7.
»Wir müssen rechts lang«, sagte Castles.
Jeff blickte auf sein Handheld. »Nein«, antwortete er. »Weiter geradeaus.«
»Rechts«, beharrte Castles und ging, ohne zu warten, den Gang entlang.
Jeff seufzte und rieb sich die rechte Schläfe. Er hatte mörderische Kopfschmerzen, schon seit dem Aufwachen. Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt, Irons zu bitten, jemand anderen an seiner Stelle gehen zu lassen, aber er wollte nicht als Weichei gelten, das sich wegen einer Lappalie vor einer Mission drückte. Aber die Kopfschmerzen waren nicht besser geworden. Im Gegenteil, er hatte das Gefühl, sein Schädel würde jeden Augenblick explodieren. Jeff schob es auf die außergewöhnlichen Umstände und die Belastung der letzten Tage. Er hoffte nur, dass er nicht ersthaft krank werden würde.
»Jetzt warte doch mal, bis wir das geklärt haben!«, rief Joanne.
»Wieso? Mein Gerät sagt, dass wir rechts abbiegen müssen«, erwiderte Castles patzig. »Wenn ihr eures nicht richtig ablesen könnt, dann ist das eure Schuld.«
Fields lehnte sich an die Korridorwand und grinste.
»Jeff!«, drängte Joanne.
Hört dieser Quatsch denn nie auf?
»Castles! Würdest du bitte warten?«, sagte er mit gequälter Stimme.
»Ich warte an der nächsten Abbiegung auf euch«, antwortete der Waffenoffizier lapidar.
Soll er doch, ich habe keine Lust auf den Scheiß.
Dann fiel ihm das Gespräch mit dem Major wieder ein. Es konnte nicht so weitergehen. »Du wartest, bis wir das geklärt haben, oder ...«
Ruckhaft drehte sich Castles um. Die Überraschung war ihm gut anzusehen. »Oder was?«, fragte er und lachte leise. Immerhin war er stehen geblieben.
»Mein Gerät sagt auch geradeaus«, meinte Joanne.
»Wir werden das jetzt klären«, sagte Jeff und hielt sein Handheld gegen die Korridorwand. »Hier Austin, bitte kommen.«
»Hier Mac, wir hören.«
»Wo ist denn Green?«, fragte Jeff. Eigentlich sollte der Ingenieur heute am »Funk« sein.
»Irons hat ihn ins Bett geschickt. Migräne.«
»Migräne?«, fragte Jeff entgeistert. Dass der flapsige Ingenieur unter Migräne litt, war ihm neu.
»Nachdem er dem Major auf die Stiefel gereihert hat, war es Zeit für ihn, ins Bett zu gehen.«
Jeff dachte an seine eigenen Kopfschmerzen. Hoffentlich hatten sie sich nicht einen Virus eingefangen, der jetzt hier die Runde machte. Auf Sigma-7 hatte es vor ihrem Einsatz eine ziemliche Grippewelle gegeben. Eine Woche Inkubationszeit konnte schon hinkommen. Aber übel war ihm zum Glück nicht. Konnte es irgendwas von diesem Schiff sein? Nein. Sie hatten die Luft analysiert.
Egal.
»Wir stehen an Abzweigung A11. Unsere Handhelds stimmen nicht darin überein, in welche Richtung wir nun gehen müssen.«
»Augenblick«, sagte Mac. Jeff hörte die Stimme Irons’ im Hintergrund, konnte sie aber nicht verstehen. Dann folgten lange Sekunden der Stille.
»Hörst du?«, fragte Mac.
»Ja, wir sind noch da.«
»Vielleicht ein Synchronisationsfehler, meint Irons. Wir werden uns das genauer anschauen, wenn ihr zurück seid. Auf jeden Fall müsst ihr rechts abbiegen und dann den Korridor entlang. Von dort kommt ihr direkt zum Vorraum der Schleuse.«
Jeff vermied es, Castles anzublicken. Es reichte, sich sein breites Grinsen vorzustellen. »Also los.«
Castles ging mit der Taschenlampe voran, Field in der Mitte, Jeff und Joanne bildeten die Nachhut. Die unheimliche Stille wurde nur durch ihre Schritte unterbrochen, die aber lediglich als leises, dumpfes Schlurfen wahrnehmbar waren, als dämpfe der Boden alle Geräusche. Wenn jemand redete, bildete sich kein Echo, was ungewöhnlich für die langen Korridore mit den metallischen Wänden war.
Immer wieder drehte Jeff sich um. Es war verstörend, dass hinter ihnen nichts als Dunkelheit war. Er hätte sich gewünscht, ebenfalls eine Taschenlampe zu haben oder wenigstens seine Helmscheinwerfer nutzen zu können, aber Irons hatte befohlen, Energie zu sparen und die Systeme der Kampfanzüge auszuschalten.
