8.
»Also sind wir hier im Inneren dieses außerirdischen Schiffes gefangen. Irgendwie muss man es so sehen«, sagte Jeff und stocherte lustlos mit der Gabel in dem auf seinem Teller liegenden Steak herum. Wenigstens waren die Kopfschmerzen nun verschwunden.
Irons schüttelte den Kopf. »Das macht mir nicht übermäßig viele Sorgen. Wenn wir unbedingt nach draußen wollen, dann werden wir nach draußen gehen.«
»Und wie?«, fragte Fields.
»Das sollten Sie eigentlich am besten wissen, Corporal.« Der Major zeigte auf den in der Ecke stehenden Schlitten mit der Notfallausrüstung. »Sie haben das Ding zusammengepackt.«
Fields drehte sich kurz herum, zuckte aber nur mit den Schultern.
»Die Notfallausrüstung enthält zwei Kilo FOX-7. Das ist zehnmal genug, um uns durch die Außenhülle des Schiffes zu sprengen.«
Jeff kratzte sich am Kopf. Konnte das funktionieren? Würde der Schiffscomputer das überhaupt zulassen? Hoffentlich kamen sie nie so weit, das riskieren zu müssen.
»Was machen wir denn jetzt mit der Überprüfung unserer Position? Wir haben keine Möglichkeit, festzustellen, ob das Schiff wirklich Richtung Sigma-7 fliegt.«
Irons nickte. »Das ist in der Tat richtig und ich hätte unsere Position gerne überprüft, aber ich sage es nochmal ganz deutlich: Wir haben keinen Grund, unserem Gastgeber zu misstrauen. Er hätte uns auch einfach draußen lassen können.«
»Halten Sie es für möglich, dass er uns nur nicht nach draußen lässt, damit wir unsere Position nicht überprüfen können?«, fragte Joanne.
»Der Grund, dass die Schleuse laut Protokoll nur in Notfällen geöffnet werden soll, scheint mir sehr vorgeschoben zu sein«, meinte Castles.
»Unsinn«, sagte Irons. »Es gibt auf unseren Schiffen ganz ähnliche Protokolle. Im Grunde genommen mussten wir damit rechnen. Stellen Sie sich mal vor, wir würden auf einem Kreuzer eine Handvoll Schiffbrüchiger aufnehmen und die wollen auf einmal während des Fluges die Schleuse öffnen. Was würden wir wohl tun?«
»Die Schiffbrüchigen bis zum Ende des Fluges in eine Arrestzelle stecken«, sagte Finni trocken.
Jeff musste zugeben, dass Irons recht hatte. Vielleicht waren sie einfach nur ein bisschen paranoid.
»Leutnant Green«, sagte Irons. »Ist alles in Ordnung?«
Jeff hob den Kopf. Der Ingenieur saß regungslos auf seinem Platz und starrte mit glasigem Blick durch den Major hindurch. Erst jetzt fiel Jeff auf, dass der ansonsten so redselige Mann während des Essens noch keinen Ton gesagt hatte. Offenbar ging es ihm immer noch nicht gut. Green war weiß wie eine Wand. Speichel lief an der Seite seines Mundwinkels hinab.
»Leutnant Green?«, wiederholte Irons.
Endlich fokussierte der Ingenieur seinen Blick. »Entschuldigung. Ich fühle mich nicht so toll.« Es war mehr ein Krächzen.
»Sind Ihre Kopfschmerzen immer noch so schlimm? Wollen Sie ein Medikament aus der Notfallapotheke?«
Green schüttelte den Kopf. »Nein, es wird schon langsam besser.«
Er dachte an seine eigenen Kopfschmerzen, die er bislang verschwiegen hatte. Wenn es ein ansteckender Infekt war, dann sollte der Major besser Bescheid wissen. »Mir ging es heute Vormittag ebenfalls nicht sonderlich gut«, erklärte Jeff leise. »Ich hatte auch sehr starke Kopfschmerzen.«
Irons’ Kopf ruckte herum. »Warum haben Sie nichts davon gesagt? Ich hätte jemand anderen an Ihrer Stelle losgeschickt.«
»Genau das wollte ich verhindern«, antwortete Jeff. »Außerdem war es nicht so schlimm, dass es eine Krankmeldung gerechtfertigt hätte.«
Joanne hob langsam ihre rechte Hand. »Ich hatte mich gestern nicht so wohl gefühlt.«
»Sie etwa auch?«, fragte Irons. Er blinzelte.
»Es hat sehr schnell wieder nachgelassen.«
Irons nickte. »Also macht hier anscheinend tatsächlich eine Infektion die Runde. Noch jemand?«
Castles und Fields hoben die Hände.
»Gestern«, antwortete der Waffenoffizier.
»Letzte Nacht«, sagte der Mechaniker. »Ich bin zwei oder drei Mal aufgewacht und war kurz davor, mir eine Tablette geben zu lassen. Aber es war wirklich nicht so schlimm und heute Morgen war es wieder vorüber.«
»Dann scheint es sich um eine leichte Infektion zu handeln, wenn es niemanden so übel erwischt hat«, sagte Irons.
»Bis auf den da«, erklärte Castles sarkastisch und zeigte mit dem Daumen auf Green, der auf dem Stuhl neben ihm saß.
