35.
Stöhnend kam Jeff wieder zu sich. Sein Kopf tat so weh, als würde er jeden Moment in tausend Einzelteile zerspringen. Er musste sich zwingen, die Augen zu öffnen.
»Du bist ja schon wieder wach«, hörte er Joannes Stimme irgendwo hinter sich. Er wollte sich umdrehen, aber es ging nicht. Er war an den Sitz gefesselt, in dem bis eben noch Joanne gesessen hatte. Seine Arme waren mit dünnen Spanngurten an die Armlehne gebunden. Seine Füße baumelten frei auf dem Boden vor dem Fenster, waren aber an den Knöcheln zusammengebunden.
Von rechts schob sich Joanne in sein Blickfeld. Sie grinste. Aber er erkannte gleich, dass es nicht Joannes Grinsen war. Der Dämon hatte den Kampfanzug abgelegt. Er trug nur noch ein weißes Oberteil und einen dünnen weißen Slip.
»Du lebst noch!«, sagte Jeff. Er konnte es nicht fassen.
»Ja, und ich bin selbst überrascht, dass es funktioniert hat«, sagte der Dämon. »Anscheinend hat die Todesangst geholfen, mein Bewusstsein komplett auf ihren Körper zu übertragen.«
»Aber das Abschirmnetz von Joannes Anzug ...«
Der Dämon winkte ab. »Das hat Green schon kaputtgemacht. Erst dann konnte ich sie übernehmen. Hat bei Owl ja auch schon funktioniert.« Er kicherte. »Und ihr Tölpel habt nichts bemerkt.«
Jeff ruckte nach vorne, aber die Fesseln waren zu straff.
»Versuch es gar nicht erst«, sagte der Dämon. »Du hast keine Chance.« Er lachte und Speichel landete auf Jeffs Gesicht. »Am Ende habe ich doch noch gewonnen.«
»Aber dein Schiff ist zerstört.«
Joannes Körper zuckte mit den Schultern. »Dafür habe ich jetzt einen neuen, jungen Körper. Ist doch auch was wert.« Der Dämon strich sich mit der Hand über Joannes Brüste.
»Willst du wissen, was ich nun machen werde?«, fragte der Dämon. Er wartete gar nicht erst eine Antwort ab. »Ich werde zur Erde gehen und euren Kaiser übernehmen. Er wird sich schon bald ein paar neue Hobbys zulegen. Im Keller seines Palastes ist sicher noch Platz für einen schönen Kerker, voll mit nettem Spielzeug. Wurde auch langsam etwas langweilig auf dem Schiff.«
»Du bist widerlich!«, zischte Jeff.
»Du wiederholst dich«, sagte der Dämon und rieb sich mit Joannes linker Hand zwischen den Beinen. In der anderen trug er ein schlankes Messer mit schwarzem Griff. »Das ist ein schönes Gefühl. Ich habe es ja nie verstanden mit eurer Sexualität. Mein ehemaliger Körper hatte so etwas nicht. Wir haben noch etwas Zeit, bis wir zur Erde kommen. Vielleicht können wir sie nutzen, um etwas zu experimentieren.« Er kam näher heran und setzte sich auf Jeffs Schoß. »Ich könnte dich reiten. So haben wir beide noch etwas davon. Au ja, das machen wir.« Dann hob er den anderen Arm und betrachtete das Messer. »Und währenddessen schlitze ich dich langsam auf und reite dich weiter, bis du tot bist. Was hältst du davon?«
Jeff presste die Lippen zusammen. Er ersparte sich eine Antwort.
»Es war fast schon zu einfach.«
»Was meinst du?«, fragte Jeff widerwillig.
»Nachdem ich Green übernommen hatte, war es leicht, die anderen umzubringen. Eigentlich wollte ich euch gar nicht ins Zentrum des Schiffes bringen, sondern mir nur einen kleinen Spaß erlauben. Green sollte euch nacheinander aufschlitzen, wie Fields und Irons.«
»Da hast du aber Glück gehabt, dass Greens Abschirmnetz kaputt war.«
Joanne kicherte. »Ich habe erst spät von dieser Schutzvorrichtung erfahren und mich schon gewundert, warum ich keinen von euch übernehmen konnte. Ich habe es auch bei dir probiert.«
Die Kopfschmerzen, die er gehabt hatte. Die sie alle gehabt hatten! Es war der erfolglose Versuch gewesen, ihn zu übernehmen. »Und dann hast du dich als Computer ausgegeben.« Darauf musste man erst mal kommen.
»Ja, und das hat verdammt viel Spaß gemacht. Improvisationstheater sozusagen. Aber einige von Irons´ Fragen haben mich ganz schön ins Schwitzen gebracht.«
»Wer hat uns eigentlich das Essen vor die Tür gestellt?«
Joanne lachte laut auf. »Das war besonders lustig. Ich habe einen der übernommenen Besatzungsavatare zu euch geschickt und ihn dann direkt nach dem Klopfen an eurer Türe aufgelöst. Du hättest mal eure Gesichter sehen sollen!«
Jeff fröstelte, als Joannes Hand fast schon zärtlich seine Wange streichelte.