Für einen kurzen Moment meinte Jeff, in der Ferne ein Funkeln wahrgenommen zu haben. Er blieb stehen und drehte sich ganz herum. Er lauschte, hörte aber nur die Geräusche seiner eigenen Gruppe.
»Was ist denn?«, fragte Joanne und stellte sich neben ihm.
Jeff schüttelte den Kopf und ging weiter. »Nichts«, murmelte er.
»Du bist doch nicht wegen nichts stehengeblieben«, hakte Joanne nach.
»Ich dachte, ich hätte einen kurzen Lichtblitz gesehen. Als hätte kurz in einem der abbiegenden Korridore ein Licht aufgeleuchtet.« Er seufzte. »Aber ich habe mich wohl geirrt.«
»Ein Lichtblitz?«, fragte Joanne. Jeff antwortete nicht. »Könnte Tscherenkow-Strahlung gewesen sein«, beharrte Joanne. »Schließlich nähern wir uns wieder der Außenhülle.«
Es klang logisch. Tscherenkow-Strahlung entstand aus kosmischen Teilchen, die mit fast Lichtgeschwindigkeit in das Auge eindrangen und einen Teil ihrer Energie als kurzen Lichtimpuls abgaben, der dann auf den Sehnerv traf. Das Phänomen hätte einige der frühen Astronauten beinahe um den Verstand gebracht. Aber Jeff zweifelte an Joannes Theorie. Zu deutlich war der Schatten der Korridorwände zu sehen gewesen. Er ging eher davon aus, dass die in den Gängen herrschende Finsternis seine Phantasie mit ihm durchgehen ließ. Die einzige Alternative war, dass da doch noch irgendjemand - oder irgendwas - in ihrer Nähe durch die Gänge schlich. Aber das konnte nicht sein. Das Schiff war verlassen.
Wenn da nicht immer dieses unheimliche Gefühl wäre, beobachtet zu werden! Er spürte förmlich die Blicke eines unheimlichen Etwas im Rücken. Jeff atmete langsam aus und widerstand nur mit Mühe dem Impuls, sich umzudrehen.
Da ist nichts! Mach dich nicht wieder vor den anderen lächerlich!
Sie näherten sich einer Abbiegung und Jeff blickte auf. Plötzlich stolperte er und wäre beinahe über seine eigenen Füße gefallen. Jeff fluchte innerlich. Er hätte sich dran erinnern müssen. Das war die Stelle, an der sich bei der Wanderung zu den Quartieren das erste Mal der Vektor der Schwerkraft verändert hatte. Es war jetzt nicht mehr weit bis zur Schleusenkammer.
»Da«, rief Castles prompt. Er hatte vor einer Tür haltgemacht und wartete auf die anderen.
»Ich hatte die Strecke gar nicht so lang in Erinnerung«, sagte Fields.
Jeff blickte auf seine Uhr. »Anderthalb Stunden. Doch, kommt gut hin.«
»Dann wollen wir mal«, meinte Castles und legte seinen Zeigefinger auf das weiße Quadrat neben der Tür. Zischend fuhr sie zur Seite.
Fields ging an Castles vorbei in den Vorraum der Schleuse. Jeff folgte ihm. Auch hier war es stockdunkel. Wenn sie doch wenigstens eine Ahnung hätten, wie man hier das Licht anmachen konnte, aber es waren keinerlei Kontrollen an den Wänden zu sehen. Jeff hielt sein Handheld an die Wand. »Austin. Sind jetzt in der Schleusenkammer.«
»Informieren Sie uns über jeden Schritt.« Irons hatte nun selbst die Kommunikation mit der Truppe übernommen.
»Verstanden.«
Jeff ging zu Fields, der bereits an der Luke zur Schleuse stand und sich am Kopf kratzte. Die anderen folgten ihm.
»Tja, wie geht es jetzt weiter?«, fragte Fields.
»Na, wir müssen jetzt die Luke zur Schleuse aufbekommen«, sagte Castles mit ironischem Unterton.
»Das ist mir schon selber klar, Leutnant«, sagte Fields und verdrehte die Augen. »Die Frage ist, wie wir das machen. Es scheint hier keine Kontrollen zu geben.«
Jeff sah, was Fields meinte. Die Wände um die Schleuse herum waren völlig glatt. Wie hatten die Außerirdischen nur die Öffnungen betrieben?
Castles trat neben die Luke und drückte in regelmäßigen Abständen auf die Wand.
»Was machst du?«, fragte Joanne.
»Vielleicht sind die Kontrollen in die Wand eingelassen. Wir haben auch Klappen auf unseren Schiffen, die sich erst auf Druck öffnen.«
Fields hatte sich von der Gruppe entfernt und leuchtete mit seiner Lampe die Wände des Raumes ab. Jeff nickte. Vielleicht gab es woanders im Raum eine Kontrolltafel.