»Wir haben das Virus sicher von Sigma-7 mitgebracht und uns im Bomber während der Inkubationszeit gegenseitig angesteckt.« Irons wandte sich an Green. »Gehen Sie ins Bett. Wie ich sehe, haben Sie sowieso keinen Hunger. Verschwinden Sie und schlafen Sie sich morgen einmal ordentlich aus.«
Green nickte. »Danke, Sir.« Der Ingenieur stand auf und wäre beinahe hingefallen. Nur mit Mühe konnte er sich an der Lehne seines Stuhls festhalten.
»Leutnant Castles, bitte bringen Sie Ihren Kameraden ins Quartier«, befahl Irons.
Der Waffenoffizier wollte aufstehen, aber Green hob die Hand. »Es geht schon. Es geht schon.«
»Bist du sicher?«, fragte Castles.
»Ja, ja«, antwortete Green und schleppte sich zur Tür.
»Hoffentlich haben wir uns nicht auf diesem Schiff mit irgendwas angesteckt«, sagte Joanne, nachdem Green verschwunden war. »Ich meine, mit etwas Außerirdischem.«
»Blödsinn«, erwiderte Fields ungewohnt scharf.
Joannes Geschichtsausdruck verhärtete sich. »Blaffen Sie mich gefälligst nicht so an, Corporal Fields!«
»Ich meine ...« Fields wurde rot und stotterte: »Ich meine, wenn es hier biologische Gefahren geben würde, dann hätte der Scanner das angezeigt.«
Jeff schmunzelte. Joanne hatte es gut im Griff, im Umgang mit den Mannschaftsdienstgraden zwischen Nähe und Distanz zu wechseln. Im Gegensatz zu Irons’ vorwiegend autoritärer Art war ihre eine gute Alternative. Jeff seufzte stumm. Er musste einsehen, dass auch Joanne ein besserer XO gewesen wäre als er. »Wie gehen wir jetzt künftig vor?«, fragte er laut.
Irons atmete tief ein und wieder aus. »Wir werden weiter das Schiff erforschen. Wir sind alle zugänglichen Bereiche zwischen dem Quartier und der Außenhülle abgegangen, ohne etwas von Belang zu finden. Wir stoßen nun also weiter in das Innere des Schiffes vor. Dabei möchte ich unsere Strategie etwas ändern.«
»Strategie?«, fragte Finni. »Was für ’ne Strategie?«
Irons wandte den Kopf und blickte den Radartechniker an, die Augen zu Schlitzen verengt. »Wir haben bislang systematisch alle Abzweigungen erforscht, um die zugänglichen Bereiche in der Nähe der Unterkunft zuerst zu erfassen. Das ist zwar eine gründliche Erkundung, aber dabei erweitern wir den Radius nur sehr langsam. Nach bisheriger Erfahrung gibt es hier nicht sehr viel. Die entdeckten Räume sind allesamt leer. Ich stelle nun die Hypothese auf, dass es womöglich andere Bereiche des Schiffes gibt, die sich von diesem unterscheiden. Wenn das so ...«
Finni hob die Hand. »Aber Green hat doch berechnet, dass wegen der fraktalen Anordnung der Korridore ...«
Irons unterbrach ihn mit lauter Stimme: »... womöglich das ganze Schiff so leer ist wie die Umgebung unseres Quartiers. Das ist eine Vermutung, aber nicht mehr.« Er beugte sich vor. »Im Übrigen möchte ich Sie bitten, mich nicht mehr zu unterbrechen, bis ich ausgeredet habe, Corporal Herrmannsson. Ist das klar?«
Finni nickte.
»Wenn es anders strukturierte Bereiche des Schiffes gibt, fahren wir eine bessere Strategie, unsere Erkundungsmissionen so zu planen, dass wir uns jeweils möglichst weit vom Quartier entfernen. Wir werden die Trupps vom HQ aus entsprechend an den Abzweigungen leiten.«
Irons wandte sich an Joanne. »Ich schlage vor, Sie gehen morgen auf die erste dieser modifizierten Missionen.«
Joanne nickte. »Sicher.«
»Sir!«, warf Shorty ein. »Sie sagten vor zwei Tagen, dass ich morgen das Kommando des Trupps übernehmen darf.«
Irons seufzte und nickte dann. »Sie haben recht, Private Short. Ich vergaß. In Ordnung. Sie gehen morgen zusammen mit Private McGuinness.«
»Muss das sein?«, grummelte Mac kaum verständlich.
»Danke, Sir«, sagte Shorty.
»Wir können doch trotzdem eine zweite Gruppe losschicken«, meinte Joanne. »Haben wir bisher auch getan.«
Irons wiegte unsicher den Kopf. Schließlich nickte er doch. »Sie haben recht. Vielleicht kommen wir so schneller voran. Sie wollen gehen?«
Joanne nickte. »Wer kommt mit? Meldet sich jemand freiwillig?« Sie blickte Jeff an. »Was ist mit dir?«
Alle Augen waren nun auf Jeff gerichtet. Wenn er jetzt ablehnte oder sich eine fadenscheinige Ausrede suchte, würde das seine Autorität noch weiter untergraben. »Ja, in Ordnung. Ich komme mit.«
Er wollte eigentlich nicht gehen. Zu sehr erinnerte er sich an das Gefühl, in den leeren Korridoren beobachtet zu werden. Er konnte nicht sagen, wie er darauf kam, aber irgendetwas sagte ihm, dass weiter im Inneren des verlassenen Schiffes das Verderben auf sie wartete.