoch aufgerichtet vor ihm, und schien nicht im Geringsten von der fremden Umgebung eingeschüchtert zu sein.
Langsam drehte Jeff sich wieder herum. »Alles in Ordnung«, krächzte er.
»Angst vor der Dunkelheit?«, fragte Mac. Spott lag in seiner Stimme.
Jeff ging nicht darauf ein. »Weiter!«, sagte er tonlos.
»War mir nicht klar, dass du so ein Schisser bist, Captain«, sagte Mac.
Jeff wandte überrascht den Kopf. Eine solche direkte Beleidigung hatte er sich bisher nicht gefallen lassen müssen. Ob er jetzt darauf reagieren musste? Oder war es das Beste, so zu tun, als hätte er nichts gehört? Er hatte einfach keine Lust, auf jeden blöden Spruch antworten zu müssen. Mac empfand das vielleicht als kleinlich, und sein Hass auf ihn wurde noch größer. Am Ende entschied sich Jeff, die Bemerkung zu ignorieren. Er hatte sowieso zu lang überlegt.
Der Gang zog sich scheinbar endlos hin. Bis sie die nächste Abzweigung erreichten, waren fast zwanzig Minuten vergangen. Jeff nahm Kontakt mit dem Quartier auf. »Austin. Haben die nächste Kreuzung erreicht.«
»Haben euch schon vermisst«, sagte Joanne. Das Rauschen hatte etwas zugenommen, doch ihre Stimme war immer noch gut verständlich. Aber es würde schlimmer werden, wenn sie sich weiter entfernten.
»Der Gang zog sich ziemlich lange hin. Fünfhundertvierzig Meter, sagt das Handheld. Außerdem sind wir jetzt 55 Meter tiefer im Schiff.«
»Habt ihr irgendwelche Türen passiert?«
»Nein, nur glatte Korridorwände. Ich frage mich auch schon, was dahinter liegt. Hat der andere Trupp in der Zwischenzeit etwas entdeckt?«
»Nicht wirklich. Sie haben zwar einige Türen gefunden, die sie öffnen konnten, aber die Räume dahinter waren leer.«
»Verstanden. Wir gehen weiter.«
»In Ordnung. Major Irons möchte allerdings, dass ihr euch nicht weiter als einen Kilometer Luftlinie vom Quartier entfernt.«
Jeff nickte. »Verstanden.« Er zeigte in den linken Korridor, der wie gewohnt irgendwo in der Finsternis verschwand. »Hier lang.«
»Warum gerade da?«, fragte Mac.
»Das ist wieder die Richtung unserer Quartiere, allerdings ein gutes Stück tiefer im Schiff.«
Mac zuckte mit den Schultern. »Wir weit sind wir jetzt eigentlich von der Außenwand des Schiffes entfernt?«
Jeff blickte auf sein Handheld und veränderte den Maßstab der Karte. »Ungefähr zweihundert Meter. Bei einem Durchmesser von knapp tausend Kilometern kratzen wir gerade mal an der Oberfläche dieses Dings.«
»Wenn wir in ein paar Monaten auf Sigma-7 angekommen sind, sollten wir das Schiff einfach behalten«, sagte Mac.
»Ich bezweifle, dass der Computer das ohne Gegenwehr geschehen lässt.«
»Vielleicht finden wir irgendwo einen Ausschalter dafür. Der scheint mir eh nicht sonderlich tauglich zu sein, so selten, wie der zur Verfügung steht. Wir nehmen uns das Schiff einfach und nutzen es als Waffe gegen die Allianz.«
Jeff lachte leise. »Mit einer Reichweite von zwei Lichtjahren pro Woche kommen wir damit nicht wirklich weit.«
Mac zuckte wieder mit den Schultern. »Irgendwas wird sich sicher damit schon anfangen lassen.«
»Selbst, wenn es uns gelänge, das Schiff in Besitz zu nehmen, wäre es nicht gerade ein Zeichen von Dankbarkeit gegenüber dem Schiffscomputer, der uns immerhin gerettet hat.«
Mac verzog den Mund und verdrehte die Augen. Er grummelte irgendetwas Unverständliches.
Auch dieser Korridor schien sich eine Ewigkeit hinzuziehen. Immer häufiger blickte Jeff auf den portablen Computer. Sie näherten sich nun endgültig wieder ihrer Unterkunft. Da auch dieser Gang leicht abschüssig war, befanden sie sich allerdings siebzig Meter darunter. Es folgten einige weitere Abbiegungen und dann waren sie exakt unter dem Eingang ihres Quartiers. Interessanterweise war auch hier eine Tür.
Jeff drückte auf das Quadrat neben dem Eingang und die Tür öffnete sich zischend. Mac trat nach vorne und leuchtete in den Raum. Es schien sich um ein exaktes Abbild ihres eigenen Quartiers zu handeln, allerdings befanden sich keine Möbel darin und auch keine Küchenzeile.