»Eigentlich wollte ich in der Nacht dich umbringen und nicht Irons. Aber die Bemerkung des Majors zu dir über die Codes in dem Gerät haben dann meine Pläne geändert.«
»Du hast uns belauscht?«
»Natürlich. Jedes Wort, das ihr gesprochen habt, wurde abgehört.«
Jeff schüttelte den Kopf. »Warum hast du mich nicht umgebracht und den Major das Handheld zum Zentrum bringen lassen?«
»Irons war mir zu störrisch. Der war schonmal kurz davor, das Ding zu zerstören.«
»Warum hast du mich nicht später einfach umgebracht und das Gerät und meinen Finger von Green zu dir bringen lassen? Von dem Passwort wusstest du doch genauso wenig wie ich.«
Joanne nickte eifrig. »Das stimmt. Davon wusste ich nichts. Aber ich dachte mir, ich könnte ein nettes Spiel daraus machen und euch langsam nacheinander umbringen, bis nur noch du übrig bist. Dass du dann das Passwort erraten hast, war reines Glück. Ich selbst wäre nie darauf gekommen. Aber es hat verdammt viel Spaß gemacht, oder etwa nicht?« Der Dämon rückte sein Gesicht noch näher heran, sodass Jeff Joannes Atem riechen konnte. Es brauchte alle Willenskraft, den Kopf nicht zur Seite zu wenden.
»Dann hast du die Anzüge von Owl und Joanne sabotiert«, stellte er fest.
»Ja, das war leicht. Ich musste nur die Anschlüsse des Abschirmnetzes zerknicken und schon konnte ich ihre Geister brechen.«
Was für ein perfides Wesen!
Er musste das Gespräch in Gang halten, bis er einen Ausweg fand. Er dachte fieberhaft nach. »Eine Frage noch. In der ersten Höhle fanden wir die Knochen in diesem Massengrab. Waren die von Avataren?«
Der Dämon schüttelte langsam den Kopf. »Das waren echte Menschen. Ich habe einige von ihnen nicht in die Kryokammern gebracht, sondern mit ihrem realen Körper in die Höhlen, um mit ihnen zu experimentieren. Aber das war witzlos, da sie zu schnell kaputtgingen. Es macht mehr Spaß, eine Seele langsam zu zerstören, als einen Körper schnell.«
Joanne strich ihm wieder über die Wangen. »Aber jetzt haben wir genug geplaudert. Lass uns endlich ein paar Zärtlichkeiten austauschen.«
Der Dämon beugte sich vor und bevor Jeff reagieren konnte, küsste er ihn auf den Mund. Er spürte Joannes Zunge an seinen Lippen und presste sie, so fest es ging, aufeinander.
Endlich zog der Dämon lachend seinen Kopf zurück und stand auf. Er ging nach hinten und wühlte in einem Fach herum. »Natürlich sollte man sich schützen. Sollte man beim Sex doch immer, heißt es auf der Erde.« Er kicherte und kam wieder auf Jeff zu. In der Hand hielt er einen dünnen, silbernen Metallzylinder, ähnlich einem Stift.
»Was ist das?«, fragte Jeff, während sein Herzschlag sich beschleunigte.
»Ist nur etwas zur Beruhigung. Damit ich dir ohne Risiko den Anzug ausziehen kann. Keine Angst, du wirst nicht richtig bewusstlos. Du wirst unseren Sex völlig klar erleben und genießen können. Ich verspreche dir: besseren wirst du nie mehr haben.« Er lachte über seinen eigenen Witz und näherte sich mit dem Stift Jeffs Gesicht.
Jeff senkte den Blick. Er betrachtete seine zusammengebundenen Füße und das Fenster wenige Zentimeter daneben und er hatte eine Idee. Sein Anzug war deaktiviert. Also würde es ihn nicht retten, aber wenn es klappte, war der Dämon auch am Ende. Und er würde es sich ersparen, dem Unhold auch noch als Lustobjekt zu dienen. Er hatte nur einen Versuch. Die Zeit lief ab.
Jeff streckte sich und hob die Füße an, soweit es ging. Dann ruckte er herum, bis er halb auf der Seite lag. Die Fesseln schnitten in sein Fleisch und er schrie auf. Er winkelte die Füße an und holte aus.
»Was soll denn das?«, fragte der Dämon tadelnd. »Du tust dir doch nur weh und bringen tut es auch nichts.«
Jeff trat mit aller Macht, die er aus seinen gefesselten Beinen herausholen konnte, zu. Die Diamantspitze seines Stiefels traf mit voller Wucht auf das Fenster.
Ein lautes Knirschen bohrte sich in sein Ohr, als würden hundert Dämonen mit ihren Fingern über Schiefertafeln schleifen. Dann gab es einen lauten Krach, als das Fenster in tausende Scherben zersplitterte. Ein Sturm toste durch die Kabine und saugte sie mit sich nach draußen.
Joannes Körper wurde nach oben gerissen. Für einen Moment versuchte er, sich an Jeffs Sitz festzuklammern, aber das Vakuum war zu stark. Mit einem lautlosen Schrei stürzte der Dämon aus dem Fenster in die Ewigkeit des Alls. Es war das Letzte, das Jeff sah, bevor er selber ohnmächtig wurde.