Jeff blickte durch das kleine Fenster in das Innere der Schleuse, das aber in Dunkelheit lag. »Nicht, dass da drinnen Vakuum herrscht, oder gar die äußere Luke auf ist«, gab Joanne zu bedenken.
»Kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Castles und drückte weiter auf den Wänden herum.
Jeff seufzte und holte wieder das Handheld aus der Gürteltasche. »Austin hier. Kommen.«
»Irons«, sagte der Major knapp.
»Wir haben ein Problem.«
»Sprechen Sie!«
»Es gibt hier keine Kontrollen für die Schleuse. Wir bekommen noch nicht einmal die äußere Luke auf.«
»Verstanden. Versuchen Sie weiter, einen Weg zu finden.«
»Ja, Sir.«
Jeff erinnerte sich an den Moment, als sie von draußen in die Schleuse gekommen waren. Sie hatten sich damals schon gewundert, dass es hier keine Kontrollen gab. Der Computer hatte ihnen offenbar die Luken geöffnet. Das brachte ihn auf eine beunruhigende Idee.
Er drückte wieder auf die Sprechtaste. »Was ist, wenn die Schleuse ausschließlich vom Computer betrieben werden kann?«
Castles drehte sich schnell herum und blickte Jeff betroffen an. »Das wäre ziemlich dumm«, nuschelte er.
Es vergingen einige Sekunden, bevor Irons antwortete. »Wenn es dort im Raum wirklich keine manuellen Kontrollen gibt, dann scheint das eine naheliegende Möglichkeit zu sein.«
»Vielleicht gab es einmal manuelle Kontrollen und man hat sie beim Umbau des Schiffes entfernt, als die Besatzung am Zielplanet von Bord gegangen ist«, meinte Joanne.
»Versuchen Sie es«, sagte Irons. »Rufen Sie den Computer.«
Castles winkte ab. »Der schläft doch sicher wieder.«
Jeff atmete tief ein. »Computer«, sagte er laut und blickte unwillkürlich nach oben. »Kannst du mich hören?«
Lange Sekunden vergingen. Dann ertönte schließlich das vertraute Knacken im Raum. »Ich kann dich hören, Jeff Austin. Was kann ich für dich tun?«
Jeff blinzelte.
Er kennt meinen Namen?
Musste der Rechner aufgeschnappt haben. »Nun, äh ...«
Er verstummte. Sie wollten nach draußen, um die Position festzustellen und die Aussagen des Computers zu überprüfen. Der Computer könnte es als Misstrauen auslegen. Was sollte er also sagen? Er hätte früher darüber nachdenken müssen. »Äh, wir würden gerne die Schleuse benutzen, um einige Messungen vorzunehmen.«
»Messungen? Zu welchem Zweck?«
»Äh, ist Routine laut unserer Protokolle. Ich meine, für unsere Logbücher.«
»Verstehe«, sagte der Computer.
War da etwa ein belustigter Unterton in der Stimme?
»Es handelt sich also nicht um einen Notfall?«, fragte der Rechner.
Jeff schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Notfall.«
»Es tut mir leid,« erwiderte der Rechner. »Im Reiseflug dürfen die Schleusen nur in Notfällen geöffnet werden.«
Das war’s dann wohl.
»Major?«, fragte Jeff.
»Ich habe es gehört. Kommen Sie zurück ins Quartier«, sagte Irons mit seiner üblichen, nüchternen Stimme.
»Verstanden.«
»Kann ich sonst noch etwas für euch tun?«, erkundigte sich der Computer.
Jeff seufzte. »Nein, das war alles. Danke.«
»Dann wünsche ich euch noch einen schönen Tag.«
»Danke«, sagte Jeff automatisch. »Dir auch.«
Das Knacken ließ darauf schließen, dass der Computer wieder abgeschaltet hatte. Irgendetwas störte Jeff, aber er kam nicht drauf.
»Habe ich das richtig verstanden?«, fragte Castles. »Wir sind hier gefangen und dürfen nicht nach draußen?«
Joanne lachte laut auf. »Das ist eine recht eigenwillige Interpretation unserer Situation.«
»Was meinst du?«, fragte Jeff.
»Selbst wenn der Computer uns nach draußen lassen würde, wo sollten wir denn hin?« Sie lachte wieder. »Gefangen wären wir ohnehin.«
»Lasst uns zurückgehen«, sagte Jeff und gab Castles ein Zeichen, ihnen mit der Taschenlampe den Weg zu weisen.
»Aber ich hätte schon gerne unsere aktuelle Position gewusst«, sagte Joanne.
»Was ist, wenn wir genau die eben nicht erfahren sollen?«, überlegte Castles bitter.