»Da hinten ist sogar die Türe zu den Schlafzellen«, sagte Mac und zeigte in die Richtung. Jeff nickte und meldete ihren Fund an den improvisierten Stützpunkt. »Danke, Jeff. Ich habe die Informationen gespeichert. Castles und Shorty haben ebenfalls einige Räume gefunden, nachdem sie wieder in Richtung der Oberfläche gegangen sind. Sie sind ebenfalls leer.«
Jeff wunderte das nicht. Es wirkte überall, als hätte sich hier noch nie jemand aufgehalten. Vielleicht war es wirklich so, dass der Computer ihr Quartier kurzfristig eingerichtet hatte und sie die ersten Wesen waren, die es nutzten. Aber in diesem Schiff musste es ja noch etwas geben. Irgendwo mussten die alten Bewohner gelebt haben.
»Wie wäre es mit einer Pause, Chef?«, fragte Mac. Er wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern setzte sich neben dem Eingang des leeren Quartiers auf den Boden. Die Taschenlampe stellte er so hin, dass sie die Decke beleuchtete und den Raum in ein düsteres, diffuses Licht tauchte. Jeff wäre gerne weiter gegangen, aber er hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion einzulassen. Er meldete die Unterbrechung an Joanne und setzte sich auf der anderen Seite der Eingangstür mit dem Rücken an die Wand. Mac öffnete den Rucksack, holte eine kleine Flasche Wasser und eine Feldration heraus und begann, die Verpackung aufzureißen. Er machte keine Anstalten, irgendetwas an Jeff weiterzureichen.
»Könnte ich bitte auch etwas Wasser und eine Ration haben?«
Mac hörte ihn nicht oder tat so, als habe er ihn nicht gehört, und Jeff musste die Frage wiederholen. Ohne ein Wort zu sagen, griff der Elektriker nochmal in den Rucksack und reichte Jeff Wasser und einen Konzentratwürfel. Jeff seufzte und begann, an der Plastikverpackung der Ration zu knibbeln. »Du magst mich nicht sonderlich, richtig?«
Mac wandte den Kopf, den Konzentratriegel in der Hand und sah Jeff an, wie man einen Idioten anschaute. Im Grunde genommen war es eine ziemlich blöde Frage gewesen, da die Antwort jeder in der Crew schon wusste. »Ist das von Belang?«
»Eigentlich nicht, aber du gibst dir auch keine sonderlich große Mühe, deine Abneigung zu verbergen«, sagte Jeff. Er versuchte, seine Stimme weniger verbittert und mehr beiläufig klingen zu lassen, was ihm jedoch nicht gelang.
Mac kicherte leise. »Ich bin eben ein ehrlicher Mensch. Doch für unsere Mission spielt es keine Rolle. Gib mir einen Befehl, Captain, und ich gehorche. Das ist es doch, worauf es ankommt, oder nicht?«
»Woher kommt deine Abneigung, Mac?«
»Du stammst aus dem Sonnensystem
, noch dazu vom Mond
.«
Ein Rassist? War Mac einfach nur ein Rassist?
»Ist das alles? Du hasst mich, weil ich vom Mond komme?«
Mac schüttelte den Kopf. »Ihr haltet euch alle für etwas Besseres, weil ihr aus dem Zentrum des Imperiums kommt. Für euch sind wir Außenweltler doch alle nur Hinterwäldler.«
»So habe ich nie über die Randbezirke gedacht«, sagte Jeff eindringlich. »Meine Familie hat immer versucht ...«
»Deine Familie«, sagte Mac abschätzig. »Deine Familie sind Aristokraten.«
Jeff schüttelte den Kopf. »Meine Familie hat nie ein hohes Amt in der imperialen Regierung innegehabt.«
Mac lachte. »Das spielt keine Rolle. Ihr steckt doch alle unter einer Decke. Wo haben deine Eltern gearbeitet? Hermes-Fabriken? Artemis-Produktion?«
»Mein Vater hatte eine kleine Firma und war Subunternehmer der Nubium-Raumwerften für die Fertigung von Navigationssensoren.«
Mac reckte den Kopf vor. Seine Augen strahlten blanken Hass aus. »Ich kann dir etwas erzählen über die Nubium-Raumwerften mit ihren sauberen, glänzenden Roboterwerften auf dem Mond. Was glaubst du, woher ihr das stabile Fermium für die Casimir-Konverter bekommt?«
Jeff schwieg.
»Von dem Asteroidengürtel um Ross 339. Wir haben in diesem System keinen schönen Planeten wie die Erde. Oder auch nur eine terraformbare Staubkugel wie den Mars. Wir haben überhaupt keine Planeten und leben in miserablen Containern auf öden Felsbrocken im Gürtel. Wenn in diesem Scheißsystem kein Fermium synthetisiert werden könnte, wäre niemals jemand auf die Idee gekommen, dort Menschen anzusiedeln. Wir schuften mit miserabler Ausrüstung in der Strahlung unserer Sonne, um für euch das ach so wichtige Fermium herzustellen. Mehr als ein Almosen bezahlt ihr uns dafür nicht, obwohl es das Rückgrat eurer Industrie ist. Und weißt du, was das Beste ist?«
Jeff schwieg. Mac hatte sich in Rage geredet. »Was wir verdient haben, nehmt ihr uns direkt für Wasser, Nahrung und Luft wieder ab, für die ihr mit eurer Tochtergesellschaft Wucherpreise verlangt. Wir sind für euch nur Sklaven, ohne jede Chance auf ein besseres Leben.«
Jeff schluckte. Er kannte die unter der Hand weitergereichten Berichte der politischen Aktivisten, die ständig die Verhältnisse in den Randregionen des Imperiums anprangerten. Natürlich wurde das von Anwälten und PR-Spezialisten schnell dementiert. Da es zu vielen Systemen keine kommerziellen Flugrouten gab, ließen sich die Berichte schwer unabhängig überprüfen. Aber womöglich übertrieb Mac auch.
»Und doch kämpfst du im Krieg für das Imperium gegen die Allianz«, stellte Jeff fest.
Mac spuckte auf den Boden. »Ich scheiße auf das Imperium. Ich bin nicht freiwillig hier.«
»Du hättest verweigern können.«
»Das mag vielleicht bei euch in den Zentrumssystemen möglich sein. Bei uns ist es das nicht. Es gibt genug Menschenabfall im Knast wie mich, den man zum Dienst erpressen kann.«
»Du warst im Gefängnis?«
Mac nickte. »Bei uns gibt es zu wenig für alle und zu viele, die sich mit Scheißdreck zudröhnen, um den ganzen Mist zu ertragen. Kämpfe gibt es immer wieder. Um Drogen, Waffen, Weiber, Fressen. Bis zum Kriegsbeginn war es eurem Scheißgouverneur egal, ob wir uns gegenseitig die Kehlen aufgeschlitzt haben. Jetzt wandern alle Streithähne in den Knast und werden zum Militärdienst gepresst. Wenn die Alternative zwanzig Jahre Arbeitslager auf Doom 3 sind, dann stellt man keine Fragen mehr nach dem Einsatzort in der imperialen Flotte.«
Was sollte Jeff darauf erwidern?
»Also erzähl mir keinen Scheiß über eine gerechte Welt«, fuhr Mac fort. »Die Randweltler sind die Sklaven und die Zentrumsweltler sind die Herren. Und ihr aus dem Sonnensystem seid die Schlimmsten. Und noch was ...«
Jeff schwieg.
»Wenn du verwundet im Cockpit feststeckst, dann riskiere ich meinen Arsch nicht, um dich aus dem Wrack zu holen. Das solltest du Aristokratenfresse dir besser merken.« Mac grinste. »Und wenn dir meine Wortwahl nicht gefällt, kannst du mich gerne beim Major anschwärzen. Dann ruhe ich mich gemütlich in meiner Kabine aus und kann mir die Erkundungsgänge in diesem außerirdischen Scheißhaus ersparen.«
Jeff hatte darauf nichts zu erwidern. Irgendwie tat ihm der Mann sogar leid.
Während er noch nach Worten suchte, warf Mac die leere Verpackung seiner Ration achtlos in die Ecke des Raumes. Die Flasche verstaute er wieder im Rucksack. »Ich bin fertig. Von mir aus können wir weitergehen.«
Jeff hatte noch keinen Bissen von seiner Ration gegessen. Aber ihm war inzwischen eh der Appetit vergangen. Er verstaute die Ration in einer Tasche seines Kampfanzugs und klemmte sich die Wasserflasche an den Gürtel. Mac stand auf, griff die Lampe und öffnete die Tür nach draußen. Im Korridor war es so finster wie vorhin. Zwei weitere Stunden lang wanderten sie durch scheinbar endlose Korridore, durchsuchten einige leere Räume und kehrten schließlich mit Hilfe des Handhelds in ihr Quartier zurück. Fast zeitgleich erreichten auch Castles und Shorty die Räume. Auch der andere Trupp hatte nichts Verwertbares gefunden.
Jeff gelang es nur schwer, seine Enttäuschung zu verbergen. Aber Irons war optimistischer. Sie hatten bisher nur in der relativen Nähe des Quartiers gesucht und das war in Anbetracht der Größe des Schiffes noch nicht einmal ein Bruchteil. Irons zeigte ihnen die Karte, die Joanne mit den übermittelten Daten entworfen hatte. Sie korrigierte die Skizzen mit den gespeicherten Daten ihrer Handhelds und identifizierte einige Korridore in ihrer Nähe, die sie noch nicht abgelaufen hatten. Morgen würden zwei weitere Trupps auf den Weg geschickt werden und zunächst die Leerstellen erforschen, bevor sie den Erkundungsradius allmählich erweiterten. Sie würden noch etliche Monate in diesem riesigen Schiff verbringen. Irgendwann mussten sie einfach auf etwas Interessantes stoßen.